Sommerliches Weihnachtsfest
Johannes der Täufers als Vorbild für die christliche Existenz
Zum Predigttext
Aufbau und Funktion innerhalb des lk Doppelwerks
Der Predigttext Lk 1,57–80 ist Teil der lk Kindheitsgeschichte(n). Während der Main-Stream der Exegese sie früher für erbauliche Erzählungen aus einem hellenistisch-judenchristlichen Milieu hielt oder Lukas ganz zuschrieb, zeichnet sich seit einiger Zeit die auf gewichtigen Argumenten beruhende Tendenz ab, dass die reinliche, womöglich geographische Scheidung von „hellenistisch“ und „rabbinisch“ (etc.) unhaltbar ist, die Kindheitsgeschichten sogar von hohem Alter sind und dem Milieu der Urgemeinde mindestens in Palästina, wenn nicht Jerusalem sehr nahe stehen oder entstammen. Dies wird begleitet von einer Neubewertung des Verfassers des LkEv und der Apg als kunstvollen Schriftsteller und einer entsprechenden synchronen Auslegung dieses Doppelwerks (beispielhaft WOLTER, LkEv. Aus diesem Grund und wegen Bedeutung des Benedictus entschließe ich mich gegen die „Kurzfassung“ des Evangeliums und Predigttextes). So zeigt sich die Perikope als eine für Lk typische, „episodenhafte Schilderung“. Sie besteht aus Geburts- (V. 57–66) und Kindheitsbericht (V. 80) des Täufers sowie dem literarkritisch als nachklappend zu verstehenden (V. 64/67), aber auf der Erzählebene korrekt eingefügten Lobgesang des Zacharias (V. 67–79). Beides ist geschickt verflochten mit der Kindheitsgeschichte Jesu, wodurch die Steigerung vom „Propheten, Vorläufer und Wegbereiter des Höchsten“ (V.76), zu dem von ihm Angekündigten (vgl. V.32) eindrucksvoll zur Darstellung kommt. Dies geschieht auch inhaltlich durch die jeweiligen steigernden Parallelen: Ankündigungen der Geburten, Unglaube (bei Zacharias) bzw. Glaube (bei Maria), wunderbare Empfängnis (Spät- bzw. jungfräulich Gebärende), zwei Lobgesänge, Geburtsgeschichten usw. Lukas ordnet Empfängnis und Geburt des Täufers in die Reihe der Geburtsgeschichten außerordentlicher Menschen (und Propheten) des AT ein, die ihren Kulminationspunkt in der Jungfrauengeburt Jesu und ihre Fortsetzung in der „Geistgezeugtheit“ seiner Jünger und seiner Kirche findet. Der theologischen Tendenz nach gehört die Perikope in die Reihe der Texte, die die relative Inferiorität des Johannes gegenüber Jesus mehr oder weniger dezent herausstellen. Der lk Intention entsprechend ist dies aber nicht als eine Herabstufung zu verstehen, sondern die Konsequenz daraus, dass die Erzählung der Jesusgeschichte als Erfüllung der heiligen Schriften und der Heilshoffnungen Israels dargestellt wird: „beiden [ist] eine unterschiedliche Rolle in dem einen Heilsplan Gottes zugedacht“ ( WOLTER, LkEv, 115).Das Benedictus – Das Danklied des Zacharias
Das Benedictus bildet den klimatischen Abschluss der Episode und bietet die zusammenfassende Deutung des ganzen ersten Kapitels des LkEv. Der Form nach ist es – ähnlich den zwei anderen lk Cantica – als frühjüdischer Dankespsalm zu verstehen, der sich in drei Teile gliedern lässt: 1) V. 68–75 sind eine Eulogie, ein Lob auf Gottes vergangene Heilstaten. V. 76–79 sind insgesamt eine Prophezeiung, die Züge eines Genethliakons, eines Geburtstagsgedichtes trägt. Inhaltlich lassen sie sich aber klar unterteilen in die Beschreibung 2) der zukünftigen Aufgabe des Kindes (V. 76–78a) und 3) der antolae sowie ihrer Wirkung auf „uns“ mit Zielpunkt im Frieden (V. 78b–79).Johannes: Der Wegbereiter und Vorläufer
