Es wird heller
Es ist besser, ein Licht, und sei es ein kleines, anzuzünden, als auf die Dunkelheit zu schimpfen
Predigttext: Römer 13,8-12(13-14), Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984
8 Seid niemand etwas schuldig, außer, daß ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt. 9 Denn was da gesagt ist: »Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren«, und was da sonst an Geboten ist, das wird in diesem Wort zusammengefaßt: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.« 10 Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung. 11 Und das tut, weil ihr die Zeit erkennt, nämlich daß die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden. 12 Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen. So laßt uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts. (13 Laßt uns ehrbar leben wie am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Unzucht und Ausschweifung, nicht in Hader und Eifersucht; 14 sondern zieht an den Herrn Jesus Christus und sorgt für den Leib nicht so, daß ihr den Begierden verfallt.)Vorbemerkungen
Mit dem ersten Advent beginnt ein neues Kirchenjahr. Der Predigttext, der die Perikopenreihe II eröffnet, steht zwischen dem Aufruf des Paulus zu vernünftigem Gottesdienst (Kap12.1ff) und seinen Mahnungen für gedeihliches Zusammenleben in der Gemeinde (Kap14). Er ist ein Aufruf für ein gutes Leben in der Liebe als „Grundverfassung aller Aktivität“ (Ernst Käsemann, S. 348), als Grundformatierung. Paulus fasst zusammen, „was als Hauptsache den geistlichen Gottesdienst im Verkehr der Christen miteinander wie im öffentlichen Verhalten vor dem Weltende bestimmt“ (Käsemann, ebd.). Die Perikope ist ein Aufruf zu einem solchen lichten Leben, begründet in der Nähe Gottes, die einen Wechsel der „Kleider“ verlangt, um wach zu leben und selbst zu lieben. Die Erwartung ist es, die den Text zum Adventstext macht, und das Grundsätzliche, das er anspricht, kann gerade dann besonders sprechend werden. Die Adventszeit ist eine Zeit der Sehnsucht. Etwas davon wird in der Adventszeit deutlich, wenn die Städte, die Dörfer und Wohnungen mit Kerzen geschmückt werden, wenn Menschen sich Zeit füreinander nehmen und an andere denken, wie sie ihnen eine Freude bereiten können. Hinter dieser Sehnsucht steht ein Mangel, der gefüllt werden will. Freilich darf der Rummel nicht vergessen werden, ist die Adventszeit doch auch eine „Marktzeit“, in der hinter dem Marktgeschehen das Eigentliche wieder zu verschwinden und die Sehnsucht unterzugehen droht. Gerade in dieser Situation will die Predigt einladen zur Neubesinnung auf einen Lebensstil aus der Liebe als Grundverfasstheit, der die Welt und das Zusammensein erhellt, weil Gott uns entgegenkommt, sein Licht uns leuchtet. Literatur: Ernst Käsemann, An die Römer, Handbuch zum Neuen Testament, 8a, Tübingen, 4. Aufl. 1980.- Slavoj Zizek, Die gandenlose Liebe, Frankfurt a.M. 2001.- Christa Spilling-Nöker, Kerzensegen, aus: Möge der Stern für dich leuchten, Freiburg, Basel Wien, 2005, S. 21. Lieder: „Macht hoch die Tür“ (EG 1) „Seht die gute Zeit ist nah“ (EG 18)Predigt
Liebe Gemeinde!
Adventskerze
Die erste Kerze brennt am Adventskranz. Wir sehen ihre Flamme, wir sehen ihr Licht, und sie macht uns auch die Alterkerzen wieder bewusster. Die Adventstimmung mit ihren Lichtern und Gerüchen rührt an. Sie weckt Erwartungen und Sehnsüchte. Danach, dass es in meinem Leben warm und hell wird. Dass die Welt freundlicher wird und die Menschen ebenso freundlich miteinander umgehen. Ich frage mich immer wieder: Wie soll das gehen? Da rät mir Paulus: Liebe! Das ist das einzige, das du dir und deinen Mitmenschen schuldig bist. Da gibst du Gottes Licht weiter, da erhellt sich deine Umgebung, das strahlt auf die Menschen um dich herum aus. Steh also auf, es ist Zeit! Warte nicht. Fang an. Denn Gott hat schon angefangen und kommt dir entgegen, ja ist dir ganz nahe. So würde ich Paulus umschreiben. Ganz einfach. Und doch alles andere als einfach!
