Erwartungen
In was für einer Welt leben wir eigentlich?
Predigttext: Markus 10,35-45 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
35 Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen: Meister, wir wollen, daß du für uns tust, um was wir dich bitten werden. 36 Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, daß ich für euch tue? 37 Sie sprachen zu ihm: Gib uns, daß wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit. 38 Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wißt nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde? 39 Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; 40 zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das steht mir nicht zu, euch zu geben, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist. 41 Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes. 42 Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wißt, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. 43 Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; 44 und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. 45 Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.Exegetisch-theologische (I.) und homiletische (II.) Erwägungen
I. Der Text Mk 10, 35-45 schließt sich an die dritte Leidensankündigung Jesu an (Mk 10, 33f.) und entspricht damit der Komposition des Markusevangeliums in den vorausgehenden Kap. 8 und 9: 8,31 –9,1 (erste Leidensankündigung Jesu und Rede über die Nachfolge; 9,30–37 (zweite Leidensankündigung und Rangstreit der Jünger). Die Gliederung in zwei Abschnitte ergibt sich durch die auftretenden Personen: Jakobus und Johannes führen mit Jesus ein Gespräch(V. 35–40), danach kommen die übrigen zehn Jünger hinzu (V. 41–45). Die Bitte der beiden Jünger (V. 37) verdeutlicht ihre Erwartung: „Im Mk Kontext ist die doxa Jesu die himmlische Herrlichkeit des Menschensohnes (vgl. 8,38: 13,26), in die er durch Tod und Auferstehung gelangt“ (Pesch, 55). Der Anspruch der Jünger Jesu auf dessen richterliche Macht und Würde steht in engem Zusammenhang mit der Menschensohnerwartung: „Die Absicht ist deutlich: Das Mißverständnis der Jünger vergrößert sich, je näher Jerusalem, der Ort der Offenbarung, heranrückt. Die Nähe Jerusalems bildet den Hintergrund für das vorgetragene Verlangen, in seiner Herrlichkeit zur Rechten und Linken Jesu – man kann hinzufügen: auf Thronen – sitzen zu dürfen. Worauf richtet sich der Ehrgeiz der Jünger?“ (Gnilka, 101) Es geht nicht um ein messianisches Reich, auf das Israel wartet, sondern um die Parusie Jesu. Die zentralen Begriffe Becher (poterion) und Taufe (baptisma) (V. 38) sprechen nicht sakramentale Probleme in der frühchristlichen Gemeinde an, sondern sind beim Begriff „Becher“ aus dem Zusammenhang der alttestamentlich-jüdischen Bechermetaphorik zu verstehen. Der Becher ist ein feststehendes Bild für das Gericht (vgl. Ps 75,9; Jer 25,15ff; Hab 2,16). Die Taufe ist im markinischen Zusammenhang auf den Tod und das Leiden bezogen. Bei der Frage Jesu an seine Jünger geht es um deren Bereitschaft und Fähigkeit zum Leiden. Sind die Jünger genauso wie er zum Leiden bereit? Die Antwort der Jünger (V. 39a) wird allgemein als „vaticinium ex eventu“ auf den Tod des Jakobus gedeutet. In V. 41 sprechen die übrigen zehn Jünger ihren Ärger über ihre beiden Mitjünger unverhohlen aus. Ab V. 42 führt Jesu seine Rede in Form einer dreiteiligen Jüngerbelehrung weiter. Er setzt sich zunächst mit den weltlichen Herrschern und ihrem Machtgebrauch und –missbrauch kritisch auseinander. Bei der Frage nach der Würde des Menschensohnes