Trösten
Trost ist nicht billig zu haben
Hinführungen zum Predigttext (I.), Überlegungen für die Predigt (II.)
und Hinweise zum Kontext der Predigt (III.) I. Drei Aspekte fallen bei der exegetischen Arbeit zentral auf: Jesus erwähnt den „Tröster“ den Parakletos, auch als „Beistand“ zu übersetzen, den Geist der Wahrheit und das „Zeugnis geben“, inclusive „Zeugen sein“. Der Verfasser des Johannes-Evangeliums hat eine Gemeinde vor Augen, die sich in der Verfolgungssituation befindet. Die Trennung von der synagogalen Muttergemeinde vollzieht sich in der Zeit der Abfassung des Johannes-Evangeliums. Insofern ist Trost und Beistand die eindeutig zentrale Aussage der Perikope. Jesus in en Mund gelegt werden die wichtigsten Vermächtnisse in seinen Abschiedsreden, die, weil sie am Abend des Passahmahles, vor dem Verrat , dem Jesus zum Opfer fallen wird, gesprochen werden, besonders bedeutungsvoll gestaltet werden. Sie erhalten direkten biografischen Bezug zum Leben der Gemeinde im johanneischen Kontext über die Verfolgungssituation. II. Die Situation der heutigen Hörerinnen und Hörer in Deutschland ist mit der der verfolgten Gemeinde im johanneischen Kontext nicht zu vergleichen. Die Muttergemeinde, die Synagoge, können wir nicht als Gegnerin der Christengemeinden begreifen. Damals wurde die junge Kirche, zahlenmäßig verschwindend klein, als jüdische Sekte verstanden. Die rabbinische Lehrmeinung bildete sich in jenen Tagen als vorherrschende jüdische Lehrmeinung heraus. Eine spannende intellektuelle Auseinandersetzung, die hie und da offensichtlich auch in gewaltsame Auseinandersetzungen mündete. Die weitergehende Geschichte von Christen und Juden ist zu schmerzvoll, als dass hier vorschnell Übertragungen geschehen können. Erst eine wirklich verstandene Partnerschaft im Jüdisch-christlichen Dialog, wie er erst in der jüngsten Vergangenheit entstanden ist, ist hier neue Wege gegangen. Auch auf eine grundsätzliche Verfolgung von Christen durch die „Welt“ zu schließen, mag im gnostischen Hintergrund der Johannesgemeinde begründet sein, eine heute zu vertretende Theologie lässt sich daraus keinesfalls ableiten. Fahrlässig erscheint ein Schwarz- Weiß- Malen im Glauben: Hier die guten, verfolgten Christen, dort die böse, unverständige Welt. Solches Denken führt zum Fundamentalismus. Viel eher ist auf die weit wichtigere, zeitunabhängige Aussage des Textes zu achten und herauszuarbeiten, dass Weltverantwortung und Trost im Beistand Jesu erkannt werden können. Wer Jesus begegnet, wer ihn bezeugt, darf getröstet leben und wahrhaftig für den Glauben einstehen. Wahrhaftigkeit, Trost und Beistand sind die zentralen Säulen der Predigt. In Stärke und Schwäche, die ich beide verantworten und leben kann, begegnet mir Jesus Christus. III. Die Verfasserin ist, nachdem sie zehn Jahre Gemeindepfarrerin und Familienfrau war, seit neun Jahren Pfarrerin in einer großen Behinderteneinrichtung in Süddeutschland, den Johannes-Anstalten Mosbach. Menschen mit Behinderungen empfinden sich häufiger schwach und ausgeliefert als andere Menschen. Aber, so die Frage an die scheinbar Gesunden: Wissen diese wirklich, wann sie schwach oder stark sind? Wo machen wir uns etwas vor? Wollen stark erscheinen, wo wir im Grunde schwach sind? Wahrhaftigkeit vor Jesus Christus ist auch hier das Stichwort. Situationen aus dem Leben gegriffen, erhellen die persönliche Befindlichkeit und holen die schwer verständlichen