“Geschaffen als Mann und Frau”
Ehe - Kann der Mensch, mit dem ich zusammenlebe, in meiner Nähe aufatmen?
Übersetzung „Bibel in gerechter Sprache“, 2007
1 Jesus brach von dort auf und zog in das Gebiet von Judäa am anderen Ufer des Jordans. Wieder versammelten sich Mengen von Volk bei ihm, und wie gewohnt lehrte er sie. 2 Pharisäerinnen und Pharisäer kamen hinzu und fragten ihn: „ Ist es einem Mann erlaubt, seine Frau ziehen zu lassen?“ Das wollten sie mit ihm klären. 3 Jesus entgegnete ihnen: „Was hat euch Mose geboten?“ 4 Sie sprachen: „Mose hat es gestattet, einen Scheidebrief zu schreiben und sie ziehen zu lassen.“ 5 Da sagte Jesus zu ihnen: „Weil eure Herzen so hart sind, schrieb er euch dieses Gebot auf. 6 Am Anfang der Schöpfung aber schuf Gott die Menschen männlich und weiblich. 7 Deshalb wird ein Mensch Vater und Mutter verlassen, wird ein Mann sich mit seiner Frau verbinden und eine Frau sich mit ihrem Mann. 8 Und die zwei werden ein Fleisch sein. Also sind sie nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. 9 Was Gott zum Paar verbunden hat, soll ein Mensch nicht trennen.“ 10 Im Blick auf ihre eigene Situation fragten die Jüngerinnen und Jünger wie schon früher weiter nach. 11 Jesus antwortete ihnen: „Wer seine Frau ziehen lässt und heiratet eine andere, der begeht ihr gegenüber Ehebruch. 12 Lässt sie ihren Mann ziehen und heiratet einen anderen, dann begeht sie Ehebruch.“Zu Predigttext, Übersetzung und Folgerungen für die Predigt
Erste Reaktionen
Die letzten Verse klingen mir im Ohr. Es geht um Ehebruch. Die katholische Kirche stützt ihre Praxis, Geschiedene nicht wieder zu verheiraten unter anderem auf diese Sätze. Geben sie das her? Will Jesus hier eine prinzipielle Aussage darüber treffen, dass die erneute Heirat von Geschiedenen Ehebruch bedeutet? Auch in unserer Gemeinde gibt es Geschiedene, die wieder verheiratet sind. Wie hören sie diese Worte? Als eine Stigmatisierung? Ist das die Absicht, mit der dieses Lehrgespräch aufgezeichnet wurde? Absichten erkennen – Fragen nicht nur an die Übersetzer/innen Die Pharisäer wenden sich mit der Frage „(…) ob ein Mann sich scheiden dürfe von seiner Frau“ an Jesus. Luther übersetzt die Worte, die ihre Absicht beschreiben mit: „und sie versuchten ihn damit“. Das klingt nach Hinterlist. Auf eine andere Spur bringt mich der Wortlaut der „Bibel in gerechter Sprache“: „Das wollten sie mit ihm klären“. Hier wird den Pharisäern ein Interesse an der Sache bescheinigt. „… ob ein Mann sich scheiden dürfe von seiner Frau…“ Die revidierte Luther-Übersetzung legt nahe, dass es im folgenden Abschnitt um eine Diskussion des Scheidungsverbots geht. Es entsteht der Eindruck, Jesus treffe hier eine prinzipielle Entscheidung, die unumstößlich ist. Die „Bibel in gerechter Sprache“ übersetzt: „Ist es dem Mann erlaubt, seine Frau ziehen zu lassen?