Die Menschwerdung Gottes in uns aufnehmen
Gott hat mit der Geburt Jesu einen neuen Lebens-, Zeit- und „Wissensraum“ eröffnet
Predigttext: 1. Johannes 5, 11-13 (Eigene Übersetzung)
11 Und dies ist das Zeugnis: Gott hat uns ewiges Leben gegeben und dieses Leben ist in seinem Sohn. 12 Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht. 13 Dies habe ich euch geschrieben, damit ihr wisst, dass ihr ewiges Leben hat, ihr, die ihr an den Namen des Sohnes Gottes glaubt.Gedanken zum Predigttext
Wie auch an anderer Stelle, so ist auch dieser Abschnitt weniger im Stil eines Briefes gehalten als vielmehr im Stil einer Beweisführung. Logik ist das hervorstechende Merkmal dieser Verse. Hier wird etwas Wahres angesagt, das schlüssig ist und Überzeugungskraft hat. Denn es ist ein Zeugnis, das hier – wie vor einem Gericht – vorliegt. Und der Schreiber verbürgt sich selbst für die Wahrheit des Gesagten. Hier findet keine Diskussion statt, kein Suchen nach Wahrheit. Hier wird steil geäußert, was ist: Wer an den Gottessohn glaubt, der hat ewiges Leben. Gott hat uns dieses ewige Leben in seinem Sohn gegeben: Anklänge an Weihnachten. Und noch eins: Glauben und Wissen sollen hier verbunden werden. Also weder die Alternative Glaube – Gefühl oder Wissen – Säkularität. Sondern – und das schreibt der Autor mit seiner eigenen Hand: Ihr wisst, was ihr glaubt und glaubt, was ihr wisst. Man denkt an die Aufsatzreihe von R. Bultmann, Glauben und Verstehen. 1 Joh will diese garstige Spaltung zwischen (realistischem) Denken und (kindlichem) Glauben überwunden wissen. Historisch müssen wir uns unter dem Autor einen Christen vorstellen, der sich mit der populären Gnosis auseinandergesetzt hat – oder sogar von den Gnostikern angefeindet wurde. Diese lehrten Erkenntnisstufen, die man buchen und damit immer höher auf der „Erkenntnisleiter“ klettern konnte. Wollte man schließlich von der jungen Lehre des Wanderpredigers Jesus deshalb nichts mehr wissen, weil es in den gnostischen Mysterien eher emotional und dramatisch zuging? Zuerst war die Lehre des Christentums von der Gleichheit aller Menschen vor Gott und vielleicht auch die umlaufenden Geschichten über Jesus mit seinen „Zwölfen“ beliebt. Aber dann zogen die Gnostiker, die den Gottes-Sohn retten wollten und den gekreuzigten Menschen-Sohn ablehnten, doch wieder die Menschen mit ihren „Erkenntnissen“, ihrem „Schauen oder Einswerden mit dem Gegenstand der Erkenntnis“ (RGG3 II, 1648) in ihren Bann. Versprachen sie doch den Leuten einen „neuen“ Menschen und ein „neues“ Leben, wenn sie „im Lichte“ stünden. Kein Wunder, dass 1 Joh sich darstellt wie ein Zeuge vor Gericht, der bezeugt, was er selbst gesehen, erlebt und erfahren hat. Und er gebraucht dann auch Wörter wie Lügner und Sünder, um die Gegner anzugreifen. Und dann ist er der Anwalt der jungen Gemeinden, die er vor (dem gnostischen) Gericht verteidigt. Hier verliert 1 Joh alle Sanftheit, die in dem Brief so oft zu lesen ist.Gebet
Herr, unser Gott, Weihnachten ist nicht vorbei. Wir bewegen es in unserm Herzen und erzählen davon, geben Zeugnis, dass Du uns das Leben geschenkt hast. Damals, als Du im Stall von Bethlehem in unser Leben getreten bist, als uns die Engel Frieden für unser Leben verkündet haben und „den Menschen ein Wohlgefallen“. Wir wollen es beherzigen und Menschen Hoffnung geben, Raum und Leben. / So trete ich meinen Weg an mit euch, ihr anderen, die ihr mit mir in Christus seid. Ich weiß mich begleitet von euch, auch wenn wir uns nicht immer sehen. In Chistus sind wir verbunden, sind Brüder und Schwestern auf dem Weg, unterwegs zu deinem Licht. Wir sehen und handeln, helfen und stützen, gehen und verweilen, wo es Not tut. Damit sich Sein Leben, das „ewige“ Leben ausbreitet. / Und das Licht und das Lied der Weihnacht umgeben uns in allem, was wir tun. Und Gott, der Vater Jesu Christi, ist bei uns „am Abend wie am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag“. So gehen wir gesegnet in unser Leben. Und der Friede Gottes, der höher ist als unsre Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen.Predigt
Liebe Gemeinde!
