Gesandt in den neuen Tag
Aus der Bewegung um Jesus, den Nazarener, ist eine Kirche entstanden, auch unsre Kirche
Zum Kontext der Perikope (I.) - Erste persönliche Eindrücke (II.) - Zum Predigttext (III.)
I. Der Evangelist Matthäus stellt das Christusbekenntnis an das Ende des Wirkens des Wanderpredigers Jesus. Am nördlichsten Punkt des Heiligen Landes, den Jesus auf seinen bisherigen Wanderungen erreicht hat, kehrt der Rabbi um: von nun an geht der Weg nach Süden. Bevor Jesus in Jerusalem „einzieht“ (21, 1ff) geht es um „Nachfolge“, neue/alte Regeln und um drei Leidensankündigungen. Unmittelbar vor dem „Bekenntnis“ berichtet Matthäus von drei Ereignissen: zuerst von der Speisung der 4000 (15, 32-39), dann von einer unangemessenen „Zeichenforderung“ der Pharisäer (16, 1-4) sowie von deren scheinheiliger Lehre (16, 5-12), bevor er dann das Christusbekenntnis des Petrus lobt – um ihn anschließend anlässlich seiner ersten Leidensankündigung (16, 21) scharf zu kritisieren (16, 22+23). Auffällig ist bei beim „Christusbekenntnis“ der Hinweis auf Jona (16, 4b) und die einmalige Nennung des Petrusnamens Bar Jona (16, 17a). Der Evangelist hat sein Evangelium nach 70nC, also nach der Zerstörung des Tempels, geschrieben. Er will Jesus als den Christus = Messias zeigen: Christus ist der angemessene Titel des Nazareners. Jesus folgt den Propheten und ihren Hinweisen. Aber letztlich ist er die Erfüllung des Alten Testaments: er ist der, auf den die Juden warten: „der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes“. Matthäus folgt strukturell weitgehend dem Markusevangelium. Warum lässt er aber dann „die Heilung eines Blinden in Bethsaida“ (MkS 8, 22-26) fort? Sie wäre doch eine gute Entsprechung zum „sehenden“ Petrus (8, 27-30) gewesen! Oder war die Entfernung von Bethsaida nordöstlich vom See Genezareth bis zu Cäsarea am Mittelmeer – ca. 90km - zu weit? Auf jeden Fall akzeptiert Jesus die einfach formulierte „Erkenntnis“ des Petrus: „Du bist der Christus“ (Mk 8, 29b). Gleichzeitig verbietet Jesus seinen Jüngern die Weitergabe dieser Wahrheit. Ganz anders komponiert Lukas sein Evangelium. Hier steht das „Messiasbekenntnis“ (9, 18-20) vor dem großen „Reisebericht“ (9, 51- 18, 14) – als sollte der Status Jesu vorher festgestellt sein: „Du bist der Christus Gottes“ (9, 20b). Auch die beiden ersten Leidensankündigungen 9, 22. 44+45) finden hier ihren Platz: die Menschen, die Jünger, sollen wissen, wer da zu ihnen spricht und auf wen sie sich da einlassen! II. Warum soll ein Petrus nicht „mit dem Herzen“ geschaut haben, wer Jesus „wirklich“ ist? Manchmal erkennen Menschen einander, wie sie gemeint sind. Manchmal gibt es eine neue Erkenntnis nach einer Phase langer Arbeit und Überlegung. Die Jünger haben ihren Meister und Rabbi ein gutes Jahr beobachten können, haben hören und sehen können, was dieser sagte und tat. Sie haben die Schriftbeweise wahrgenommen, die Jesus geäußert hat, um deutlich zu machen, dass er auf dem Boden des Alten Testaments steht. Und dann hat einer – für alle? – die Wahrheit formuliert: Jesus ist der Messias (= Christus). Dass dies die „subjektive“ Wahrheit eines „Betroffenen“ war, erklärt, warum Jesus die „objektive“ Verbreitung seiner Messianität schroff verweigert. Warum fragt Jesus? Weiß er nicht schon alles? Will er die „richtige“ Antwort provozieren? Oder will er wissen, welches Geistes Kinder seine Jünger sind? „Sage mir, an wen du glaubst, und ich sage dir, wer du bist und wie du in der Gemeinschaft taugst!