“ In Anmerkung 651 (S.2315) der Übersetzerin, Dr. Irene Dannemann, heißt es: „Hier geht es wohl nicht allgemein um ein Scheidungsverbot, sondern um die Nachfolge der Ehefrauen, die mit Jesus nach Jerusalem wandern möchten, während ihre Männer zu Hause bleiben wollen. Jesus rät: Das Ehepaar soll warten und in dieser Zeit kein Scheideverfahren anstreben“. Die Verse 11 und 12 lassen den weiteren Schluss zu, dass sich die Diskussion nicht nur auf die Ehefrauen beschränkt, sondern auch die Ehemänner einschließt. Die Verse 11 und 12 stellen eine Verbindung her zwischen Ehescheidung und Ehebruch, der dann erfolgt, wenn die Geschiedenen mit einem/r anderen Partner/in eine erneute Ehe eingehen. Während dieser Zusammenhang den Mk hier „konstruiert“ eine neue Eheschließung geradezu ausschließt, schafft Mose durch die Scheidebriefpraxis geradezu die Möglichkeit zu einer neuen Eheschließung. Wichtig für eine kritische Würdigung dieses Lehrgesprächs ist der Hinweis auf 1. Kor 7, 10.11. Dort nennt Paulus das Scheidungsverbot ein „Gebot des Herrn“. Er räumt die Möglichkeit zur Trennung allerdings ein. Jedoch nicht als Ausgangsbasis für eine erneute Heirat. Angesichts der Erwartung der nahen Wiederkunft Christi steht für Paulus die Konzentration auf das Wichtigste im Vordergrund. Heiraten gehört nicht dazu. Mit keinem Wort stellt Paulus einen Zusammenhang her zwischen Scheidung und dem Gebot „Du sollst nicht ehebrechen“.Schlussfolgerungen für die Predigt (1)
Einer Entscheidung über den Duktus der Predigt liegen viele hermeneutische Einzelentscheidungen zugrunde. Je nach dem, welche Absicht ich den Pharisäern unterstelle, werden sie zu „Versuchern“ und Feinden Jesu oder zu Lernenden, die Fragen aus einem Sachinteresse heraus stellen. Je nach dem, worin ich den Sitz im Leben dieser Perikope sehe, wird aus den Worten Jesu eine prinzipielle Aussage darüber, dass eine Scheidung mit der Option einer erneuten Heirat als Ehebruch betrachtet werden muss, die nicht erlaubt ist, oder eine Art Schutzrede für Frauen, die als Jesu Jüngerinnen ihre Ehepartner verlassen haben. Um meine Gedankengänge durchsichtig zu machen, werde ich den Wortlaut der revidierten Lutherausgabe den der „Bibel in gerechter Sprache“ gegenüberstellen.Beobachtungen am Text, nach der Übersetzung der „Bibel in gerechter Sprache“ (Zitate ebenda)
Mk beschreibt in dieser Perikope den Verlauf eines Lehrgesprächs. Er lässt die Pharisäer fragen: „Ist es einem Mann erlaubt, …?“ Jesus zeigt Lehrerqualitäten, indem er die Frage nicht selbst beantwortet. Vielmehr bringt er die Fragenden mit seiner Gegenfrage dazu, Antworten, die sie bereits kennen zu benennen. Schließlich studieren sie die Schriften Tag und Nacht. Während die Pharisäer allerdings fragen: Was ist erlaubt? fragt Jesus nach etwas anderem zurück: „Was hat euch Mose geboten?“ Die Pharisäer antworten auf ihre Erlaubnisfrage folgerichtig mit: „Mose hat es gestattet (…)“. Jesus akzeptiert dies als Antwort auf seine Frage, obwohl er danach nicht gefragt hatte. Er fügt nun an ihre Antwort eine Begründung an: „Weil eure Herzen so hart sind, schrieb er euch dieses Gebot auf.“ Mk spielt mit dem Begriff sklaerokardia auf die Rede des Mose in Dtn 10, 16 an. Es heißt dort: „Reißt den Schleier von eurem Verstand und seid nicht mehr halsstarrig“. Mose hatte dort das Volk in einer flammenden Rede auf das Glaubensbekenntnis Israels eingeschworen: „Nun, Israel, was will Adonaj, (…), von dir, außer dass du (…) sie liebst und für Adonaj, (…), arbeitest mit Herz und Verstand, und mit jedem Atemzug. Achte auf die Gebote und Bestimmungen Adonajs, die ich dir heute gebiete, dir zum Besten“ (Dtn 10, 12. ff). Mk stellt das Scheidungsgebot damit implizit in den größeren Zusammenhang des Schema Jisrael. Mk lässt Jesus eine