Zacharias verkündigt „die Geheimnisse des göttlichen Heilsratschlusses“ (FRIEDRICH), indem er für die Aufgabenbeschreibung seines Sohnes, des „Propheten des Höchsten“ (V. 76) das atl. Motiv der Wegbereitung aufnimmt: hetoimazein hodous steht in der LXX für kwn/ pnh daeraech jhwh des MT. Es beschreibt zunächst die allgemein ethisch-religiöse Aufgabe jedes Menschen für die Gemeinschaft mit Gott. Im Munde des Zacharias ist es aber als Erfüllung der prophetischen Aufforderung Gottes zu verstehen, die Jesaja ausrief (40,3) und für die Maleachi einen Boten ankündigte (3,1). Die Metapher des Wegbereiters wurde für die synoptische Täufertradition zum besonderen Merkmal der Person des Johannes. Lukas verbindet beide atl. Zitate, die im Proprium des Festtages wörtlich Aufnahme finden. Inhaltlich konnte die altkirchliche Tradition die durch die Evangelien gedeutete Rolle des Täufers in der Heilsgeschichte in der prodramos – praecursor –Vorläufer-Formel zusammenfassen (vgl. das Graduale EG 141,6), die bis heute zu den Ehrentiteln des Täufers zählt.Der Predigttext als Festtagsevangelium zu Johanni
Johanni gehört – neben der Geburt Christi [und Mariens im römisch-katholischen und orthodoxen Bereich] – zu den wenigen Gedenktagen der Kirchen, die anlässlich einer Geburt gefeiert werden. In der Alten Kirche setzte sich die Memoria des Todestages von Personen als eigentliche dies natalis durch. Ausgangspunkt für die Feier des Johannisfestes am 24. Juni ist die durch Lk 1,26.36 vorgegebene Chronologie, die – wahrscheinlich im 4. Jh. – ausgehend vom Weihnachtsfest errechnet wurde. Wie bei nur wenigen anderen Sonn- oder Festtagen kommt es bei beiden zu einer engen Verschränkung zwischen Natur- und Kirchenjahr: Das Weihnachtsfest zur Wintersonnenwende legte die Deutung als Solstitium Christi, das Johannisfest zur Sommersonnenwende die als Solstitium Ioanni nahe. Explizit ist diese Verbindung erstmals bei Augustinus greifbar, von dem elf Predigten zu Johanni erhalten sind, in denen er den Täufer in Beziehung zum Weihnachtsfest auslegt und sich der Lichtsymbolik der Sonnwende bedient. Im frühen Mittelalter wird dies zum Allgemeingut und das Johannisfest als „sommerliches Weihnachtsfest“ mit Vorabendmesse, Hochfest und reichem Brauchtum begangen. Dies hat sich in verschiedenen Gegenden bis heute gehalten. Auch die Reformatoren behalten das Johannisfest bei aller Kritik an den übrigen Heiligenfesten als eines der Christusfeste bei. Martin Luther geht in seinen Predigten zu Johanni v.a. auf dessen Predigtamt als Vorläufer und Verkünder Jesu ein. Zieht man dagegen aus den aktuellen Predigthilfen Rückschlüsse auf die Verbreitung des Johannisfestes in der gegenwärtigen Gottesdienstkultur, müsste die Bilanz dagegen düster ausfallen.Der Predigttext als Gebet der Kirchen und Kommunitäten
Spätestens seit der Benediktsregel sind die lk Cantica fester Bestandteil der Tagzeitengebete innerhalb der westlichen Christenheit, wobei das Benedictus den Höhepunkt der Laudes darstellt. Auch in den lutherischen und anglikanischen Kirchen der Reformation wurde dies bewahrt. Indem sie singend in das Loblied des Zacharias einstimmen, erzählen sie nicht nur die Heilsgeschichte Gottes, sondern bekennen sie neu: Mit Zacharias in der Zeit des Dankes stehend (V. 68), aber zurückschauend auf den Weg des Vorläufers (V. 76) und doch in der Zeit der Verheißung bleibend (V. 78b), in der Mitte der Zeit zwischen dem verborgenen und dem offenbaren „Besuchen“ des Gottes Israel.Das Proprium des Johannistages
Die Exegetischen und wirkungsgeschichtlichen Betrachtungen verbinden sich mit den liturgischen Teilen des Propriums zum Johannistag (24. Juni), das dasjenige des 2. Sonntags n. Trin. ersetzt.Wahrnehmung des Propriums
