Jedes Leben ist die Fülle an Möglichkeiten
Bestimmen uns Neid, Resignation, Kleinglaube, Faulheit, Vorwürfe - oder entdecken wir, was bei uns wachsen könnte?
Predigt
Liebe Gemeinde!
Du hast keine besonderen Talente? Dann mach was draus! Was, ich habe dich falsch verstanden? Im Gegenteil: Ich stehe dazu: Mach was aus dem, was du angeblich zu wenig oder vielleicht gar nicht hast. Was wendest du ein – aus dem Nichts könne nichts werden, wo gar nichts sei, könne auch nichts wachsen? – Wir werden sehen.
Es geht Jesus ja um den Dritten in dieser Reihe. Wegen der beiden zuerst Genannten hätte er diese Geschichte uns nicht zu erzählen brauchen. Sie haben die entsprechenden Voraussetzungen mitbekommen und können natürlich was draus machen, können etwas aus sich selber machen. Sie haben genug Kapital, damit können sie arbeiten. Wir wissen ja nicht, wie lange der Vermögensanleger verreist war. Jesus wählt als Beispiel den Geldmarkt, das Kapital. Ich weiß nicht, wie lange, gemessen an heutigen Maßstäben und zu besseren Zeiten als in der Wirtschaftskrise, ein Vermögen bräuchte, um sich zu verdoppeln. Die beiden ersten jedenfalls leisten das ihnen Mögliche. Sie werden gewürdigt, bekommen eine größere Verantwortung, steigen auf der Karriereleiter weiter. Mehr muss über sie nicht erzählt werden, damit endet bei ihnen das Interesse dessen, der diese Geschichte erzählt hat.
Die Erzählung zielt auf den Dritten. Er gibt es ja hinterher zu: Ihn regiert die Angst. Uns wird hier eine Art Teufelskreis vorgeführt: Was sein Herr von ihm erwartet, empfindet er als Überforderung. Und weil er sich überfordert fühlt, bestätigt er genau die Vorurteile seines Herrn ihm gegenüber: Er hat ihm ja von vornherein nur ein Achtel des Gesamtvermögens anvertraut. Sein Herr traute ihm weniger zu, genau so reagiert er jetzt: „Ich weiß, du bist ein harter Mensch, erntest, wo du nicht gesät hast, sammelst, wo du nicht ausgestreut hast“. Der Schluss klingt brutal: „Den faulen Knecht werft in die äußerste Finsternis, dort wird sein Heulen und Zähneklappern“. Da wird uns der freundliche, liebevolle Jesus fremd. Ich lese die Gerichtsandrohungen aus dem Munde Jesu aber inzwischen anders: „Wenn du nichts aus dir gemacht hast, dann wundere dich nicht, wenn dir dein Leben am Ende leer, unerfüllt erscheint. Wer sein Leben nicht gelebt hat, dem kann am Ende wirklich zum Heulen und Zähneklappern zumute werden“. Ich trage durchaus das Bild von so jemandem als Beispiel in mir: Jedes Mal, wenn ich ihn sehe, habe ich den Eindruck, er lebt mit der Null-Perspektive: Irgendwie werde ich dieses verdammte Leben schon herumbringen! Es lohnt keine Mühe, keine Anstrengung! Dabei denke ich überhaupt nicht, dieser Mensch hätte überhaupt keine Talente. Er vergeudet seine Tage, bringt sein Leben irgendwie herum. Soll ich das Unfähigkeit nennen oder Faulheit? Vor allem frage ich: Wie wird das Ende eines solchen Lebens aussehen?
Du hast keine Talente? Du hast dein Leben. Komm mir jetzt nicht mit der Ausrede, das sei j selbstverständlich: Solange ich atme, bin ich lebendig! Du sollst nicht nur leben, sondern sollst aus deinem Leben was machen. Du lebst zusammen mit anderen: Wir gestalten unser Leben im Wechselspiel. – Da ist die Schöpfung. Sage jetzt nicht, das sei nicht dein Talent. Du bist ja selbst Natur, Schöpfung. Wie du mit dir umgehst, zeigt auch, wie du mit ihr umgehst. – Da ist deine Lebenszeit. Zählst du Jahre, Monate, Tage? Oder gestaltest du deine Zeit im Zusammenspiel mit dem Leben um dich? Vielleicht hast du Kinder? Die zeigen dir in der Tat, was du investiert hast und was dabei herausspringt. – Da ist deine Gesundheit. Was tust du damit? Ich denke nicht nur an Zigaretten und Alkohol. Steckt deine Freude an dir selber, an deinem Körper auch andere an?