andere Argumentationsrichtung einschlagen als die, die Mose einschlägt. Der Satz im Dtn „Reißt den Schleier von eurem Verstand und seid nicht mehr halsstarrig“ meint: Israel soll ein Einsehen in die Güte aller Gebote haben und sie halten, weil sie ihm zum Besten dienen. Jesus behauptet dagegen: Mose habe erkannt, dass die Menschen halsstarrig sind und darum dies eine Gebot, die Scheidung betreffend, aufgeschrieben. Hatte im Dtn das Scheidungsgebot bei Mose etwas von der Leuchtkraft der übrigen Gebote Gottes, so hat es diese positive Ausstrahlung im Mk nun verloren: Es ist lediglich eine Konzession an den Mangel der Menschen. Explizit verknüpft Mk das Scheidungsgebot mit der Schöpfung. In Gen 1,27 und 2, 24 hat die Erschaffung von Mann und Frau zum Ziel, dass beide gemeinsam an einer Lebensaufgabe arbeiten, nämlich die Erde zu bebauen und die Schöpfung zu bewahren. „Wörtlich steht da: (…) er hat (sie) unter ein Joch zusammengespannt. Dieser (…) Ausdruck betont, dass Mann und Frau das Leben gemeinsam zu bewältigen haben.“ (GPM, 457) Diese gemeinsame Arbeit begründet das Verlassen des Elternhauses durch den Mann und das Einssein mit seiner Frau. Mk stellt demgegenüber hier einen anderen Zusammenhang her und behauptet, in diesem Einssein liege die Unauflöslichkeit der Ehe begründet. Während im Buch Genesis die Funktion der Ehe ins Blickfeld rückt, verlagert Mk die Blickrichtung auf die „Institution Ehe“. Nachdem die Ehe damit ein Ergebnis von Gottes Schöpferhandeln ist, kann eine Scheidung und eine erneute Heirat nur als Auflehnung gegen den Schöpfer interpretiert werden. Diese Interpretation bringt nun all die Fragen hervor, über die bereits die Rabbinen nachgedacht haben, z.B. stiftet Gott jede einzelne Ehe? Den Jüngern ist der Zusammenhang, den der Evangelist Markus Jesus postulieren lässt, offensichtlich fraglich und darum fragen sie zu Hause auch noch einmal nach. Nun werden sie unmissverständlich belehrt, dass die Anwendung der mosaischen Scheidungserlaubnis und die folgende erneute Heirat ein Verstoß gegen das Verbot des Ehebruchs darstellt. Folgt man dem Gedankengang und der Übersetzung der „Bibel in gerechter Sprache“ dann stellen diese Sätze keine grundlegenden Aussagen über die „Institution Ehe“ dar. Vielmehr ist in ihnen ein konkretes individuelles Interesse erkennbar, das aus einer konkreten Lebenssituation heraus gedeutet werden kann: Mk sieht die materielle Existenz der Jesus-Jüngerinnen bedroht, wenn die nicht nachfolgenden Ehepartner die Ehe aufkündigen. Er versucht eine Entrechtung durch kühne theologische Schlussfolgerungen zu verhindern. Die Absicht des Mk ist sicher ehrenwert, wenn da nicht die Jahrhunderte lange Rezeptionsgeschichte wäre, die ignoriert hat, dass diese Aussagen einen Sitz im Leben haben, der nicht außer Acht zu lassen ist. Wie viel seelisches Leid und Gewissensbisse haben all die katholischen Christen aushalten müssen, die nach ihrer Scheidung noch einmal geheiratet haben.Schlussfolgerungen für die Predigt (2)
