Ostern widerspricht allem, was wir kennen
Wir finden Jesus nicht unbedingt, wenn wir ihn suchen, aber er findet uns, wie er damals die Frauen fand
Bemerkungen zum Predigttext und zur homiletischen Situation
Gelernt habe ich, dass mit diesem Abschnitt das Markusevangelium schließt. Aber kann eine „Gute Nachricht“ mit Flucht und Furcht aufhören? Das gibt Raum zu phantasieren, wie es denn weiter ging. Die Bedeutung des Osterfestes spiegelt sich nicht mehr in den Zahlen der am Gottesdienst Teilnehmenden. In unserer Gemeinde steigen die Zahlen an Weihnachten. Zu Ostern sind es immer weniger, die an den Gottesdiensten teilnehmen. Hat das seinen Grund darin, dass Ostern aller Erfahrung widerspricht? Ich stelle fest: Auch mir fällt es schwer zu beschreiben, was Auferstehung ist. Wie ich sie erfahre. Ich versuche, mich den Frauen anzuschließen, die am Ostermorgen zum Grab gehen. Den Predigtext lese ich erst während der Predigt.Predigt
Liebe Gemeinde!
Widerspruch
Die Familie sitzt beim Essen. Geredet wird über alles Mögliche. Auch über die Pläne für die Ostertage. Was haben die fast erwachsenen Kinder, was haben die Eltern vor? Da kommt von der Tochter: „Ostern ist doch eigentlich viel wichtiger als Weihnachten!“ Wer Eltern hat, die beide Pastoren sind, bekommt gleich erklärt: „Klar ist Ostern wichtiger. Nur weil Ostern war, ist Kirche entstanden. Mit der Auferstehung steht und fällt alles. Weihnachten wurde erst viel später ein christliches Fest“. „Ja, aber wenn Ostern so wichtig ist, wieso gibt es dann keine Geschenke?“ Die Tochter lächelt listig. Auch Ostern wäre ein bisschen Bares willkommen. Sie ist immer knapp bei Kasse. Natürlich sind Pastoreneltern auch beim Thema Geschenke nicht um eine Antwort verlegen: „Der Rummel mit den Weihnachtsgeschenken ist nun wirklich ganz neu. Frag mal deine Großeltern, wie das früher war. Und außerdem gibt es Ostern auch etwas: Ostereier!“ Die Tochter verdreht die Augen. Ihre Frage bleibt: Warum hat Weihnachten so an Gewicht gewonnen? Warum strömen an Weihnachten bei uns in der Gemeinde weit über tausend Menschen in die Kirche, und heute an Ostern sind es vielleicht ein Zehntel davon. Ich habe nur eine Erklärung: Weihnachten ist dicht an unserem Erleben. Ostern widerspricht allem, was wir kennen. Wenn ein Kind geboren wird, dann bringt es Freude in die Familie. „Freudiges Ereignis“ ist ein fester Ausdruck für eine Geburt. Aber Auferstehung, dass ein Toter lebendig wird, widerspricht jeder Erfahrung. Wir können Ostern nicht fassen. Jesus ist auferstanden von den Toten. Er ist drei Tage nach der Kreuzigung von Gott auferweckt worden. Solche Sätze sagen sich leicht dahin. Aber leicht zu fassen sind sie nicht. Hören wir den Predigttext, das Evangelium für den Ostersonntag, bei Markus im 16. Kapitel.
(Lesung des Predigttextes)
Der Weg zum Grab
Die Frauen wollen ihren toten Freund salben. Aber sie wissen gar nicht, wie sie an den Leichnam kommen sollen. Der Stein vor der Felsnische ist viel zu schwer. Und nach drei Tagen den Toten noch salben…. Entschuldigung, bei dem Klima in Israel, ist das noch ratsam? Das ist doch völlig verrückt! Gerade deshalb kann ich die Frauen so gut verstehen. So verrückte Sachen tun Menschen. So handeln wir auch. Wenn jemand gestorben ist, gehen wir zum Grab. Wir nehmen Blumen mit. Wir halten Zwiesprache an den Gräbern. Aber unsere Fragen bleiben unbeantwortet. Wir tun an den Gräbern genau das, was die Frauen damals am Ostermorgen tun: die Vergangenheit suchen, mit den Toten wieder vereint sein wollen.
Maria aus Magdala, Maria die Mutter des Jakobus, und Salome sind früh dran. Gerade erst geht die Sonne auf. Aber die Frauen sind zu spät. Nichts ist so, wie sie es erwarteten. Es ist nicht zu fassen. Der Stein ist weg. Jesus ist weg. Nur ein Engel ist da. Und er sagt: Fürchtet euch nicht! Das sagen die Engel wohl immer, wenn sie Menschen eine Botschaft auszurichten haben. Das sagt der Engel dem Zacharias im Tempel, Maria hört es in der Schlafkammer, die Hirten auf den Feldern von Bethlehem. Entsetzt euch nicht! Der Engel kann ruhig reden. Es ist zu spät. Das Entsetzen hat die Frauen längst gepackt. Ich stelle mir vor, dass die drei ihre Salbölflaschen fallenlassen und losrennen. Und sie erzählen nichts. Das Ganze ist einfach zu unfassbar, um damit zu Petrus und zu den anderen zu gehen.