Wir gehen in den Advent, auf Weihnachten zu, und „Weihnachten als Fest der Liebe“ kann gleichermaßen Sehnsucht und berechtigte Befürchtungen wecken. Die Latte hängt manchmal sehr hoch, so hoch wie manche Erwartungen, da kann man schon fürchten, dass die Latte gerissen wird, dass wir so hoch nicht springen können, weder im Kleinen noch im Großen. Aber es ist ein großer Unterschied zwischen unrealistischen Vorstellungen, mit denen manche Erwartungen sich aus der Welt stehlen wollen, wie sie ist, und der Hoffung, der Zuversicht, dass es etwas zu erwarten gibt. Das sagt uns diese Kerze am Adventskranz: Ich bin nur eine, aber es werden mehr. Es wird heller. Es dauert, aber Erwartung hat auch mit Warten zu tun. Und: Es ist besser, ein Licht, und sei es ein kleines, anzuzünden, als auf die Dunkelheit zu schimpfen.
Grundhaltung Liebe
Dennoch frage ich mich: Was meint Paulus mit Liebe, diesem großen Wort, das so vieldeutig ist. Die selbstlose Nächstenliebe, gar die Feindesliebe, die geistige, die körperliche Liebe zwischen Menschen, die Liebe zwischen Eltern und Kindern, die Liebe zu…. Daran, dass das schwer auseinander zu halten sein kann, lässt sich schon merken, wie da vieles zusammengehört, und Paulus geht es hier bei Weitem nicht um das Definieren von Fällen im Allgemeinen und im Besonderen. Es geht ihm vielmehr um die Grundhaltung, von der aus ich lebe. Um die Grundverfasstheit. Mit welcher Grundhaltung begegne ich andern Menschen, auch oder gerade dann, wenn sie mir nicht unbedingt sympathisch sind, wenn sie anders denken und anders leben?
„Liebe“ meint dann weiter, und wieder nicht einfach, dass man bereit ist, Verantwortung für andere zu übernehmen, auch für sich selbst. „Seid niemand etwas schuldig, außer, dass ihr euch untereinander liebt.“ Schuldig sein, das heißt doch: in der Pflicht stehen. Ich fühle mich, ja ich bin anderen gegenüber zu etwas verpflichtet, ich stehe für etwas gerade, ich bin verantwortlich. Weil man andere wertschätzt und achtet. Weil der andere Mensch diese Wertschätzung und Achtung braucht – wie ich auch. Liebe meint einen fürsorglichen Lebensstil. Man nimmt den anderen wahr als einen Menschen, der einen braucht, der genauso Sehnsucht nach einem guten Miteinander und Leben hat wie man selbst.
Gier
Wir Menschen sind bedürftig. Wir brauchen Anerkennung, wir brauchen Nahrung, wir brauchen Wärme, Glück und Geborgenheit. Wir haben Fehler und wir machen Fehler, weil uns etwas fehlt, weil wir nicht perfekt und vollkommen sind. Darum haben wir auch Sehnsucht, dass unser Mangel gestillt wird. Am allerdeutlichsten wird das beim ganz kleinen Kind. Bedürftigkeit, Schwäche, ausgeliefert sein. Und was feiern wir an Weihnachten? Die Geburt Gottes als ein solches Menschlein. Gott ist uns in unserer Schwäche ganz nahe, auch wieder in der des Todes, und wir werden im Leben oft schwach sein, manchmal uns nur schwach fühlen, aber immer auf andere angewiesen, mal mehr, mal weniger. Gott hat sich, um diese Schwäche zu erhellen, in diese menschliche Lage hineinbegeben. Wir sind bedürftig, und wir begehren die Stillung unserer Bedürfnisse. Doch finden wir oft das Maß nicht, und das ist es, was die biblische Tradition mit dem Wort „Begierde“ meint, wenn sie es negativ verwendet. Nicht etwa, dass man nichts begehren soll und darf – nein, wie man das angeht und wie man damit umgeht ist der springende Punkt. Aus dem Begehren kann schnell die Gier werden, und das Umkippen in Übersteigerung ist es, was Paulus brandmarkt: „Leben nicht in Fressen und Saufen, nicht in Unzucht und Ausschweifung, nicht in Hader und Eifersucht.“ Hier sind legitime Bedürfnisse, normalmenschliche Bedürftigkeiten zu egoistischer Selbstbezogenheit geworden, die nicht nach dem rechten Maß fragt, und schon gar nicht andere Menschen und ihre Bedürfnisse zum Maß nimmt. Der Schutz anderer steht hinter den Weisungen der zehn Gebote, die Paulus anspricht, und mit der Mosetora in ihrem Liebesgebot gebündelt sieht.