und dem damit im Zusammenhang stehenden Leiden, haben menschliche Macht und Herrschaft sowie deren Missbrauch keine Würde. Der Dienst des Menschensohnes (V. 45) besteht im Leiden und in der Lebenshingabe für viele. Und damit versteht Jesus das Dienen der Jünger (V. 43f) und ihr Leiden (V. 39) als ihre Würde. Der Text ist in seiner historischen wie inhaltlichen Vielschichtigkeit durch tragende Begriffe sowohl aus alttestamentlich-jüdischer Tradition als auch aus der frühen jesuanischen Tradition geprägt. Die inhaltliche Klammer sind die Verse 37 und 45, in denen es um die Erwartung des Menschensohnes in seiner richterlichen und herrschaftlichen Würde geht. Hier gibt es Anklänge an Dan 7 (bes. V. 27). Die Frage der Jünger Jakobus und Johannes nimmt diese Erwartung unmittelbar auf. Der Wunsch, rechts und links neben Jesus in seiner himmlischen Herrlichkeit (doxa) zu sitzen, macht ihren Anspruch auf Hoheit und Würde deutlich. In V. 45 interpretiert Jesus diese Erwartung des Menschensohnes als Herrscher und Richter um, indem er sie auf sein Leben und seinen Tod bezieht. Das Bild des Menschensohnes, dem alle Völker dienen, wird mit zwei weiteren, aus alttestamentlich-jüdischer Tradition stammenden Gedanken kombiniert: Der Begriff des Lösegeldes verweist auf Jes 43,3f., wo es um die Stellvertretung geht. In Mk 10,45 verweisen die Formulierungen „sein Leben geben“ und „die Vielen“ auf Bezüge zu Jes 53, dem Lied vom leidenden Gottesknecht, hin. Der entscheidende Begriff in V. 45 ist das Dienen (diakonein). Ursprünglich ist damit der Dienst am Tisch und die Sorge um den Lebensunterhalt gemeint. Im Neuen Testament wird das Verb „diakonein“ zum zentralen Begriff für die christliche Grundhaltung, die sich an Jesu Predigt und Ethik orientiert, und den innergemeindlichen karitativen Einsatz im Blick hat. Paulus verwendet den Begriff vor allem im Zusammenhang mit der Kollekte für die Jerusalemer Gemeinde, also für diejenigen Gemeindeglieder, die in materielle Not geraten sind. Der theologische Gedanke dieses Wortfeldes ist aber umfassender: der Dienst durch materielle Hilfe ist gleichzeitig auch Hilfe zur Erlangung des Heils (vgl. Röm 11,13). Der Dienst Jesu ist in der Hingabe des Lebens als Lösegeld für die Vielen zusammengefasst. Bei Lukas wird der Zusammenhang zwischen dem Dienst der Jünger und Jüngerinnen und dem Dienst Jesu als Lebenshingabe durch die Einbindung der Gemeinderegel in die Abendmahlsgespräche deutlich. In Mk 10, 35–45 sind zwei, für den christlichen Glauben grundlegende Traditionen mit einander verwoben: die eschatologisch-messianisch geprägte Menschensohnerwartung, die auf das Leiden und den Tod Jesu bezogen wird, und der Gedanke des Dienstes Jesu, der den Dienst der Jünger in ihrer Gemeinschaft begründet. II. Die Predigt bietet von der Struktur des markinischen Textes bereits eine Gliederung, die die Themen der Perikope aufnehmen können. Folgende Gedanken lese ich aus dem Text: – Erwartungen und Fragen: Lohnt es sich für mich, Christin oder Christ zu sein? Wie unterscheide ich mich durch meine Zugehörigkeit zur Gemeinde von anderen Menschen? Was bedeutet mir dieser Unterschied? Was erwarte ich eigentlich von Gott für mein Leben? Was kommt am Ende heraus? – Ermahnung zum Dienen: Jesus lehnt die Frage der beiden Jünger nach ihrem Platz im Reich Gottes nicht ab. Auch wir haben Fragen, die wir stellen dürfen und die von Jesus nicht abgelehnt werden. Jesus verweist uns auf die Welt, in der wir leben. Da werden Schwächere ausgenutzt, da wird Macht missbraucht, nur um zu den Großen zu gehören. Jesus macht seinen Zuhörern deutlich, worum es eigentlich in der Welt geht: um Annahme des Nächsten, um gegenseitiges Ernstnehmen und Unterordnen, ohne den Machtstrukturen dieser Welt zu erliegen. – Befreiung zum Dienen: Jesus ist nicht der mahnende Lehrer, der mit erhobenem Zeigefinger uns Moral predigt, nein er ist der Mann am Kreuz, der mit ausgebreiteten Armen, der durch sein Dienen, durch seinen Tod uns Leben ermöglicht.Liturgisch – Lyrisches