Mk lässt Jesus theologische Gedankengänge beschreiten, die kritisch ausgeleuchtet werden müssen. Der Bezug der Erlaubnis des Scheidebriefes zum jüdischen Glaubensbekenntnis soll herausgestellt werden. Dieser Bezug ermöglicht den Hörenden ein erweitertes Verständnis der Wurzeln unseres Glaubens. Die Frage, ob unter Christen eine Scheidung und eine erneute Heirat erlaubt sind, soll beantwortet werden. Literatur: Evangelisch-katholischer Kommentar zum Neuen Testament, Das Evangelium nach Markus, Band II/2, Joachim Gnilka, Mk 8, 27 – 16,20, 4. Auflage, 1994. - Pastoralblätter, 149. Jahrgang, Oktober 2009, Seite 661 – 666, Pfarrerin Birgit Niehaus. - Göttinger Predigtmeditationen, 3. Vierteljahresheft 2009, 63. Jahrgang Heft 4, Seite 454 - 462, Pfarrer Dr. Michael Heymel.Predigt
(Lesung des Predigttextes im Wortlaut der „Bibel in gerechter Sprache“)
Fragen
Die letzten Verse klingen mir im Ohr. In ihnen geht es um Ehebruch. Die katholische Kirche stützt ihre Praxis, Geschiedene nicht wieder zu verheiraten unter anderem auf diese Sätze. Geben diese Sätze das her, frage ich mich? Ist das was Jesus da gesagt hat so etwas wie ein Dogma? Eine unumstößliche Wahrheit? Auch in unserer Gemeinde gibt es Geschiedene, die wieder verheiratet sind, und denen sich bei diesen Worten vielleicht die Nackenhaare stellen.
Bei meinen Vorbereitungen ist mir eines aufgefallen: Es macht einen großen Unterschied, welche Bibelübersetzung man benutzt. Lese ich den Text in der Luther-Fassung, dann kommt das alles wirklich sehr prinzipiell daher und man könnte geneigt sein anzunehmen, die römisch-katholische Kirche hätte doch ganz recht mit ihrer Praxis. Lese ich dagegen den Text in der Fassung der „Bibel in gerechter Sprache“, sieht das Bild etwas anders aus. Ich bin darin auf eine Anmerkung gestoßen, die den Text in ein anderes Licht rückt. Es heißt dort: „Hier geht es wohl nicht allgemein um ein Scheidungsverbot, sondern um die Nachfolge der Ehefrauen, die mit Jesus nach Jerusalem wandern möchten, während ihre Männer zu Hause bleiben wollen. Jesus rät: Das Ehepaar soll warten und in dieser Zeit kein Scheideverfahren anstreben.“
Ich versuche das noch einmal mit meinen eigenen Worten zu sagen: Wir wissen, dass Jesus von Galiläa nach Jerusalem ging und unterwegs Menschen berufen hat, mit ihm zu ziehen. Darunter waren Männer und Frauen. Manche waren ledig, andere waren verheiratet. Wenn sich nun eine Frau oder ein Mann entschlossen hatte mitzugehen und der Ehepartner nicht mitwollte, dann stand der Zurückgebliebene vor der Frage, was er nun tun sollte. Sollte er seine Frau oder, sollte sie ihren Mann entlassen? Das heißt, sollte er oder sie einen Scheidebrief ausstellen? Das war im Judentum möglich. Mose selbst hatte so eine Möglichkeit für den Mann eingeräumt. Im 5.Buch Mose (Dtn 24, 1-4) wird die Scheidung davon abhängig gemacht, dass ein Mann keinen Gefallen mehr an seiner Frau findet. Diese Angabe wurde sehr unterschiedlich interpretiert. Die Gründe, die zu einer Scheidung führen konnten, lagen zwischen dem Anbrennen lassen der Suppe auf der einen Seite und dem Treiben von Unzucht auf der andern. Erlaubt war jedenfalls nur dem Mann, einen Scheidebrief auszustellen. Wie auch er allein bei der Trauung die Trauformel zu sprechen hatte. Der Scheidebrief musste eine Erklärung des Mannes enthalten, dass seine bisherige Frau frei sei und jedermann sie zur Frau zu nehmen könne. Er musste nun nicht mehr für sie sorgen und hatte ihr gegenüber keine Pflichten mehr. Sie allerdings musste nun schnell irgendwo unterkommen. Entweder zurück nach Hause zu ihren Eltern oder wieder heiraten.
