Was, wenn es das Gericht doch gibt?
Es ist nicht unmöglich, sich in der Aufmerksamkeit des Herzens zu üben
Predigttext: Matthäus 25,31-46 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
31 Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit, 32 und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, 33 und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken. 34 Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! 35 Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. 36 Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen. 37 Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben, oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? 38 Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen, oder nackt und haben dich gekleidet? 39 Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? 40 Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. 41 Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! 42 Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. 43 Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen und ihr habt mich nicht besucht. 44 Dann werden sie ihm auch antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient? 45 Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. 46 Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.Theologische Entscheidungen und Gedanken zur Predigt
Wenn jemand einen Kommentar sucht, dann empfehle ich ihm die Ausführungen von Ulrich Luz zur Stelle in der EKK Reihe (Das Evangelium nach Matthäus, Band III, Neukirchen-Vluyn 1997, 515ff.). Ausführlich verhandelt wird dort die Frage, wen wir uns unter den Völkern, die gerichtet bzw. geschieden werden vorzustellen haben und wer die geringsten Brüder sind (Universaler Deutungstyp: Alle Völker werden gerichtet, die Geringsten sind alle notleidenden Menschen der Erde, sowohl Nichtchristinnen als auch Christi/innen; - Klassischer Interpretationstyp: Alle Völker werden gerichtet, Christen (wie Nichtchristen), die Geringsten sind die Glieder der christlichen Gemeinde, - Exklusiver Interpretationstyp: Die Völker sind die Heiden, die Geringsten sind besonders die christlichen Wanderprediger.) Nach gründlichem Abwägen kommt Luz zu dem Ergebnis: „Sein Gericht ist ein universales und ergeht über alle Menschen. Matthäus hat aber vor allem die Gemeinde im Auge, die sich nun auch, zusammen mit allen anderen, vor dem Weltrichter verantworten muss… Auf die Werke kommt es an, nicht auf das Bekenntnis oder die Charismen. Der Maßstab im Gericht wird die Liebe sein… In diesem Maßstab, den der Weltenrichter den Völkern und der Gemeinde setzt, erkennen die Leser/innen das, was ihnen ihr Lehrer und Herr Jesus in seinem irdischen Leben vorgelebt und gelehrt hat… Wenn sich der Menschensohn im Endgericht mit seinen armen Brüdern identifiziert, werden sie auch an sein irdisches Leben zurückdenken. So lässt dieser Text etwas vom ganzen Weg aufscheinen, den der Menschensohn gegangen ist, von der Identität des irdischen und des erhöhten Jesus und von der Gegenwart Gottes „mit uns“, die im matthäischen Immanuel grundlegend ist. Insofern lässt der Text die Gemeinde auch etwas ahnen von dem Grund, der sie trägt, auch im Gericht, aber nicht so, dass er ihr das Gericht erspart“ (541f). Das alles - dazu die Ausführungen zum matthäischen Gerichtsverständnis und zum Sinn der Gerichtsrede heute - ist hochinteressant und hilfreich zu lesen. Wer sich allerdings im Gestrüpp der Auslegungsmöglichkeiten verfängt, wird es schwer haben zu predigen. Ich halte es deswegen für dringend nötig, das Gemüt zu befragen. Auf der Ebene des Gemüts liegt meiner Meinung nach das eigentliche Problem der Predigt. Der Verstand findet Lösungen, sich von der Dringlichkeit der Predigt Jesu zu verabschieden. Das Gemüt tut sich da schwerer. Und es tut gut daran. Ich habe mich deswegen entschieden, die Ängste zu benennen, um dann einen Weg zu suchen, vor allem Schrecken die Schönheit dessen, was Jesus sagt zu entdecken. Ich finde sie in folgenden Punkten. - Gott sei Dank sitzt Jesus und kein anderer auf dem Thron; - Scheiden muss sein, auch wenn es weh tut; keiner von uns wollte auf Dauer und also für ewig in einer unbarmherzigen Gesellschaft leben, - Das Kriterium der Barmherzigkeit ist selbst barmherzig, insofern es nicht an spezielle Voraussetzungen z.B. der Bildung etc. geknüpft ist; - Einem Menschen zu helfen, auch das ist ein sehr menschliches Maß; - Die Hilfe geschieht ohne Berechnung. Das Motiv der Unwissenheit schaltet den Lohngedanken aus. Der Bedürftige wird nicht zum Mittel für einen höheren und sei es noch so verdienstvollen Zweck. - Der Bedürftige, aus dessen Augen Christus selbst schaut, ist von Christus selbst hoch geachtet. Trotz dieser Beobachtungen bleibt die Angst vor dem Versagen. Sie lässt sich nicht auflösen. Gut matthäisch habe ich mich entschieden, zu einer Kultur der grundsätzlichen Achtsamkeit aufzurufen. Eine Garantie gibt jedoch auch das nicht, weshalb ich mich ebenfalls entschieden habe, das Gerichtschema am Ende zu verlassen. Dem, der sich ängstet, bleibt „nur“ die Bitte um Erbarmen. Zumindest der irdische Jesus hat sich dieser Bitte nie verschlossen. Dass sich auch der verherrlichte Christus dieser Bitte nicht verschließen wird, darauf hofft der Mensch, der vertraut. In der Predigt verwende ich die Übersetzung von Fridolin Stier.Predigt
Liebe Gemeinde!
