Gemeinsam auf dem Weg

In meiner Taufe wird anschaulich, zu wem ich gehöre

Predigttext: Matthäus 28, 16 - 20
Kirche / Ort: Aachen
Datum: 19.07.2009
Kirchenjahr: 6. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Manfred Wussow

Predigttext

Matthäus 28,16-20 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984) 16 Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. 17 Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten. 18 Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. 19 Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes 20 und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.

Exegetisch-homiletische Vorüberlegungen

Mt. 28,16-20 ist Höhe- und Endpunkt des Mt.-Ev. Viele Fäden, die im Ev. ausgelegt sind, finden sich in diesem Text verknüpft, der noch einmal und nicht mehr zu überbieten die universale Bedeutung von Person und Werk Jesu sichtbar werden lässt. Der Auferstandene spricht mit Vollmacht seine Jünger an, beauftragt sie und schenkt ihnen die Verheißung seines „Bei“seins. Schon die alttestamentlichen Segenszusagen gipfeln im „Mitsein“ Jahwes. Motivgeschichtlich spielt der Berg bei Mt. eine belangreiche Rolle: auf ihm werden Jesus alle Reiche der Welt versprochen, wenn er vor dem Versucher niederfällt und ihn anbetet (4,8f.) – auf ihm hält Jesus in göttlicher exousia (7,29) die „Bergrede“ („ich aber sage euch“) – und schließlich wird Jesus auf dem Berg verklärt und als der „geliebte Sohn“ proklamiert (17). Das Hören auf ihn wird geradezu steigernd und vertiefend inszeniert. Wem „alle Gewalt im Himmel und auf Erden“ gegeben ist, hat auch das letzte Wort. Gleichzeitig beschreibt Mt. den Weg des Evangeliums von Galiläa bis in die ihm nicht einmal vertrauten Enden der Erde. In 15,24 – also mittendrin – wird von Jesus noch das Wort überliefert: „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel“. Schauen wir auf die Jünger, sehen wir sie in anbetender – und doch auch zweifelnder – Haltung. Dabei ist die Proskynese auch sonst im Ev. Huldigung und Anbetung zugleich: Nach 2,11 wird schon dem neugeborenen Kind die Anbetung der Magier zuteil und nach dem Seewandel fallen die Jünger vor Jesus auf die Knie, um zu bekennen: „Wirklich, du bist Gottes Sohn“ (14,33). Dass hier auch der Zweifel eingeräumt wird, wenn auch auf „einige“ beschränkt, hat in dieser letzten Szene eine besondere Bedeutung. Seitdem gibt es eine Verbindung von Anbetung und Zweifel. Was den Zweifel ausmacht, wird hier nicht verraten. Nur: dass Jesus herzutritt und zu seinen Jüngern spricht. In seinem Wort erweist er sich als der Vertraute. Fragen zur Identität stellen sich jetzt nicht mehr. V. 18b „Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden“ korrespondiert 11,27: „Alles ist mir von meinem Vater übergeben…“ So konturiert, führt das Wort in einen christologisch-kosmologischen Herrschaftsraum „nach“ der Auferstehung Jesu. Die Macht Jesu ist Gegenbild der Macht des Teufels (4,8f.), ohne Potenzierung und Verabsolutierung in weltlicher Macht und Gewalt. Die Macht des Menschensohn wird in seinem Dienst deutlich, der in 20,28 formuliert wird: Er ist nicht gekommen, „sich dienen zu lassen, sondern zu dienen, indem er sein Leben gibt