Im Übermaß ausgestattet
Gott setzt Erwartungen in die Menschen und schaut irgendwann nach, ob sie diese Erwartungen erfüllen, aber Gott geht nicht in einer berechenbaren Formel auf, sondern kommt den Menschen in Gnade und Barmherzigkeit entgegen
Exegetische und homiletische Vorbemerkungen
Die Geschichte hat ihre Ecken und Kanten, die nicht verschwiegen werden dürfen. Ich habe deshalb dem nacherzählenden Gang durch das Gleichnis zwei Abschnitte vorangestellt, die zum einen ein klein wenig Gleichnistheorie vermitteln, zum anderen die Erkenntnis zu vermitteln suchen, daß die Interpretation von solchen Gleichnissen abhängig ist von unserem Vorverständnis. Daß die Geschichte hier sehr viele Berührungspunkte zur Gegenwart hat, macht sie besonders spannend. Ich habe mich in der Predigt für die Beispiele Bankenkrise und Castingshows entschieden, weil sie in ganz unterschiedlicher Weise viele Menschen in ihrer Wahrnehmung von Fernsehen, Zeitung und Internet beschäftigen. Theologisch ist die Geschichte deshalb interessant, weil sie vor Augen stellt, daß Gott sich nicht auf Formeln oder Theorien reduzieren läßt. Eben weil das so ist, muß man von ihm Geschichten erzählen – oder Gleichnisse predigen. Eben darum ist es auch wichtig, die Widersprüchlichkeiten im Gottesbild anzuerkennen und zu benennen. Das Gleichnisse steht ja in einer großen Reihe anderer Gleichnisse und Erzählungen Jesu. Wenn nötig, muß dieser Kontext anderer Evangelien herangezogen werden.Predigt
Liebe Gemeinde!
Erster Schritt: Der verschlungene Weg durch das Gleichnis
Wer diese wunderbare Geschichte hört, der nimmt Vertrautes und Ungewöhnliches wahr, der staunt und ist zugleich erschrocken über manche Härte und Unbarmherzigkeit. Die unvoreingenommenen Leser und Hörer erleben ein Wechselbad der Gefühle: heiß und kalt, steil und flach, loderndes Glühen und eisige Kälte. Die aufnahmebereiten Gedanken schweifen arglos ab und konzentrieren sich doch wieder auf den Erzählgang. Der Hörer sieht sich einer komplexen, vielschichtigen Geschichte gegenüber: Gut und Böse sind nur scheinbar klar verteilt. Und wer dieses Gleichnis bis in seine Tiefen verstehen will, der muß es mit aller Aufmerksamkeit mehrfach hören und lesen. Aber genau das, das Unberechenbare, das Außergewöhnliche, das noch nie Gehörte, macht solch ein Gleichnis spannend, interessant und nachdenkenswert. Durch dieses Gleichnis führt kein gerader ebener Weg der Erkenntnis.
Der Prediger Jesus, der den Menschen in Liebe zugetan war, erzählte Gleichnisse, weil er um der bedürftigen Menschen passende Bilder suchte für Gottes Reich und Gottes Herrlichkeit. Solche Bilder fand er nicht in kruden Formeln, abgehobenen Systemen oder Theorien, er fand sie in einfachen Erzählungen. In Jesu Gleichnissen spiegelt sich etwas von der Herrlichkeit des Reiches Gottes, aber das ist keine unmittelbare Umsetzung von göttlicher Wirklichkeit. Gottes Reich ist nicht im Maßstab 1:1 in die Geschichte hinübergerettet. Solche Spiegelungen und Umsetzungen enthalten stets Unschärfen, Verwackelungen und Abblendungen, die es zu beachten gilt. Das gilt im übrigen auch für den Badezimmer-Spiegel. Der Frühaufsteher, der am Morgen die Zähne putzt und sich dabei kritisch im Spiegel beäugt, sieht sich mindestens spiegelverkehrt: Rechts und Links sind vertauscht. Genauso ist es mit den Gleichnissen, die Jesus erzählt. In ihnen spiegelt sich Gottes Reich, aber auf eine indirekte, durch die Sprache der Erzählung vermittelte Weise. Also haben wir den Gang durch das Labyrinth der Gleichniserzählung mit einem Moment des Innehaltens begonnen. Wir wissen: Die Herrlichkeit Gottes strahlt uns nicht unmittelbar entgegen, sondern wir können uns nur aus der Geschichte auf unvollkommene Weise einiges davon erschließen.
Zweiter Schritt: Voreingenommen
Gehen wir einen Schritt weiter in die Gleichnisgeschichte hinein, so merken wir Leser/innen und Hörer/innen, daß wir voreingenommen sind. Wir versuchen, diese Geschichte da einzuordnen, wo sie nach unserer, von einer Informationsflut geprägten Wahrnehmung der Gegenwart hinpaßt. Den meisten von Ihnen und mir auch kam als erstes die Finanzkrise der Banken, Börsen und Großunternehmen in den Sinn. Das paßt doch wie die Aktie an die Börse und wie der Bundesschaftzbrief aufs Wertpapierdepot: Wer ein Risiko eingeht, wird dafür noch belohnt. Und wer sein Erspartes nicht in Aktien oder Investmentfonds anlegt, sondern im Sparbuch, der ist am Ende der Dumme, weil er nie und nimmer einen großen Gewinn einfahren kann. Die ersten beiden Knechte, die ein Risiko eingehen, werden belohnt. Der dritte Knecht, der Totengräber seiner finanziellen Pfunde, wird bestraft. Oder er erhält keine Belohnung, was auf dasselbe hinausläuft. Die Strippenzieher der heutigen Bankenkrise sind auf ihre Weise doch noch ein wenig