Im Übermaß ausgestattet

Gott setzt Erwartungen in die Menschen und schaut irgendwann nach, ob sie diese Erwartungen erfüllen, aber Gott geht nicht in einer berechenbaren Formel auf, sondern kommt den Menschen in Gnade und Barmherzigkeit entgegen

Predigttext: Matthäus 25,14-30
Kirche / Ort: Christuskirche / Karlsruhe
Datum: 09.08.2009
Kirchenjahr: 9. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: PD Pfarrer Dr. Wolfgang Vögele
Predigttext: Matthäus 25,14-30 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984) 14 Denn es ist wie mit einem Menschen, der außer Landes ging: er rief seine Knechte und vertraute ihnen sein Vermögen an; 15 dem einen gab er fünf Zentner Silber, dem andern zwei, dem dritten einen, jedem nach seiner Tüchtigkeit, und zog fort. 16 Sogleich ging der hin, der fünf Zentner empfangen hatte, und handelte mit ihnen und gewann weitere fünf dazu. 17 Ebenso gewann der, der zwei Zentner empfangen hatte, zwei weitere dazu. 18 Der aber einen empfangen hatte, ging hin, grub ein Loch in die Erde und verbarg das Geld seines Herrn. 19 Nach langer Zeit kam der Herr dieser Knechte und forderte Rechenschaft von ihnen. 20 Da trat herzu, der fünf Zentner empfangen hatte, und legte weitere fünf Zentner dazu und sprach: Herr, du hast mir fünf Zentner anvertraut; siehe da, ich habe damit weitere fünf Zentner gewonnen. 21 Da sprach sein Herr zu ihm: Recht so, du tüchtiger und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude! 22 Da trat auch herzu, der zwei Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, du hast mir zwei Zentner anvertraut; siehe da, ich habe damit zwei weitere gewonnen. 23 Sein Herr sprach zu ihm: Recht so, du tüchtiger und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude! 24 Da trat auch herzu, der einen Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, ich wußte, daß du ein harter Mann bist: du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast; 25 und ich fürchtete mich, ging hin und verbarg deinen Zentner in der Erde. Siehe, da hast du das Deine. 26 Sein Herr aber antwortete und sprach zu ihm: Du böser und fauler Knecht! Wußtest du, daß ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, wo ich nicht ausgestreut habe? 27 Dann hättest du mein Geld zu den Wechslern bringen sollen, und wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine wiederbekommen mit Zinsen. 28 Darum nehmt ihm den Zentner ab und gebt ihn dem, der zehn Zentner hat. 29 Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden. 30 Und den unnützen Knecht werft in die Finsternis hinaus; da wird sein Heulen und Zähneklappern.

Exegetische und homiletische Vorbemerkungen

Die Geschichte hat ihre Ecken und Kanten, die nicht verschwiegen werden dürfen. Ich habe deshalb dem nacherzählenden Gang durch das Gleichnis zwei Abschnitte vorangestellt, die zum einen ein klein wenig Gleichnistheorie vermitteln, zum anderen die Erkenntnis zu vermitteln suchen, daß die Interpretation von solchen Gleichnissen abhängig ist von unserem Vorverständnis. Daß die Geschichte hier sehr viele Berührungspunkte zur Gegenwart hat, macht sie besonders spannend. Ich habe mich in der Predigt für die Beispiele Bankenkrise und Castingshows entschieden, weil sie in ganz unterschiedlicher Weise viele Menschen in ihrer Wahrnehmung von Fernsehen, Zeitung und Internet beschäftigen. Theologisch ist die Geschichte deshalb interessant, weil sie vor Augen stellt, daß Gott sich nicht auf Formeln oder Theorien reduzieren läßt. Eben weil das so ist, muß man von ihm Geschichten erzählen – oder Gleichnisse predigen. Eben darum ist es auch wichtig, die Widersprüchlichkeiten im Gottesbild anzuerkennen und zu benennen. Das Gleichnisse steht ja in einer großen Reihe anderer Gleichnisse und Erzählungen Jesu. Wenn nötig, muß dieser Kontext anderer Evangelien herangezogen werden.

