Beten im Namen Jesu
Um eine Welt bitten, in der Ostern sich ausbreiten kann
Vorbemerkungen zum Predigttext
Auf die nachösterlichen Imperative „Jubilate“ (jubelt) und „Kantate“ (singt) folgt der Sonntag „Rogate“ (betet). Die mit dem Sonntag Rogate verbundenen Perikopen kreisen um die Themen Gebet und Bitten. Wenn man den Ort im Kirchenjahr bewusst mitbedenkt, geht es freilich nicht allgemein um das Beten, sondern es geht um ein nachösterliches Beten. Also um ein Beten in Reaktion auf das, was Ostern geschehen ist. Eine Antwort auf das Wort, das Gott in der Auferweckung Jesu gesprochen hat. Unser Predigttext entspricht dem in geradezu idealtypischer Weise. Denn auch Jesus hat nicht allgemein das Gebet und das Beten im Blick, sondern meint etwas ganz Bestimmtes, wie aus dem Kontext zu erheben ist. Die Perikope gehört in den Horizont der zweiten Abschiedsrede Jesu, mit welcher der Evangelist Johannes seine Gemeinde auf die nachösterliche Situation einstimmen möchte, die im Grunde unsere Situation bis heute geblieben ist. Wodurch ist diese Situation gekennzeichnet? Einmal dadurch, dass Jesus nicht mehr leibhaftig im Kreis seiner Anhänger da ist. Zum andern dadurch, dass diejenigen, die dennoch am Lebensentwurf Jesu festhalten, von anderen angefeindet werden – gerade wegen ihrer Orientierung an Jesus. Für die damit bezeichneten Probleme gibt die zweite Abschiedsrede eine Lösung in vier Schritten (ich orientiere mich dabei an K. Wengst: Das Johannesevangelium, 2. Teilband: Kapitel 11-21, 136ff). In einem ersten Abschnitt (Joh 15,1-17) zeigt Johannes, dass die aus der Bindung an Jesus fließende Liebe seiner Jünger untereinander die Gemeinde zusammenhält. Dafür verwendet er das Bild vom Weinstock und den Reben. So wie nur die Rebe, die am Weinstock bleibt, Frucht bringt, so auch die Anhänger Jesu, die in Kontakt mit Jesus bleiben. Lege ich zuviel in das Bild der Rebe, wenn ich darin nicht den einzelnen Christen erkenne, sondern die Gemeinde? Und deshalb im Fruchtbringen nicht ein individuelles, sondern ein gemeinschaftliches Ergebnis sehe? Immerhin geht es in unserem Kontext um Gemeinschaft und ist immer wieder ein „ihr“ angesprochen. Gegen Ende des Abschnitt begegnet eine Wendung, die ähnlich auch in unserem Predigttext vorkommt: „… dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt, damit, wenn ihr den Vater bittet in meinem Namen, er’s euch gebe“ (Joh 15,16). Die Frucht ist also immer zugleich auch eine Gabe, die erbeten sein will. Hier wird deutlich: Das Gebet „im Namen Jesu“, um das es auch im Predigttexte geht, zielt auf die Gabe eines „fruchtbaren Gemeindelebens“. Diese Frucht zu bringen und zu erhalten ist deshalb nicht so einfach, weil die Gemeinde bedrängt ist durch den Hass der „Welt“, wie der zweite Abschnitt ausführt (Joh 15,18-16,4a). Der dritte Abschnitt (Joh 16,4b-15) verheißt angesichts dieser für die Gemeinde schwierigen Situation das Kommen eines Beistandes. Im vierten Abschnitt (Joh 16,16-33), in den unser Predigttext eingebettet ist, geht es um die Frage, wie die Gemeinde es schaffen kann, während der Abwesenheit Jesu in ihm zu bleiben. Unter anderem beantwortet Johannes diese Frage mit der Behauptung, dass Gott der Gemeinde geben wird, worum sie in Jesu Namen bittet. Damit sind wir bei unserem Predigttext, aus dem ich die Verse 29 bis 32 ausklammern möchte, um mich ganz auf die Frage zu konzentrieren, worum wir heute „im Namen Jesu“ bitten können. Michael Welker hat in einer früheren Universitätspredigt (am 25.5.2003 in Heidelberg) zu unserem Text das Vaterunser herangezogen, um anhand dieses Mustergebets Jesu zu zeigen, was es bedeuten könnte, im Namen Jesu zu beten. Er kommt zu dem Ergebnis, dass das Bitten in Jesu Namen bescheiden ist und respektvoll mit Gott umgeht. Man könnte noch ergänzen, dass es das Gebet einer Gemeinschaft, also nicht eines Individuums, ist, auch in den Passagen, in denen es um leibliche und seelische Grundbedürfnisse des Menschen geht. Das wiederum stimmt sehr schön zusammen mit der Gemeindebezogenheit des Johannesevangeliums.Predigt
