Advent – warten auf die kostbare Frucht

Sich gedulden und tätigsein schließen einander nicht aus

Predigttext: Jakobus 5,7-8
Kirche / Ort: Karlsruhe
Datum: 06.12.2009
Kirchenjahr: 2. Sonntag im Advent
Autor/in: Kirchenrat Pfarrer Heinz Janssen

Predigttext: Jakobus 5,7-8 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

7 So seid nun geduldig, liebe Brüder, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. 8 Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe. Vorbemerkung Wie wichtig der Kontext, die vermutlich anzunehmende zeitgeschichtliche Situation des Bibeltextes – hier bei Jakobus auch die umstrittene Frage nach der Verfasserschaft – und die theologischen Schwerpunkte des Gesamtzusammenhanges, in dem eine Perikope steht, ist mir bei der Vorbereitung der Predigt über diesen sehr kurzen Briefabschnitt wieder ganz bewusst geworden. Eine besondere Hilfe waren für mich die einleitenden Ausführungen und die Übersetzung von Klaus Berger und Christiane Nord. Ich verweise ausdrücklich und sehr empfehlend auf ihre Übersetzung und Kommentierung des Neuen Testaments und der frühchristlichen Schriften, ebenso empfehle ich die Übersetzung der „Bibel in gerechter Sprache“, die mich für diesen Predigttext inspiriert hat.

Lieder:

 „Wir sagen euch an den lieben Advent“ (EG 17) „O Heiland reiß die Himmel auf“ (EG 7) „Wie soll ich dich empfangen“ (EG 11) „Seht, die gute Zeit ist nah“ (EG 18)

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Predigt

Liebe Gemeinde!

Zwei Bibelverse so klar – und darüber noch eine Predigt? Was gibt es denn dazu überhaupt noch zu sagen? Etwa: Seid geduldig, der Weihnachtsstress ist bald vorbei, dann bekommt ihr den Lohn, die Früchte eurer Anstrengung, könnt die Ankunft, die Geburt Jesu im Gottesdienst und zu Hause oder auf Reisen feiern? Diese wenigen Worte aus dem Jakobusbrief wollen uns bestimmt mehr sagen.

Unsicherer Glaube

Gehen wir davon aus, dass Jakobus, der leibliche Bruder Jesu, den Brief geschrieben hat (was bis heute in der Bibelauslegung umstritten ist), gehörten seine Adressaten etwa zwanzig Jahre nach Jesu Tod und Auferstehung zu den ersten Christen. Sie konnten nicht wie wir heute auf eine längere Kirchengeschichte zurückblicken und sich daran orientieren. Vieles in ihrem Glauben war für sie ganz neu. Sie wuchsen nicht in einer christlich geprägten Gesellschaft auf, und sie hatten nicht die Möglichkeit, im Elternhaus, Kindergottesdienst, Schule und Konfirmandenunterricht ihre Religion kennen zu lernen. Es waren „neue Christen“. Sie hatten typische Probleme. Da war die Unsicherheit, ob mit der Annahme des christlichen Glaubens die rechte Wahl getroffen wurde, oder die Frage, ob und wie der Glaube in die Tat umsetzbar ist, und immer wieder ging es um die Bewältigung des Alltags in einem gesellschaftlichen Umfeld, in dem es große soziale Unterschiede gab, die Kluft zwischen reich und arm, höher und niedriger gestellte Personen und Gruppen. Was für eine Anfechtung für den Glaubenden, der von Jesus gelernt hat, auf Einheit und Einigkeit, gegenseitige Hilfe und Liebe bedacht zu sein. Jesu Seligpreisung der Armen konnten sie nicht als Rechtfertigung der Armut, sondern nur als Aufruf zu ihrer Überwindung verstehen.

Auch in den jungen christlichen Gruppierungen war der Umgang der Reichen mit den Armen nicht geklärt, ein „Oben“ und „Unten“ schien schicksalhaft gegeben oder gar gottgewollt zu sein. Sind uns diese Probleme so fremd? Sind nicht auch wir immer wieder unsicher, ob und wie wir uns als Christ oder Christin öffentlich bekennen sollen? Sind uns solche Bekenntnisse nicht eher peinlich? Sind wir wirklich so sicher in dem, was der christliche Glaube lehrt? Kennen wir die Bibel, die Grundlage unserer Religion, gut genug? Oder trifft die Aussage „Ich bin nicht so bibelfest“ nicht auf viele zu? Ich bin überzeugt: Viele Menschen unter uns, ob bibelfest oder nicht, machen sich sehr viele Gedanken darüber, wie sie ihren Glauben, ihr Christsein in Taten umsetzen können. Klar, nicht jeder/jede von uns kann zB der Heilige Nikolaus sein, dessen Gedenktag heute ist, nicht jeder/jede kann eine Mutter Theresa oder ein Martin Luther King sein. Wenn wir uns aber so bemühen, wie die drei genannten leuchtenden Beispiele es zeigen, mit ganzem Herzen bemühen, dann säen wir guten Samen aus, und früher oder später trägt die daraus gewachsene Pflanze Früchte. An diesem Punkt treffen wir uns mit den vielleicht ursprünglich gemeinten Adressaten, denen Jakobus Mut macht, den christlichen Glauben wie ein Samenkorn zu sehen, das seine Frucht bringen wird. Schaut auf den Ackerbauer, der auf die kostbare Frucht der Erde geduldig wartet.

