Kirche Jesu Christi in der Kraft des Heiligen Geistes

Einander an die Wurzeln erinnern, bekennen und in der Nachfolge Jesu von Nazareth Leben gestalten

Predigttext: Johannes 14,23-27
Kirche / Ort: Stadtkirche Sinsheim / Evangelische Landeskirche in Baden
Datum: 31.05.2009
Kirchenjahr: Pfingstsonntag
Autor/in: Dekan Hans Scheffel
Predigttext: Johannes 14,23-27 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984) 23 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen. 24 Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat. 25 Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin. 26 Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. 27 Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.

Exegetisch-homiletische Überlegungen

Die Mitte dieses Abschnittes ist die Verheißung des Geistes. Die Einheit von Christusgeschehen und dem in der Schrift niedergelegten Willen Gottes ist im Geist zu entdecken. Dieser lehrt alles dadurch, dass er an alles von Jesus Gesagte erinnert. Pfingsten ist der Geburtstag der Kirche. Am 31. Mai jährt sich in diesem Jahr die Barmer Theologische Erklärung zum 75. Mal. So legt es sich nahe, beide Geburtstage zu verbinden und das Barmer Bekenntnis zu entfalten. Gestalterisch kann im Gottesdienst die Schriftlesung und das Bekenntnis zusammengelegt werden, indem der Text des Barmer Bekenntnisses gesprochen wird, z. B. zwei Sprecher übernehmen die biblischen. Belegstellen und die Verwerfungen, die Gemeinde liest die These (das Bekenntnis ist im Evangelischen Gesangbuch abgedruckt). Literatur: Wolfgang Huber, Im Geist Gottes bekennen. Bericht des Rates, Würzburg 1. Mai 2009. - Martin Nicol, in: Göttinger Predigtmeditationen 2009. - Hartwig Thyen, Johannes, Handbuch zum Neuen Testament, 2005. Liedvorschläge: „Schmückt das Fest mit Maien“ (EG 135,1+2+5) „Gelobet sei der Herr, mein Gott, mein Trost, mein Leben“ (EG 139,3) „Ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen“ (EG 132, Kanon) „Komm, o komm du Geist des Lebens“ (EG 134,1-3+6) „Du heilger Geist bereite ein Pfingstfest nah und fern“ (EG 136,7).

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Predigt

Liebe Gemeinde!

Erinnern

Heute feiern wir gleich zwei Geburtstage – einen großen, die Kirche hat Geburtstag, und einen bedeutenden, heute vor 75 Jahren wurde in dem Ort Barmen, einem Stadtteil von Wuppertal, die Theologische Erklärung von der Synode der Bekennenden Kirche verabschiedet. Wer Geburtstag feiert, erinnert sich seiner Wurzeln und nimmt sich Zeit, sich zu besinnen, woher man kommt und wohin man geht. Geburtstag ist die Zeit der Ermutigung und der Gemeinschaft, weil viele Verwandte, Freunde und Bekannte einem Gutes zusagen und die Verbundenheit zeigen. Das tut jedem Menschen gut.

Kirche werden

Heute feiern wir den Geburtstag der Kirche. Wir erinnern uns an das große Pfingstfest von damals. Was geschah? Nach Ostern saßen die Freunde und Freundinnen Jesu ständig beieinander und erinnerten sich. Angst und Ratlosigkeit hatten sie noch stärker zusammengeschweißt. Dann, nach fünfzig Tagen, an Pfingsten (griechisch „pentekoste“), geschah Gewaltiges: Gott trat in Aktion. Sie hatten das Gefühl, dass Jesus bei ihnen war. Und sie erinnerten sich an seine Verheißung: „Mein Vater wird den heiligen Geist senden, der wird euch lehren, was ihr braucht. Frieden wird geschehen und Furcht wird weichen“. Diesen Geist, der wie ein Anwalt wirkt (also die Jünger gut vertritt), erlebten sie. Dieser Geist, der wie ein Tröster die Herzen ermutigt, erfüllte sie damals mit frischem Mut. Dieser Geist, der wie ein Helfer einfach da ist , ohne zu fragen, was er tun kann, sondern der sieht, was zu tun ist, brachte sie auf die Beine. Sie konnten wieder stehen – zu sich und ihrer Vergangenheit mit diesem Mann aus Nazareth, der den Armen Rettung verkündigte, die Kranken heilte, Tote lebendig machte.