Argumentation
Jesus kennt diese Praxis, und er weiß, dass manche der zurückgebliebenen Männer sie in Erwägung ziehen. Sie wollen nicht warten, bis die eigene Frau irgendwann zurückkommt, sondern sich von ihr trennen und eine andere Frau heiraten. Das war ihr gutes Recht. Diesen Männern gegenüber fährt Jesus nun ein starkes Geschütz auf. Er will nicht, dass die Frauen, die mit ihm gehen, am Ende ohne alles dastehen. Er erinnert die Männer deshalb an biblische Zusammenhänge, die sie als Schriftkundige ja selbst kennen. Jesus beginnt bei Adam und Eva: Im ersten Buch der Bibel wird erzählt, warum Gott Mann und Frau erschaffen hat. Er hat sie gemacht, damit sie sich gegenseitig helfen. Sie sollen gemeinsam die Erde bebauen und die Schöpfung bewahren. Sie sollen dies nicht jeder für sich tun, sondern als Einheit. So als ob sie nicht mehr zwei, sondern eins seien. Das ist ihre Bestimmung und darum sollen Mann und Frau zusammen wohnen, eins sein. Der Mann muss deshalb auch sein Elternhaus verlassen. Während im ersten Buch der Bibel nichts davon steht, dass dieses Einssein zugleich bedeutet, dass die Ehe unauflöslich sei, zieht Jesus im Mk genau diese Linie aus. Er sagt: Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden. Jesus hat dabei weniger im Blick, dass Mann und Frau sich gegenseitig gut ergänzen und deshalb geradezu prädestiniert sind zusammen an einer Lebensaufgabe zu arbeiten. Er meint, dass zwei Menschen, wenn sie einmal verheiratet sind, zusammenbleiben sollen. Genau genommen gibt das erste Buch der Bibel diese Interpretation nicht her. Das scheint Jesus im Mk ebenfalls bewusst gewesen zu sein und deshalb setzt er noch etwas hinzu. Er sagt: Wer sich von seinem Ehepartner scheidet, egal ob Frau oder Mann, und sich wieder verheiratet, der löst damit nicht nur Gottes Schöpfungsordnung auf, sondern bricht auch noch die Ehe. Es war schwer etwas dagegen zu sagen und wer es tat, der hatte Gott in zweierlei Hinsicht gegen sich. Diese „zweifache“ Schuld konnte eigentlich keiner auf sich nehmen.
