Ostern erfahren und leben

Zweifel und Anfechtung gehören zum Leben dazu

Predigttext: Johannes 20,19-29
Kirche / Ort: Stadtkirche / Sinsheim / Evangelische Landeskirche in Baden
Datum: 19.04.2009
Kirchenjahr: Quasimodogeniti (1. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Dekan Hans Scheffel
Predigttext: Johannes 20,19-29 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984) 19 Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch! 20 Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen. 21 Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. 22 Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den Heiligen Geist! 23 Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten. 24 Thomas aber, der Zwilling genannt wird, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. 25 Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich's nicht glauben. 26 Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen versammelt und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch! 27 Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! 28 Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott! 29 Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!

Zum Aufbau und Kontext der Predigtperikope

Die Perikope enthält drei Teile: 1. Der Auferstandene erscheint am Abend des ersten Tages den Jüngern. Die Jünger begreifen, dass der Gekreuzigte auferweckt worden ist und freuen sich sehr. Der gekreuzigte Auferstandene sendet seine Jünger und beauftragt sie, im Wirken des Geistes zu handeln. Das ist die ekklesiologische Grundlegung von Kirche (Vv 19-23). 2. Die Jünger berichten Thomas und er kann die Osterbotschaft nicht glauben (Vv 24f). 3. Der Auferstandene begegnet acht Tage später wieder den Jüngern und ganz direkt Thomas. Diese Begegnung mündet in sein Bekenntnis: Mein Herr und mein Gott. Im Kapitel 20 werden verschiedene Osterberichte geschildert. Ganz unterschiedlich begegnet der Auferstandenen den Jüngern. In der Predigtperikope liegt das Schwergewicht auf dem Bekenntnis des Thomas: Mein Herr und mein Gott. Darauf zielt dieser Abschnitt. Bedeutend ist, dass der Zweifel erlaubt ist. Im historischen Kontext des Johannesevangeliums ist das Bekenntnis des Thomas ein „provokanter Knaller“ (A. Kautzsch). Literatur: Andreas Kautzsch, DtPfrbl 3, 2009, S. 149 f. - Til Elbe-Seifert, Zweifle mutig! in: GPM 2009, S. 236 ff. Lieder: „Wir wollen alle fröhlich sein“ (EG 100), „Christ ist erstanden“ (EG 99), „Er ist erstanden“ (EG 116), „Wir danken dir, Herr Jesu Christ“ (EG 107), „Singt Lob und Dank2 (EG 108,3)

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Predigt

Liebe Gemeinde!

Der Alltag hat uns wieder

Acht Tage sind vergangen, seit wir uns in dieser Kirche mit dem ermutigenden Osterruf begrüßt haben: „Der Herr ist auferstanden / Er ist wahrhaftig auferstanden“. Voller Freude und Erfüllung haben wir unsere Ostergottesdienste hier gefeiert und gehört, wie unterschiedlich der Auferstandene den Jüngern erschienen ist. Jetzt, nach acht Tagen hat uns der Alltag wieder. Für viele endet mit diesem Sonntag die Ferienzeit, und die Schülerinnen und Schüler haben morgen wieder Unterricht. Der Osterurlaub geht zu Ende, und der Alltag beginnt wieder. Manche unter uns haben seit Ostern schon den Weg zum Friedhof gemacht und einen lieben Menschen beerdigt. Wieder andere mussten ganz plötzlich zum Arzt, weil sie ein großer Schmerz überfallen hat. Am Horn von Afrika wurden mehrere Schiffe von Piraten gekapert. Wie wir in dieser Welt mit der globalen Finanzkrise leben, ist noch nicht ausgemacht. Die Atombombe bedroht unser Leben. Nach acht Tagen seit Ostern ist der Alltag wieder eingekehrt – im Individuellen und Persönlichen, im Politischen und Strukturellen, im Wirtschaftlichen und auch im Wettkampf der verschiedenen Mächte, die das Leben eher bedrohen als fördern.

Wie können wir den Osterglauben leben?

War Ostern nur eine kurze Unterbrechung der Tagesordnung dieser Welt und des persönlichen Lebens? Geht es jetzt bei uns gerade so weiter, als hätten wir diese froh machende Botschaft von der Auferweckung Jesu Christi gar nicht gehört? Eine ernste Frage ist dies. Wir müssen uns ihr stellen und auch für unser Leben im persönlichen, im kirchlichen und auch im politischen Bereich eine Antwort finden. Wie also können wir den Osterglauben leben, da wo wir jetzt sind und wie wir uns fühlen mit all dem, was uns Druck macht und mit dem, was uns immer wieder Freude bereitet. Ganz persönlich ist uns verheißen, dass wir die Ostererfahrung für uns entdecken oder neu wahrnehmen. Aber wie?