Der Spruch des Tages (Joh 3,30) ist eine theologische Deutung des Verhältnisses zwischen Johannes und Jesus. Nach der Darstellung des Vierten Evangeliums gehört er – neben Joh 1,29, der seine Aufnahme in der Präfation für Johanni findet – zu den Zeugnissen des Täufers selbst. In Joh 3,30 klingen, am Tag der Sonnwende und im Zusammenhang mit Lk 1,78f., astrale Phänomene an. Er eignet sich hervorragend, als Leitmotiv die „Intertextualität“ im gesamten Gottesdienst einschließlich der Predigt zu akzentuieren sowie die Verortung des Gedenktags im Naturjahr (Sommersonnenwende) anzudeuten. Der 92. Psalm* ist der im alten Missale Romanum vorgeschriebene Introitus des Tages (V. 2), den die lutherische Reformation – vermutlich wegen seiner Anklänge an das Benedictus (auch 92,8ff.) – beibehalten hat. Die Antiphone (Mal 3,1) lässt bereits Inhalte beider Lesungen anklingen (vgl. Jes 40,3 und Lk 1,76b). Antiphone und Psalm gemeinsam sind wie ein antizipiertes Kaleidoskop der Lesungen: Das Gotteslob (Form des Benedictus) wird gerahmt vom Motiv der Wegbereitung (Inhalt der atl. Lesung und des Benedictus). Deshalb entscheide ich mich für das 2. Kollektengebet: Es entstammt dem gelasianischen Sakramentar und bündelt das Wegmotiv mit seinem Zielpunkt in Christus. Da im Dom zwei Lesungen vorgesehen sind, wähle ich als erste die alttestamentliche (Jes 40,1–8). Zum einen ist sie die ursprüngliche „Epistellesung“ des Tages (eine der wenigen alttestamentlichen). Zum anderen nimmt sie inhaltlich den mit Mal 3,1 und dem Kollektengebet gesponnenen Faden auf (Erwartung des Wegbereiters u. Heilskontinuität), der im ersten Teil des Benedictus weiter entfaltet wird und seine Klimax an dessen Schluss erreicht. Halleluja und Hallelujavers behalte ich bei, weil sie nach meinem Verständnis nicht „Antwort auf die Epistel“ sind, sondern das Evangelium einleiten, dem sie mit dem deutend-verkündigenden Graduallied vorausgehen. Der Bezug des Verses (Ps 97,11) zum Benedictus (Lk 1,78b), zum Natur- und Kirchenjahr klingt hier wiederum an. Das Graduallied (EG 141) von Nikolaus Herman bzw. Philipp Melanchthon fasst in einem „Lobgesang“ (vgl. Lk 1,68) prägnant wesentliche Momente von Auftrag und Predigt des Johannes zusammen, von dessen Geburt das folgende Evangelium berichtet und in ihrer Bedeutung erklärt. Zur Verstärkung der Verweisfunktion Johannes des Täufers auf Christus (Johanni auf Weihnachten / Solstitium Joanni zu Solstitium Christi), und weil die eigentliche Melodie weitgehend unbekannt sein dürfte wähle ich die Kontrafaktur durch EG 24. Das Evangelium (Lk 1,57–80), einen ungewöhnlich langen Predigttext, möchte ich nicht kürzen, um der Gemeinde das gesamte ntl. Canticum zu Gehör zu bringen. Dies umso mehr, als es möglicherweise Einzelpersonen oder einer Besuchergruppe vom Morgengebet einer Kommunität her vertraut ist. Dramaturgisch bildet es vergleichbar zur Verkündigung des Weihnachtsevangeliums einen ersten Höhepunkt des Gottesdienstes: Die erwartete Geburt des Boten und Wegbereiters (Antiphon, atl. Lesung) ereignet sich in einem performativen Akt. Die Gemeinde rahmt dies durch ihre Akklamationen.Konsonanz des Propriums