Der Geist gab ihnen den Mut, in der Geschichte mit Jesus, dem gekreuzigten Auferstandenen, weiterzuleben. Also fingen sie an, öffentlich von Jesus zu erzählen. Dies taten sie so glaubwürdig und vollmächtig, dass, wie Lukas berichtet, an Pfingsten dreitausend Menschen sich taufen ließen. Das war der Geburtstag der Kirche. Von da an breitete sich das gute Evangelium Gottes von Jesus Christus aus bis heute. Wir hören jetzt hier in dieser Kirche die gute Nachricht, dass Gott in Jesus uns ganz nahe ist, jedem von uns. Gottes Geist sieht helfend in unser Herz und steht uns bei. Gottes Geist macht uns Mut, dass wir realistisch unser Leben betrachten und nach klaren Werten für uns suchen, damit wir ein zufriedenes Leben führen. Gottes Geist richtet auf, vertreibt die Unruhe und wirkt Gewissheit, dass wir gehalten sind durch Gottes Güte und geborgen in seiner Barmherzigkeit. Der gute Geist Gottes tröstet nicht über etwas hinweg, auch ist er nicht billig, wie wir es oft sonst hören – „nicht so schlimm, es wird schon wieder“ –, nein, der heilige Geist hilft ganz konkret und verschafft Lebensperspektiven. Das kann sich z. B. so ereignen, dass ein sehr in sich gekehrter Mensch in seiner Traurigkeit plötzlich von einem Menschen angesprochen wird. Diese Zuwendung bringt ihm die Rettung, er schaut nicht mehr nur in sich und sein Elend, sondern er bekommt die Perspektive nach außen. Aus der Einsamkeit ist er befreit.

Bekennen

Gottes Geist wirkt und wo er wirkt, da ist er der große Helfer, der Fürsprecher, der Beistand, der Tröster. So feiern wir heute diesen großen Geburtstag unserer Kirche. Ganz gewiss hat dieser gute Geist auch heute vor 75 Jahren in dem Ort Barmen gewirkt. Damals musste die evangelische Kirche sich klar werden, wie sie sich gegenüber dem Staat, der von den Nationalsozialisten geführt worden ist, verhält. Sie mussten sich abgrenzen von den deutschen Christen, die die Ideologie des Nationalsozialismus übernommen hatten. Reichsbischof Müller sollte die evangelische Kirche gleichschalten.

Damals trafen sich in Barmen Synodale aus ganz Deutschland. Zwischen der Entscheidung, die Barmer Synode einzuberufen, und dem Ereignis lagen genau 22 Tage. 138 Synodale trafen sich in Barmen-Gemarke. Sie wollten deutlich machen, dass Christus das eine Wort Gottes ist. Eine klare Zentrierung auf Jesus Christus ist in der Auseinandersetzung mit dem NS-Staat notwendig gewesen. Sie mussten etwas dazu sagen, wie die Gestalt und die Struktur der Kirche sein müssen, und sie mussten das Führerprinzip in der Kirche ablehnen. So formulierten sie klassisch gut: „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben“. Jesus Christus ist die Mitte im Leben. Wo andere Mächte in diese Mitte treten wollen, da müssen wir entschieden Protest einlegen. Denn der Geist Gottes macht lebendig, nicht eine Ideologie, nicht das moderne Streben nach Macht und Anerkennung, nach möglichst viel Haben- wollen. Nicht der freie Markt der Kräfte schafft Frieden, sondern Gottes Geist schützt und fördert die Würde des Menschen und den freien und menschlichen Umgang miteinander. Die größte Herausforderung der Barmer theologischen Erklärung liegt darin, dass sie betont: Es darf keinen Bereich geben, der nicht unter Gottes Barmherzigkeit steht. Gottes Geist lässt sich nicht ausgrenzen oder gar einsperren in ein religiöses Gefühl, in eine fromme Innerlichkeit oder in die Zeit des Gottesdienstbesuches, nein, Gottes Geist wirkt in allen Bereichen des Lebens. In der Wirtschaft muss es gerecht zugehen. In der Politik muss die Suche nach Frieden und sozialer Gerechtigkeit oberste Priorität haben. In der Familie muss die Klarheit der Beziehung und das gegenseitige Vertrauen Maßstab des Handelns sein. In der Kirche muss gelten, dass wir in Wort und Tat diesem Jesus von Nazareth nachfolgen. Darum formuliert das Barmer Bekenntnis richtig: Jesus Christus ist das eine Wort Gottes.