als Lösegeld für viele“. Dieses Dienen verbindet sich mit dem Wort, das den Jüngern anvertraut wird. Nur auf diesem Hintergrund wird auch der sog. Missionsbefehl deutlich. Auffällig ist die trinitarische Weite, die den Missionsbefehl umschließt. Der Auftrag des Auferstandenen, „alle Völker zu Jüngern zu machen“, realisiert sich in der Taufe, die – bei Mtl. nicht im, sondern- „auf“ den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes erfolgt. Die älteren Taufformeln bekommen hier ihre vollendete Form. Nur in dem in der Kraft des Heiligen Geistes geschehenen Wirken des Vaters wird Jesus als der Sohn und als die heilvolle Gegenwart Gottes – und Macht - erkannt. Mt. kann in der Komposition des letzten Stückes auf drei – teils explizit, teils implizit – trinitarisch strukturierte Texte zurückgreifen: 3,13-17; 11,25-27 und 16,13-17. So sieht Mt. eine neue Jüngerschaft wachsen, die bis an die Enden der Erde in dem Geheimnis des dreieinigen Gottes verwurzelt ist. Die Jünger, die Jesus berief (4,18-22), werden als Zeugen seiner Auferstehung mit der Aufgabe betraut, „hinzugehen“ und zu Jüngern zu machen „alle Völker“. Am Ende des Evangeliums klingen die universale Ausrichtung der Sendung und die trinitarische Weite Gottes zusammen. Dieser Klang wird in der Taufe hör- und sagbar. Dass der Missionsbefehl an vielen Orten und zu vielen Zeiten missbraucht wurde, wird im homiletischen Gedächtnis aufbewahrt werden. „Alle Gewalt“ verwandelt sich in menschlicher Hand zur Tyrannei, wenn nicht Gott in seiner trinitarischen Schönheit Garant und Advokat der Weite ist. In dem Jesus-Wort „lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe“, wird die Taufe mit einem Leben verbunden, dass sich an Jesus orientiert. Für Mt. ist diese praktische, dynamische und lebendige Seite auch sonst in seinem Ev. wichtig: Mt. lässt die Bergpredigt Jesu ausklingen mit dem Wort: „Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute“ (7,24). Jesus bindet seine Jünger – auch die, die erst noch gewonnen werden – an seine Weisung, so wie es Jahwe gegenüber seinem Volk getan hat. Jesu Autorität ist nicht abgeleitet, eingegrenzt oder unter Vorbehalt zu sehen. Für die Kirche bedeutet das, immer in der Schule Jesu zu sein. Gegen alle – möglichen – Orthodoxien geht es um das „Halten“ der Gebote. Das relativiert selbst die größten Wahrheitsansprüche. Der – auch trinitarisch gefasste – Auftrag Jesu wird von einer ebenso universalen und weiten Zusage beschlossen und in Kraft gesetzt. Schon in 1,23 wird Jesus als „Immanuel“, als „Gott mit uns“ erwartet. Am Ende wird der Immanuel dann offenbar. Aus dieser Fülle des Ev., die in dem kurzen Schlussteil des Ev. noch einmal geballt sichtbar wird, eine Predigt zu stricken, ist nicht einfach. Obwohl es in dem Text von „alles“ nur so wimmelt („alle Gewalt“, „alle Völker“, „alles halten“), wird die Predigt sich mit einem „nur“ begnügen müssen, um nicht „alles“ zu verlieren. Als Lieder empfehlen sich Oster-, Himmelfahrts- und Tauflieder. Am schönsten ist natürlich, an diesem Sonntag auch eine Taufe zu feiern und, wenn das in der Ferienzeit nicht möglich ist, wenigstens mit der ganzen Gemeinde, am Taufbecken versammelt, eine Tauferinnerung.