Angst
„Im Weltbild der meisten Menschen in unserer westlichen individualisierten Gesellschaft kommt ein Weltenrichter oder ein Weltgericht schlicht nicht mehr vor.“ So lese ich es in meinem Kommentar. So erfahre ich es in meiner Kirche. Ausgenommen vielleicht in sehr frommen Kreisen. Da ist es anders. Ansonsten breitet sich ein großes Schweigen aus um den, der kommen wird zu richten die Lebenden und die Toten. Wenn das aber so ist, wenn uns die Frage nach dem Gericht kaum mehr berührt, warum berührt uns dann dieser Text? Warum gehört er zu denen, die uns noch richtig unter die Haut gehen können? Ich erlebe das jedes Mal so, wenn ich ihn als Lesung höre. Danach bin ich erst einmal still und nicht nur ich allein. Und wenn ich in mich hineinhorche, dann ist da eine große innere Unruhe, und dann höre ich mein eigenes pochendes Herz: Rechts oder links, rechts oder links – scheint es mich zu fragen. Ich kann mich dieser Geschichte und ihrer Wirkung einfach nicht entziehen. Offensichtlich lebt in mir eben doch die Angst, es könnte dieses Gericht tatsächlich geben. Und zwar nicht nur für andere, sondern auch für mich. Vielleicht weiß ich es ja doch in der Tiefe meines Herzens, auch wenn ich es sonst verdränge: Scheiden muss sein, auch wenn es weh tut. Nur: Schmerz und Angst steigern nicht die Fähigkeit zu hören. So schlage ich Ihnen jetzt vor, die Angst vor dem Schmerz wenigstens für kurze Zeit einmal beiseite zu legen, um zu erfahren, was dann geschieht. Vergessen wir also einmal unsere Angst. Achten wir auf das, was wir dann hören.
Menschliches Maß
Ich höre: Herrlichkeit. „Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit ihm, dann wird er sich setzen auf den Thron seiner Herrlichkeit.“ Der Herr der Herrlichkeit. Wissen Sie an was mich das erinnert? Das erinnert mich an den ersten Advent. Da singen wir es ganz fröhlich: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit.“ Sicher am ersten Advent setzt sich Jesus nicht auf seinen Thron. Da setzt er sich auf einen Esel. Aber ist der, der auf dem Thron sitzt, nicht derselbe, der einmal auf dem Esel geritten ist? Wehalb sollten wir am vorletzten Sonntag des Kirchenjahres es nicht auch ganz fröhlich hören: Dieses: Es kommt der Herr der Herrlichkeit? Ja, er setzt sich auf seinen Thron. Ja, er übt das Richteramt aus. Ist das nicht das Beste, was uns passieren kann? Wollten wir einen anderen da haben? Einen anderen als den Herrn der Herrlichkeit? Nein, es ist schon gut so, wie es ist. Wenn überhaupt einer, dann soll er uns richten. „Und er wird sie voneinander sondern wie der Hirt die Schafe von den Ziegen sondert.“ Jetzt nicht zurückfallen in die Angst. Scheiden muss sein. Gericht muss sein. Wir sagen es doch oft selbst: Man muss die Geister voneinander scheiden. Gnadenlosigkeit und Härte müssen doch einmal ausgeschieden werden, damit Herzlichkeit und Wärme so richtig zum Zug kommen. Was gibt es nicht alles für Geister, von denen wir gerne frei wären. Nun weiß ich: Hier werden nicht Geister geschieden. Hier werden Menschen geschieden. Die Barmherzigen von den Unbarmherzigen, die Nahbaren von den Unnahbaren. Offensichtlich hängen die Geister an den Menschen. Das hat etwas Schreckliches. Trotzdem: Halten wir es fest. Es ist gut, dass die Geister geschieden werden. Wer von uns wollte auf ewig in einer hartherzigen Gesellschaft leben? Dann doch lieber so. Scheiden muss sein, auch wenn es weh tut. Das Kriterium für die Scheidung? „Hungrig war ich – ihr habt mir zu essen gegeben. Durstig war ich – ihr habt mich getränkt. Fremdling war ich – ihr habt mich aufgenommen. Nackt – und ihr habt mich gewandet. Krank war ich – und ihr habt nach mir gesehen. Im Kerker war ich – und ihr seid zu mir gekommen.“ Wenn wir das hören, können wir doch eigentlich aufatmen. Da wird kein Hexenwerk verlangt. Nur das ganz Elementare. Keine Ausbildung, kein Zeugnis, kein besonderer Intelligenzquotient ist nötig. Sondern einfach nur Barmherzigkeit. Der Weg in den Himmel ist nicht gepflastert mit Unmöglichem. Wieder fällt die Ähnlichkeit mit den Adventsstrophen auf. „Sein Königskron ist Herrlichkeit, sein Zepter ist Barmherzigkeit, all unsre Not zum End er bringt, derhalben jauchzt mit Freuden singt…“