Was man gern vertuscht und verdunkelt, und was anderen das Leben verfinstern kann, auch das nimmt Paulus auf: „Lasst uns ablegen die Werke der Finsternis“, „Lasst uns leben wie am Tage“ – tut das, was das Licht des Tages nicht scheuen muss, wozu ihr stehen könnt. Gier macht, Gier ist unverantwortlich. Wir erleben das gar zu oft. Auch, wenn wir ihr selbst erliegen, was meist nicht folgenlos bleibt; beim Blick auf die Finanzwirtschaft, doch auch in der Weltwirtschaft stehen wir in Europa unter dem Strich auf der Seite derer, die sehr viele und zum Teil sehr überflüssige Bedürfnisse stillen können, während anderen Menschen das Elementarste zum Leben fehlt. Der Ruf nach Liebe und Mitmenschlichkeit statt Gier und Eigennutz trifft immer wieder neu in unsere Welt, und er trifft nicht nur „die andern“.
„Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses“ – und kann eigene Bedürfnisse auch zurücknehmen. Liebe meint eine Grundhaltung der Verantwortlichkeit, und da geht es gar nicht darum, nicht mehr zu genießen. Das Glas Glühwein, der Lebkuchen, die Weihnachtsgans, die körperliche Liebe – dagegen spricht Paulus nicht. „Genieße verantwortlich und fürsorglich“, so könnte man die christliche Liebe vielleicht beschreiben.
Liebevolle Anbindung
Der slowenische Philosoph Slavoj Zizek, der „Elvis der Kulturtheorie“, sagt über die christliche Liebe: „Liebe ist immer Liebe für den Anderen insoweit, als es diesem an etwas mangelt. Wir lieben den anderen wegen seiner Begrenztheit, Hilflosigkeit, ja Gewöhnlichkeit. Im Gegensatz zu der heidnischen Glorifizierung der göttlichen (oder menschlichen) Vollkommenheit ist das ultimative Geheimnis der christlichen Liebe vielleicht ihre liebevolle Anbindung an die Unvollkommenheit des Anderen.“ (Zizek 2001, S. 184)
Damit bringt Zizek ein Doppeltes auf den Punkt: Erstens die Wertschätzung der Unvollkommenheit, des Schwachen, wie sie sich in der „liebevollen Anbindung“ Gottes an uns Menschlein gerade an Weihnachten besonders zeigt, was auch uns mit unseren eigenen Schwächen und denen der anderen etwas barmherziger werden lassen kann. Zweitens, wie unheilvoll der Wahn der Vervollkommnung sein kann. Vielleicht steckt auch dieser, eher unbewusst, hinter mancher Gier: Alles haben, alles mitmachen… Gerade gegen die Verherrlichung der Vollkommenheit steht die Liebe. Hinter der Verherrlichung der Vollkommenheit scheint mir ein unheilvoller Drang zu stehen, Gott zu spielen, wo doch Gott den umgekehrten Weg gegangen ist, und nicht als Held, als Kaiser, als Kanzler, als Präsident, als Popstar… ankommt. Gottes Liebe zu uns Mängelwesen und Bedürftigen zeigt sich darin, dass sich Gott bedürftig macht und gibt. Gott zeigt uns so, wie er uns wertschätzt, als ein bedürftiges Mängelwesen, dem er zutraut, verantwortlich und fürsorglich zu leben. Dieses Licht will uns der Predigttext aufstecken, will uns da aus mancher Verschlafenheit wecken.
Neuanfang
Vielleicht auch als Neustart, schließlich ist die Adventszeit auch eine „Bußzeit“ im Sinne eines Überdenkens der Vorhergegangenen und einer Neubesinnung, und ist der Start in ein neues Kirchenjahr. Hierzu ist abermals Slavoj Zizek sehr anregend: „Letztlich ist die Wiedergeburt, von der das Christentum spricht, (…) der Name für einen solchen Neuanfang. Gegen die heidnische oder gnostische Weisheit, welche die (Wieder-) Entdeckung des eigenen wahren Selbst feiert, die Rückkehr zu diesem Selbst, die Verwirklichung seines Potenzials oder was auch immer, ermutigt uns das Christentum (…) es zu verändern. Und dieses, häufig vernebelte, christliche Erbe ist heute kostbarer als je zuvor.“ (Zizek 2001, S. 185)
Es ist nicht Schwäche oder allenfalls eine gesunde, die von Stärke zeugt, wenn man sich ändert, seinen Lebensstil, sein Verhalten. Paulus nimmt das in das Bild des Kleiderwechsels: „Zieht an den Herrn Jesus Christus“. Auch die „Werke der Finsternis“ werden abgelegt wie Kleider, die nicht passen. Sie sollen auch nicht passen.