Wort aus dem Johannes-Evangelium mitten ins Leben. Eine aktuelle Veröffentlichung von Martina Schmid-Markert, greift die Themen Trost und gelingendes Leben in ergreifenden kurzen Texten auf. Die Autorin setzt sich seit Jahren mit einer schweren neurologischen Krankheit auseinander, die zu körperlichen Beeinträchtigungen führt. Ihr Ziel ist es, trotz manchmal auswegloser Diagnose und scheinbarer Perspektivlosigkeit Leben und Glauben Sinn abzuringen. Trost ist nicht billig zu haben. Alle folgenden Texte stammen aus: Martina Schmid-Markert, Trotz allem – neue Wege gehen. Vom Lösen, Halten und Finden, Hrsg von der Landesstelle für Ev. Erwachsenenbildung, den Johannes-Anstalten Mosbach und der Ev. Erwachsenenbildung Odenwald –Tauber, 2008. In der Not: Ich hörte: „In der Not ist Gott bei dir“ „Warum tut er dann nichts“, fragte ich. Ich hörte: „Gott hört deine Rufe.“ Aber wieso schweigt er dann? Ich hörte: „Gott ist im Glück der Menschen und in der Musik der Natur.“ In mir war nur lautes Gebrüll und wildes Toben. Wo ist Gott? Ich hörte: „Gott wohnt in deiner Seele.“ Da war es aber so gottverdammt leer. Ich hörte: „ Gott ist in deinem Herzen.“ Das flatterte wie ein hilfloser Vogel und suchte Halt. Ich hörte: „Gott hilft dir immer.“ Ich fragte: „Siehst du nicht, wie ich leide? Wo bist du?“ Ich hörte auf zu fragen und legte mich in die Dunkelheit der Nacht wie in den Schutz eines Wüstenbaumes. Ich wurde ruhig. Gott war da. Geben: Die Blumen auf der Wiese geben, um leben zu können. Halten sie ihre Pracht zurück, gehen sie ein. Auch wir sollten geben, wie die Sterne uns ihr Funkeln schenken, weder suchend nach Glück noch um des Lobes willen. Nicht nach dem Schatz auf Erden suchen, nicht auf den Berg steigen, um uns zu erhöhen, etwas von uns selbst geben. Nehmt mich mit, meine Engel: Nehmt mich mit in die Ungewissheit, allein kann ich es nicht. Der Pfad dorthin fehlt auf meiner Landkarte, ich allein finde nicht die Brücke, die mich hinüberbringt. Zwischen der Küste und den Bergen gibt es einen Pfad, den muss ich gehen, bevor ich mich verbinde Mit dem Wesenhaften hinter der Erde. Nehmt mich mit auf die hellen Berggipfel. Oder führt eure Spur in die Weite des Ozeans, zu den Früchten der Ewigkeit? Beim leuchtenden Abendrot möchte ich ankommen, die Sonne im Meer versinken sehen. Nehmt mich mit, ich bin leicht, die Schuhe sind längst gelöst, Flügel warten. Das Seil, das ans Hier bindet, wurde vor Tagen geöffnet, die Segel sind gehisst, der Wind kann kommen. Die Sehnsucht ruft, nichts hält mich mehr fest. Nichts trage ich bei mir als Visionen und Hoffnung. Nehmt mich mit, meine Engel, wenn meine Zeit reif ist. Liedvorschläge: „Christ fuhr gen Himmel“ (EG 120) „O komm, du Geist der Wahrheit“ (EG 136)Predigt
Liebe Gemeinde!
Einen, der uns hilft, einen, der uns beisteht, wenn es uns schlecht geht: Wir brauchen ihn dringend! Viel häufiger, als wir es uns selber eingestehen wollen. Ich halte mich meistens für ziemlich stark und selbstbewusst. „Was es zu tun gibt, das schaffe ich schon, das packe ich. Mache ich ganz alleine!“ So denke ich, so denken es viele und sprechen sich selber Mut zu. Wenn ich aber ehrlich bin, dann erinnere ich mich daran, dass mir schon oft geholfen wurde, dass ich Trost gefunden habe, wenn ich traurig oder hilflos war. Das zuzugeben, ist manchmal eine Überwindung, so ein Zugeständnis einer Schwäche, das ist peinlich. Wer lässt sich schon gerne helfen?