Hier hilft nur eines weiter, dass wir uns aufmachen und die biblischen Texte genau hören, sie in uns wirken lassen und auch die schönen Lieder unseres Gesangbuches singen. Im Hören, Singen und Beten entdecken wir, dass der gekreuzigte Christus nicht fernab ist, sondern dass er mitten unter uns ist und uns begleitet, aufrichtet und tröstet. Das ist die Ostererfahrung für uns alle, sie kann ganz unterschiedliche Menschen in ihren ganz verschiedenen Lebenssituationen erreichen. Ein Lehrbeispiel dafür ist der Bibelabschnitt aus dem Johannesevangelium, den wir eben gehört haben.

Das 20. Kapitel des Johannesevangeliums schildert uns die Ostererfahrung aus unterschiedlichen Blickwinkeln der Jüngerinnen und Jünger. Eigene Persönlichkeiten sind die Jüngerinnen und Jünger: Maria von Magdala, Simon Petrus, der Lieblingsjünger Johannes, die anderen und schließlich auch Thomas. Obwohl die Jünger die für sie sicherlich ganz überraschende Kunde von der Auferweckung Jesu durch Maria und Petrus und Johannes gehört hatten, waren sie am Ostertag abends versammelt und verschlossen ihre Tür aus Furcht vor den Juden. Angst hatte sie ergriffen. Die Frage, wie können sie diese frohe Nachricht von der Auferweckung (in ihrer historischen Situation, in der die Auferstehung, wenn überhaupt, dann am Ende der Zeit geglaubt worden ist) leben? Bang war es ihnen bestimmt. In diese sehr nachdenkliche Situation erschien Jesus und grüßte mit dem Gruß, den sie so oft von ihm gehört hatten: „Friede sei mit Euch!“ Jesus zeigte sich ihnen. Er zeigte ihnen die Hände und die Seite, und so war klar: Er ist es wirklich, – der, der vor drei Tagen auf dem Hügel Golgatha gekreuzigt worden ist. Der Evangelist Johannes beschreibt die letzte Phase der Kreuzigung so: „Als er nun den Essig genommen hatte, sprach er (Jesus): ‚Es ist vollbracht!’ und neigte das Haupt und verschied“ (19,30). Ja, er ist es – das wurde den Jüngern an diesem Abend des Ostertages klar. Indem sie diese Identität des gekreuzigten Jesus mit dem auferstandenen Jesus Christus entdeckten, erfüllte sie eine große Freude. Sie hatten den Herrn gesehen.

Kirche werden

Aber der Blick damals an diesem ersten Abend der Woche ging nicht nur zurück, sondern sofort nach vorne. Der gekreuzigte Auferstandene beauftragte seine Jünger. In diesem Auftrag liegt der Grundstock und das Fundament allen Kirche-Seins, besser: allen immer wieder neu Kirche-Werdens. Das erste was Kirche zu Kirche macht, ist der freudige und zur Gemeinschaft von Menschen hinführende Ruf: Friede sei mit Euch. Im Gruß begegnen sich Menschen und öffnen sich. Und so freundlich und persönlich angesprochen kann dann leicht die Aufgabe benannt werden. Die Worte Jesu lauten: „Wie mich mein Vater gesandt hat, so sende ich Euch“. Die Jünger erinnerten sich, wie Jesus mit ihnen gelebt hat, und drei Kennzeichen seines Wirkens waren ihnen bekannt:

  • Jesus ist der, der einlädt, der mit offenen Armen Menschen begegnet und sie freudig auf das Reich Gottes hinweist,
  • Jesus ist der, der Menschen in ihrer Notlage besucht, weil er sensibel erspürt, was Menschen brauchen: Nähe und Vertrauen, Vergebung und Versöhnung,
  • Jesus ist der, der Menschen geheilt, sogar den toten Lazarus auferweckt hat. Dazu sendet er seine Jünger.

