Fülle
Jesus will, dass die Menschen im Vertrauen auf Gottes Güte als Geschwister miteinander leben
Predigttext
Johannes 6,1-15 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984) 1Danach fuhr Jesus weg über das Galiläische Meer, das auch See von Tiberias heißt. 2 Und es zog ihm viel Volk nach, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat. 3 Jesus aber ging auf einen Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern. 4 Es war aber kurz vor dem Passa, dem Fest der Juden. 5 Da hob Jesus seine Augen auf und sieht, daß viel Volk zu ihm kommt, und spricht zu Philippus: Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben? 6 Das sagte er aber, um ihn zu prüfen; denn er wußte wohl, was er tun wollte. 7 Philippus antwortete ihm: Für zweihundert Silbergroschen Brot ist nicht genug für sie, daß jeder ein wenig bekomme. 8 Spricht zu ihm einer seiner Jünger, Andreas, der Bruder des Simon Petrus: 9 Es ist ein Kind hier, das hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische; aber was ist das für so viele? 10 Jesus aber sprach: Laßt die Leute sich lagern. Es war aber viel Gras an dem Ort. Da lagerten sich etwa fünftausend Männer. 11 Jesus aber nahm die Brote, dankte und gab sie denen, die sich gelagert hatten; desgleichen auch von den Fischen, soviel sie wollten. 12 Als sie aber satt waren, sprach er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrigen Brocken, damit nichts umkommt. 13 Da sammelten sie und füllten von den fünf Gerstenbroten zwölf Körbe mit Brocken, die denen übrigblieben, die gespeist worden waren. 14 Als nun die Menschen das Zeichen sahen, das Jesus tat, sprachen sie: Das ist wahrlich der Prophet, der in die Welt kommen soll. 15 Als Jesus nun merkte, daß sie kommen würden und ihn ergreifen, um ihn zum König zu machen, entwich er wieder auf den Berg, er selbst allein.Zum Predigttext
Die Speisungsgeschichte ist auch bei den Synoptikern überliefert. Bei Markus sogar zweimal, einmal mit 5000 Hungrigen das 2.Mal mit 4000, für die 7 Brote statt 5 wie in den übrigen Überlieferungen und „etliche Fischlein“ zur Verfügung stehen, und dann werden auch „nur“ 7 Körbe Reste gesammelt statt 12, wie in den anderen Überlieferungen. Diese Häufung der Überlieferung zeigt ja auch, daß das Thema Jesus und Brot, Glaube und Nahrung für Leib und Seele bis heute ein Zentralthema der Menschheit ist und auch in der jüdisch-christlichen Religion eine zentrale Rolle spielt. Die Verse 1-4 sind Orts-und Zeitangaben, Dramaturgie, die ein wichtiges Geschehen vorbereitet. V.1: „Danach“ fuhr Jesus weg. Was meint „danach“? Nach der Heilung des Kranken am Teich Bethesda oder nach der aufgeregten Diskussion mit den Gegnern Jesu um die Sabbatheilung? V.2: „viel Volks zog ihm nach, weil es die Wunder gesehen hatte, die er an den Kranken tat.“ Das war offensichtlich nicht die Wirkung seiner Auseinandersetzung mit seinen Gegnern, sondern weil die Menschen die Wunder gesehen hatten. Den dauernden Zulauf des Volks hält auch der See nicht auf. V.3: „Jesus ging auf den Berg.“ War er der Menschen müde? Er sucht sicher auf dem Berg die Nähe Gottes. Daß die Menschen in Scharen kommen, hat er nicht veranlaßt. Sie zieht die Erwartung eines events. Der Evangelist Johannes kommentiert diese Haltung nicht. Es gibt keine negative Beurteilung dieser allzumenschlichen Eigenschaft. V.4: „Es war aber nahe Ostern, der Juden Fest(Passah). Der Evangelist Johannes will hier wohl schon auf die Geschichte des Himmelsbrotes, Manna in der Wüste, hinweisen. V.5: beginnt die eigentliche Wunderhandlung mit der Frage Jesu an Philippus. Es ist aber eine Scheinfrage, wie in V.6 ausdrücklich hinzugefügt wird, und die das Paradoxe des Wunders deutlich machen soll. V.7: Dem dient auch die Antwort des Philippus, durch die dem Leser die gewaltige Menge, die Hunger hat, zum Bewußtsein gebracht wird. V.8+9: Andreas, der andere mit Namen genannte Jünger, drückt nochmals die menschliche Ratlosigkeit aus: 5 Brote und 2 Fische für 5000 Mann? Keiner der Jünger denkt an ein Wunder, obwohl sie ja gerade vorher eins mit Jesus erlebt hatten! V.10+11: Das Wunder selbst wird nur indirekt erzählt. Es wird von einem Befehl Jesu berichtet, der