Lieder: „O Herr, mach mich zum Werkzeug deines Friedens“ (EG 416); „Jesu Kreuz, Leiden und Pein“ (EG 78); „Ein wahrer Glaube Gotts Zorn stillt“ (EG 413); „Ich steht vor dir mit leeren Händen Herr“ (EG 382); „Morgenglanz der Ewigkeit“ (EG 450). Eingangsgebet: Guter Gott, du bist das Tor zum Leben, du gibst uns Raum in diesem Gottesdienst, wo wir immer wieder deine Nähe erfahren. Du gibst uns Raum für unsere Angst und Freude, für unsere Hoffnung und Sehnsucht und auch für den Blick auf unsere dunklen Seiten. Du gibst uns Raum für einen Platz an deiner Seite, für den wir nicht kämpfen und den wir uns nicht verdienen müssen. Dieser Platz ist dein Geschenk, deine Gabe und deine Gnade für uns. Amen. Du hinter uns hinter allem, was war Kraft, die hervorbringt die Leben will Entfaltung Du in uns in allem, was ist Kraft, die durchdringt die Reifung will Verwandlung Du vor uns vor allem, was wird Kraft, die vorantreibt die Liebe will Vollendung (Lothar Zenetti, Texte der Zuversicht, München 1972, 299) Literatur: Wilfried Eckey, Das Markusevangelium. Orientierung am Weg Jesu. Ein Kommentar, Neukirchen-Vluyn 1998; Joachim Gnilka, Das Evangelium nach Markus, EKK Begründung der Diakonie in der nachösterlichen Gemeinde, in: ders., Geschichte und Theologie des Urchristentums. Gesammelte Aufsätze, Tübingen 1991, 399–416; Karl Theodor Kleinknecht, Der leidende Gerechtfertigte, Tübingen, 1984; Rudolf Pesch, Das Markusevangelium, HThK II/2, Freiburg 1977(2. Aufl.); Ludger Schenke, Das Markusevangelium. Literarische Eigenart. Text und Kommentierung, Stuttgart 2005; Peter Stuhlmacher, Existenzstellvertretung für die Vielen. Mk 10,45 (Mt 20,28), in: ders., Versöhnung, Gesetz und Gerechtigkeit, Göttingen1981, 27–42; Gerd Theißen, Lichtspuren. Predigten und Bibelarbeiten, Gütersloh 1994; Alfons Weiser, Art. diakoneo / diakonia / diakonos, in: EWNT I, Sp. 726–732.Predigt
Liebe Gemeinde!
Oben und unten
Beim Zusammenleben von Menschen geht es ganz oft um Macht, um den besten Platz an der Sonne, um „Oben“ und „Unten“. Denken wir an das Wort von Bert Brecht: „Die einen sind im Dunkel, die anderen im Licht. Die im Lichte sieht man, die im Dunkel nicht“. Wir Menschen wollen unserer Leben im Rahmen unserer Möglichkeiten gestalten, doch warum gehen wir dabei so oft unmenschlich, ja grausam und hart vor? Wir wollen ethisch handeln und leben, doch wo bleibt im Alltag und im Berufsleben diese viel beschworene Ethik? Wir fordern in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens Moral, doch oft genug wird diese Moral nur mit Füssen getreten. Denken wir nur an die Bankenkrise und die „Ethik“ der Bankmanager, denen es offenbar gar nichts ausmacht Milliarden verzockt zu haben, nur um noch mehr Gewinnmaximierung zu erreichen. Der Mensch erhebt sich zum Maß aller Dinge. „Wer von euch etwas Besonderes sein will, soll den anderen dienen, und wer von euch an der Spitze stehen will, soll sich allen unterordnen“ so sagt es ein Wort Jesu, das im heutigen Predigttext aus dem Markusevangelium überliefert ist. Wir hören diesen Text in einer modernen Bibelübersetzung (Einheitsübersetzung).