Um „der Vision des gelungenen Gesamtkunstwerkes“ möglichst nahe zu kommen (GRÖZINGER, Gottesdienst, 446), entscheide ich mich für folgende Leitmotive des Gottesdienstes: Dies ist zunächst die Verbindung von Christusjahr und Naturjahr mit den astronomischen Implikationen (Tagesspruch, Hallelujavers), dann das Motiv der Wegbereitung (Kollektengebet, Lesungen), sowie die Grundstimmung des Lobes und Dankes (Psalm, Benedictus, Graduale). Systematisch-theologische Vertiefung Der Predigttext enthält ungewöhnlich viele Bezugspunkte zu verschiedenen Loci systematisch-theologischer Reflexion. Angesichts der Konsonanz des Propriums möchte ich die folgenden drei Themenbereiche als Grundlage für einen Festgottesdienst zu Johanni eingehender darstellen: Gnadenerweis und Dank, „Zweiter“ und „erster Artikel“, „Zuspruch und Anspruch“. Liturgische und homiletische Voraussetzungen „Der Berliner Dom ist eine Kirche von nationaler und hauptstädtischer Bedeutung [… Er] ist eine Symbol-Kirche der evangelischen Christen in Deutschland“ (DKK, Leitbild, I. 1., im Anhang, G.3., S. 34–35). Diese Sätze, die dem vom Domkirchenkollegium (DKK) erarbeiteten Leitbild entstammen, formulieren das Selbstverständnis des Berliner Doms. Sein Standort im Herzen der Hauptstadt, als geistliche Heimat der Personalgemeinde und einer sich stets neu bildenden Gottesdienstgemeinde, als Veranstaltungsort und Touristenmagnet sind Ansporn und Verpflichtung zu einem klaren Profil als herausragende Citykirche. Bezogen auf die Gottesdienste tut dies der Dom durch die Umsetzung eines konstant durchgeführten, differenzierten Gottesdienstprogramms: Werktags finden mittags und abends Kurzandachten statt, die v.a. von Touristen besucht werden. Die Woche schließt mit einer musikalischen Vesper zum Proprium des folgenden Sonntags. An ihm werden früh ein Sakramentsgottesdienst und am Abend ein Wortgottesdienst gefeiert.Die Gottesdienstgemeinde (PredigthörerInnen)
Durchschnittlich 400 bis 500 Personen bilden die Gottesdienstgemeinde am Sonntag früh. Der kleinere Teil von ihnen gehört zur Personalgemeinde des Berliner Doms, die sich aus Gliedern der alten Domgemeinde der DDR-Zeit und in wachsendem Maße aus Neuberlinern des politischen, diplomatischen, wirtschaftlichen und akademisch-universitären Bereiches zusammensetzt. Aus ihm bildet sich der große Kreis der Ehrenamtlichen, ohne den die Gottesdienste nicht in entsprechender Form gestaltet werden könnten. Aus den Gesprächen, die Voraussetzung für die Aufnahme in die Domgemeinde sind, erfahren wir, dass erster Kontakt und bleibendes Identifikationsmerkmal der Gemeindeglieder der Gottesdienstbesuch im Berliner Dom ist. Dabei werden v.a. drei Elemente besonders gewürdigt: die feierliche liturgische Ausgestaltung in dem ästhetisch als besonders ansprechend empfundenen Kirchenraum, das Predigtangebot, auch durch bekannte GastpredigerInnen, und die reiche musikalische Gestaltung (durch Chöre und hochqualifizierte KirchenmusikerInnen). Den weitaus größeren Teil der Gottesdienstbesucher bilden sonstige Berliner, Touristen, Durchreisende und Geschäftsleute. Manche suchen explizit den Schutz der Anonymität der Domgottesdienste. Andere – so erfahre ich oft beim Kirchenkaffee – entscheiden sich spontan zum Gottesdienstbesuch, angesprochen durch die werbewirksam gestreute Plakatierung in Berliner S- und U-Bahnhöfen. Wieder andere haben den Gottesdienst im Berliner Dom zum festen Bestandteil ihrer Berlinbesuche gemacht und finden dort durch die verlässliche Liturgie ein Stück „Heimat“. Für die Predigt bedeutet das alles, dass kein spezifisches Hörermilieu vorausgesetzt werden kann, aber von einer anspruchsvollen Hörerschaft ausgegangen werden muss. Inhaltlich kann daher nicht von einer homogenen (agrarischen oder sonstigen traditionellen) Prägung des Johannistages bei den PredigthörerInnen ausgegangen werden. Deshalb werde ich in der Predigt das allgemein zugängliche Phänomen der Sommersonnenwende und der Existentialien von Lob und Dankbarkeit