Lehre mich die Weihnachtskunst

Der heilsamen Gnade Gottes Zeit und Raum geben

Predigttext: Titus 2,11-14
Kirche / Ort: St.Martini / Estebrügge (21635 York)
Datum: 24.12.2009
Kirchenjahr: Christvesper
Autor/in: Pastorin Dr. Martina Janßen

Predigttext: Titus 2,11-14 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen und nimmt uns in Zucht, dass wir absagen dem ungöttlichen Wesen und den weltlichen Begierden und besonnen und gerecht und fromm in dieser Welt leben und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilands Jesus Christus, der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns erlöse von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das eifrig wäre zu guten Werken.

Exegetische und homiletische Überlegungen

Mit dem hymnisch geprägten Perikopentext Tit 2,11–14 endet die Paränese des zweiten Kapitels des Titusbriefes (Haustafel und Lebensordnung) und findet zugleich ihre christologische Begründung (vgl. gar in V11!). Das Christusereignis wird als Epiphaniegeschehen beschrieben (vgl. auch 1 Tim 6,14; 2 Tim 1,10; 4,8; Tit 1,3; Tit 3,4–7), und zwar in doppelter Hinsicht (2,11.13): Die erste Epiphanie– die Inkarnation - liegt in der Vergangenheit (Tit 2,11: epephane), die zweite Epiphanie – die Parusie - wird für die Zukunft erwartet (Tit 2,13). In der Zwischenzeit – in der Gegenwart der Leser - hat die allen Menschen erschienene Gnade eine „pädagogische“ Funktion (charis paideuousa). Die Gnade erzieht zum gottgerechten Leben a) im Hinblick auf den Umgang des Menschen mit sich selbst (sophronos), b) im Hinblick auf den Umgang mit den Mitmenschen (dikaios) und c) im Hinblick auf den Umgang mit Gott (eusebos) (sophronos, dikaios, eusebos weisen auf drei der vier Kardinaltugenden der hellenistischen Ethik hin; es fehlt die Tapferkeit). Angesichts der erwarteten Parusie ist der Mensch zum ethischem Handeln aufgefordert (vgl. auch 1 Tim 6,14; 2 Tim 4,1.8), wozu er durch die Gabe der rechtfertigenden (Tit 3,4-7) und erziehenden (Tit 2,11-14) Gnade (erste Epiphanie) auch fähig ist. Folgende Aspekte sind für meine homiletische Entscheidung wichtig: - Die ambivalente Erfahrung von Gnade als „ewigem Gerücht“ (Max Frisch) und „globaler Proklamation“ (Tit 2,11) spiegelt sich im Konzept der „doppelten Epiphanie“ wider. Christliche Existenz bewegt sich zwischen dem „schon jetzt“ (erste Epiphanie) und dem „noch nicht“ (zweite Epiphanie) der Gnade. - Christliche Existenz „zwischen den Zeiten“ muss gestaltet werden. Hier fügt sich die Vorstellung von der „erziehenden Gnade“ (Tit 2,12) ein. Gottes Gnade ist dabei „Heilspädagogik“ im wörtlichen Sinne (V11: soterios!); ihre „Erziehungsmittel“ sind Heilung (erste Epiphanie) und Hoffnung (zweite Epiphanie). - Durch die erste Epiphanie der Gnade wird der Mensch „heil“ („heilsame Gnade“). Wenn wir diese heilsame Gnade in uns wirken lassen, passiert etwas in uns und mit uns, dann verändern wir uns und das strahlt aus in die Welt. Wir sind begnadet zur Gnade in einer gnadenlosen Welt. Gottes Gnade ist Gabe und Aufgabe zugleich. - Mit Besonnenheit, Frömmigkeit und Gerechtigkeit Freiräume zu schaffen für die allen Menschen erschienene heilsame Gnade – das ist die „Weihnachtskunst“, die sich von den üblichen, oft kommerzialisierten Weihnachtsvorstellungen unterscheidet. - Als Predigtlied legt sich EG 40 nahe (Text: Kaspar Friedrich Nachtenhöfer [1684]): Sowohl der Aspekt der Epiphanie („Dies ist die Nacht, da mir „erschienen“ des Gottes Freundlichkeit...“ [Tit 2,11; 3,4]) als auch die „pädagogische“ Wirkung des „Gnadenscheins“ (Tit 2,12) sind vorhanden, weswegen sich auch eine Liedpredigt anbieten könnte; vgl. besonders Strophe 4 und 5.