Nun möchte ich uns aber auch nichts vormachen. Natürlich ist das so eine Sache mit der Barmherzigkeit. Wir wissen aus Erfahrung, wie schwer das ist. Darüber brauchen wir uns nicht zu unterhalten. Wir wissen aber auch, wie schön das ist und wie unendlich wertvoll für unser Leben. Erinnern Sie sich nur einmal daran, wie das war, als Sie krank waren und dann kam einer oder eine und hat sie besucht. Ging da nicht der Himmel für Sie auf? Und jetzt auch für den anderen. Barmherzigkeit empfangen – Barmherzigkeit geben, wie schön wird das Leben dadurch. Das ist doch gar keine Frage. Nun heißt es: „Was ihr einem unter diesen meinen geringsten Brüdern und Schwester getan habt, das habt ihr mir getan“. Noch einmal heißt es staunen. Was für ein menschliches Maß. Einem Menschen helfen. Für einen Menschen wirklich da sein. Einmal im Leben. Das sollte doch zu schaffen sein. Noch einmal heißt es staunen. Die Seliggepriesenen wissen gar nichts von ihrem Tun. Sie haben, was sie taten, einfach so getan. Weil sie es wollten und weil es an der Zeit war und in diesem Moment das einzig Richtige. Sie haben nicht spekuliert auf Lob oder Lohn. Sie haben, was sie taten, einfach so getan. Für die, denen sie geholfen haben, war das vielleicht das Allergrößte. Um ihrer selbst willen war der andere für sie da. Sie waren nicht Mittel für einen höheren Zweck. Sie waren einfach nur hungrige, durstige, zutiefst bedürftige Menschen. Der andere hat das erkannt und das war ihm genug zu helfen. Wer von uns wollte nicht so geliebt werden? Einfach nur so, um seiner selbst willen. Gehören wir nicht auch zu den Menschen, die in der Tiefe unseres Herzens Angst haben, „verzweckt“ zu werden?
Folgt ein letztes Staunen. Wie hoch achtet der Herr die Armen. Hinter ihnen steht er selbst. Aus ihren Augen schaut er uns an. „Was ihr einem unter diesen meinen geringsten Brüdern und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan.“ So hoch achtet der Herr die Armen.
Ahnung
Nach soviel Staunen jetzt das Erschrecken: Nur einem Menschen wirklich helfen. Was, wenn wir das nicht getan haben? Jämmerlich wäre das und schrecklich. Wir wären jämmerlich und schrecklich. Was, wenn wir das Elementare verweigert haben? Den Hunger nicht gestillt, das Glas Wasser nicht gereicht, die Blöße nicht bedeckt haben? Was, wenn wir den Fremden abgeschoben haben und den Besuch verschoben haben? Es wäre ganz einfach grausam. Wir wären grausam. Was, wenn wir den Armen gering geachtet haben? Wenn wir einfach nicht sehen konnten, dass durch seine Augen Gott selbst nach uns rief? Ich höre lieber auf. Es packt mich die Ahnung: Es könnte uns so ergehen wie es den Jüngern in der Passionsgeschichte ergeht. Die schlafen oder sind einfach nicht da, als der Herr sie gebraucht hätte.
Aufmerksamkeit
Was nun? Was, wenn es das Gericht doch gibt? Gibt es etwas, was wir jetzt tun können, um dann zu bestehen? Ich bin mir nicht sicher. Aber zwei Überlegungen stimmen mich zuversichtlich. Die eine: Es ist nicht unmöglich, mir nicht und Ihnen nicht, sich in der Aufmerksamkeit des Herzens zu üben. Den Geringen um seiner selbst willen zu achten, und den Bedürftigen zu schützen, in dieser Haltung können wir uns üben. Wir werden dann wahrscheinlich immer noch Fehler machen, hier und da unaufmerksam sein und bleiben. Aber wir werden uns nicht vorwerfen (lassen) müssen, es nicht versucht zu haben. Das andere: „Wann haben wir dich hungrig oder durstig oder fremd oder nackt oder krank oder im Kerker gesehen und haben dir nicht gedient“, fragen die Unglückseligen. Und werden verworfen. Mir leuchtet das ein. „Wann habe ich“, frage ich, wenn ich mich rechtfertigen möchte, wenn ich nach den Indizien frage, wenn ich hoffe, doch noch ein Schlupfloch zu finden. Ich glaube, es wäre besser, all das sein zu lassen. Anzuerkennen, was ist. Und einfach nur zu bitten: Herr erbarme dich. Zu seinen Erdenzeiten hat sich Jesus diesem Ruf nie verschlossen. Wenn er auch jetzt auf dem Thron sitzt, er bleibt doch der, der auch auf dem Esel saß und von dem wir singen: „Er ist gerecht, ein Helfer wert, Sanftmütigkeit ist sein Gefährt, sein Königskron ist Heiligkeit, sein Zepter ist Barmherzigkeit, all unsre Not zum End er bringt, derhalben jauchzt, mit Freuden singt: Gelobet sei mein Gott, mein Heiland groß von Tat“.
Amen.