Ermutigung zum Beten
Der heutige Sonntag trägt den Namen „Rogate“; das heißt auf Deutsch: „Betet“. Vorausgegangen sind an den beiden letzten Sonntagen die Aufforderungen zum Jubeln und zum Singen. Die Freude über das, was an Ostern geschehen ist, soll zum Ausdruck kommen. Mitten in unserer Todeswelt hat Gott die Tür zum Leben weit aufgestoßen. Jesu Auferstehung zeigt: Gottes Liebe ist stärker als der Hass der Welt. Es lohnt sich zu leben und zu lieben. Das Reich Gottes, das Jesus angekündigte, herbeigesehnte und in seinen Taten anschaulich machte, beginnt tatsächlich Wirklichkeit zu werden. Überall dort nämlich, wo Menschen sich auf dieses Leben aus der Auferstehungskraft Gottes einlassen. Überall dort, wo die Liebe sich Bahn bricht, wo Menschen füreinander da sind. Das ist nicht selbstverständlich. Auch nach Ostern leben wir nicht in einer völlig neuen Welt. Noch gibt es das Reich Gottes nur in Gestalt von kleineren oder größeren Biotopen innerhalb einer lebensfeindlichen Umwelt. Deshalb ermutigt der fünfte Sonntag nach Ostern: Rogate – betet. Wir wollen heute über diese Ermutigung nachdenken anhand eines Abschnitts aus der zweiten Abschiedsrede Jesu, wie sie der Evangelist Johannes in Kapitel 16, den Versen 23 bis 28 und 33, wiedergegeben hat.
(Lesung des Predigttextes)
Beten im Namen Jesu
Mit der sogenannten zweiten Abschiedsrede Jesu hat der Evangelist Johannes einen Redekomplex geschaffen, der aus dem Geist der Verkündigung Jesu heraus Antwort auf die aktuell bedrängenden Fragen seiner verfolgten Gemeinde gab. Wir sind nicht allein, so lautet die Botschaft des Johannes, Jesus ist mit seinem Geist gegenwärtig. Er ruft uns zu: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“. Ja, wir haben Angst und wir haben wahrhaftig allen Grund dazu. Gewiss werden wir nicht wie die Gemeinde des Johannes verfolgt; niemand trachtet uns nach dem Leben. Und trotzdem merken wir immer wieder, dass es für ein konsequentes Christentum Mut und Standhaftigkeit braucht. Dass der Weg der Nachfolge auch heute noch oftmals ein Spießrutenlauf ist, jedenfalls ein Weg gegen den Strom. Manchmal sind es aber auch die Gleichgültigkeit und das Desinteresse, die einer Gemeinde zu schaffen machen. Oder wenn sich Fraktionen bilden, die nicht mehr das gemeinsame Ziel sehen, sondern nur noch ihre Interessen durchsetzen wollen. Aber, sagt Johannes, denkt daran: Jesus hat die Welt überwunden und er ist mit seinem Geist bei euch. Was ihr Gott in seinem Namen bitten werdet, bekommt ihr auch. Dann müssen wir uns also keine Sorgen machen. Gott gibt uns alles, worum wir ihn bitten. Wirklich alles? Gute Noten, obwohl wir faul gewesen sind und nichts gelernt haben? Ein besseres Einkommen? Eine angesehene Position? Eine Traumvilla? – Die Erfahrung sagt uns, dass es so einfach nicht läuft. Dann müssten alle Christen schon längst Lottomillionäre sein. Nicht umsonst heißt es ja auch in unserem Predigttext: „Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen – wird er’s euch geben“. Die Wendung „in meinem Namen“ kommt hier innerhalb eines kurzen Abschnitts mehrfach vor. Das ist bestimmt nicht zufällig. Wenn ich etwas in jemandes Namen tue, dann tue ich es gleichsam an seiner Stelle, mit seinen Intentionen, in seinem Geist. Wenn ich in Jesu Namen etwas von Gott erbitte, dann muss ich mich zuvor fragen, ob das auch im Sinne Jesu ist. Martin Niemöller, der Begründer des Pfarrernotbundes während der Zeit des Nationalsozialismus, hat diese Frage zur Maxime seines ethischen Handelns gemacht: Was würde Jesus heute dazu sagen? Dann trennt sich sehr schnell die Spreu vom Weizen. Dann wird sehr schnell klar, dass es Dinge gibt, um die ich nicht im Namen Jesu bitten kann.