Zur Liturgie

Segen (Dorothee Sölle, verrückt nach licht, Berlin 1984, S. 159): Gott segne und behüte uns das licht von bethlehem scheine in unseren herzen und dringe vor aus dem elendsstall in die paläste wir sind das licht der welt geht hin frieden zu schaffen

zurück zum Textanfang

Predigt

Liebe Gemeinde!

Weihnachten feiern, aber wie?

„Drum, Jesu, schöne Weihnachtssonne, bestrahle mich mit deiner Gunst; dein Licht sei meine Weihnachtswonne und lehre mich die Weihnachtskunst, wie ich im Lichte wandeln soll und sei des Weihnachtsglanzes voll.“ (EG 40,5) Ich habe das gerade aus vollem Herzen mitgesungen: „Lehre mich die Weihnachtskunst!“ Das spricht mir aus der Seele. „Wie feiern wir dieses Jahr eigentlich Weihnachten?“ Vor nicht allzu langer Zeit haben wir uns das im Mitarbeiterkreis gefragt. Welche Lieder singen wir dieses Jahr im Gottesdienst? Soll der Tannenbaum in unserer Kirche so groß sein wie letztes Jahr? Größer vielleicht oder kleiner? Weihnachtsgottesdienste zu planen ist eine kleine Kunst… Auch zuhause beschäftigt mich diese Frage. Wie feiere ich Weihnachten? Gerade als Pastorin ist es eine Kunst, an diesen Tagen Beruf und Privatleben zusammen zu bringen, die richtige Work-life-Balance zu finden und zu halten. Unserer Organistin und unserer Küsterin geht es da nicht anders. Überhaupt: Wenn ich S-Bahn fahre, schwirren überall diese Fragen durch die Luft: Wie schmücke ich mein Haus? Was macht das perfekte Weihnachtsfest aus? Gehört die Gans dazu? Und was ist mit der Schwiegermutter? Auch im Alsterhaus in Hamburg, das mein Mann und ich letzte Woche beim Einkaufsbummel besucht haben, haben die sich das wohl gefragt. Was machen wir dieses Mal aus Weihnachten? Weihnachten ist auch eine marketingstrategische Herausforderung. Die Suche nach der optimalen Weihnachtsdekoration, die modernen Life-Style und Festtagstradition auf originelle Weise in sich vereint. Neue Farben und Formen. Dieses Jahr: Türkis, lila und pink. Weihnachtskugeln, die aussehen wie Lollis. Candy Christmas. Süß und grell. Suche auch nach neuen Klängen zwischen Chilling-Christmas-Lounge und Santa-Rapp. Christmas 3.0. Christkindel-After-Party statt Adventskaffe. Rezepte für ein gelungenes Fest sind begehrt – und das gilt nicht nur für das Plätzchenbacken. Die Balance zwischen Hektik und Besinnlichkeit zu finden ist eine Kunst. Manch einer hat beim Vorglühen im Advent sein Pulver schon verschossen. Und während der eine an einem besonders kunstvollen Fest feilt, sucht so manch anderer schon heimlich nach seiner ganz persönlichen Christmas-Exit-Strategie. Darüber gibt es viele Fernsehfilme. Komödien meist. Aber zu lachen ist das im wirklichen Leben nicht immer… Zu hohe Erwartungen: Geschenke deluxe und Familienidylle pur. Festtagshektik. Die Realität kann ernüchternd sein, wenn sich die „heile Welt-Idylle“ auflöst oder reines Wunschdenken bleibt.