aufnehmen. Liturgie und Predigt, die in dem durch seine reiche ikonographische Ausgestaltung selbstpredigenden Kirchenraum eine inszenatorisch exponierte Stellung einnehmen, versuchen so zusammen mit der großen Sauer-Orgel ein „symphonisches Auslegungsgeschehen“ (MÖLLER) zu gestalten. Die Gottesdienstgemeinde tritt in dieses aktiv ein im Sinne des auf Liturgie und Predigt von Umberto Eco übernommenen Deutemusters des „offenen Kunstwerkes“ (Vgl. MARTIN, Predigt, 46–58; BIERITZ, Gottesdienst, 358–373).Gottesdienstkonzeption zu Johanni
Der Berliner Dom sieht es als Teil seiner missionarischen Aufgabe an, ausgewählte Fest- und Gedenktage der Kirche (wieder) zu profilieren und im Bewusstsein der Menschen zu verankern. In dieses Konzept fügt sich der vorliegend erarbeitete Gottesdienst zum „Tag der Geburt Johannes des Täufers“ ein. Ihn möchte ich als „sommerliches Weihnachtsfest“ (Christozentrik) und Dankgottesdienst (Geburt des Johannes / Naturjahr) liturgisch und homiletisch gestalten, in dem die Bedeutung Johannes des Täufers als Vorbild für die christliche Existenz beleuchtet wird.Homiletische Konsequenzen und Umsetzung
Homiletisch möchte ich die herausgestellte Konsonanz der Motive miteinander verknüpfen und mich so der Frage annähern, wie sich das Dankmotiv mit dem Vorläufertum des Johannes verbinden lässt. Dabei gehe ich von den bildspendenden und intertextuell wirksamen Wortfeldern aus, die der Predigt ihre Grobgliederung vorgeben: Geburt, bzw. Lob anlässlich einer/s Geburt/stages (Zacharias: Lk 1,68), Wegbereitung und Vorläufertum (Johannes: Lk 1,76) und allgemeine Lichtmetaphorik bzw. speziell die Sonnwende (als Symbol für Christus: Joh 3,30 und Lk 1,78b). Umsetzen möchte ich dies, indem ich I. mit einem Eröffnungsimpuls an das Kollektenlied (EG 317) anknüpfe und diese Spannung für einen Dissolve zum Benedictus als dem „Geburtstagslied“ des Zacharias für seinen Sohn Johannes nutze: Die Gemeinde hat damit die hymnische Form des Benedictus selbst nachvollzogen und sich formell und inhaltlich innerhalb der jüd.-chtl. Tradition verortet. II. durch eine Erzählung zu „Lukas als Maler“ die spezifisch lk Verwebung der Kindheitsgeschichten narrativ veranschauliche. III. das Verhältnis Johannes des Täufers zu Jesus analog setze zu den Sonnwenden und Johanni damit als „sommerliches Weihnachtsfest“ herausstelle, was durch die Kontrafaktur des Graduale bereits angeklungen war. IV. diese Analogie als Voraussetzung nehme, um zunächst das „Vorläufertum“ des Täufers nachdenklich zu reflektieren, um es dann (gnadentheologisch, christologisch und eschatologisch) existentiell unter Verwendung der solaren Lichtmetaphorik auszulegen. Die Predigt soll Raum geben, die eigene Existenz in der des Täufers wiederzuerkennen. V. die eschatologische Weitung verbinde mit dem Lob der Schöpfung (Predigtlied und Fürbitte) und die Gemeinde die zusammenfassende Deutung im Schlusslied (EG 473,4) wieder aufnehmen lasse. Literatur: BOVON, François, Das Evangelium nach Lukas, 1. Teilband Lk 1,1–9,50 (EKK III/1), Neukirchen-Vluyn / Zürich 1989.- FITZMYER, Joseph A., The Gospel according to Luke, Lk 1–9 (AncB 28), New York 1981.- RADL, Walter, Das Evangelium nach Lukas I, Freiburg i.B. 2003.- WOLTER, Michael, Das Lukasevangelium (HNT 5), Tübingen 2008.- BIERITZ, Karl-Heinrich, Gottesdienst als ‚offenes Kunstwerk‘? Zur Dramaturgie des Gottesdienstes, PTh 75 (1986), 358–373.- BIERITZ, Karl-Heinrich, Das Kirchenjahr, Feste, Gedenk- und Feiertage in Geschichte und Gegenwart (beck’sche Reihe), 7. aktualisierte Aufl., München 2005.Predigt
Liebe Gemeinde!
