Hände öffnen
Alles im Leben ist Geschenk
Predigttext: Markus 10,35-45 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
35 Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen: Meister, wir wollen, daß du für uns tust, um was wir dich bitten werden. 36 Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, daß ich für euch tue? 37 Sie sprachen zu ihm: Gib uns, daß wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit. 38 Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wißt nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde? 39 Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; 40 zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das steht mir nicht zu, euch zu geben, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist. 41 Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes. 42 Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wißt, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. 43 Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; 44 und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. 45 Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.Predigt
Ich lasse den Jünger Andreas erzählen:
Einer zu seiner Rechten, einer zu seiner Linken! Das haben uns die Frauen erzählt. Die waren dabei, die haben es ausgehalten, gestern, draußen auf dem Schädelberg, auf Golgota. Einer zur Rechten, einer zur Linken. Mir fallen dabei Jakobus und Johannes ein. Das ist ja erst einige Tage her, auf unserer Wanderung hierher nach Jerusalem. Zwei von uns wollten die Ersten sein: im Reich Gottes einer zu deiner Rechten, einer zu deiner Linken! Diesmal waren es nicht wir zwei, das andere Brüderpaar in der Schar der Jesusfreunde: mein Bruder Simon – Jesus und die anderen nennen ihn schon lange Kefas, Petrus, „Fels“ – und ich. Meinem Bruder Simon wäre das in der Tat zuzutrauen gewesen: im Himmelreich rechts von Jesus tafeln zu wollen. Ich bin ja fast das Gegenstück zu Simon, eher scheu, zurückhaltend, in mich gekehrt. Vielleicht sind wir zwei deshalb nicht auf diese Idee gekommen. Die Söhne des Zebedäus sind beide Draufgänger; da bremst keiner den anderen aus.
Aber zu den ersten gehören wollen, das ist uns allen zuzutrauen. Wie oft haben wir spekuliert: Welcher Lohn wird uns zuteil für unseren Einsatz? Mit Jesus losziehen, Familie, Haus, Beruf zurück lassen, uns ganz dem verschreiben, was Jesus sich in den Kopf gesetzt hat. Immer wieder wollten wir wissen: Was wird uns dafür zuteil. Dem Meister hat diese Rechnerei überhaupt nicht gepasst. Aber das steckt so tief in uns, ist wahrscheinlich nicht von uns zu trennen. Belohnt werden und die Ersten sein wollen. Petrus hat uns ja gezeigt, wie tief uns das prägt: Total verstört und mit vom Weinen roten Augen kam er vorletzte Nacht zu mir. Die Magd im Hof des Hohenrates hat ihn Jesus und uns zugeordnet – und er hatte – zu gewinnen gab es ja nichts mehr – wenigstens nicht total der Letzte, der Verlierer werden wollen.
Drei Kreuze, haben die Frauen berichtet: einer zu seiner Rechten, einer zu seiner Linken. Die Frauen waren gestern dabei. Sind Frauen stärker als wir Männer? Oder ahnen sie: Das hilft ihnen in ihrer Trauer? Sitzen die beiden anderen Hingerichteten jetzt zur Rechten und zur Linken des Messias im Gottesreich? Aber die haben nicht darauf spekuliert, in der neuen Welt Gottes neben dem Menschensohn Platz zu finden. Findet den nur, wer ihn ersehnt hat? Jesus hat den Kelch getrunken, er hat gestern die Bluttaufe erlitten. Übertrage ich seine Ankündigung auf ihn, steht ihm der Ehrenplatz auf jeden Fall zu. Aber uns? Wir Männer unter Jesu Freunden waren gestern nicht auf Golgota. Können wir den Leidenskelch nicht trinken? Fliehen wir die Taufe des Leidens? Auf Jesu Frage haben Jakobus und Johannes ja selbstbewusst geantwortet: Ja, wir könnens! Ich hoffe, ich muss nicht beweisen, wie viel Schmerz, Peinigung ich aushalten kann. Gestern ging es nicht um uns. Es ging um Jesus. Wir hätten unterwegs Jesus gerne zur Umkehr nach Galiläa bewogen. Mehrmals hat er Verhaftung und Tod realistisch in den Blick genommen. Nicht als Sehnsucht nach dem Tod. Aber er hat alles durchschaut, auch uns, auch seine Zeitgenossen, die Römer und die jüdischen Gruppen in Jerusalem. Er hat uns seinen Tod zugemutet.