zunächst ziemlich sinnlos erscheint, damit aber die Spannung erhöht. Die Menge gehorcht und lagert sich im Gras. Es waren 5000 Mann. Ohne Pathos wird berichtet, wie Jesus die Brote und Fische verteilt. V.12+13: Die Größe des Wunders wird zum Bewußtsein gebracht, indem etwas noch Wundersameres berichtet wird: Die Reste füllen nochmal 12 Körbe! Es ist noch mehr übrig, als ursprünglich zur Verteilung zur Verfügung stand! Von Mangel keine Spur. V.14+15: Sie erzählen von den Folgen des Wunders. Die Menschen erkennen durch das Wunder, wer Jesus ist: Der Prophet, der in die Welt kommen soll. Das Wunder zwingt die Menschen zum Bekenntnis, zur Stellungnahme für oder gegen den Offenbarer. Die Menge mißversteht das Wunder und will Jesus zum messianischen König machen. Daß er der Messias ist, verstehen die Menschen schon richtig, aber daß er kein politischer Führer sein will, geht über ihren Erkenntnishorizont. Hier will wohl der Evangelist Johannes den Protest gegen die alte Eschatologie und Messianologie darstellen.Anspruch – Ansprechendes des Textes
- „Brot“ ist ein großes religiöses Symbol, ein Lebensmittel, das ein Grundnahrungsmittel der Menschheit ist. Wasser und Brot wird sogar Gefangenen zugestanden.
- Jesus sieht die hungrigen Menschen, nicht nur den Hunger nach seelischer Speise, er nimmt auch den körperlichen Hunger wahr. Bei ihm sind Leib und Seele, Körper und Geist eine Einheit.
- Mich hat die sorglose Haltung der Menge beeindruckt, wie sie in kindlichem Vertrauen zusehen, daß sie zu Jesus kommen, ohne daß von Lebensmittelmitnahme berichtet wird.
Predigt
Liebe Gemeinde!
Allen Menschen soll es gutgehen. So ist unsere Wunschvorstellung. Aber freuen sich auch alle, wenn es genug zu essen, auskömmlich zu leben gibt für alle? Der Schriftsteller Josef Reding hat den „chor der getreide-grossisten auf die nachricht von der wunderbaren brotvermehrung“ folgendermaßen bedichtet:
werft gift ins korn!
der brotpreis sinkt.
getreide türmt sich zu gebirgen.
bald gibt es brot für jedermann
auch in den Ländern nebenan
auch in den Ländern hintendran.
der brotpreis sinkt!
werft gift ins korn!
werft gift ins korn!
der brotpreis sinkt!
man kann sich hemd und hose leisten.
in madras werden alle satt
in recife man nahrung hat
zum erstenmal an hungers statt.
der brotpreis sinkt.
werft gift ins korn!
werft gift ins korn!
der brotpreis sinkt.
der brotkorb hängt in mundesnähe.
wer hat dem volk das brot vermehrt
und uns den preisauftrieb gestört?
warum wird er nicht abgewehrt?
der brotpreis sinkt.
werft gift ins korn!
Mängel verwalten oder Anteil an Fülle geben
So wird es wohl auch zu Jesu Zeiten gewesen sein, daß der argwöhnisch von den Herrschenden und Besitzenden, den Tonangebenden in der Gesellschaft beäugt worden ist, der die Armen mit Brot versorgt. Wer Menschen ernähren kann, wer Macht über das Brot hat, lebt gefährlich. Denn da stellt sich die Machtfrage, und Revolutionen brechen aus, wenn das Volk nichts zu essen hat. Wer Menschen satt machen kann, wer ihre Bedürfnisse erkennt, wer den Hunger, und nicht nur den leiblichen, sondern auch den seelischen Hunger nach Anerkennung, nach Gerechtigkeit, nach Liebe erkennt und verspricht, dem abzuhelfen, der wird zum König oder Präsidenten gewählt. Daß das eine Falle ist, erkennt Jesus. Denn ein politischer Herrscher ist immer ein Mangelverwalter. Und es ist schon fast rührend, wenn Minister dem Parlament vorrechnen, was man sich noch leisten kann und was nicht, wo man einsparen muß, und wo man noch Schulden machen kann. Auch der Hoffnungsträger Obama muß Abstriche am Sozialbudget machen. Alle Politiker sind Mangelverwalter, in reichen wie in armen Ländern. Es gibt immer von allem zu wenig. Gott ist aber der Schöpfer und Herr der Fülle. Die lebendige Schöpfung ist der Ausdruck dieser Fülle. Aber die menschliche Verwaltung, die sich mit Egoismus und Habgier dieser Schöpfung bemächtigt, hat auch dort schon zu Mangelerscheinungen geführt. Stichworte sind Artensterben, Verödungen von Landschaften, Ernährungsproblemen und Hunger ganzer Völker. Gott und Jesus sind die Herren der Fülle. Darum ist Jesus nicht in die Politik gegangen, weil er dort nur ein Mangelverwalter geworden wäre.