Glaube und Geduld

Christlicher Glaube und Geduld gehören zusammen, lehrt uns Jakobus. Geduld hat im biblischen Sinn wie der Glaube mit Gottvertrauen zu tun. Solche Geduld hilft vor Fanatismus, der den Menschen leicht übersieht und auf Biegen und Brechen etwas durchsetzen will. Wie wir unser Christsein leben und gestalten, darum müssen wir immer neu ringen. Wir sind täglich „neue“ Christinnen und Christen. Wir verändern uns. Das Leben, das Schicksal verändert uns. Wir sind auf einem Weg – oder mit einem anderen Bild beschrieben: Unser Leben ist ständig im Fluss, strömt vorwärts einem Ziel entgegen. Wir können diesen Fluss nicht aufhalten, diesen Fluss der Zeit, den Jakobus auch im Bild des Bauern mit der Ernte beschreibt. Ein Samenkorn geht unaufhaltsam seinen Weg, wenn es ausgesät ist, aber es braucht Zeit, um eine Frucht zu bilden und reifen zu können. Heute aus einer Quelle entsprungen und morgen schon an der Flussmündung – nein, es dauert länger. Heute schon ausgesät und morgen schon erntereif – nein, Wachstum braucht Zeit. Heute eine Erkenntnis und morgen die gereiften Arbeitsfrüchte – nein, alles braucht seine Zeit. Heute der Funke des Glaubens und morgen schon mit Feuerflammen andere angesteckt – nein, das wäre eher ein Strohfeuer. Hier ist die Geduld ganz schnell gefragt.

Christen, ob neu dazugekommen oder von Kindesbeinen an, brauchen Geduld und zwar mit sich selbst wie mit der Welt. Leiden sie an Ungerechtigkeit und Kriegen in der Welt, brauchen sie in ihrem Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden die Geduld der Hoffnung auf den Frieden, den Gott will und immer wieder neu verspricht. Leiden sie an der Tatsache, dass auch hierzulande in unseren Städten Menschen auf der Straße leben, brauchen sie Geduld, wenn ihre Hilfe zwar angenommen wird, aber nicht hilft, das Alkoholproblem und andere soziale Schwierigkeiten so zu meistern, wie sie es sich vorstellen. Leiden sie selbst an Krankheit und Einsamkeit, brauchen sie Geduld mit den Mitmenschen, die an diesen vorweihnachtlichen Tagen überfordert sind, Zeit und Freude mit ihnen zu teilen, aber vielleicht an sie gedacht und hier in diesem Gotteshaus eine Kerze für sie angezündet und gebetet haben. Geduld müssen wir täglich mit uns selbst haben. Wie gerne würden wir die Welt im Handumdrehen zum Guten verändern. Seid geduldig, ruft auch uns Jakobus zu. Eure Liebe und Freundlichkeit, womit ihr euch anderen Menschen zuwendet, und eure Kräfte, die ihr für eine bessere Welt einsetzt, sind nicht vergeblich. „Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.“

Kostbare Frucht

Habt also Geduld miteinander und mit euch selbst, übt Achtsamkeit, nehmt einander wahr, auch und gerade, wenn es um den Glauben geht. Schaut, wo wir helfen, aufrichten und trösten könnt. Seid wachsam gegenüber jeder Form von Ungerechtigkeit und bemüht euch um Gerechtigkeit, werdet einander gerecht. Stärkt eure Herzen, schöpft Kraft für das, was euch im Innersten wichtig ist, für euer Denken, Fühlen und Wollen. Besinnt euch täglich auf das, was ihr könnt, was als Aufgabe gemacht werden muss, ohne dass ihr euch selbst überfordert oder aufgebt. Kommt zur Besinnung, kommt zu dem, was sich als Kraftquelle für euch anbietet – und das schöpft mit vollen Händen. Heute zum Beispiel im Gottesdienst, im Hören auf Gottes Wort, in der Musik, im Singen der Adventslieder, in der stillen Betrachtung der beiden Adventskerzen, die heute brennen, in der liebevollen Begegnung mit einem anderen Menschen, in einem schönen Spaziergang heute Nachmittag. So gestärkt teilt wieder aus und lebt in der Gewissheit, dass Jesus kommt, auf euch zukommt, bei euch ankommt, wie es das Wort Advent umschreibt. Von Ihm bekommt ihr die Kraft aus der himmlischen Welt. Jesus ist – das wissen wir seit Ostern – „die kostbare Frucht“, die unsere Erde mit dem Himmel verbindet. In seinem Namen säen auch wir heute in Glaube, Hoffnung und Liebe gute Saat aus und „gedulden“ uns, „bis die frühen oder die späten Früchte reif sind“.

Amen.

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