Könnt ihr diese Taufe erleiden? Seine Wassertaufe durch Johannes am Jordan haben wir nicht erlebt, da waren wir noch nicht seine Begleiter. Johannes ist von Herodes umgebracht worden, dann sind einige seiner Schüler zu uns gekommen und haben sich mit uns Jesus angeschlossen. Die haben es uns erzählt: Die von Johannes Getauften sollten ein neues Leben anfangen. Bußtaufe, Umkehrtaufe. Aber Jesus? Für was will der Buße tun? Den wollte Johannes nicht taufen. Doch Jesus hat darauf bestanden, er wolle Gottes Gerechtigkeit erfüllen. Gottes Gerechtigkeit – wir Juden verstehen ja darunter: Gott sucht die Nähe zu uns Menschen. So wollte Jesus leben, so hat er gelebt: Die Nähe zu uns anderen hat er gesucht und gelebt. Nicht nur zu uns, seinen Freundinnen und Freunden, auch zu den anderen. Könnt ihr den Kelch trinken und die Taufe erleiden? Bis in die brutalste letzte Konsequenz hat er diese Nähe zu uns gelebt: zu den zwei Aufrührern, einer zu seiner Rechten, einer zu seiner Linken. Aber nicht nur zu diesen beiden. Zu uns allen. Tod und Sterben in der brutalsten Gestalt. Sterblich sind wir alle. Unser Sterben hat er geteilt.
Gott bewahre mich davor beweisen zu müssen, wie viel ich aushalte, wie mutig ich bin. Hoffentlich sitzen nicht nur die Märtyrer in Gottes neuer Welt mit ihm zu Tisch. Aber dort vor Jericho, gegenüber Johannes und Jakobus, hat Jesus einen anderen Maßstab angelegt: Die Machtgierigen, Machtbesessenen schaffen eine Hierarchie der Gewaltausübung: die einen sind oben, die Masse ist unten. Ihr aber sollt anders leben. Wer groß sein will, soll Diener, Sklave der anderen werden. Ich dachte, Jesus kehrt die Verhältnisse um. Inzwischen ahne ich, so werden wir die Macht auch nicht los. Wir erleben es überall: Ich biete dir meinen Dienst an und erwarte deine Gegenleistung. Macht durch Dienst. Auch beim Dienen wollen die einen die ersten sein und belohnt werden.
Vor wenigen Tagen erst hat Jesus uns die Füße gewaschen. Mein Bruder Simon wollte wieder einmal die Rollen tauschen. Doch Jesus blieb dabei: Lass dir das von mir gefallen! Und vorgestern Abend war Passahbeginn. Was uns an den Auszug aus Ägypten erinnert, hat Jesus neu gefüllt, überm Brot und überm Wein sollt ihr sehen: Ich teile mich an euch aus, mit Leib und Seele, mit Fleisch und Blut. Kann ich mich auch so hingeben? Oder bestimmt mich immer noch die Gier: Ich will Lohn und der erste sein und andere sollen sehen, wer ich bin. Uns von ihm beschenken lassen, vielleicht war das unsere Aufgabe, und da haben wir alle versagt. Er gibt sich für mich hin und darum bleibt er und immer nur er der Erste. Wieso muss ich, wieso müssen wir Jesus immer neu beweisen, wer wir sind, wie toll wir sind, möchten Sieger, Gewinner sein? Wie lerne ich, einfach nur die Hände zu öffnen und sie ihm hinhalten? Er hat uns über die kurze Zeit, die wir mit ihm unterwegs waren, so überreich beschenkt. Wie geht mein Leben jetzt weiter, nach seinem Tod? Ist alles zu Ende, ist endgültig Schluss mit dem Reichtum von ihm? Er ist mit seinem Weg gescheitert, hat so viele reich gemacht, ist aber der Angst der Römer um ihre Macht hier in Jerusalem in brutaler Weise zum Opfer gefallen. Wie lange kann ich jetzt weiter leben von diesem Schatz, diesem Reichtum? Braucht der sich auf? Zurückkehren an den See Genezaret, wieder fischen gehen und leben mit der Erinnerungen, die verblassen? Oder lerne ich jetzt erst?
Jesus hat Jakobus und Johannes eingeladen, Diener, Sklaven zu werden. Mir geht jetzt erst auf: Im Blick hatte Jesus wohl gar nicht, was ein Diener tut, was ein Sklave leistet. Jesus hatte eher im Blick, was eine Sklave ist: der Unterste, der Letzte auf der sozialen Leiter. Er hat es ausgehalten, Sklave zu werden, vor den Mitjuden, vor den Römern. Ist das – über alle seine Gaben hinaus – sein größtes Geschenk an uns?! Ich will etwas leisten, will belohnt werden, mich abrackern und als der Fleißigste erscheinen. Das steckt in mir, in uns allen, unausrottbar. Mit Jesus waren wir unterwegs und haben es dabei immer noch nicht gelernt: uns einfach nur von ihm beschenken zu lassen. Alles im Leben ist Gabe, ist Geschenk. Musste er sterben, damit ich das verstehe: Bis zum bitteren Ende war sein Leben nichts als Hingabe! Hingabe seines Lebens an uns alle. Ich will es lernen: bei diesem Herrn nicht der Erste sein wollen, sondern Sklave bleiben: angewiesen auf das, was er mir schenkt.
Amen: Ja, so ist es; amen, so soll es sein!