Wohnen

Wenn wir heute den Geburtstag der Kirche und den 75. Jahrestag des Barmer Bekenntnisses feiern, so vergewissern wir uns, wer denn die Kirche ist, die wir feiern. Oft haben wir den Eindruck, da gibt es wenig zu feiern. Denn auch in der Kirche gibt es Konflikte. Der evangelischen Kirche wird oft vorgehalten, sie habe keine klare Linie in den politischen und ethischen Fragen des Lebens. O ja, wir alle könnten jetzt ein Klagelied miteinander starten und ausdrücken, wo wir von dieser Kirche enttäuscht worden sind, wo ein/e Pfarrer/in sich falsch verhalten hat, wo wir an dieser Kirche leiden. Gerade unsere Kirche ist bereit, sich dieser Kritik zu stellen. Wir wollen nichts beschönigen. Wir wollen aber auch das Kind nicht mit dem Bade ausschütten und die Kirche abschreiben. Vielmehr ist es gut, genau zu fragen, wer ist denn die Kirche.

Damals am ersten Pfingstfest entdeckten die Jüngerinnen und Jünger Jesu, dass Gottes Geist sie erfüllte. In Barmen entdeckten unsere Väter und Mütter, dass Jesus Christus das eine Wort Gottes ist. Wer nach der Kirche fragt und in ihr lebt, der wird bald entdecken, dass die Kirche von Voraussetzungen lebt, die sie selbst nicht geschaffen hat und über die sie überhaupt nicht verfügen kann. Die Kirche Jesu Christi lebt aus der Gnade Gottes, die in Jesus Christus offenbar geworden ist, und aus der Barmherzigkeit Gottes, die jeden Morgen neu ist. Im Heiligen Geist, der uns Fürsprecher und Tröster ist, erfahren wir, dass Gottes Gnade uns trägt. Der vierte Evangelist Johannes beschreibt dieses Geschehen, das allem Tun von Menschen vorausgeht, mit dem Bild der Wohnung. Wir finden bei Gott Wohnung. Gott bereitet uns allen die Wohnung vor, damit wir eine Bleibe haben. Wir werden bei Gott sein und bei ihm Wohnung nehmen. Das ist die große Voraussetzung von Kirche, die der Geist Gottes schafft. Dieser Grund der Kirche ist mit der Gestalt der Kirche nicht identisch, aber sie gehören unmittelbar zusammen. Das ist die Erkenntnis von Barmen. Über den Grund der Kirche können wir nicht verfügen, aber die Gestalt ist unsere Aufgabe. Jede Generation muss in ihrer Zeit, kirchliche Strukturen überprüfen und sich immer wieder neu ausrichten an dem, was Gottes Geist wirkt. Denn der Tröster erinnert an Jesus, den gekreuzigten Auferstandenen, und macht lebendig. Das will ganz konkret verstanden werden, es ist das Leben aus der Liebe. Jesus sagt es schlicht: „Ein neues Gebot gebe ich Euch, dass ihr euch untereinander liebt“. Diese Erinnerung verändert die Perspektive: Nicht festhalten an starren Formeln und Gewohnheiten, sondern die Freiheit wagen. Der moderne Geist des Habenwollens verlockt zu einem ständigen Rennen nach den günstigen Angeboten und den schnellen Erträgen auf Kosten der Qualität und der Menschlichkeit. Wir brauchen eine bewusste Gestaltung der Marktwirtschaft unter dem Leitbild der Nachhaltigkeit. Im Persönlichen ermutigt uns der Geist zur Selbstkritik. Nicht kleinlichste Kränkung soll uns beherrschen, sondern der Blick auf das Ganze einer Familie und meines Lebens. Das gibt Mut durchzuatmen und dann neu und frisch an das Werk des Miteinanders zu gehen. Gottes gnädige Zusage, wie Barmen bekennt, begleitet uns. Genauso erleben wir befreiend Gottes gnädigen Anspruch auf unser ganzes Leben, denn durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung hin zu einem sinnvollen und zufriedenen Leben. Der Geist Gottes macht lebendig, und wir hören Jesu Zusage: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt ihn gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht“.

Amen.

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