Nun ist es schon wieder einige Tage her, dass wir Weihnachten, das „größte Fest der Christen“ gefeiert haben. Vielleicht tut es uns leid, dass Weihnachten nicht länger dauert. Aber vielleicht sehen wir durch Weihnachten die Dinge klarer. In diese Situation wird uns am heutigen 2. Sonntag nach Weihnachten eine Perikope vorgelegt, die so alles sanfte und zarte vermissen lässt. Ich hätte Euch lieber einen Text ausgelegt, der noch mehr von Weihnachten zeugt. Aber Weihnachten soll eben nicht bei Christstollen und Weihnachtengeln oder Weihnachtsoratorium stehenbleiben. Es soll weiterwirken. Und wir sollten die Menschwerdung Jesu Christ in uns aufnehmen, damit sie uns wandelt, verändert und lebendig macht. Also lese ich den Text noch einmal vor:
(Lesung des Predigttextes)
Ich habe eben gesagt, dass wir eigentlich als Christen die Menschwerdung Gottes in uns aufnehmen sollten, dass sie uns nicht mehr fremd vorkommt. Der erste Johannesbrief sagt: „Wer den Gottessohn hat, der hat das Leben“. Vielleicht fällt uns das Abendmahl ein, bei dem wir unter Brot und Wein Jesus Christus in uns aufnehmen, sodass wir ihn haben, in uns haben. Das ist gut, wieder einmal zu hören! Und Gedanken beschleichen mich, was ich tun muss, damit Er in mir einkehrt, oder auch, dass Er in mir bleibt und ich in Ihm. Die Gnostiker (auch auf den heutigen Esoterik-Märkten) wissen trickreich anzubieten, wie man Gott in sich aufnehmen kann. Die Methoden sind zahlreich. Oftmals mischen sich medizinisch – therapeutische Methoden hinein: „Du brauchst nur …“ Und der Markt boomt. Und es fühlen sich alle angesprochen, Akademiker, Angestellte, Arbeitslose, Frauen, Kinder, Erwachsene. Alle wollen etwas von diesem Kuchen des Glücks haben. Schaut nur mal in den „Weltbild“- Katalog!
