Barmherzig, aber nicht bequem
Freiheit zur Entscheidung
Vorbemerkung
Das Gleichnis vom verlorenen Sohn ist einer der bekanntesten Bibeltexte und gehört sowohl bei regelmäßigen Kirchenbesuchern wie auch bei Kirchenfernen zum Grundbestand des christlichen Wissens. Schon oft wurden die verschiedenen Aspekte dieses Gleichnisses akzentuiert und besprochen. Allgemein bekannt sind die verschiedenen Perspektiven, aus denen dieses Gleichnis beleuchtet werden kann. In der Regel bietet sich dafür die Sichtweise des „armen Sünders“ bzw. die des rechtschaffenen (und vielleicht auch etwas langweiligen) älteren Sohnes an. Schon die Lektüre oder das Lesen dieses Gleichnisses erzeugt beim Hörer oder Leser Verständnis oder Kritik an den Figuren dieses Gleichnisses. Dass die in Vers 2 genannten „Pharisäer und Zöllnern“ nicht mehr antijüdisch ausgelegt werden dürfen, sondern auf der literarischen Ebene zu verstehen sind, sollte opinio communis sein. Ebenfalls entspricht die Charakterisierung des Vaters ganz der jüdischen Tradition und entwickelt kein neues christliches Gottesbild. Für die Predigt habe ich mich entschlossen, das Thema der Freiheit zu akzentuieren, das nicht nur in diesem Gleichnis von Bedeutung ist, sondern ganz im Horizont der biblischen Tradition liegt. Biblische Freiheit schließt den Mut zur Entscheidung, die Möglichkeit des Scheiterns und die Chance von Umkehr und Vergebung ein. Literatur: Ostmeyer, Karl-Heinrich, 3. Sonntag nach Trinitatis: Wer feiert mit?, in: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext, Wernsbach 2008, S. 258ff.Predigt
Liebe Gemeinde!
Alternativen der Lebensgestaltung
Zuverlässigkeit oder Abwechslung? Pflicht oder Party? Gehen oder bleiben? Das ist immer wieder die Frage, wenn Menschen versuchen, ihr Glück zu machen. Manche sind treu bis an ihr Lebensende und andere versuchen, keine Gelegenheit zu verpassen. Einige sind zufrieden, wenn sie einen geregelten Tagesablauf haben, anderen fällt schnell die Decke auf den Kopf. Manche fühlen sich in den eigenen Wänden am wohlsten, andere sind in der Welt zu Hause. Manche sind zufrieden mit dem, was sie haben, andere glauben, etwas zu verpassen.
Gerade aber in den Zeiten der Unsicherheit sehnen Menschen sich nach Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit. Es ist kein Wunder, dass gerade unter Jugendlichen Werte wie Treue und Vertrauen, Verlässlichkeit und Freundschaft immer noch und immer wieder hoch im Kurs stehen. Wir haben die Möglichkeit, unser Leben so zu gestalten, wie wir es für richtig halten. Oft erfahren Menschen erst im Alter wirkliche Einschränkungen, wenn Gesundheit und Gedächtnis mehr nach Berechenbarkeit verlangen und auch den Bewegungsspielraum einschränken.
Freiheit des Glaubens
Wir können uns alle glücklich schätzen, in einem Land zu leben, in dem wir unsere eigenen Vorstellungen verwirklichen und unsere Meinung frei äußern können. Wir haben auch die Freiheit, an Gott zu glauben oder darauf zu verzichten. Wir haben die Freiheit, für unseren Glauben zu werben oder ihm gleichgültig gegenüberzustehen. Das ist eine Freiheit, von der andere Menschen oft nur träumen können.
Viel zu häufig herrschen Zwang und Unterdrückung. In den letzten Wochen sind zwei Frauen aus Deutschland im Jemen wegen ihres christlichen Glaubens umgebracht worden. Es sind solche schmerzlichen Ereignisse, die uns wieder bewusst machen, wie kostbar und wertvoll Religionsfreiheit ist. Im Iran gehen derzeit viele auf die Straße, weil sie genug haben von 30 Jahren Unterdrückung und Unfreiheit. Da ist nur zu hoffen und zu beten, dass diese Wünsche in Erfüllung gehen und nicht mit aller Gewalt niedergeschlagen werden.
Unsere Gebete sind bei denen, die für Freiheit eintreten. In der Gegenwart unterdrücken gerade jene Länder die Freiheit, in denen der Islam Staatsreligion ist und wo Glaube und Religion eine große Rolle spielen, aber missbraucht werden.
Freiheit der Lebensgestaltung
Die Freiheit, das Leben selbst in die Hand zu nehmen, sich im Leben für einen Beruf und Bildung entscheiden zu können, etwas aus seinem Leben zu machen oder auch zu scheitern, ist uns schon lange selbstverständlich geworden. Und dieses Bedürfnis, sich zu entscheiden, dieses Bedürfnis, etwas von der Welt zu sehen und auch die eigenen Erfahrungen zu machen, ist uralt. Schon Jesus hat gewusst, dass Menschen Freiheit und eigene Erfahrungen brauchen. Schon Jesus hat gewusst, dass Menschen unterschiedliche Wege gehen. Und es ist ein besonderes Kennzeichen unseres Glaubens, dass Gott uns zwar seine Gebote gibt, aber wir trotzdem Freiheit haben und Erfahrungen machen können. Heute an diesem Sonntag hören wir von zwei verschiedenen Menschen, die unterschiedliche Wege zum Glück eingeschlagen haben. Da hat einer seine Aufgaben zu Hause gemacht und der andere hat das Abenteuer gesucht. Hören wir das bekannte Gleichnis vom verlorenen Sohn, wie es geschrieben steht im Evangelium nach Lukas:
(Lesung des Predigttextes)
Konsequenzen der Entscheidung
Das Ergebnis ist bekannt. Der eine ist gescheitert, der andere hat seine Pflicht getan. Es ist ein Gleichnis. Von Gott und seinen Geboten. Es ist ein Gleichnis von Barmherzigkeit aber nicht von Bequemlichkeit. „Gib, mir Vater, das Erbteil, das mir zusteht.“ Er hat es bekommen. Auf seinen Wunsch und seine Verantwortung hin. Da ist nichts von Vorschriften und Vorhaltungen zu spüren. Der Vater lässt den Sohn los.
