Palmzweig und Eselchen

Christus ist nicht gekommen, um unsere Welt zu verbessern und zu flicken, sondern um sie zu überwinden

Predigttext: Johannes 12,12-19
Kirche / Ort: Stadtkirche / 55276 Oppenheim
Datum: 05.04.2009
Kirchenjahr: Palmsonntag (6. Sonntag der Passionzeit)
Autor/in: Pfarrerin Dorohea Zager

Predigttext:  Johannes 12,12-19 Der Einzug in Jerusalem (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

12 Am Tag darauf hörte die Volksmenge, die sich zum Fest eingefunden hatte, Jesus komme nach Jerusalem. 13 Da nahmen sie Palmzweige, zogen hinaus, um ihn zu empfangen und riefen: Hosanna! / Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn, / der König Israels! 14 Jesus fand einen jungen Esel und setzte sich darauf - wie es in der Schrift heißt: 15 Fürchte dich nicht, Tochter Zion! Siehe, dein König kommt; er sitzt auf dem Fohlen einer Eselin. 16 Das alles verstanden seine Jünger zunächst nicht; als Jesus aber verherrlicht war, da wurde ihnen bewusst, dass es so über ihn in der Schrift stand und dass man so an ihm gehandelt hatte. 17 Die Leute, die bei Jesus gewesen waren, als er Lazarus aus dem Grab rief und von den Toten auferweckte, legten Zeugnis für ihn ab. 18 Ebendeshalb war die Menge ihm entgegengezogen: weil sie gehört hatte, er habe dieses Zeichen getan. 19 Die Pharisäer aber sagten zueinander: Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; alle Welt läuft ihm nach.

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Predigt

Moment mal! Kennen wir diese Geschichte nicht anders? Hat Jesus nicht erst zwei seiner Jünger vorneweg geschickt, ehe er nach Jerusalem einzog, damit sie ihm ein Eselchen vom Zaun losbinden und bringen? Und die Menschen haben doch auch ihre Kleider vor Jesus auf die Straße gelegt. Und von Lazarus war doch da gar nicht die Rede. Auch von den Pharisäern nicht!

Unterschiedlich erzählte Bibelgeschichte

Liebe Gemeinde, diese Geschichte vom Einzug Jesu in Jerusalem – so wie wir sie normalerweise kennen und hören – steht im Matthäusevangelium. Diese hier ist aber von Johannes. Der erzählt diese Geschichte ganz anders: Er erzählt von Menschen, die Jesus entgegenlaufen. Sie erwarten ihn nicht erst in Jerusalem. Draußen vor den Toren der Stadt holen sie ihn schon ab. Johannes erzählt von Jesus, der erst direkt in Jerusalem – wie zufällig – ein Eselchen nimmt, sich darauf setzt und reitet. Er erzählt, dass die Menschen auch einen ganz konkreten Anlass für ihre jubelnde Begrüßung hatten: Sie hatten von der Auferweckung des Lazarus von den Toten gehört. Das hatte sie völlig begeistert. Zuletzt erzählt Johannes auch noch von den Pharisäern, wie sie sich ärgern und wie sie miteinander tuscheln, dass sie sich so machtlos fühlen gegenüber dieser Begeisterung der Massen. Alles das steht bei Matthäus nicht.

Missverständnis

Warum erzählt Johannes diese Geschichte so ganz anders? Johannes möchte uns auf ein Grundproblem des Glaubens an Christus hinweisen, mit denen die Menschen von Anfang an – bis zu uns heute! – zu kämpfen haben: Die Menschen missverstehen Jesus. Sie missverstehen seine Mission – und genau deshalb musste er ans Kreuz gehen und sterben.

So wie Johannes es berichtet, organisiert Jesus nicht selbst seinen Einzug in Jerusalem. Die Aktivität, das Jubeln und die Begeisterung gehen von den Menschen aus! Sie sind in Jerusalem, um das Passahfest zu feiern. Sie hatten gehört, dass Jesus Wunder tun kann, ja, dass er sogar Tote auferwecken kann. Sie hatten gehört, dass anderen vom ihm sagten, er sei von Gott geschickte. Ja es sei wahr, er könne ergreifend predigen und kenne sich bestens aus in der Bibel und in Glaubensdingen. Und jetzt sollte dieser berühmte Wunderheiler, dieser Gesandte Gottes, nach Jerusalem kommen? Na endlich! Endlich die Rettung! Alle waren voller Erwartung: Unsere Sehnsüchte nach Frieden und unsere Wünsche nach Glück sollten nun endlich in Erfüllung gehen: Endlich haben Krankheiten keine Macht mehr über uns, – denn es kommt einer, der gesund machen kann. Endlich hat der Tod ausgespielt, weil einer kommt, der Tote wieder lebendig machen kann. Endlich kommt einer, der den müde gewordenen Glauben des Volkes Israel wieder in Ordnung bringt. Und endlich, endlich – das ist das Wichtigste! – kommt einer, der die Feinde, die Römer, und möglichst alle Feinde, aus dem Land jagen und uns wieder zu einem glücklichen und selbständigen Volk machen wird wie zu König Davids Zeiten. Endlich kommt der von Gott geschickte Messias, der neue König, auf den wir doch schon so lange warten.

