Zuwendung

Kirche, Gemeinde, für andere sein

Predigttext: Johannes 13,1-15(34-35)
Kirche / Ort: Melanchthonkirche und Johannes-Brenz-Kirche / 70734 Fellbach
Datum: 09.04.2009
Kirchenjahr: Gründonnerstag
Autor/in: Pfarrer Jürgen Bossert

Predigttext:  Johannes 13, 1-15.34.35 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984) 1 Vor dem Passafest aber erkannte Jesus, dass seine Stunde gekommen war, dass er aus dieser Welt ginge zum Vater; und wie er die Seinen geliebt hatte, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende. 2 Und beim Abendessen, als schon der Teufel dem Judas, Simons Sohn, dem Iskariot, ins Herz gegeben hatte, ihn zu verraten, 3 Jesus aber wusste, dass ihm der Vater alles in seine Hände gegeben hatte und dass er von Gott gekommen war und zu Gott ging, 4 da stand er vom Mahl auf, legte sein Obergewand ab und nahm einen Schurz und umgürtete sich. 5 Danach goss er Wasser in ein Becken, fing an, den Jüngern die Füsse zu waschen, und trocknete sie mit dem Schurz, mit dem er umgürtet war. 6 Da kam er zu Simon Petrus; der sprach zu ihm: Herr, solltest du mir die Füße waschen? 7 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Was ich tue, das verstehst du jetzt nicht; du wirst es aber hernach erfahren. 8 Da sprach Petrus zu ihm: Nimmermehr sollst du mir die Füße waschen! Jesus antwortete ihm: Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil an mir. 9 Spricht zu ihm Simon Petrus: Herr, nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt! 10 Spricht Jesus zu ihm: Wer gewaschen ist, bedarf nichts, als dass ihm die Füße gewaschen werden; denn er ist ganz rein. Und ihr seid rein, aber nicht alle. 11 Denn er kannte seinen Verräter; darum sprach er: Ihr seid nicht alle rein. 12 Als er nun ihre Füße gewaschen hatte, nahm er seine Kleider und setzte sich wieder nieder und sprach zu ihnen: Wisst ihr, was ich euch getan habe? 13 Ihr nennt mich Meister und Herr und sagt es mit Recht, denn ich bin's auch. 14 Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt auch ihr euch untereinander die Füße waschen. 15 Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe. 34 Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander liebhabt. 35 Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt. Zur Einstimmung in den Predigttext Lothar Zenetti: Ja, den anderen mal so richtig zeigen, wer der Boß ist! Aber der Dumme sein, der ihnen den Dreck wegmacht? Ja, den anderen mal so richtig begreiflich machen, was ein Hammer ist! Aber der sein, auf den man einschlägt? Ja, den anderen mal so richtig klarmachen, wer an allem schuld ist! Aber ohne schuld zu sein die Schuld auf sich nehmen? Ja, den anderen mal so richtig die Wahrheit sagen! aber selber Wahrheit sein? Ja, den anderen mal so richtig den Kopf waschen! Aber die Füße? Martin Luther: Um das Fußwaschen, so mit Wasser geschieht, ist’s nicht zutun; sonst müsste man nicht allein den Zwölfen, sondern jedermann die Füße waschen, und wäre den Leuten viel besser gedient, so es allein um das Wasser und Waschen zu tun wäre, daß man ihnen ein gemeinsames Bad bestellte, und wüsche ihnen da nicht allein die Füße, sondern den ganzen Leib. Aber es hat die Meinung nicht. Willst du dem Exempel Christi folgen und deinem Nächsten die Füße waschen, so schaue zu, daß du von Herzen dich demütigst, alle Gaben und Gnaden, die du hast, nicht zu deinem Nutz oder eigner Ehre brauchst, sondern deinem Nächsten zum Besten, daß du niemand verachtest, ja jedermann gern seine Schwachheit zugute haltest, und helfest, daß er sich bessern möge. Zum Predigttext: Das Johannes-Evangelium beschreibt keine Einsetzung des Abendmahls. Es erzählt stattdessen eben diese Geschichte, die fast gar sakramentalen Charakter hat: Das Zeichen, das Element ist da, und die deutenden Worte Jesu kommen dazu. Die Fußwaschung geschieht im Rahmen eines Abendessens Jesu (zur Zeit des Passa) mit den Seinen. Beide, Abendmahl und Fußwaschung, zeigen die Gastfreundschaft Gottes, der uns an seinen Tisch einlädt. Die Fußwaschung ist ein Zeichen der Gastfreundschaft (vgl 1. Mose 18 und 19; Homer, Odyssee, 19. Gesang), die in der Regel von Knechten/Dienern vollzogen wurde. Nach dem umständlichen Einleitungssatz (V1-3) beginnt die Handlung (V4f). Zwei Deutungen gibt Jesus selbst: V6-10 eine soteriologische Deutung der Zeichenhandlung, V12f eine ethische. Welches die ursprüngliche Deutung ist, ist m. E. für die Predigt unerheblich, geht sie doch vom vorliegenden Text als ganzem aus. Die Fußwaschung eröffnet die Passionsgeschichte im Johev., ist gleichsam deren Präludium. Sie zeigt die bewusste, eigenständige Selbsterniedrigung Gottes in Jesus, der selbstbestimmt, souverän handelt (die Stunde ist gekommen – ein Motiv im Johev, vgl. Joh. 2, 4 u.ö.). Mit dieser Geschichte wird „das Wort Fleisch“ und das Licht des Lebens (Joh 1) erfahrbar. Die Fußwaschung Jesu kann auch als erzählerische Gestaltung des Philipperhymnus (Phil. 2) verstanden werden, der Kenosis, der Selbstentäußerung Gottes in Jesus. Gottes Empathie wird hier praktisch, um uns zu solcher „Anteilnahme an jedermann“ (Karen Amstrong) anzuregen. Diese Anteilnahme formuliert auch Dietrich Bonhoeffer, wenn er schreibt: „Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist“, begründet darin, dass Jesus Christus der Mensch für andere ist. Lieder: „Kommt her” (EG 213), „Korn, das in die Erde“ (EG 98) Literatur Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, München 1951, 11. Aufl., S. 193; Karen Amstrong, Die goldene Regel, in: Lettre International Nr. 84 (Frühjahr 2009), S. 71-74; Jürgen Becker, Das Evangelium nach Johannes, ÖTKNT 4/2, Gütersloh 1981; Lothar Zenetti, in: Ulrich Heidenreich, Worte, die begleiten, Hamburg 1998; Martin Luther, in: Ulrich Heidenreich, Worte, die begleiten, Hamburg 1998; Erwin Mülhaupt, Martin Luthers Evangelien-Auslegung, Göttingen 1954, 4. Teil.