Kirche werden wir immer wieder neu, indem wir Menschen freundlich und wahrhaftig einladen, die Güte des Reiches Gottes zu entdecken, indem wir in allen Bereichen unseres Lebens vertrauensbildende Maßnahmen ergreifen, konkret: in dem wir uns einmischen in die Gesellschaft und die Stimme erheben für die Gerechtigkeit und den Frieden, für das Ende allen Krieges, für die Bewahrung der Schöpfung. Das sind gewiss mutige Schritte. In unseren Versammlungen müssen wir um die Wahrheit des Evangeliums ringen und diese auch treu und klar in die globalen Strukturen unseres Lebens einbringen. Damit wir dazu befähigt werden, sendet der Auferstandene uns den Heiligen Geist: „Nehmt hin den heiligen Geist!“ Welch ein Geschenk, welch eine Verheißung! Ach, dass wir doch mutig dies glauben und annehmen! Wie viel wäre gewonnen für unser Leben und könnten wir doch die Chancen unserer Kirche kräftigen, wenn wir „mutiger glaubten, brennender liebten und zuversichtlicher hofften“.

Begegnung

Jetzt kann der eine oder andere von uns denken, das habe ich schon mehrfach gehört, aber wie soll das mir gelten? Nur Geduld – unsere Erzählung ist noch nicht zu Ende. Da ist Thomas. Er war an jenem ersten Abend des Ostertages nicht da. Ihm wird die Begegnung mit dem Auferstandenen erzählt und er zweifelt. Er hält diese Nachricht, dass der Gekreuzigte lebt, für unmöglich. Er bekommt bestimmt viele Sympathien von uns. Er selber will genau wissen, was Sache ist. Er will sich nicht auf das Hörensagen verlassen. Er will sich seine eigene Meinung bilden. Und das ist doch gut und richtig. Auch bei uns in der Kirche dürfen keine Floskeln und leeren Worthülsen vorgebetet werden, die dann nur noch von den Konfirmandinnen und Konfirmanden, von den Taufeltern, den Trauernden und allen anderen Gemeindegliedern nachgebetet werden sollen. Nein, wir haben die Aufgabe, dass Menschen das Evangelium so hören, damit sie ihre guten Erfahrungen selbst machen können. Thomas äußerte seine Zweifel und sagte klar, wann er diese ungeheuerliche Nachricht von der Auferweckung Jesu glauben kann. Thomas blieb im Jüngerkreis. Er wurde nicht ausgeschlossen. Denn auch die anderen wussten, Zweifel und Anfechtung, Missverstehen und hartes Ringen um die Güte Gottes zu entdecken, gehören zum Leben dazu. Auch sie selbst hatten dies mehrfach erlebt.

Nach einer Woche kam nun der Auferstandene wieder, tritt unter den Jüngerkreis und ganz speziell wendete er sich an Thomas. Ganz und gar nicht von oben herab oder moralisch oder gar befehlend, sondern einfühlsam und seelsorglich sagte der Auferstandene zu Thomas: „ Reiche deine Finger her und sieh meine Hände und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig“ (20,27). Das war für Thomas die Ostererfahrung. Hierauf reagierte er mit dem großen Bekenntnis: „Mein Herr und mein Gott!“ Genau das, was man der Gemeinde damals vorgeworfen hat, sie lästere Gott, in dem sie diesen Jesus von Nazareth mit Gott in Verbindung bringe, bekennt Thomas: Mein Herr und mein Gott! In diesem gekreuzigten Auferstandenen hat sich der barmherzige Gott offenbart und bezeugt, dass das Leben stärker als der Tod ist, dass das Leben nicht einfach im Nichts endet, sondern als ewiges Leben erscheinen wird. Hoffnung auf Leben ist da. Da, wo kein Mensch uns mehr begleiten kann, ist der Auferstandene da und sagt zu uns auch: „Lege Deine Hand an meine Seite. Ich bin für Dich da“.

So glauben Menschen Ostern – ganz unterschiedlich und verschieden entdecken sie, dass der Gekreuzigte lebt, da ist und wirkt. Zweifel und Anfechtung sind erlaubt, Fehler und Versagen bedeuten nicht das Ende, Verletzungen und Brüche werden nicht moralisch geahndet. Sondern: Zweifel und Anfechtung werden ausgestanden. Fehler und Versagen werden offen bekannt. Verletzungen und Brüche werden nicht verdrängt, sondern bearbeitet. Und dies geschieht alles unter der großen Verheißung, der barmherzige Gott richtet auf. Er ist der Herr des Lebens. Diese Verheißung kann heute unter uns Wirklichkeit werden, wenn wir den Gruß Jesu hören: „Friede sei mit Euch!“ Wie hilfreich ist es, wenn wir mit Thomas bekennen: „Mein Herr und mein Gott!“

Amen

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