Nicht selten ist nach Weihnachten der ein oder andere Riss in der Familienharmonie zu kitten. Mitunter bleibt ein fader Nachgeschmack. Leib und Seele sind übersättigt von Keksen, Harmonie und Jinglebells. Das Gefühl: Weihnachten kann gnadenlos sein; nächstes Jahr klinken wir uns aus irgendwo in der Südsee. Wie feiere ich Weihnachten richtig? „Lehre mich die Weihnachtskunst!!“ Auch jenseits von Marketingkonzepten und Familienfest eine Aufgabe. Und oft eine wirklich schwere…. Wie soll ich eigentlich Weihnachen feiern? Wenn mir nicht danach zumute ist. Wie soll ich singen aus lauter Kehle: „O du fröhliche!“, wenn mir die Kraft fehlt, die Stimme versagt und mir das Lachen im Hals stecken bleibt. Weil ich allein bin, weil ich Schmerzen leide, weil ich Hunger habe. Wie kann ich heile Welt spielen, das perfekte Weihnachtsfest planen, wenn gerade etwas in mir kaputt geht? Weil ich Angst habe, weil ich schuldig geworden bin, weil ich nicht weiter weiß. Was mache ich auf dem Fest des Friedens, wenn mein Herz unruhig ist, weil ich jede Schlacht meines Lebens verloren glaube? Wie kann ich voll des Weihnachtsglanzes sein, wenn mein Herz stumpf ist? Weil in der „gnadenreichen Zeit“ (EG 44) für mich Gnade doch nur ein „ewiges Gerücht“ (Max Frisch) ist. „Ach, Herr, lehre mich die rechte Weihnachtskunst.“

Weihnachtskunst

Liebe Gemeinde! „Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen und nimmt uns in Zucht, dass wir absagen dem ungöttlichen Wesen und den weltlichen Begierden und besonnen und gerecht und fromm in dieser Welt leben und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilands Jesus Christus, der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns erlöse von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das eifrig wäre zu guten Werken (Tit 2,11-14).“ Angesichts von Weihnachten leben – das, was unser Predigttext sagt, klingt ungewohnt: absagen dem ungöttlichen Wesen und den weltlichen Begierden und besonnen, gerecht und fromm leben und Hoffnung haben. Das klingt bibeltreu und bieder – ganz anders als das Weihnachtsprogramm, mit dem uns die Kaufhäuser locken, ganz anders als die vorweihnachtlichen Ratschläge in den Zeitschriften, die mit neuen Vokabeln wie Konfliktvermeidung, Psychostress und Zeitmanagement professionell jonglieren. Die Weihnachtskunst, von der Paulus spricht, ist etwas ganz anderes als das Pendeln zwischen Harmonie und Hektik. Besonnen, gerecht und fromm leben. Das klingt nicht nach einem Weihnachtsevent deluxe, aber das kann wirklich heilsam sein.

Besonnen sein zum Beispiel. Besonnenheit klingt ein wenig altmodisch, aber heißt nichts anderes als sich auch mal auszuklinken aus der Spirale von Kitsch und Konsum. Besonnen sein heißt Stress, Shopping, Styling einmal hinter sich lassen und gelassen ganz bei sich sein, sich mit allen Sinnen Ruhe gönnen. Der alte Philosoph Plato hat einmal gesagt: Besonnen sein heißt das Seine und damit das Gute zu tun. Das hat nichts mit Egoismus zu tun – „Jetzt bin ich aber dran!“, sondern mit Selbsterkenntnis: „Wer bin ich?“ Welche Träume lassen mein Herz brennen? Was nimmt mir die Luft zum Leben? Was gibt mir Kraft? Eine Stunde Zeit ganz für mich – das kann ein wirklich wertvolles Geschenk sein. Da ist dann Raum für heilsame Erfahrungen, für wahre Besinnlichkeit und keine inszenierte. Sich frei machen von der Übersättigung, ganz bei sich sein. Das können Stunden sein, die wertvoller sind als jeder Diamant. Weil sie das Leben von innen verändern und nicht nur die Fassade schmücken. Eine Stunde Fragen zulassen, Antworten finden vielleicht. Gottes Gnade auch. Davon wird die Seele wirklich satt. Weihnachten einmal ganz bei sich sein. „Lass dich erleuchten, meine Seele, versäume nicht den Gnadenschein; der Glanz in dieser kleinen Höhle streckt sich in alle Welt hinein; er treibet weg der Höllen Macht, der Sünden und des Kreuzes Nacht.“ (EG 40,2)