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Predigt

Liebe Gemeinde!

Erster Schritt: Der verschlungene Weg durch das Gleichnis

Wer diese wunderbare Geschichte hört, der nimmt Vertrautes und Ungewöhnliches wahr, der staunt und ist zugleich erschrocken über manche Härte und Unbarmherzigkeit. Die unvoreingenommenen Leser und Hörer erleben ein Wechselbad der Gefühle: heiß und kalt, steil und flach, loderndes Glühen und eisige Kälte. Die aufnahmebereiten Gedanken schweifen arglos ab und konzentrieren sich doch wieder auf den Erzählgang. Der Hörer sieht sich einer komplexen, vielschichtigen Geschichte gegenüber: Gut und Böse sind nur scheinbar klar verteilt. Und wer dieses Gleichnis bis in seine Tiefen verstehen will, der muß es mit aller Aufmerksamkeit mehrfach hören und lesen. Aber genau das, das Unberechenbare, das Außergewöhnliche, das noch nie Gehörte, macht solch ein Gleichnis spannend, interessant und nachdenkenswert. Durch dieses Gleichnis führt kein gerader ebener Weg der Erkenntnis.

Der Prediger Jesus, der den Menschen in Liebe zugetan war, erzählte Gleichnisse, weil er um der bedürftigen Menschen passende Bilder suchte für Gottes Reich und Gottes Herrlichkeit. Solche Bilder fand er nicht in kruden Formeln, abgehobenen Systemen oder Theorien, er fand sie in einfachen Erzählungen. In Jesu Gleichnissen spiegelt sich etwas von der Herrlichkeit des Reiches Gottes, aber das ist keine unmittelbare Umsetzung von göttlicher Wirklichkeit. Gottes Reich ist nicht im Maßstab 1:1 in die Geschichte hinübergerettet. Solche Spiegelungen und Umsetzungen enthalten stets Unschärfen, Verwackelungen und Abblendungen, die es zu beachten gilt. Das gilt im übrigen auch für den Badezimmer-Spiegel. Der Frühaufsteher, der am Morgen die Zähne putzt und sich dabei kritisch im Spiegel beäugt, sieht sich mindestens spiegelverkehrt: Rechts und Links sind vertauscht. Genauso ist es mit den Gleichnissen, die Jesus erzählt. In ihnen spiegelt sich Gottes Reich, aber auf eine indirekte, durch die Sprache der Erzählung vermittelte Weise. Also haben wir den Gang durch das Labyrinth der Gleichniserzählung mit einem Moment des Innehaltens begonnen. Wir wissen: Die Herrlichkeit Gottes strahlt uns nicht unmittelbar entgegen, sondern wir können uns nur aus der Geschichte auf unvollkommene Weise einiges davon erschließen.

Zweiter Schritt: Voreingenommen

Gehen wir einen Schritt weiter in die Gleichnisgeschichte hinein, so merken wir Leser/innen und Hörer/innen, daß wir voreingenommen sind. Wir versuchen, diese Geschichte da einzuordnen, wo sie nach unserer, von einer Informationsflut geprägten Wahrnehmung der Gegenwart hinpaßt. Den meisten von Ihnen und mir auch kam als erstes die Finanzkrise der Banken, Börsen und Großunternehmen in den Sinn. Das paßt doch wie die Aktie an die Börse und wie der Bundesschaftzbrief aufs Wertpapierdepot: Wer ein Risiko eingeht, wird dafür noch belohnt. Und wer sein Erspartes nicht in Aktien oder Investmentfonds anlegt, sondern im Sparbuch, der ist am Ende der Dumme, weil er nie und nimmer einen großen Gewinn einfahren kann. Die ersten beiden Knechte, die ein Risiko eingehen, werden belohnt. Der dritte Knecht, der Totengräber seiner finanziellen Pfunde, wird bestraft. Oder er erhält keine Belohnung, was auf dasselbe hinausläuft. Die Strippenzieher der heutigen Bankenkrise sind auf ihre Weise doch noch ein wenig

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