(Lesung des Predigttextes)
Es geht in unserem Predigttext um die da oben und die da unten, also letztendlich um das öffentliche Ansehen und die Macht anderen gegenüber. Das scheint gar nichts Besonderes zu sein, nichts Außergewöhnliches. Schon die Jünger Jesu hatten sich offenbar darum gestritten, wer einmal rechts und links neben Jesus sitzen darf, wenn das Reich Gottes gekommen sein wird. Die Jünger glaubten daran, dass es für sie mit Jesus eine Zukunft jenseits der Gräber dieser Welt gibt. Jesus macht Jakobus und Johannes klar, dass es nicht in seiner Macht steht, darüber zu entscheiden. Die anderen zehn Jünger sind verärgert über ihre Mitjünger, die auf ihre Kosten in die Nähe Jesu kommen wollen.
Was zählt?
Dann sagt Jesus etwas hochaktuelles, indem er alles, was in der Welt wichtig scheint, auf den Kopf stellt. Für ihn zählen nicht Macht, Stärke, Größe, Ansehen oder Aussehen, der Einfluss, den ein Mensch auf andere und öffentliche Entscheidungen hat, der Dienstwagen, die Leibwächter, das gut gefüllte Bankkonto in Deutschland oder in den Steueroasen dieser Welt, die Aktien- und/oder Immobilienpakete. Jesus sagt seinen Freunden: „Ihr wisst, die Herrscher der Völker, ihre Großen, unterdrücken ihre Leute und lassen sie ihre Macht spüren“. Jesus fordert von seinen Anhängern, dass es bei ihnen anders zugehen muss. Bei seinen Anhängern steht an erster Stelle, dem anderen zu dienen. Wer an der Spitze stehen will, soll sich anderen unterordnen.
Mancher von Ihnen wird sich jetzt fragen: Wo leben wir eigentlich? In einer falschen Welt, in einer Welt voller Illusionen? Wer hat hier denn Recht, die Jünger, die sich einen ganz nahen Platz bei Jesus wünschen und vielleicht auch wir, die wir ja gerne Einfluss und Macht und öffentliches Ansehen haben wollen oder nicht vielleicht doch Jesus mit seiner ganz anderen Sicht auf die Welt, die sich eben nicht mit dieser Welt verbündet, sondern das ganz Andere herausstellt. Sind wir doch ehrlich: wer von uns dient schon gern, und je mächtiger wir sind, um so mehr genießen wir die Macht und die Annehmlichkeiten von Mitarbeitern, die ganz viel für uns erledigen. Ja auch ich bin froh, dass ich noch ein Pfarrbüro habe, das mir eine ganze Menge Verwaltungsarbeit abnimmt und ich nicht, wie es in meiner früheren Dorfpfarrstelle üblich war, alle Verwaltungsarbeit selbst erledigen musste. Sicher kommt manchem unter uns jetzt noch ein Gedanke: Warum treten Politiker so ungern zurück oder warum wird Wirtschaftsbosse beim Ausscheiden aus dem Unternehmen mit Entschädigungen der Abschied vergoldet, die jenseits all unserer Vorstellungen liegen?