Inhalte des Betens
Um was ging es Jesus? Worum hat er selber gebetet? Doch nicht darum, ein sorgenfreies Leben führen zu können. Er hat nicht um Reichtum und Macht und Ansehen gebetet. Am Vaterunser lässt sich das unschwer erkennen. Die ersten drei Bitten beziehen sich darauf, dass der Name Gottes geheiligt werde, sein Reich komme und sein Wille geschehe. Jesus geht sozusagen sofort aufs Ganze. Denn wo Gottes Name geheiligt wird, sein Reich kommt und sein Wille getan wird, da verändert sich die Welt radikal. Die ersten drei Bitten sehnen eine Welt herbei, in der Ostern sich ausbreiten kann, in der die Liebe auf keine Hindernisse trifft, in der alle Menschen dem guten Willen Gottes entsprechen. Es folgt dann eine einzige Bitte, die auf Materielles zielt, nämlich die Bitte ums tägliche Brot, wie Jesus in äußerster Bescheidenheit sagt. Und es folgen drei weitere Bitten, die auf unsere seelische Gesundheit abzielen: Vergebung von Schuld, Bewahrung vor Versuchung und Erlösung vom Bösem. Wenn man will, kann man die drei letzten Bitten als die individuellen Voraussetzungen dafür ansehen, dass die göttliche Wirklichkeit, von der in den ersten drei Bitten gesprochen wird, auch bei uns Platz greift. Immer zielt Jesus dabei auf das Ganze. Immer geht es ihm um die Gemeinschaft. Deshalb spricht das Vaterunser durchgängig von „uns“: unserem Vater, unserem Brot, unserer Schuld, unserer Erlösung.
Für das eintreten, wofür wir beten
Wenn wir „im Namen Jesu“ beten wollen und also in seinem Geist, dann werden wir im Blick auf unsere materiellen Bedürfnisse ganz bescheiden werden müssen und im Blick auf das, was unsere Gemeinschaft betrifft, in großen Dimensionen denken müssen. Zu Beginn der zweiten Abschiedsrede lässt Johannes Jesus sagen: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht“. Eine Gemeinde, die mit Jesus verbunden bleibt, wird viel Frucht bringen, sie wird ein fruchtbares Gemeindeleben haben. Dieses fruchtbare Gemeindeleben ist eine Gabe Gottes, die einerseits aus der Verbindung mit Jesus erwächst, die andererseits aber auch erbeten sein will. Denn: Wenn ihr dies in meinem Namen erbittet, wird Gott es euch schenken (Joh 15,16). „In meinem Namen“! Wäre Jesus heute unter uns, dann würde er Gott für seine Gemeinde bitten. Er würde darum bitten, dass Kranke und Einsame besucht werden, dass die Gemeinde Hilfsbedürftige nicht im Regen stehen lässt, dass man sich der Kinder und Jugendlichen annehme, ihnen einen Lebensstil vorlebe, der von Wertschätzung und Herzenswärme bestimmt ist. Denn wo dies geschieht, wird der Wille Gottes erfüllt und kann das Reich Gottes kommen. Das meint Beten „im Namen Jesu“. Und dazu gehört als ein Letztes auch die Bereitschaft, selber für das einzutreten, worum wir Gott bitten. So wie Jesus sein Reden und Tun daran ausgerichtet hat, ob es den Willen Gottes erfüllt und dem Mitmenschen gut tut, und der darin sein Gebet beglaubigt hat, so geschähe auch unser Gebet „im Namen Jesu“, wenn wir ihm im Reden und Tun zu entsprechen suchten. Von Ostern her gesehen ist dies keine Forderung, sondern eine Wirklichkeit, in die uns die Auferstehungskraft Jesu hineinversetzt. Eine Wirklichkeit, um die wir allerdings immer wieder bitten sollen, solange wir in dieser Welt leben.