“ Wie jemand seine Wirklichkeit, seinen Glauben sieht, zeigt etwas darüber, wie er das Leben und die Menschen sieht – und ob man darauf eine Gemeinschaft gründen kann. Warum gehört unser Text zum eisernen Bestand des Pfingstmontags (1. Reihe)? Weil in dem „Petrusbekenntnis“ deutlich wird, dass der Geist Christi in die Welt gekommen ist: Fortan sollen hier auf Erden satt werden, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit; sollen getröstet werden, die da Leid tragen; sollen die Friedfertigen hier schon Gottes Kinder heißen. So „lehrt“ es uns Matthäus in der Bergpredigt (5, 3ff). Der neue Geist lässt hier schon lösen und erlösen, was gebunden oder gefangen ist. Die „Gemeinschaft der Heiligen“ existiert schon heute. Unter uns. „Wo zwei oder drei versammelt sind“ (18,20). III. „M. Luther bezeichnet die Perikope als „das beste Stück und den Hauptspruch“ des Mt-Evangeliums, weil das Petrusbekenntnis Glaubensgewissheit ausspricht und darin die Kirche gegründet wird“ (GPM 1978, 258). Der Text ist gut erhalten und von den Synoptikern sehr ähnlich weitergegeben. - Mt und Mk verlegen die Szene an das Mittelmeer in das Gebiet um Cäsarea Philippi, das heutige Banjas. Wichtig ist hier die irdisch-historische Verortung der Geschichte. Oder sollte die Residenz des Tetrarchen Herodes Philippus, vormals dem Pan geweiht, dann „die Kaiserliche“ mit Marmortempel und Standbild des Augustus, nunmehr Gegenbild und Provokation des Messiasbekenntnisses sein: Jesus ist der „Gegenkönig“ des Reiches Gottes? - Lk verlegt die Szene in eine „einsame Gegend“ bei Bethsaida am See Genezareth. Wie Mt und Mk berichtet er von der Speisung von „5000 Männern“ (Lk 9, 11-17) und dann von einem Rückzug Jesu mit seinen Jüngern in die Einsamkeit, aus der heraus Jesu Frage und das Petrusbekenntnis erwachsen. Jesu Frage – bei Mt im Präsenz formuliert(!) – ist wie auch die Jüngerantwort bei den Synoptikern gleich formuliert. Das Christusbekenntnis des Petrus hat bei den Synoptikern verschiedene Farben, ist aber im Kern gleich: • Matthäus: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ • Markus: „Du bist der Christus“ (8, 29b) • Lukas: „Du bist der Christus Gottes“ (9, 20b)Exkurs:
Der Messias (griech. Christus) war der von Gott Gesalbte und Eingesetzte und Bevollmächtigte – ursprünglich David, der „Urkönig“. Z.Z. Jesu gab es keine israelitischen oder judäischen Könige mehr. Daher hatte sich die Vorstellung vom Messias gespalten: die einen erwarteten einen priesterlichen Messias, der „den Tempel abreißt und ihn in drei Tagen neu baut“ (so auch die Anklage vor dem hohenpriesterlichen Gericht: 26, 61; vgl. auch Joh 2, 19); die andern ersehnten sich einen politischen Messias, der zu den Waffen rufen, die Römer aus dem Lande werfen und ein neues Reich aufbauen wird (s. Jesus vor Pilatus 26, 11parr; vgl. auch Joh 18, 36). Interessant ist eine Variante zu Mt 16, 16: Sohn des lebenschaffenden Gottes (D). Die Verse 17-19 sind Sondergut des Matthäus. Sie zeigen sprachlich eine aramäische Vorlage an. Also „echte“ Worte Jesu? Gehört das Verbot der Weitergabe des Messiasgeheimnisses mit seiner Schärfe und Schroffheit (V 20) nicht zur Perikope dazu?!! Die Anmerkungen im textkritischen Apparat bringen nichts wesentlich Neues. Lieder: „Ein neuer Himmel, eine neue Erde“ (Kirchentagslied) Strahlen brechen viele 268 Ich weiß, woran ich glaube 357 O komm du Geist der Wahrheit 136 Fürchte dich nicht, gefangen in deiner Angst 607 (NELK u.o.) Literatur: Eugen Drewermann, Das Markus-Evangelium, Ss 532-559. - GPM 1978 zur Stelle. - Heinz Zahrnt, Erfahrung mit Gott.Predigt
„Wer bin ich…?“
„Wer bin ich für Euch?“ um diese Frage, liebe Gemeinde, soll es heute am Pfingstmontag gehen. Und wir werden fragen, wie pfingstlich eigentlich diese Frage ist. „Wer bin ich für Euch?“ fragt Jesus seine Jünger. Die Evangelisten schildern eine Situation – fern ab von „den Leuten“, vielleicht den 4000 bis 5000, die eben noch auf dem Berge gespeist wurden und jetzt unterwegs zu ihren Dörfern sind und vielleicht schweigend miteinander gingen, vielleicht sich austauschend über das, was sie erlebt haben: das Wunder, dass alle satt wurden, und den Mann, der um das tägliche Brot gebeten hat, und ob da eben nicht der Himmel auf Erde war.