Aber wo laufen die Frauen hin? Als sie mit ihren Ölflaschen zum Grab kommen, haben sie ein Ziel. Aber das Grab ist leer. Der Gesuchte ist fort. Wohin laufen sie hin in ihrem Entsetzen? Mir scheint: Wir sind genauso wie die Frauen. Wir wissen, dass Gott die Welt in der Hand hält, und haben dennoch Angst. Wir haben das „Fürchtet euch nicht!“ tausendmal gehört und haben dennoch Panik. Ifo – Geschäftsklimaindex, Börsennachrichten, ein vorhergesagter Wirtschaftsrückgang um 5 %, Arbeitslosenzahlen, machen uns Angst. Das „Entsetzt euch nicht“ dringt gar nicht durch. Der Engel versucht die Frauen zum Reden zu verpflichten. Sie sollen weitersagen, dass Jesus lebt. Aber die reden kein Wort.
Spurensuche
Wir reden auch nicht von Ostern. Auferstehung – wie soll ich das Kindern erzählen mit eigenen Worten? Da fehlen mir doch die Worte. Er ist auferstanden – das ist nicht zu fassen und dennoch, ohne Auferstehung ist mein Glaube vergeblich. Nun, Maria, die Mutter des Jakobus, Maria aus Magdala und Salome können sich nicht auf Dauer verkrochen haben. Und sie haben auch nicht auf Dauer geschwiegen, sonst wären wir nicht hier. Irgendwann, irgendwie haben sich die Frauen wieder aufgerappelt. Vielleicht haben sie getan, was der Engel ihnen aufgetragen hat, und sind nach Galiläa gegangen. Sie sind in die Heimat von Jesus gewandert und haben seine Spuren gesucht. Vielleicht sind sie auf den Berg gestiegen, auf dem sie seine große Predigt gehört haben. Und dort sind ihnen seine Worte wieder eingefallen. Selig sind die Leidtragenden… Liebet eure Feinde … Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes… Vielleicht sind sie in die Dörfer gegangen, in denen Jesus Menschen geheilt und Menschen satt gemacht hat. Dann haben die Frauen langsam die Gewissheit wieder gefunden: Alles wird gut. Sie haben verstanden: Es passt zusammen, wie er geredet hat, was er getan hat und dass sein Grab leer ist. Das Leben siegt. Die Liebe Gottes siegt. Sogar über den Tod. Er ist auferstanden. Schließlich haben sie auch ihre Sprache wieder gefunden. Und sie hatten wieder ein Ziel. Von Ihm zu reden. Ihn zu bezeugen, Ihm nachzufolgen, Sein Werk der Liebe fortzusetzen.
Wenn wir heute das Unfassbare fassen wollen, können wir tun, was die Frauen und Männer um Jesus damals getan haben. Zurückgehen in die Vergangenheit und uns erinnern, was Jesus getan hat, was er gesagt hat, was er gewollt hat. Wir tun das nicht zu Fuß und nicht mit einer Zeitmaschine. Wir tun das mit dem Finger und den Augen in der Bibel. In der Bibel sind die Spuren, die Jesus hinterlassen hat, zu Buchstaben geworden. Diese Spuren lesen wir im Konfirmandenunterricht, im Gottesdienst und im stillen Kämmerlein. Vielleicht fassen wir dabei, was Auferstehung ist.
Ein neuer Weg vom Grab aus
Lassen Sie uns nocheinmal zu den drei Frauen zurückgehen. Was ist, wenn das damals alles ganz anders war? Maria, die Mutter des Jakobus, und Maria aus Magdala und Salome laufen vom Grab weg, bis sie völlig außer Atem sind. Schließlich bleiben sie stehen und sehen einander an – und werden angeschaut. Jesus kommt ihnen entgegen. Sie begegnen dem Auferstandenen. Kräfte vom Himmel reißen alles weg, was sie bisher vom Leben verstanden haben. Ihr Leben ist plötzlich neu, weil sie dem Auferstandenen begegnen. Die drei Frauen stehen auf, gehen vom Grab aus einen ganz neuen Weg.
Wie war es nun wirklich? War es eine langsame Spurensuche oder war es eine plötzliche Begegnung? Ich habe in der letzten Woche eine alte Dame besucht. Ich kannte sie noch nicht. Sie lag im Bett. Sie kann nicht aufstehen. Aber ihr Kopf ist noch klar. Wir haben nicht viel geredet. Ich dachte, mein Besuch strengt sie zu sehr an. Ich wollte gehen. Aber ich sollte bleiben. Ob ich etwas für sie tun kann, ob sie mir etwas anvertrauen möchte, habe ich sie gefragt. Sie suchte nach Worten und sagte dann: „Für das, was ich fühle, finde ich keine Worte“. Keine Worte und auch keinen Ausweg. Ich habe mit ihr gebetet. Ich habe darauf vertraut, dass Gott sie versteht, auch wenn wir beide nicht die richtigen Worte finden. An ihrem Bett wurde mir wieder klar, was Auferstehung ist. Nicht, dass wir Ihn fassen, sondern dass Er uns erfasst. Wenn wir entsetzt, sprachlos und fassungslos sind, sind wir darauf angewiesen, dass der Auferstandene uns findet. Wir finden Jesus nicht unbedingt, wenn wir ihn suchen, aber er findet uns, wie er damals an Ostern die Frauen fand. Das ist Auferstehung.
Amen.