Noch einmal: Es geht um den Dritten in Jesu Erzählung. Wer besonders begabt, sportlich, gesund ist, bei dem wundert uns nicht, was der draus macht. Aus fünf Talenten werden zehn, aus zweien vier. Das überrascht uns nicht. Uns ist Kleines anvertraut, Unscheinbares, Selbstverständliches. Das eine Talent. Was machen wir damit? Eingraben und hinterher aufbegehren mit dem Argument: Wir haben ja leider nicht mehr abbekommen!? Steht am Ende dieses Teufelskreises das Heulen und Zähneknirschen, ist der Neid vielleicht der Anfang: Ich habe doch leider nicht mehr abbekommen. Wäre ich so begabt, so sportlich, so attraktiv wie der oder die, dann könnte ich was aus mir machen! Wir vergleichen uns mit anderen und merken dabei: Wir sind nicht so! Im Vergleich zu den anderen gehören wir eher zu den Verlierern. Und dann sehen wir uns im Recht zu diesem verdammten Vorwurf: „Du erntest, wo du nicht gesät hast; du sammelst, wo nicht ausgestreut hast!“ Dabei ist jedes Leben die Fülle an Möglichkeiten. Ich lebe; was mache ich mit diesem Leben? Ich bin gesund; wie setze ich meine Möglichkeiten ein? Ich kenne und liebe andere – was geschieht in diesem Wechselspiel? Ich habe wie fast jede/r andere einen Beruf – was geschieht hier mit mir und mit meiner Umwelt? Talente, Talente, Talente… – Da sind unsere persönlichen Talente. Zugleich sind wir hier als „lebendige Steine im Tempel des Herrn“. Auch da gilt es: Um manche Talente müssen wir uns nicht kümmern: Einer wirkt wie Martin Luther auf dem Reichstag zu Worms und steht ständig im Mittelpunkt. Einem anderen fallen Kontakte leicht; ihm fliegen die Sympathien zu. Der dritte ist ein Organisationstalent; der ist bei allem zu gebrauchen. Es wundert uns nicht, wenn da was wächst: Aus fünf Talenten werden zehn. Es geht aber um die verborgenen Kräfte. Vor allem um das Selbstvertrauen: Damit mache ich was! Bestimmen uns Neid, Resignation, Kleinglaube, Faulheit, Vorwürfe? Oder entdecken wir, was wachsen könnte? Dich machen die Größenverhältnisse irre? Aus fünf werden zehn? Was Jesus zeigt, ist nur Beispiel. Er hat den Kapitalismus in seiner Härte noch nicht erlebt. Aber Zinswirtschaft gab es damals schon. Jedes Beispiel kann nur Modell sein.
Hätte Jesus den Pottlach gekannt, hätte er vielleicht dieses Beispiel gewählt, diese Praxis in manchen Indianerstämmen, alles, wirklich alles an Hab und Gut wegzugeben, zu verschenken, mit dem Ergebnis: Ich bekomme mehr als genug zurück. Aber er konnte nur etwas vorstellen, was er selber kannte. Das sollten wir ihm nicht zum Vorwurf machen. Oder wirfst du ihm das Ende vor, das Gerichtsurteil? Vermutlich konnte er nicht ahnen, wie missverständlich sein Hinweis auf die Bilanzabrechnung am Ende wirken konnte. Der am Wenigsten anvertraut bekommen hat, bekommt als Lohn für seine Angst am Ende noch das Heulen und Zähneklappern. Dabei wollte Jesus ermutigen: Mach was auch aus deinen kleinen Talenten. Meint aber jemand: Ich habe überhaupt kein besonderes Talent, keine besondere Begabung, könnte ihm angesichts des Gerichts nicht nur der letzte Mut verloren gehen. Er könnte an Jesus irre werden.
Du verstehst immer noch nicht meine These, du solltest auch was machen aus dem, was du nicht hast? Bist du in irgendeiner Weise eingeschränkt, gar behindert, stehe zu dem, was du nicht hast; das überzeugt viele. Oder schau, was du sonst an Begabungen, an Fertigkeiten, Fähigkeiten bekommen hast. Oder bau eine Partnerschaft auf zu denjenigen, die genau das können, was du nicht kannst. Auch was du nicht hast, kann wachsen. Nicht negativ: als Schuldenberg, sondern positiv: als dein Vermögen. Du betonst, wir seien doch alle Sünder, all unser Werk sei vergeblich, wir könnten uns nicht selber erlösen? Wir dürfen Paulus nicht gegen Jesus ausspielen. Wir sehen hier, was Jesus will: Der gütige Gott will dich entlasten von deinem Kummer um deine Sünde und Schuld. Der Kummer führt zu Sorge, Angst, Resignation. Gott baut seine neue Welt. Dafür braucht er dich: mit allen deinen großen und kleinen und scheinbar fehlenden Talenten.
Amen.