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Predigt

Mitten in den Ferien

Glanzlos kommt der 6. Sonntag nach Trinitatis daher. Es ist zwar Ferienzeit, aber Feste werden nicht gefeiert. Dass gerade dieser Sonntag Erinnerungen beflügelt, alte Geschichten erzählt und neue hinzufügt – dafür muss man schon einen zweiten Blick riskieren. Worauf er wohl fällt? Eine kleine Überraschung – der Blick fällt auf meine Taufe! Nicht dass Sie jetzt abwinken – Sie können doch auch sagen: meine Taufe. Das verbindet. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass Menschen eigentlich nie über „die“ Taufe reden? Aber oft über die Taufe von … Dann werden zärtlich Namen genannt, schöne Feiern geplant, Kerzen gebastelt und Einladungen geschrieben, Fotos gemacht und und und. Am Tag danach werden die Bilder dann im Kollegenkreis herumgereicht oder beim zweiten Frühstück – und kommentiert. Wirklich: ein großer Tag. Alle waren da! Sogar das Wetter spielte mit. Und der Kleine, die Kleine war so süß. – Schade, über die eigene Taufe wird kein Wort verloren. Ist sie weg? Verschwunden mit der Zeit, die alles frisst? So sieht der 6. Sonntag nach Trinitatis dann auch ein wenig zurückgeblieben aus – wenn es nicht den zweiten Blick gäbe: den Blick auf meine Taufe.

Gipfeltreffen

Noch höher kann es gar nicht gehen. Dass ich getauft werden konnte, wurde auf einem Gipfeltreffen beschlossen. Teilnehmer: der Auferstandene – und seine Jünger. Gipfeltreffen ist vielleicht nicht das richtige Wort – wenn wir an gleichberechtigte Partner denken. Der Anteil der Jünger an diesem Treffen ist, Jesus zu treffen – und ihm zuzuhören. Wenn ich aber daran denke, wie groß das Zutrauen Jesu in sie ist, komme ich aus dem Stauen nicht heraus. Sie wissen gar nicht, wovon ich rede? Entschuldigung. Hören Sie die Geschichte.

(Lesung des Predigttextes)

Tatsächlich. An höchster Stelle wird der Beschluss über meine Taufe verkündigt. Gerahmt von den Worten Jesu, das ihm alle Macht im Himmel und auf Erden verliehen ist, mehr noch, dass er bei uns ist, bis die Welt ohne neuen Tag ist. Das „siehe“ lässt aufhorchen. Der, der den Tod überwand, lässt sich von keiner Grenze halten. Nicht von der Grenze zwischen Tod und Leben, nicht von der Grenze zwischen Himmel und Erde, auch nicht von der Grenze zwischen Welt und Gott. Ihm ist alles anvertraut. Ich auch. Hier spricht der Herr. Was er zu sagen hat, ist ebenso einfach wie großartig. „Gehet hin“, „gehet hin in alle Welt“.

Die Jünger haben sich auf den Berg begeben. Hier werden sie Jesus treffen. Seit ihrer letzten Begegnung ist viel geschehen. Sie haben ihn im Stich gelassen, als er gehängt wurde. Alles, was sie von ihm gehört hatten, war auf einmal nichts mehr wert. Ihre Hoffnungen – im Nu zerstoben. Als er von den Toten auferstanden war, sucht er ihre Nähe. Wie lange haben sie ihn nicht gesehen? Tage? Wochen? Die Zeit zieht sich zusammen. Am Ende läuft sie auf diesen Berg zu. Genauer: auf diese Begegnung. Auf die Begegnung mit dem Auferstandenen. Matthäus erzählt sogar, dass einige Jünger fremdeln – ist er es überhaupt, dem sie im Leben gefolgt sind? Wie stehen sie jetzt da? Was sollen sie denn sagen? Wenn Zweifel überwunden werden sollen, muss die vertraute Stimme, das verlässliche Wort, die große Liebe zu ihnen kommen. Das macht dieses Gipfeltreffen aus. Hier oben auf dem Berg, der in keiner Karte verzeichnet ist, dessen Namen im Dunkel bleibt, der von mir nicht erklommen werden kann. Jesus spricht seine Jünger an. Matthäus gewährt uns eine kleine Audienz. Ist es Zufall oder Absicht, dass mir die Rolle des Zaungastes nicht steht? Als ich getauft wurde, kamen diese Worte zu mir: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“. Ohne große Worte, unaufdringlich: Ich gehöre zu dieser Geschichte, sie zu mir.