Das ist ja selbst heute nicht leicht. Zulassen, dass Kinder und Freunde ihre eigenen Erfahrungen machen. Oft kostet es Kraft, andere ihren Weg gehen zu lassen. Der Sohn hat seine Erfahrungen gemacht. Er ist gescheitert. Alles war weg. Hab und Gut, Freunde und Arbeit. Er hat aber nicht anderen geschadet, sondern sich selbst. Das ist ja auch heute eine wichtige Entscheidungshilfe, dann, wenn andere ihren Weg gehen wollen. Dass sie anderen nicht schaden. Der Mann war am Ende. „Und er begehrte, seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Säue fraßen und niemand gab sie ihm.“ Tiefer konnte er nicht fallen.
Jetzt kam die Erinnerung an den Vater. Die Erinnerung an die Vergangenheit ist entscheidend. Weil die Geschichte eben nicht vergessen ist, sondern immer noch das Leben prägt. Nicht nur im persönlichen Leben, sondern auch in der Geschichte eines Landes. Frühe Erfahrungen wirken sich im Leben aus. Ob man sich auf andere verlassen kann, ob sie zu einem stehen. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn ist ein Gleichnis von Gott, dem Glauben und den Geboten. Der Sohn erinnert sich an den Vater. Dass er dort hatte, was er brauchte. Dass er dort wenigstens nicht hungern müsste als Tagelöhner, der seine Aufgabe und sein Auskommen hat. Der Sohn ist wieder zurückgekehrt.
„Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße.“ Es war ihm klar, dass er an seiner Situation selbst Schuld hatte. Und nicht die Schuld abwälzen konnte. Selbsterkenntnis. Damit tun sich viele heute schwer. Bequemer ist es, die Schuld am Scheitern bei anderen zu suchen. Bei den Lehrern, in der Schule , bei der Gesellschaf, in der allgemeinen Ungerechtigkeit und Chancenlosigkeit. Er dagegen hat sein Versagen erkannt. Es kostet immer Kraft und Überwindung, dann wieder den ersten Schritt zu machen. Forderungen hat der Sohn keine gestellt. Ein Gleichnis, welches auch ein Beispiel für heute ist, das Orientierung gibt. Haben wir ein Versagen unsererseits erkannt, kostet es auch uns Anstrengung und Überwindung zurückzukehren. Gott lässt Menschen Freiheit. Unser Gott setzt auf Erfahrung und Überzeugung.
Derzeit ist wieder die Sonntagsruhe im Gespräch und vor Gericht, weil in Berlin alle Adventssonntage zum Verkauf geöffnet werden sollen. Dabei ist anscheinend den verantwortlichen Politikern nicht mehr klar, dass sie Advent und Weihnachten dem christlichen Glauben verdanken und deshalb auch deren tiefere Bedeutung von Ruhe und Besinnung schützen müssten. Aber auch das gehört zur Freiheit des Glaubens, dass Erfahrungen gemacht werden dürfen. Vermutlich wird wieder die Zeit der Besinnung und damit der Umkehr kommen, wenn diese Menschen merken, dass verkaufsoffene Sonntage nicht mehr Umsatz, sondern mehr Stress, Streit und Kosten bedeuten. Sie werden sich dann wieder nach dieser Besinnung und Ruhe sehnen.
Mut zur Umkehr
Der Sohn ist umgekehrt. Der Vater hat ihn wieder aufgenommen. Vor Gott ist es für keinen Menschen zu spät. Einer ärgert sich trotzdem, der ältere Bruder. Das würde doch vielen genauso gehen. Immer anständig und aufrichtig, und dann bekommt noch der Sohn ein Fest, der alles durchgebracht hat. Diese Ungerechtigkeit schreit zum Himmel. Der Bruder beklagt sich. Auch das ist ein Kennzeichen unseres Glaubens. Wir brauchen nicht immer ergeben und ehrfürchtig zu sein, sondern können uns beklagen. Auch bei Gott. Über die Ungerechtigkeit. Der Vater klärt ihn auf und tröstet ihn: „Alles, was mein ist, ist dein.“ Und hätte er wirklich all die Zeit mit seinem Bruder tauschen wollen? Umkehr und Einsicht. Darauf kommt es an. Die Freiheit, uns zu entscheiden haben wir. Gott sei Dank! Was aber ist dann besser? Zuverlässigkeit oder Abwechslung, Pflicht oder Party? Der jüngere bekommt ein Fest, der ältere regt sich auf. Es sind diese zutiefst menschlichen Regungen, die Gott eben nicht verurteilt, sondern wofür er Verständnis hat. Das ist die wahre Menschlichkeit unseres Glaubens. Weil für Gott wir Menschen wichtig sind. Was ist besser? Bestimmt war der ältere Sohn die Jahre über besser dran, er hat die Nähe zum Vater, zu Gott nie verloren. Sicher ist, dass wir unsere Entscheidungen für unser Leben treffen können. Wie es auch immer ausgeht: Für Gott sind unsere Entscheidungen nicht endgültig. Er macht unser Leben endgültig gut. In Ewigkeit.
Amen.