Die Menschen haben sich unterhalten, nachgedacht und erinnert. Vielleicht sind die ersten Geschichten unseres Matthäus-Evangeliums erzählt worden. Manche mögen sich gefragt haben, wer denn dieser Mann war – nein: ist, in dessen Gegenwart Menschen heil, gesund und satt werden, ein Mann, der die Menschen zu kennen scheint, der weiß, was der Mensch braucht und der die richtigen Fragen stellt. Und was das Wichtigste ist: wo er ist, da geht der Himmel auf, wo er spricht, da weicht der Zweifel einer fast göttlichen Klarheit, wo er handelt, da trifft er mitten ins Herz, sodass Menschen be-troffen sind und gar nicht mehr anders können, als fortan anders zu leben. Erzählt wird von dem Zollbeamten, der jetzt mit diesem Jesus mitzieht. Berichtet wird von Fischern, die auf ihre Lebensgrundlage – und teilweise auf ihre Familien – verzichtet haben, um bei diesem Rabbi zu sein. Aber ist er nur ein Rabbiner? Ist er nicht ein Zimmermann? Der Vater war doch ein Zimmermann in Nazareth. Oder ist er ein Gelehrter, vielleicht ein Pharisäer, der Theologie studiert hat? Denn er kennt sich in der Bibel gut aus. Aber dafür erzählt er nur wenig von Gott und wie er aussieht oder wie er lebt. Was er erzählt, sind einfache Geschichten aus dem Alltag – z.B. die Geschichte von den 99 Schafen, die der Schäfer verlässt, bloß um EIN Schaf zu suchen und dann auch zu finden. Also ist er ein Erzähler auf dem Markt. Aber auf dem Markt ist er nicht so oft zu finden. Ist er ein Arzt oder Heiler? Merkwürdigerweise setzt er nie ärztliche Medikamente ein oder legt Pflaster und Salben auf. Er heilt auf verschiedene Weise – auch mit Worten. Manche sagen, er sei ein Schamane, der Zugang zu der anderen Welt habe.
Wer ist denn nun dieser Mann? Wie heißt er noch mal? Jesus, Josua, also auf deutsch: Helfer, Gott-Hilf? – aber der Name scheint unwichtig zu sein. Wer ist dieser Mann wirklich, von dem alle Welt eine andere Vorstellung zu haben scheint? Manche sagen, er wäre Gott selbst. Aber das wäre Gotteslästerung und außerdem unrealistisch. Wer ist denn Gott? Dieser Mensch hat – wenn überhaupt – nur Dinge erzählt, die mit Gott zu tun zu haben scheinen. Eine richtige Theologie hat er nicht verfasst. Eigentlich hat er nur erzählt, was Gott tut. Aber woher weiß er das? Ein akademisch Gelehrter ist er – wie schon gesagt – auf keinen Fall. Er hat sich sogar gegen theologische Prinzipien ausgesprochen – z.B. was die Heiligung des Sabbath angeht. So oder ähnlich mögen die Leute geredet haben auf ihrem Weg wieder nach Hause. Und jeder mag sich sein eigenes Bild von Jesus gemacht haben. Das ist eben der Vorteil des Nach-Denkens: dann fügt sich eins zum Anderen und ergibt ein Bild. Uns heute Morgen ergeht es sicherlich nicht anders: jeder hat sein Bild von Jesus. Für die einen ist er der Revolutionär, der mit seinen „Schwertworten“ gegen den Weltwirtschaftsgipfel streitet. Für die Anderen ist er der Vorkämpfer der Demokratie: alle sind vor dem Gesetz und vor Gott gleich. Wieder für andere ist er der spirituelle Führer und Mystiker, der will, dass „das Herz fest werde, welches geschieht durch Glauben“. Und dann ist er für viele ein menschliches Vorbild: so einfach wie Jesus kann man leben, lieben, glauben, handeln. Da ist nichts Kompliziertes. Und dann gibt noch so viele Bilder von Jesus, wie es Menschen gibt. Und historisch gibt es über Jesus kaum Dokumente …
“Du bist…“