Gottes-Dienst
Lässt sich eigentlich unser Text so konkret lesen, dass wir ihn mit den Kriegen und der augenblicklichen Wirtschaftssituation in der Welt in einen Zusammenhang bringen? Die Antwort darauf scheint einfach. Sören Kierkegaard, der große dänische Philosoph und Theologe, hat einmal geschrieben: „Stell dir vor, Gott habe verboten, am Sonntag mit einer Kutsche in den Tierpark zu fahren; was müsste man tun, um sowohl das Vergnügen als auch die Frömmigkeit miteinander zu verbinden? Man müsste einen Bischof bestellen der den Kutschwagen feierlich einsegnet und sogar selber auf dem Kutschbock Platz nimmt. Dann hast Du die Christenheit, die es vortrefflich versteht, ein heiliges und gottwohlgefälliges Werk aus gerade dem Tun zu machen, das Gott ausdrücklich untersagt hat.“ Wir Menschen legen uns „Gott“ so zurecht, wie wir ihn brauchen, wir basteln uns, wie damals die Israeliten mit dem goldenen Kalb einen Gott, der unseren Vorstellungen nicht in die Quere kommt und leben dann mit diesem Abbild Gottes. Wer Gott sagt und sich auf religiöse Verhaltensweisen beruft, der kann ja kein schlechter Mensch sein, der muss Recht haben. Doch Jesus sagt etwas anderes: „Wer von euch etwas Besonderes sein will, soll den anderen dienen, und wer von euch an der Spitze stehen will, soll sich allen unterordnen…“. Jesus spricht dabei seine eigene Person an und antwortet seinen Jüngern mit Bezug auf seinen Dienst in der Welt. „Auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für alle Menschen hinzugeben.“ Hier geht es um das Dienen, um das Gott-Dienen und damit wird deutlich, durch was diese Welt ein anderes Gesicht erhält.
Dienen, wir spüren es alle, macht nicht immer Spaß, doch darum geht es gar nicht. Der Dienst, der hier angesprochen wird, will Herrschaft nicht festschreiben, bei diesem Dienst geht es nicht um ein gesellschaftliches „Oben“ und „Unten“. Jesus vermittelt uns mit seinem Begriff vom „Dienen“ eine Welt- und Menschensicht, die die Welt und den Menschen aus der Perspektive Gottes sieht. Auch Jesus leugnet nicht, dass es in der Welt Herrschaft im weitesten Sinn gibt: Es muss regiert werden, die Wirtschaft muss funktionieren und auch im Kleinen, in der Familie, geht es um ein geordnetes Zusammenleben. Doch Jesus kommt es aber darauf an, zu zeigen, aus welchem Geist heraus ich diese Herrschaft ausübe und wem ich mich in meinem Tun verantwortlich weiß. Jesus ist, als dieses Gespräch mit den Jüngern stattfindet, auf dem Weg nach Jerusalem, – er weiß, was ihn dort erwartet. Erst der Jubel beim Einzug in Jerusalem, am Ende die Verurteilung und schließlich der Tod am Kreuz. Das war sein Gottes-Dienst, der Dienst für Gott und der Dienst für die Welt. Er wurde den damals religiös Verantwortlichen wie dem Hohen Rat oder den politisch Mächtigen wie Pontius Pilatus mit seiner Predigt von der Liebe Gottes zu den Menschen zu unbequem. Er sprach die Dinge offen aus, das passte den Herrschenden damals nicht. Er machte darauf aufmerksam, dass der Mensch seine Menschenwürde zurückbekommen muss und Leid, Elend, Not, Verfolgung, Verletzung, Tod, Heimatlosigkeit und Hunger nicht mehr ausschlaggebend sein dürfen. Wer die Menschenwürde verletzt, kann sich nicht auf den biblischen Gott berufen, nur wer dem Leben des Menschen und der Mitmenschlichkeit dient, dient Gott.
Jesus verweist auf sein bevorstehendes Leiden und er spricht es ganz deutlich an, dass Nachfolge nie einfach und bequem ist, denken wir an Persönlichkeiten der Kirchengeschichte wie Dietrich Bonhoeffer, Martin Luther King oder Mutter Theresa. Für Menschen, denen ihr Glaube wichtig war, war dieser Glaube keine billige Ramschware und Gott kein menschlich verfügbares und manipulierbares Wesen. Diese Menschen waren bereit, ihre Nachfolge mit Verfolgung und sogar mit dem Tod zu bezahlen.