Gehalten werden
Ich erinnere mich an Erlebnisse der letzten Zeit, als ein Mensch Trost dringend brauchte. Trost, der nicht aus eigener Kraft entstehen konnte. Es war eine sehr traurige Beerdigung vor wenigen Tagen: Der so plötzlich verstorbene Mann war nur fünfzig Jahre alt geworden. In seinem Leben hatte es viel Unruhe und Unordnung gegeben, seine Familie war zerbrochen, warum auch immer. Er hatte einen Neuanfang gesucht, weit weg von daheim, mit einer neuen Partnerin. Dann gab es auf einmal die Frage, was aus der Enkelin werden sollte: Zwölf Jahre ist sie nun, seit einigen Jahren kümmerte er sich um die Heranwachsende. Ja, und nun war der einzig verlässliche Mensch, den das Mädchen kannte, verstorben. Was nun? Wer kann dem Mädchen Trost geben? Wer ist da und hilft ihr in der Verlassenheit? Tröstlich zu erleben, wie das Mädchen in den Arm genommen wurde von einem lieben Menschen, der ihr signalisiert: „Ich halte dich, verlasse dich auf mich“. Ich hoffe und bete, und ich werde mich weiter an das Mädchen heften und nachfragen: „Bleibt es dabei? Bekommt sie Schutz und Trost?“
Rat und Trost finden
Es ist gut, Trost spenden zu können. Ein Mann in mittleren Jahren, der in einer schweren Lebenskrise steckt, suchte eine Orientierung bei mir. Keinen billigen Ratschlag, sondern er selber war ja auf der Suche nach einem neuen gangbaren Weg im Leben. Diesen Rat kann er sich nur selber geben, es muss stimmig sein mit ihm. Und ich selber? Ich brauche auch Menschen, die mir vielleicht auch mal einen unbequemen Ratschlag geben. Nicht das Einfachste und Billigste vorschlagen, sondern mir ehrlich sagen, was auch bei mir schief und daneben sein kann. Es fällt schwer, das anzunehmen. Viel schwerer, als einen Rat oder Trost zu geben.
Jesus ist nicht mehr direkt bei uns. Er ist aufgefahren in den Himmel. Mit seinen Freundinnen und Freunden konnte er noch direkt, von Angesicht zu Angesicht reden. Wer ist dann da, wenn er nicht mehr da ist, nicht mehr raten oder trösten kann? Er verheißt in seiner großen Rede, seiner Abschiedsrede, dass er, wenn er bei dem Vater ist, einen Beistand schickt: Den Tröster! Den nennt er noch mit einem anderen Namen: Geist der Wahrheit. Der Geist der Wahrheit und der Geist Jesu, das ist eins. Tröster, Wahrheit, Geist Jesu, all das ist eins! Und das ist nicht billig zu haben. Ganz nah bei Jesus Christus sind wir mit der Wahrheit und dem umfassenden Trost.
Wo Menschen Trost geben, wollen sie es manchmal mit der Wahrheit nicht so genau nehmen. Gerne kann man etwas beschönigen. Manche trösten gerne, indem sie anderen, Dritten, eine Schuld aufbürden, er /oder sie sei Schuld an einer misslichen Lage: „Ja, der Exmann, der ist halt so gemein“ oder „ Wenn der Chef nicht so Unmögliches verlangen würde. Wir wissen ja, der spinnt“ oder „Wenn ich nur ein bisschen mehr Zeit, ein bisschen mehr Geld hätte, dann wäre mein Problem gelöst“. Manchmal ist der Trost noch billiger: Die Hoffnung auf einen illusorischen Lottogewinn, der Wunsch, ein anderer Mensch könnte die Stärke zeigen, die man selber nicht aufzubringen wagt. Oder manchmal ist sogar ein Stück Torte oder eine Flasche Wein ein Trost. All das ist billiger Trost, zu billig.
Weitergehen
Der Tröster, den Jesus meint, den Beistand, den er schicken will, der verlangt von mir und Ihnen eine ganze Menge, viel viel mehr als Menschen: Er verlangt Wahrheit, Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit. Dieser Trost ist erst mal eine Herausforderung, aber Wahrheit im Geist Jesu, sein wahrer Beistand ist auf weitergehendes Leben hin ausgerichtet. Wirklich neue, wirklich gute Perspektiven auf das Leben bietet der Geist der Wahrheit, so anstrengend wie es ist. Mich selber kann ich belügen, an anderen kann ich mich vorbeimogeln, an Jesus nicht. Wahrheit, Trost und Geist Gottes, diese Drei, führen zum wahren Leben, zum aufrechten Handeln, zum Tun des Richtigen und zu der Gewissheit, Jesus ist bei mir. Er stärkt, er stützt und hilft, wenn ich mich ihm ehrlich anvertraue.
Amen