Mit Zacharias Gott loben – Dissolve (mit EG 317)
Hat Jesus gesungen? Hat er mit seinen Jüngern Lieder angestimmt und sie aus voller Kehle geschmettert? Die Evangelisten erzählen uns von vielen Dingen aus Jesu Leben; eigenartiger Weise ist kein Bericht darunter, der uns ein Loblied von Jesus überliefert. Dabei muss es doch so gewesen sein. Als frommer Jude muss Jesus doch gesungen haben. Bei vielen Anlässen: im Synagogengottesdienst; vor dem Mahl; aus Dankbarkeit. Bis heute singen die Juden folgende Worte: „Baruch Atah Adonai Eloh(k)einu Melech ha’olam“ – „Gelobt seist du Herr, unser Gott, König in Ewigkeit…“ Mit ihnen vereinen sich unsere Stimmen, wenn wir singen: „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“. Ein vorzügliches Geburtstagslied ist das, finde ich. In manchen Familien bis heute. Zacharias singt so ein Geburtstagslied: Baruch atah – gelobt sei der Herr, der Gott Israels. Das Benedictus, wie man es auch nennt. Zacharias singt es anlässlich der Geburt seines Sohnes Johannes. Unser Festtag Johanni.
Gemalte Kindheitsgeschichten – Erzählung
„Zacharias wurde vom heiligen Geist erfüllt, weissagte und sprach“ schreibt Lukas (Lk 1,67). Lukas ist kein Musiker – sonst stünde dort: „und sang“ – wie wir unsere Geburtstagslieder schmettern –, aus voller Kehle; überschäumend vor Glück über die Geburt eines Kindes. Nein, Lukas war kein Musiker. Er war Maler! So sagt es die fromme Überlieferung: „Komm, komm“ – sprach der orthodoxe Mönch in dem verwinkelten Vorhof einer Jerusalemer Kirche zu mir. Seine Augen blickten ernst. Das Gesicht war von einem eindrucksvollen Vollbart gerahmt. Die schwarze Kutte fiel in langen Falten bis zum Boden. „Komm, ich zeige Dir etwas ganz Besonderes“! In einem schlichten Nebenraum hing ein Vorhang vor der weiß verputzten Wand. Behutsam zog er ihn zur Seite, als lüftete er ein Geheimnis und zum Vorschein kam – eine Ikone. Auf ihr war Maria mit dem Jesuskind dargestellt. „Das ist nicht irgendein Bild“ flüsterte der Mönch mit bedeutungsvoller Stimme – „dieses Bild stammt von Lukas selbst. Ja, der Evangelist selbst hat es gemalt“. Ist der Evangelist wirklich ein Maler, wie es dieser Jerusalemer Mönch glaubt?! Man kann an der Legende zweifeln; man kann mit etwas kunsthistorischem Fleiß sogar nachweisen, dass sie „falsch“ ist. Und dennoch transportiert sie einen wahren Kern: Lukas malt tatsächlich! Er malt uns vor Augen, was kein anderer der Evangelisten zu können scheint. Es entstehen Bilder aus den frühesten Kindheitstagen Jesu; Bilder aus den frühesten Kindheitstagen Johannes des Täufers: ein Engel des Herrn tritt zunächst zu Zacharias, dem Vater des Johannes. Später zu Maria. Beiden verkündigt er die Geburt ihrer Söhne. Maria eilt zu Elisabeth; das Hüpfen des Johannes-Kindes im Leib der Mutter; und schließlich die beiden Geburtsgeschichten. Lukas schildert alles, als wäre er dabei gewesen. Malt ein großes Szenenbild, wie alte Meister.