Wegweisende Heilige
Die „Heiligen“ beider großen christlichen Kirchen haben uns Wege zu dieser von Jesus gepredigten Menschlichkeit aufgezeigt, mitten in der Welt und mit einem hohen Preis. Wir können auch noch weiter in die Kirchengeschichte zurückgehen, denken wir an Franz von Assisi, der zur Zeit der Kreuzzüge zwischen moslemischen Führern und den Christen vermittelte, um damit ein Zeichen des Friedens zu setzen. Jesus geht es nicht darum, darüber zu spekulieren, wo wir einmal bei Gott sitzen werden, sondern darum, dass Gott seinen Ort schon hier in dieser Welt hat, dass er in unserem Leben gehört, gespürt und wahrgenommen wird. Niemand sollte sich zu schnell und vordergründig auf „Gott“ berufen, wenn er nicht dazu bereit wäre, um seines Glaubens willen Gott und dem Wohl und der Würde anderer Menschen zu dienen. Wer den Namen des Gottes von Sara, Abraham und Jesus in den Mund nimmt, kann am Menschen nicht vorbeigehen, kann nicht vorbeigehen an seiner Not, seinen Bedürfnissen, seinen Sorgen und seiner Würde. Nur so verbannen wir Gott nicht aus der Welt, sondern holen ihn in unsere Welt wieder hinein. Wer den Gott Jesu gern im „fernen Himmel“ sieht, der sorgt dafür, dass dieser Gott ganz ganz weit weg ist.
Liebe Gemeinde! In dem, was wir tun und wie wir leben wird deutlich, aus welchem Geist heraus wir leben, und ob dieser Geist etwas mit dem Gott Abrahams, Isaaks, Jakobs und Jesu von Nazareth zu tun hat – oder eben doch nur mit den Götzen menschlicher Macht und Willkür? Jesus weiß, worauf er sich einlässt, als er nach Jerusalem geht. Er weiß, dass sich hier sich sein Leben und sein Dienst vollendet. Er lebt seinen Glauben, seine Gottesbeziehung im wahrsten Sinne in der Passion in „Leiden-Schaft“, er lebt seinen Glauben in dem Bewusstsein, dass er vom Leiden nicht verschont bleibt. Sein Leiden ist ein Mitleiden mit dieser Welt und all ihren Unzulänglichkeiten, mit all ihren krummen Wegen, mit all ihren herrschsüchtigen und bisweilen auch tyrannischen Verhältnissen und Menschen. Am Ende des Weges zum Kreuz wird die Weg-Kreuzung zeigen, in welcher Beziehung ich zu Gott und zu meinem Mitmenschen stehe. Es gibt keine billige Nachfolge im Glauben, Nachfolge ist so teuer wie das Leben.
Menschliches Gesicht
Es ist nicht unsere Sache, wo und wie wir einmal in der Gegenwart Gottes sein werden. Wo wir aber hier in dieser Welt leben sollen und müssen, das wissen wir: an und auf der Seite aller Menschen, die uns und unseren Glauben brauchen, damit diese Welt endlich das menschliche Gesicht bekommt, das Gott ihr ursprünglich geschenkt hat: jung oder alt, gesund oder krank, traurig oder fröhlich, das Gesicht eines alten Menschen mit tiefen Furchen oder das Gesicht eines Kleinkindes vielen kleinen Lachfalten. Eben Gesichter, in denen sich die Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen zeigt. So schenke Gott uns und allen Menschen den Mut zu einem glaubwürdigen Gottes-Dienst, der auch den Dienst am Menschen nicht vergisst. Denn daran muss sich unser Glaube und der Glaube aller Mächtigen dieser Erde messen lassen, wenn er wirklich „christlich“ und glaub-würdig sein will.
Amen.