Kleider machen Leute. Durch die Kleidung stellt man sich dar. Kleidung zeigt nach außen, wer wir sind, und wer wir sein wollen. „Zieht an den Herrn Jesus Christus.“ Das ist ein schönes Bild für die Nachfolge Jesu: wirken wie er, auch wenn wir wir selbst sind, weil er wie wir und für uns Mensch geworden ist. Gerade das Bild der Kleidung nimmt auf, dass unser Selbstbild nicht statisch festgemeißelt sein muss: Alte Kleider kann man ablegen, und so manchen alten Hut auch.
Orientierungen
Anlegen sollen wir auch die „Waffen des Lichts“, das kann beim ersten Hören etwas befremdlich anmuten: „Das klingt ja wie bei star wars oder sonstiger Science Fiction, und eher militaristisch als friedlich?“ Wenn es darum geht, andere nicht zu schädigen, kann das allerdings kaum gemeint sein, und ist es auch nicht. Die biblischen „geistlichen Waffenrüstungen“ nehmen sprachlich auf, dass im Leben, selbst um Weihnachten, manches ein Kampf sein kann. Aber sie steigen aus Rüstungskreisläufen der Gewalt aus, indem sie sich ganz anders rüsten, wie am klarsten der Epheserbrief beschreibt (6, 10-20): mit dem Schild des Glaubens, mit dem Helm des Heils, mit dem schützenden Panzer der Gerechtigkeit, umgürtet mit der „Waffe“ der Wahrheit. Wieder sind wir bei Grundhaltungen die uns helfen, die uns Orientierung geben, im Advent, immer.
Unser Leben müssen wir selbst bewältigen; die Probleme, die uns hier gestellt sind, die Wirtschaftskrise, die klimatischen Herausforderungen, die Sicherung des Sozialstaates, die Bewältigung des eigenen Lebens mit seinen großen Packen und kleinen Päckchen. Hunger, Not, Gewalt verdunkeln Leben. Viele sitzen nach wie vor im Finsteren. Doch will der Maßstab das Liebe, dass das anders wird. Jesus will die Hoffnung nähren und uns stärken, dass wir mit einer besseren Welt rechnen, ernsthaft rechnen. Dass der Traum vom Frieden wirklich wird, echt wird, dass Liebe die Welt prägt. Er zeigt: Nicht Macht, nicht Geld, nicht Marken, nicht Ideologien und Theorien zählen und müssen für dich zum Maßstab werden und du musst darauf gieren.
Es gibt Wichtigeres: ein freundliches Strahlen der Augen beim Anblick des anderen Menschen, ich nehme interessiert wahr, was der andere fühlt, wie es ihm geht, ich lasse mich auf ihn ein. Ich helfe, ich spende, ich kaufe fair ein, womit den Produzenten ihr Lebensunterhalt ermöglicht wird, und verbrauche weniger. Gottes Liebe und Licht breiten sich so aus, bescheiden und sanft, wie das Licht der Adventskerzen. Liebe macht die Nähe Gottes konkret, greifbar und spürbar. Liebe bringt Gottes Licht zum Leuchten und lässt es in unserem Leben hell werden. „Möge das Licht des Advents unsere Herzen erhellen, damit wir unserem Leben eine segensreiche Richtung geben.“ (Christa Spilling-Nöker).
Ich möchte schließen mit ein paar Gedanken (von Stefanie Schäfer-Bossert) zum Advent, einem Akrostichon, das die Anfangsbuchstaben durchspielt:
A tempause – in der Hektik, zur Besinnung kommen; klappt vielleicht seltener als erhofft, aber besser seltener als nie!
D üsternis – überwinden, D as Licht scheinen lassen (und nicht unter den Scheffel stellen) und mit den Adventskerzen darauf vertrauen, dass immer mehr Lichter leuchten.
V orfreude – und wenn nicht alles ganz perfekt oder großartig sein muss, wird sie sich auch erfüllen lassen.
E rwartung – die sich auch auf Unerwartetes einlassen kann (das zeigt auch der Adventskalender), die vom Leben und von Gott noch einiges erwartet.
N ähe – die Nähe Gottes spüren, sich selbst und anderen näher kommen, was auch Veränderung bedeuten kann (und selbst der Schutzlosigkeit hat Gott sich ausgesetzt, wagen wir es auch!)
T rotzdem – gegen das, was ungut ist, anhoffen, anleben, anlieben. Mache dich auf und werde Licht!
Amen.