Das „heimliche“ Weihnachtsfest im Sommer – Analogie
„Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging […] und Maria gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge“ (Lk 2,1.7) – unser Bild von Weihnachten: Kälte und Dunkelheit draußen – Wärme und der Lichter Glanz im innern. Heute aber, sechs Monate vorher – so berichtet Lukas –, heute, wenn die Sonne am höchsten steht, das Bild der anderen Geburt: Die Geburt Johannes des Täufers. Sein Geburtstag ist das heimliche „Weihnachtsfest“ mitten im Sommer. Doch beide gehören zusammen, verweisen aufeinander: Seit Weihnachten steigt die Sonne in unseren Augen am Himmel empor, unmerklich zunächst, aber unaufhaltsam. Die Tage werden länger. Dann plötzlich scheint das Licht gesiegt zu haben: Noch nicht lang ist’s her: War es nicht erst gestern, dass sich die Straßen wieder bevölkerten? Die Knospen sprossten und zur Frucht reiften, und wir spürten, wie die warme Sonne langsam in unsere Winterknochen kroch?
Heute aber erreicht die Sonne ihren höchsten Punkt. Mit dem Johannistag kehrt sie wieder um. Wiederum fast unmerklich: Noch stehen die Sommerurlaube erst vor der Tür. Doch unaufhaltsam wird der Radius der Sonne kleiner. Werden die Tage kürzer. Ihr Lauf nimmt ab: Bis Weihnachten. „Er muss wachsen“, sagt Johannes von Jesus, „ich aber muss abnehmen“ (Joh 3,30). Die Sonnwenden stehen wie ein Gleichnis für beide: heute das abnehmende, im Dezember das unvergänglich wachsende Licht.
Bedeutung des Festes
Von beiden singt Zacharias in seinem Geburtstagslied. „Prophet des Höchsten“ nennt er seinen Sohn, der dem Herrn vorangeht und ihm den Weg bereitet. Vorläufer und Wegbereiter für einen anderen, einen Größeren (Lk 1,76 = „Pródromos“). Das klingt wenig verlockend. Vorläufer zu sein klingt herabstufend. Eben vorläufig; Wer ist schon gerne „vorläufig“? Und wenn schon, dann „spricht man nicht darüber“, schon gar nicht an einem Geburtstag, bitte schön: „Er hat es nur bis zum ‚Stellvertreter‘ geschafft; ‚hat die Majorsecke gekratzt‘“, tuschelte man früher in Preußen. Ist Johannes ein armer Vorläufer? Einer, der es nicht bis nach „ganz oben“ geschafft hat, weil da ein anderer kam, der nicht nur „Prophet des Höchsten“, sondern „Sohn des Höchsten“ ist (Lk 1,32)? Gerade „Vorläufer“ (griech. Pródromos) ist jedoch einer der großen Ehrentitel, den die Kirche dem Täufer verliehen hat. In ihm sieht sie seine ganze Existenz zusammengefasst.
Als Kind habe ich nie verstanden, warum ausgerechnet an meinem Geburtstag „Lobe den Herren“ gesungen wurde. Es war doch mein Tag. Nicht seiner! Hätte ich aufbegehren sollen und das „Happy Birthday to you“ einfordern? In den christlichen Klöstern und Gemeinschaften wird jeden Morgen das Geburtstagslied gesungen, das Zacharias für Johannes anstimmt. Jeder Tag ein Geburtstag, wenn die Sonne ihren Lauf beginnt. Nach diesem Morgenlob spazieren viele Mönche durch den Klostergarten. Bei einem solchen Spaziergang zeigte ein alter Mönch auf die Orangenbäume im Garten. An den Früchten erstrahlten die Tautropfen in der Morgensonne. „Alles, was ich in meinem Leben erreicht habe, verdanke ich anderen Menschen“ sagte er dazu (1Kor 4,7).
Wo stehen in unserem Leben die Wegbereiter, deren Früchte wir täglich ernten? Menschen, denen wir verdanken, dass wir wuchsen und „stark im Geist“ wurden, wie es von Johannes heißt (Lk 1,80). Haben sie etwa nicht Anteil an dem Wort des Täufers: „Er oder sie muss wachsen, ich aber muss abnehmen“? Diese Woche mit dem Johannistag (am 24. Juni) gibt uns eine Gelegenheit, dankbar der Menschen zu gedenken, die in unserem Leben solche „Johannes Dienste“ getan haben: Eltern, Großeltern, Patinnen, Lehrer, freundschaftliche Begleiter und Partner, geistliche Lehrerinnen, Vorbilder aller Art, die „vorläufige Wegbereiter“ für uns waren, uneigennützig, wenigstens überwiegend, uns und unserem „Stark-Werden im Geist“ zugute.