Der Jubel ist riesig. Sie holen Jesus vor den Toren der Stadt ab. Wie wenn man einen König nach einer siegreichen Schlacht wieder nach Hause holt. Sie reißen Palmzweige ab – Palmzweige sind ja das Symbol des Sieges! – und begrüßen Jesus wie mit einem Triumphzug. Endlich kommt die lang ersehnte Rettung, auf die wir schon so lange warte: Hosianna! Gelobt sei der da kommt im Namen des Herrn! Der König von Israel. Und? Jesus schweigt. Er sieht die Menschen jubeln. Er weiß genau, wie groß ihre Erwartungen an ihn sind. Aber er weiß auch, dass er sie alle enttäuschen wird.

Überwindung der Welt

Die Macht Gottes in der Welt kann sich nicht darin erschöpfen, dass sie die Welt in ihrer Unzulänglichkeit und Todverfallenheit ein wenig ausbessert und flickt. Sondern die Macht Gottes in der Welt zeigt sich darin, dass Gott die Unzulänglichkeit und Todverfallenheit der Welt als Ganzes überwindet. Jesus wird als Christus die Welt überwinden, indem er Grausamkeit, Brutalität und Tod durchleidet, durchbricht und ihr endgültig ein neues Vorzeichen gibt: Das Vorzeichen des Lebens. Das Vorzeichen einer neuen, lebendigen Welt.

Demut

Ja, Jesus wusste, dass sein Weg ganz anders endet, als die Menschen es ihn ihrem Jubel und in ihrer brennenden Sehnsucht von ihm erwarteten. Und das versuchte er der Menge durch eine symbolische Handlung zu sagen: Er findet ein Eselchen und setzt sich darauf. Einen Esel! Ein Lasttier für die Armen – weiß Gott kein repräsentatives Reittier für einen siegreichen Regenten des gewünschten Formats. Das hätten die Menschen doch sehen und erkennen müssen: Das Eselchen ist das Gegensymbol gegen die Palmzweige: Demut gegen Königswürde. Armut gegen Sieg. Nicht Macht, nicht Sieg, nicht Erfüllung aller Wünsche und Erwartungen bringt Jesus – er bringt die Rettung verborgen unter Ohnmacht und Angst: „Sieh, dein König kommt zu Dir“ – so erklärt Johannes dieses Zeichen Jesu mit einem Zitat der alten Propheten: „Sieh, dein König kommt zu Dir. Als Gerechter und Helfer, arm und reitet auf einem Eselsfohlen“.

Die Menschen reißen Palmzweige ab und zeigen damit, dass sie Sieg, Macht und offensichtliche Weltverbesserung von Jesus erwarten. Jesus reitet auf einem Eselchen und zeigt damit: Nein, ich werde nicht Euer König sein, sondern Euer Diener! Was für ein schreckliches Missverständnis! Dieses Missverständnis, wie es durch die beiden Symbole Palmzweig und Eselchen ganz deutlich ausgedrückt wird, dieses Missverständnis ist die Grundursache für den Tod Jesu. Als die Menschen nämlich merken, dass ihre brennende Hoffnung enttäuscht wird, schlägt sie um in brennenden Hass und in den hundertfachen Schrei: Kreuzige ihn!

Fragwürdige Bilder

Liebe Gemeinde, wir sollten uns hüten, über das Missverständnis der Menschen damals mahnend den Kopf zu schütteln. Denn ihr Missverständnis ist noch immer auch das unsere. Haben wir Jesus denn verstanden? Auch wir sind in der Gefahr, Jesus auf ein ganz bestimmtes Bild festzulegen, ihn in ein Schema zu pressen, dass unseren Wünschen uns Sehnsüchten entspricht. Bis hinein in die Gedankenwelt der Theologie. Die einen proklamieren den gehorsamen und frommen Jesus und vergessen, dass auch er gezweifelt und um seinen Glauben gerungen hat. Andere glorifizieren Jesus als den allzeit friedlichen und sanftmütigen und vergessen, dass auch er die Peitsche in die Hand genommen hat, um den Tempel zu reinigen, und nicht nur das: auch die Peitsche klarer und harter Worte, um den Glauben der Menschen zu reinigen. Wie viele setzen Christus auf einen Thron der Macht und der Herrlichkeit und vergessen dabei, dass er sich auch mit den zwielichtigsten Existenzen seiner Zeit abgegeben hat, um ihnen nahe zu sein.

Kein Flickwerk

Wir haben uns ein Bild gemacht von Gott. Und predigen einen Christus, der gekommen ist, um die Welt zu verbessern. Nein, liebe Gemeinde, Christus ist nicht gekommen, um unsere Welt zu verbessern und zu flicken. Er ist gekommen, um sie zu überwinden! Nur so können wir wirklich neu werden – eine neue Kreatur! Jesus ist gekommen, um alles neu zu machen, auch uns selbst. Ja, gerade um uns aus der Gefangenschaft unserer weltlichen Sehnsüchte und Erwartungen zu befreien. Ja, gerade um uns frei zu machen von dem Todeskreislauf menschlicher und egoistischer Wünsche. Er macht uns frei von Schuld im weitesten Sinne dieses Wortes, weil er uns das Tor aufstoßen will in eine ganz neue Welt, die eben nicht von dieser Welt ist: Eine Welt der Freiheit. Weg von Macht und Königswürde, weg von Schuldenlast und Todesangst hin zu einem Leben, das überwunden hat: einem Leben das Gottes Macht allein anerkennt und sich in seinen Händen geborgen und gerettet fühlt: frei von Schuld und frei vom Tod. Diese Gefangenschaft ist überwunden. Diese Freiheit ist das große Geschenk Christi an uns: Als Alte ist vergangen, siehe ein Neues ist geworden.

Amen.

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