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Predigt

Liebe Gemeinde!

Zuwendung

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Der Mensch lebt auch nicht vom Wort allein. Zum Brot und zum Wort braucht er Gesten, Signale und Zeichen. Der Mensch muss etwas spüren, sehen und erleben, körperlich erleben und spüren. Zum Brot und zum Wort braucht der Mensch tätige, leibliche Zuwendung und sichtbare Signale. Das Wort braucht die Tat, die leibliche Geste, damit der Mensch merkt: Was jemand sagt, ist echt, ist ernst gemeint. Reicht es denn, zu jemanden zu sagen: Ich bin für dich da, wenn du Unterstützung und Hilfe brauchst? Reicht es denn, zu einem Menschen zu sagen: Ich liebe Dich? Das Wort bedarf der Tat, der Geste, die diese Liebe ernsthaft ausdrücken, die schüchterne Einladung, gemeinsam etwas unternehmen, die Umarmung, den Kuss… Es gibt großartige Gesten, die Worte sichtbar machen und ihren Ernst spüren lassen: Der Kniefall des ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt (am 7. Dezember 1970) vor dem Ehrenmal für die jüdischen Aufständischen des Warschauer Ghettos. Eine Geste, die Versöhnung sichtbar macht, eine politische Zeichenhandlung, mit weitreichenden Folgen. Oder die Geste von Abraham (1. Mose 18), der drei wildfremden Menschen Gastfreundschaft anbietet und ihre Füße waschen lässt. Abraham wendet sich so drei gänzlich Unbekannten zu.

 Beispiel geben

In unserem Predigttext erzählt der Evangelist Johannes eine großartige Geste Jesu. Jesus wendet sich beim Abendessen seinen Jüngern zu, nicht nur mit Worten, sondern mit seiner ganzen Person. “Liebe ist nicht nur ein Wort, Liebe, das sind Worte und Taten”, heißt es in einem Lied. Jesus erweist seinen Jüngern eine Wohltat. Er tut ihnen Gutes. Er schließt keinen aus, er wäscht jedem die Füße, auch dem Judas, der ihn wenige Stunden später verraten wird. Jesus wendet sich allen zu. Auf einmal steht Jesus auf und bindet sich eine Schürze um. Dann füllt Jesus eine Schüssel mit Wasser, wäscht jedem Jünger die Füße und trocknet sie mit der Schürze. Als Jesus zu Petrus kommt, weigert der sich: „Herr, solltest du mir die Füße waschen?“ Petrus will diese Zuwendung zunächst nicht annehmen und geht auf Abstand. Soll der Meister dem Schüler die Füße waschen? Es müsste doch umgekehrt sein! Aber Jesus antwortet Petrus, würde er Petrus nicht waschen, hätte dieser keinen Anteil an ihm, die Verbindung zu ihm wäre abgebrochen. Jesus ermutigt Petrus, Zuwendung anzunehmen, sie zuzulassen ohne falschen Stolz. Jesus ist sich wie Gott nicht zu schade, sich zu bücken. „Ein Beispiel habe ich euch gegeben“, sagt Jesus.

Für andere dasein

„Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist“, schreibt Dietrich Bonhoeffer. Kirche Jesu Christi „muss an den weltlichen Aufgaben des menschlichen Gemeinschaftsleben teilnehmen…. helfend und dienend“. Jesu Beispiel, seinem gütgigen Gemüt folgend, müssen wir unter Umständen tief hinabsteigen, wenn wir uns in seinem Sinn anderen Menschen zuwenden wollen. Im Metta-Sutta, einer Lehrrede des Buddha über die Güte, heißt es (zitiert nach K. Amstrong):

„Mögen alle Wesen glücklich sein und Frieden finden! Was es auch an lebenden Wesen gibt: ob stark oder schwach, ob groß oder klein, ob sichtbar oder unsichtbar, fern oder nahe: mögen sie alle glücklich sein! Niemand betrüge oder verachte einen anderen. Aus Ärger oder Übelwollen wünsche man keinem irgendwelches Unglück. Wie eine Mutter mit ihrem Leben ihr einziges Kind beschützt und behütet, so möge man für alle Wesen und die ganze Welt ein unbegrenzt gütiges Gemüt erwecken, ohne Hass, ohne Feindschaft, ohne Beschränkung”.

Jesus sagt: „Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe“.

Amen.

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