„ER muss wachsen, ich aber muss abnehmen“ spricht Johannes und deutet dabei auf Christus. Wir alle erhalten wie die Tautropfen auf den Orangen im Klostergarten unser Licht von woanders: Wir bekommen unser Licht von einem anderen (1Kor 4,7). Zacharias besingt ihn als das „aufgehenden Licht aus der Höhe“ (Lk 1,78). Unser Weihnachten. Johannes gehört deshalb mit zu uns. Ist einer von uns. Erstrahlt wie wir im Licht von Weihnachten. Jemand hat das einmal die „lunare Existenz“ von uns Menschen genannt: Wovon könnte „Luna“, der Mond, berichten, wenn er sich selbst zum Thema machte: Schatten und Finsternis, Stein und Staub? Wenn er jedoch im Licht DES (sic!) anderen, unserer Sonne, steht, macht er die Nächte von uns Menschen hell. Was alles muss in unserem Leben abnehmen, damit ER in uns wachsen kann und sein Licht uns erhellt? Welche Berge und Hügel müssen wir erst noch ebnen (vgl. Jes 40,3 5 zu Lk 1,77), um ihm den Weg zu bereiten? Welche Krater und welche tiefen „Seen“ unserer lunaren Existenz könnten dann in neuem Licht scheinen? Sie verschwinden nicht, aber sie erstrahlen neu durch Christus, das ewige, „das aufgehende Licht aus der Höhe“ (Lk 1,78)? Seinem Licht Raum zu geben, es stetig in uns wachsen zu lassen. Das bedeutet Johannistag.
„Erwartende/r“ – Dissolve
Von heute, von Johanni an nimmt das geschaffene Licht für uns wieder ab (EG 473,4), wird schwächer und erfährt seinen Niedergang. Eine wehmütige Stimmung hat sich früher damit bei vielen Menschen verbunden. Bei manchen Sonnwendfeiern ist noch heute etwas von dieser Stimmung zu spüren: wir gehören mit zu dieser vergehenden Schöpfung (Jes 40,8). Doch mit Johannes und seinen Eltern Elisabeth und Zacharias starren wir nicht in das erlöschende Feuer und das vergängliche Licht, das jetzt unaufhaltsam abnimmt und seinen Niedergang erfährt. Sondern wir erheben unsere Häupter (Lk 21,28) und schauen mit ihnen auf das „aufgehende Licht aus der Höhe“, den ewigen Sohn Gottes, der seit Weihnachten unser Leben geteilt und erleuchtet hat. Sein unvergängliches Licht scheint für uns seit Ostern. Auf die Vollendung seines Kommens warten wir (1 Kor 16,20). Für sein Kommen danken wir und stimmen ein in den Lobgesang der Schöpfung (EG 327).
Amen, ja komm, Herr Jesus (Offb 22,20)!
Die Exegese und die Predigt- und Gottesdienst-Überlegungen sind ganz außergewöhnlich umfangreich und gründlich. Man wird gut informiert über neue Erkenntnisse der Exegese. Die Predigt ist sehr textbezogen. Die Einstiegsfrage holt den Hörer gut und originell ab. Sehr stimmig wird der Lobgesang thematisiert mit dem Bezug zu einem Geburtstagslied und mit Weihnachten und mit der Sommer-Sonnenwende. Sie Predigt schließt,daß wir wie Zacharias und Elisabeth auf das Licht aus der Höhe warten.- Fragen könnte man, ob nicht im Berliner Dom auch aktuelle und politische Bezüge in der Predigt wichtig wären ebenso wie existentielle Bezüge? Zur Exegese würde ich gern noch ergänzen, daß Jesus als Retter-Messaias von Johannes ja offensichtlich mit höchster Anerkennung von Johannes gesprochen hat. Joh ist die Zusammenfassung und ein Höhepunkt des Alten Testaments. Nach Prof Hunno Hunzinger hat Johannes aber eher einen Richter als Messias erwartet. Er wird euch mit Feuer taufen! Daß dieser auch mit Heiligem Geist taufen wird ( Mt 3,11 und Lk 3,16 ) ist wohl nach Apg 19,1-4 )spätere christliche Zufügung) Dieser m.E. wesentliche Aspekt nach Hunziger wird auch nicht bei Wilckens: Theol.des NT u.a.aufgenommen.- Insgesamt ist die Predigt sehr lebendig und interessant.