Da wendet sich Jesus an seine Jünger: „Wer bin ich für euch?“ Und ein Jünger, Petrus, antwortet. Und in seiner Antwort ist kein Bild mehr, keine Vorstellung, keine Projektion, sondern da kommt der Jesus zum Vorschein, den Petrus in sich trägt, der sein Leben geprägt hat und weiterhin prägt, der seine Sicht von sich selber, von den Menschen, von Himmel und Erde beeinflusst hat, der sein Denken leitet und seinen Verstand formt. Es ist der Jesus, an den er sein Herz gehängt hat – um es mit Martin Luther zu sagen: Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott. Und darum ist dieses „Petrusbekenntnis“ auch ein großer Meilenstein in allen Evangelien: Du bist der Christus – der Messias. Doch dann fehlen dem Petrus die Worte und „der HERR“ tritt selbst wieder in Aktion und formuliert, wie es Petrus oder auch wie wir es vielleicht nie hätten formulieren können. Merkwürdig, dass wir in Glaubensdingen nicht selten das Gespräch brauchen, damit unser Gegenüber formuliert, was uns bewegt. Denn wer könnte schon mit leichten Worten über sein Fundament sprechen, von seinem Fels, auf dem sein Leben begründet steht? Die Dinge des Glaubens gehören zu den intimsten Bereichen, über die zu sprechen oft schwer fällt. Und Jesus fasst in Worte, was Petrus trägt, was ihn bindet, was ihn er-löst. Und die anderen Jünger hören und stimmen zu, bekommen mit, was Jesus sagt. Vielleicht erleben wir hier ein Gespräch mit, in dem einer dem andern seine Bilder, seine Worte und Gedanken leiht bei der Suche nach dem, was mir Halt gibt, nach dem Fundament, auf das ich mein Leben gründen kann. Es ist ein Gespräch um den Christus, in dem wir bei aller Verschiedenheit einig werden. Ob hier schon der Geist von Pfingsten geweht hat? Die Jünger Jesu, die Christen, sind bis heute grundverschieden: das macht die Farbe und ihre Lebendigkeit aus. In dem Gespräch damals, das Jesus eingeleitet hat, ging es darum, dass die Jünger einander zum Christus werden, dass keiner mehr Herr und Jünger ist. Im Geist Christi – Paulus: „in Christus“ – sind wir „eins durch IHN“, wie wir gleich singen werden (EG 268). In Christus teilen wir unser Leben in der Welt, breiten mithin sein Reich aus, sodass satt werden, die hungert und dürstet nach Gerechtigkeit. Dass hier schon getröstet werden, die da Leid tragen. Dass die Sanftmütigen schon hier das Erdreich besitzen. Dass die Friedfertigen schon hier Gottes Kinder heißen. Das ist der Pfingstgeist der Bergpredigt (Matthäus 5)! Dieser Geist macht uns zu Christen, „gesandt in den neuen Tag, für den du lebst“ – so heißt es in einem anderen neuen Kirchenlied, das wir nachher singen wollen.
„Ich bin bei euch…“
Darum: Geht hin, und macht zu Jüngern – besser: Christen! – alle Welt! Und siehe: ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende! Geht in die Welt, und flieht nicht ihre Schönheit, ihr Leid, ihre Gemeinschaft! Ihr könnt mindestens 4000 Hungrige speisen! Ihr könnt Menschen wieder heil machen! Also geht los, und versteckt euch nicht und euren Auftrag! Jesus ruft uns nicht aus dieser Welt sondern schickt uns direkt in sie hinein!
Die Jünger haben dieses Gespräch und ihre Erfahrungen mit ihm nie mehr vergessen. Später ist aus der Bewegung um den Nazarener eine Kirche entstanden, auch unsre Kirche, sonst säßen wir nicht hier. Und seine Frage an uns ergeht auch heute am Pfingstmontag Morgen: Wer bin ich für dich? Sein Angebot steht: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.
Amen.