Meine Taufe

Im Evangelium ist diese Geschichte Ziel- und Endpunkt. Alles, was Matthäus von Jesus erzählt, wartet auf diesen Schluss. Matthäi am Letzten. Früher sagte man das so – und meinte das letzte Kapitel bei Matthäus. Übrigens: Das letzte Kapitel bei Matthäus ist das Evangelium von Ostern. Landläufig wird “Matthäi am Letzten“ eher als trauriger Schluss verstanden: Es geht nicht mehr weiter. Ende. Tatsächlich folgt der Geschichte hier oben auf dem Berg nichts mehr. Nach „Siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende“ kommt nur noch ein Punkt. Es ist ein kunstvoller Punkt – ein Punkt, der eine ganz neue Geschichte freisetzt. Und was für eine! Meine!

Unterstellt, Jesu Auftrag, „geht hin in alle Welt“ sei nicht ins Leere gesprochen, muss hier geradezu eine weltbewegende Geschichte ihren Anfang nehmen. Ich könnte jetzt – auch – von den schrecklichen Situationen erzählen: Völker wurden unterworfen, Menschen zwangsmissioniert – und die Taufe missbraucht. Zu beschönigen ist da auch nichts. Aber klarzustellen. Ich denke an die befreiende Kraft, die in Jesu Worten steckt: Dass er die Macht hat, nicht die selbst ernannten oder nach oben gelobten Herren dieser Welt – dass er die Welt nicht aufgibt, ihr aber bis zuletzt verbunden bleibt in der Liebe – und dass er seinen kleinen Jüngerkreis so groß macht, das auch ich Platz in ihm habe. Ich wage den Gedanken kaum auszusprechen: In meiner Taufe wird anschaulich, zu wem ich gehöre. Auch, wer ich bin. Wer mich angenommen hat. Wer mich – liebt. Das ist eine, das ist meine ganz große Geschichte!

Wort halten

Wie die Jünger wohl reagiert haben? Matthäus erzählt, dass sie auf die Knie gehen. Einige durchaus zweifelnd. Ich frage mich aber, ob sie dann aufstehen oder in der unterwürfigen Haltung bleiben. Wer gehen soll, muss aufstehen! Schließlich will Jesus, dass seine Jünger gehen – sogar „in alle Welt“. So wenig Leute – und eine so große Aufgabe. Abgezählt an etwas mehr an zwei Händen – ein unmögliches Unterfangen. Aber in einem größeren Kreis wird die Welt immer kleiner. Ich sehe, wie die letzte Szene über sich hinauswächst. Die ersten Jünger werden auf dem Berg zu Vertretern einer großen Gemeinschaft, die nationale, sprachliche und intellektuelle Grenzen überschreitet, mit nichts anderem im Gepäck – und Herzen – als Jesu Lehre. In der Bergpredigt heißt es:

Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.
Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.
Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.
Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.

Nein, glanzlos ist dieser 6. Sonntag nach Trinitatis nicht. Er beflügelt Erinnerungen, lässt alte Geschichten lebendig werden und fügt neue hinzu. Ich will nachher mal nachschauen, wann ich getauft wurde. Vielleicht gibt es auch noch alte Bilder. Mal sehen. Etwas weiß ich: Ich bin nicht allein. Ich bin auch nicht allein unterwegs. Ich habe Jesu Versprechen. Es ist gut, wenigstens aus der Ferne dabei gewesen zu sein – als Jesus auf dem Gipfel war. Ich sehe die Jünger in der Ferne. Der Zweifel ist mir vertraut. Aber über der Welt liegt jetzt ein eigentümlicher Glanz. Sie wird nicht ihrem Schicksal überlassen, auch nicht fremden Herren ausgeliefert – der, der Tod überwand, hat ein gutes letztes Wort für sie. Mehr noch: eine Perspektive, die mehr hält als man ihr zutraut. Die Perspektive, ausgehalten, getragen, verändert zu werden. Dafür braucht Jesus Jünger. 12+! Dann freue ich mich, mit Ihnen gemeinsam auf dem Weg zu sein. Jesus sagt:

„Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“

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