Da der Scheidebrief von Mose selbst autorisiert war und schon deshalb einiges Gewicht hatte, versucht Jesus im Mk die Autorität des Scheidebriefes als Gebot zu untergraben. Er tut dies, indem er in die Debatte wirft, der Scheidebrief sei ein Zugeständnis an die Halsstarrigkeit der Menschen gewesen. Mose habe damit nur auf einen Mangel reagiert. Schaut man sich den entsprechenden Abschnitt im 5.Buch Mose an, in dem die Erlaubnis zur Scheidung beschrieben wird, ergibt sich jedoch ein anders Bild. Mose hatte dort das Volk in einer flammenden Rede auf das Glaubensbekenntnis Israels eingeschworen: „Nun, Israel, was will Adonaj, (…), von dir, außer dass du (…) sie liebst und für Adonaj, (…), arbeitest mit Herz und Verstand, und mit jedem Atemzug. Achte auf die Gebote und Bestimmungen Adonajs, die ich dir heute gebiete, dir zum Besten“ (Dtn 10, 12. ff). Und zu diesen Bestimmungen gehört auch das Scheidungsgebot. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass auch eine Scheidung dem Ziel dienen muss, Gott zu lieben und für ihn mit Herz und Verstand, mit jedem Atemzug zu arbeiten. Jesus kannte diesen Zusammenhang in dem das Scheidegebot ursprünglich stand. Da er aber dessen Auswirkungen für die rechtlosen Frauen sah oder befürchtete, wollte er es nicht weiter gelten lassen.
Wenn man sich heute Statistiken zu Scheidungsraten in Deutschland anschaut, dann findet man, dass im Jahr 1990 27 % aller geschlossenen Ehen nach 25 Ehejahren geschieden wurden. Im Jahr 2005 waren es bereits 40 % aller Ehen. Diese Zunahme erklärt sich daraus, dass die Versorgung von Frauen nach der Scheidung im Lauf der vergangenen Jahrzehnte gesetzlich immer besser geregelt wurde. Viele Paare blieben in früheren Jahren zusammen, weil die Scheidung in der Regel zu Lasten der Frau ging und es keinen Versorgungsausgleich gab. Materielle Gründe sind heute nur noch selten ein Grund, warum Paare sich nicht scheiden lassen. Vielleicht liegt es an dieser besseren Versorgung der Frauen, dass die evangelischen Kirchen mittlerweile die Möglichkeit einer Scheidung ausdrücklich einräumen. Hinzu kommt das Wissen von Seelsorgerinnen und Seelsorger um Situationen, die so ausweglos sind, dass eine Scheidung als einziger Ausweg erscheint.
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als stellten sich die evangelischen Kirchen gegen das Scheidungs- und Wiederverheiratungsverbot, das Jesus im Mk so vehement vertritt. Tatsächlich hat durch viele gesetzliche Regelungen die Zahl der Fälle abgenommen, in denen Frauen die alleinigen Leidtragenden sind, was die materielle Seite einer Scheidung angeht. Ist diese Einschätzung richtig, dann ist auch der Einsatz Jesu für die Versorgung von Frauen heute weniger notwendig als zu seiner Zeit.
Liebe
Nach wie vor aber ist es Aufgabe der Kirchen, die Verbindung zwischen Ehe und der Liebe Gottes im Bewusstsein zu halten. Die Fragen, die sich hier für jeden stellen, der in der Ehe lebt, sind zum Beispiel: Wie wird die Liebe Gottes in unserem Zusammenleben sichtbar? Helfe ich dem andern, seine Talente zu erkennen, die er von Gott bekommen hat? Fördere ich ihre Entwicklung? Kann der andere aufatmen in meiner Nähe? Dem Gebot der Gottesliebe steht ja das Gebot der Nächsten- und Selbstliebe gleichgewichtig zur Seite. Ein Zusammenhang, den Jesus im Mk zwei Kapitel weiter (Mk 12, 29 ff) selbst herstellt, indem er wiederum aus dem fünften und dem dritten Buch Mose zitiert. Ich meine, Christen ist die Scheidung und eine erneute Heirat erlaubt und auch vom Glauben her ermöglicht. Vor allem aber ist uns geboten, sich diesen Fragen zu stellen und alles dafür zu tun, dass das Ziel des Lebens immer im Blick bleibt: Als Mann und Frau Gott zu lieben, für ihn zu arbeiten mit Herz und Verstand, und mit jedem Atemzug, weil das uns selbst zum Besten dient.