Sorglose kindliche Haltung
Die Speisung der 5000 wird vom Evangelisten Johannes ganz unaufgeregt erzählt. So wie er erzählt, wie Jesus mit seinen Jüngern durchs Land zieht. Sich den Menschen zuwendet, sie ansieht, ihre Lebenslage erkennt. Ihre Freude, ihre Not. Er erzählt ihnen von Gott, von der Fülle an Leben, die es da gibt. Und in seinem Umkreis wird deutlich, was Jesus meint: Menschen werden gesund, Hungrige werden satt und den Armen wird das Evangelium gepredigt. Die Menschen laufen Jesus nach, vielleicht weil sie noch mehr wunderbares erleben wollen, und dabei haben sie vergessen, für sich zu sorgen. Von Therapeuten bekommen Ratsuchende heute gesagt: “Du mußt für dich sorgen. Die Erfahrung ist: Andere tun es nicht. Du brennst aus in deiner Bemühung um andere, zumal in sozialen Berufen. Denk an dein Lebensbrot! Geh rationell damit um!“ Die Menschen damals liefen Jesus nach und hatten die Sorge um sich vergessen. Wahrscheinlich war insgeheim das Urvertrauen da, er wird schon für uns sorgen. Diese sorglose kindliche Haltung wünsche ich mir, wenn die Sorgen einen ins Hamsterrad zwingen wollen. Jesus weiß schon, was er tun will. Die Frage an Philippus: „Wo kaufen wir Brot?“ ist eine Scheinfrage, die nur das Problem benennen will. Und Andreas, fast wie ein Politiker, hat schon aufgelistet, was vorhanden ist: fünf Gerstenbrote und zwei Fische. Und die alte Frage im Parlament: Was ist das unter so viele? Immer sind die Budgets zu klein, egal welches Ressort.
Vertrauen macht Unmögliches möglich
Jesus gibt erst mal den Auftrag, die Menge Menschen in überschaubare Gruppen einzuteilen. Bedürftig sind alle, aber die Verteilung muß organisiert werden. Jammern hilft nicht. Und Jesus nimmt, was vorhanden ist. Er zaubert nicht aus dem Nichts. Und er dankt dafür. Und gibt denen, die sich gelagert hatten, also Leuten, die hoffnungsvoll die Stellung eingenommen hatten, die Jesus angeordnet hatte. Und genauso bekommen sie von den Fischen. Das Wunder geschieht: Alle werden satt. Es ist eine un-mögliche Geschichte, aber sie erzählt vom großen Vertrauen zu Jesus und was da möglich ist. Dann ordnet Jesus noch das Reste-Einsammeln an, und siehe da: Es sind noch mehr Reste da, als ursprünglich überhaupt zur Verteilung vorhanden war. Resteverwertung in unserer Wegwerfgesellschaft! Mit den Restekörben wird den Menschen nochmal die Größe des Wunders vor Augen geführt, und die Menschen erkennen, mit wem sie es zu tun haben. Hier endet auch ihr kindliches Vertrauen.
Nun wollen sie Jesus zum politischen Führer machen. Sie wollen für alle Zeiten abgesichert sein. Einer, der prophetische Qualitäten hat, ist die richtige Führungskraft. Die Sehnsucht nach dem starken Führer gabs zu allen Zeiten. Aber Jesus wird weiter s e i n e n Weg gehen. Er will, daß die Menschen im Vertrauen auf Gottes Güte als Geschwister miteinander leben und nicht sich Führer wählen, von denen sie Wunder erwarten. Auch das war eine Ent-Täuschung der Menschen, die Jesus in ein bestimmtes Muster zwängen wollten. Und vielleicht haben manche, die das Brotwunder miterlebt hatten, dann später: „Kreuzige ihn!“ geschrieen. Wir lassen uns im Vertrauen, satt zu werden, an seinen Tisch rufen, der Tisch, an dem Fülle herrscht, wo alle satt werden und wo sich die geschwisterliche Menschheit versammelt.
Amen.