Oder fromm sein – auch ein altmodisches Wort. Das heißt aber nichts anderes als offen sein für Gottes Gnade. Bei Gott sein. Das muss kein ergebenes Gebet sein mit Worten, die dem Herzen fremd sind. Auch das ist Frömmigkeit – das Gebet einer jungen Frau, das ich vor ein paar Tagen gelesen habe. „Ich stehe hier in meinen Jeans mit geballten Fäusten und gebrochenem Herzen. Ich schweige und bitte dich um nichts, aber halte meinem Blick stand!“ (Valentina Pantano). Fromm sein – Das ist das Gefühl. Gott, du bist da, was immer passiert. Das Wissen – hinter jedem Abgrund ist Gott und hält mich. Ich kann nicht tiefer fallen als in seine Arme. Das Vertrauen auf den Tag in der Nacht. Fromm sein: Da zeichnet keine aufgesetzte Fröhlichkeit ein Lachen in mein Gesicht, das mir im Herzen fremd bleibt, sondern das setzt – ganz still und leise – wirkliche Freude frei, um neu zu leben. Fromm sein. Offen sein für Gottes Gnade. Weihnachten einmal ganz bei Gott sein. „In diesem Lichte kannst du sehen das Licht der klaren Seligkeit; wenn Sonne, Mond und Sterne vergehen, vielleicht noch gar in kurzer Zeit, wird dieses Licht mit seinem Schein dein Himmel und dein Alles sein.“ (EG 40,3)

Oder gerecht sein – Nicht als Richter, der weihnachtliche Milde walten lässt. Nicht das Almosen im Vorübergehen, das Weihnachten irgendwie dazugehört. Christliche Gerechtigkeit ist etwas anders als Christmas-Charity. Keine großen Gesten, sondern kleine Zeichen der Menschlichkeit. Trauer teilen für einen Moment. Hunger heilen für eine Nacht. Schmerz stillen für einen Augenblick. Gerecht sein – Sich öffnen für den anderen, ganz bei ihm sein. Damit kommt man nicht in die Zeitung, aber einander nahe. Und das kann heilsam sein. „Lange saßen sie dort und hatten es schwer. Doch sie hatten es gemeinsam schwer, und das war ein Trost. Leicht war es trotz allem nicht (Astrid Lindgren).“ Die Not nicht ausblenden. – nicht die der anderen und die eigene auch nicht. Gemeinsam Fragen aushalten, gemeinsam Vertrauen wagen, erste Schritte gehen vielleicht. Weihnachten – einmal ganz bei dem anderen sein. „Lass nur indessen helle scheinen dein Glaubens- und dein Liebeslicht; mit Gott musst du es treulich meinen, sonst hilft dir diese Sonne nicht; willst du genießen diesen Schein, so darfst du nicht mehr dunkel sein.“ (EG 40,4)

Das Geschenk auspacken und annehmen

Liebe Gemeinde! Heute Nacht ist allen Menschen die heilsame Gnade Gottes erschienen. Dieser Gnade Zeit und Raum zu geben – das ist die Weihnachtskunst. Die Regeln sind klar. Besonnenheit, Gerechtigkeit, Frömmigkeit. Alte Tugenden. Klingt ein bisschen nach „Lob der Disziplin“, zwischen retro und reaktionär. Scheint zu der erziehenden Gnade zu passen, von der Paulus spricht, oder – wie Luther übersetzt – zu der „Gnade, die uns in Zucht nimmt“. Aber um schwarze Pädagogik geht es nicht. Gottes Gnade macht uns heil. Sie ist ein Geschenk. „Heilspädagogik“. Wenn wir diese Gnade in uns wirken lassen, passiert etwas in uns und mit uns, dann verändern wir uns: Unsere Beziehung zu uns selbst, zu anderen Menschen und zu Gott wird heil. Dahinter steht ein vertrauter Gedanke: Erfahrungen prägen Menschen. Wer Liebe erfährt, wird dazu befähigt, selber zu lieben. Weil die Menschenfreundlichkeit Gottes (Titus 3,4; EG 40,1) die Menschen freundlich macht, entstehen Heilsräume in einer kaputten Welt. Gottes Gnade ist ein Geschenk. Die Kunst besteht darin, es auszupacken und anzunehmen. Sich Weihnachten dafür Raum und Zeit nehmen. Einmal ganz bei sich sein – einmal ganz bei Gott sein – einmal ganz bei dem anderen sein. Sternstunden, die heller strahlen als jede Lichtarchitektur der Weihnachtsmärkte. Sternstunden, die sich in den Augen des anderen spiegeln. Sternstunden, die noch lange im Herzen strahlen, wenn alle Weihnachtslichter längst ausgeschaltet sind. „Dies ist die Nacht, da mir erschienen des großen Gottes Freundlichkeit, das Kind, dem alle Engel dienen, bringt Licht in meine Dunkelheit, und dieses Welt- und Himmelslicht weicht hunderttausend Sonnen nicht.“ (EG 40,1)

Amen

zurück zum Textanfang

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.