Ich steh an deiner Krippen hier (Lied EG 37)
Der Verfasser des ersten Johannesbriefes bezieht sich auf den Anfang: „Gott hat uns das ewige Leben gegeben, und dieses Leben ist in seinem Sohn“. Das ist Weihnachten. Uns hat Gott mit Jesus beschenkt. Wir haben plötzlich das Leben gespürt. Alles, was vorher war, ist Vergangenheit, ist Tod. Der neugierige, moderne Mensch möchte natürlich mehr wissen: Wann hat dir, du Verfasser des ersten Johannesbriefes, Gott das Leben gegeben? Woran hast du das gemerkt? Was ist seither anders bei dir? Hat das „ewige Leben“ Auswirkungen auf deine Umwelt gehabt? Woran haben deine Freunde oder Familienangehörigen das neue Leben erkannt? Dennoch können wir spüren, dass da ein Mensch beschreibt, wie er das Leben bekommen hat. Das muss ein außergewöhnlicher Vorgang und Zeitpunkt, ja vielleicht ein Wendepunkt in seinem Leben gewesen sein. Und wie können wir Wendepunkte in unserm Leben beschreiben, wie bezeugen, dass seitdem unser Leben anders ist, neu, gewandelt, „ewig“? Ich weiß von Menschen, die einen solchen turning point erlebt haben, dass ihnen andere Werte wichtig geworden sind. Manchmal sieht das wie ein Bruch in der eigenen Karriere aus, wenn sich ein Manager nicht mehr von Terminen, Geld, Macht und Einfluss treiben lässt, sondern sich fragt, in wessen Namen er eigentlich lebt und wo denn die Freude in seinem Leben geblieben ist. Ich kann mir vorstellen, dass damals – ca. 100nC – viele Christen ihre „Bekehrung“ als Wendepunkt bezeugt haben. Sicherlich war es oft eine sehr innerliche „Bekehrung“, die in eine Gruppe, eine Gemeinde, eine Kirche geführt hat. Der erste Johannesbrief spricht mit seinen Worten eine solche Gemeinschaft an. Er versucht, ihnen Selbstbewusstsein zu geben. Ja, Weihnachten hat Gott uns das Leben wieder gebracht wie seinerzeit bei der Schöpfung der Welt. Er hat mit dem Stall von Bethlehem einen neuen Lebensraum eröffnet, einen neuen Zeitraum und einen neuen „Wissensraum“.
Gelobet seist du, Jesu Christ (Lied EG 23)
Dem Verfasser des ersten Johannesbriefes geht es auch um das Thema Glauben und Verstehen: „Ihr Christen sollt wissen, dass ihr das ewige Leben habt, die ihr glaubt an den Namen des Gottessohnes“. Also liegt hier keine Unvereinbarkeit vor: Wer glaubt, kann wissen, wer weiß, kann glauben. Das klingt nach integriertem Leben. Hier gibt es keinen Kinderglauben, den man an den Haken gehängt hat, weil das heutige Leben Realismus und Analysen verlangt, und an den man sich gelegentlich nostalgisch erinnert. Glauben sei unvereinbar mit den Fakten und Analysen? Nein, der Autor des ersten Johannesbriefes spricht auch Menschen wie dich und mich an. Im Gegenteil: er warnt davor, Glauben und Verstehen auseinanderzuhalten. Christ sein in der Politik, im Betrieb, in der Familie, in der Freundschaft. Oft sind uns hergebrachte „christliche“ Formen fragwürdig geworden. Dann hilft ein Blick auf den erwachsenen Jesus und wie er mit den Menschen umgegangen ist, um neue Formen von gelebtem Christentum zu finden. Wichtig ist es, zu sehen, dass sich in der eigenen Umgebung Wunder ganz alltäglicher Art ereignen. Plötzlich konnte einer wieder gehen oder ein anderer hat wieder durchgeblickt, oder wieder ein anderer, der sich längst tot geglaubt hat, hat ein „ewiges“ Leben gelebt. Viel wichtiger ist es, dass in Christus Menschen wieder einen Sinn in ihrem Leben sehen. Dass sie aufbrechen wie die Hirten auf dem Felde damals oder auch die Weisen aus dem Morgenland. In Christus hören wir „Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“. Und wer Christus in sich aufgenommen hat, der lebt richtig, ewig, ganz in dieser Welt, auf dieser Erde. Dies ist die Botschaft der Weihnacht, die uns trösten, ermutigen und zu Zeugen machen will. Mit dieser Botschaft sind wir Gesandte, Apostel. Mehr wollte der Verfasser des ersten Johannesbriefes nicht sagen. Darum lese ich die drei Verse abschließend noch einmal vor (Lesung des Predigttextes).
Amen.