Unsere Zeit in Gottes Händen
Das alte Jahr beschließen und voller Vertrauen die Schwelle des Neuen betrete
Predigttext: Römer 8,31b-39 (Eigene Übersetzung Michael Glöckner)
Was sollen wir also dazu sagen? Ist Gott auf unserer Seite, wer kann dann gegen uns sein? Der sogar seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle dahingegeben hat; wie sollte er uns mit ihm nicht auch alles schenken?! Wer will [dann] Anklage gegen die Auserwählten Gottes erheben?! Gott ist es, der gerecht macht. Wer will verurteilen?! Christus Jesus, der gestorben, ja vielmehr auferweckt worden ist; der ist zur Rechten Gottes, der legt auch Fürsprache für uns ein. Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis, Not, Verfolgung, Hunger, Nacktheit, Gefahr oder [das] Schwert, wie geschrieben steht: „Deinetwegen werden wir den ganzen Tag zu Tode gebracht, wir werden angesehen wie Schafe der Schlachtung.“ Aber in diesem allen überwinden wir durch ihn, der uns seine Liebe erwiesen hat. Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Vorhandenes noch Kommendes noch Kräfte, weder Höhe noch Tiefe, noch irgendeine andere Schöpfung kann uns trennen von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.Einige Weichenstellungen für die Predigt
Über den Silvestergottesdienst
Der Gottesdienst am Altjahresabend erfährt seit einiger Zeit in vielen Gemeinden einen überdurchschnittlichen Zuspruch, der sich nicht selten auch zahlenmäßig erweist. In der Orientierung an Gottes Wort die eigene Lebenszeit zu gestalten, in Gebeten das Wesentliche fassen und vor Gott zu bringen und mit dem Segen Gottes über die Schwelle eines neuen Jahres zu treten, motiviert Gottesdienstbesucher/innen, kirchentreue wie solche, die dem christliche Glauben nur marginal verbunden sind. Der letzte Gottesdienst im Jahr ist eine Art Kasualie im weiteren Sinne geworden. Manche Gemeinden unterstreichen diesen Anspruch, indem sie Taufgedächtnis feiern, andere gehen noch weiter und verlesen die Namen aller im zurückliegenden Jahr Getauften, Konfirmierten, Getrauten und der Ehejubilare/innen. (vgl. die Jahresstatistik der evangelisch-reformierten Gemeinden in der deutschsprachigen Schweiz; zu dem Aspekt der religiösen Ausgestaltung von Schwellen im Lebenskreis vgl. die Ausführungen von E.Winkler, Tore zum Leben. Taufe-Konfirmation-Trauung-Bestattung, Neukirchen-Vluyn 1995, 11-35, und U.Wagner-Rau, Segensraum. Kasualpraxis in der modernen Gesellschaft, Stuttgart 22008, passim.) Thematisch ist der Gottesdienst durch die Verkündigung der Liebe Gottes (Karl Barth überschreibt die Gedankenführung des Abschnitts Röm 8,28-39 mit „Die Liebe“, in: Der Römerbrief, Zürich 151989, 328), die sich in der Fürsorge für die Seinen durch die Zeiten hindurch erweist, geprägt (zum Begriff der „Fürsorge Gottes“ vgl. W.Krötke, Gottes Fürsorge für die Welt. Überlegungen zur Bedeutung der Vorsehungslehre, in: ThLZ 108, 1983, 241-252). Bezüge zu Weihnachten sind an diesem Abend offenkundig, oftmals ist die Kirche noch weihnachtlich geschmückt. Das Abendmahl ist für viele Gottesdienstteilnehmer/innen eine lieb gewordene Tradition, die sich mit dem letzten Abend des Jahres verbindet.Über den Predigttext
Mit dem „Hohenlied der Heilsgewissheit“ (U.Wilckens, EKK VI/2, Neukirchen-Vluyn 21987, 177), welche in der in Jesus Christus zur Geltung gekommenen Liebe Gottes begründet wird, findet ein längerer Argumentationszusammenhang, der mit 5,1 begonnen hat, ein vorläufiges Ende. In starken Worten bekräftigt Paulus, was er zuvor über die Betroffenheit des Menschen durch das göttliche Rechtfertigungsgeschehen dargelegt hatte. Auf ein einleuchtendes Finale soll nun alles ab 5,1 Gesagte gebracht werden. So und nicht anders ist das Evangelium Gottes endgültig zu verstehen. Aufgrund der in 8,28-30 versicherten Heilsgewissheit ist Paulus genötigt, eine Klärung angesichts der faktischen Leidenssituation der Christen zu schaffen (D.Zeller, RNT, Regensburg 1985, 151). In Form einer Gerichtsverhandlung zwischen Gott und einem fiktiven Ankläger, der den Menschen gegenübersteht, soll nun das abschließende Urteil gesprochen werden. Doch ist bereits die von einem Konditionalsatz abhängige Eröffnungsfrage rhetorisch (V 31b), es wurde schließlich alles schon gesagt. Dass Gott auf unserer Seite ist, hat Paulus bezüglich der Gotteskindschaft konstatiert (Röm 8,14ff., vgl. auch die Abhandlung über die Taufe, Röm 6). Durch die Liebe Gottes ist jede Anklage den zu Gott Gehörenden gegenüber von vornherein ad absurdum geführt. Seine Liebe „bildet das Kontinuum zur Heilsvollendung, das von den Leiden dieser Zeit nicht mehr unterbrochen werden kann.“ (D.Zeller, a.a.O., 165) Dennoch werden die Leiden in der erlösungsbedürftigen Welt (Vv 18ff.) aufgezählt (Vv 35.38f.). An Schärfe haben sie (noch) nicht verloren und sollen darum nicht kleingeredet werden. Durch Gottes Eintreten für die Menschen in Jesus Christus sind sie jedoch zum Vergehen bestimmt (vgl. W. Krötkes Barth-Interpretation zu KD III,3 in: Sünde und Nichtiges bei Karl Barth, Neukirchen-Vluyn 21983; zu exegetischen Einzelheiten vgl. die umfassende Kommentarliteratur zum Römerbrief, neben den Erwähnten P.Stuhlmacher, NTD 6, Göttingen 1998; K.Haacker, ThHK 6, 1999; englischsprachig J.Dunn, WBC Dallas 1988).Über die Predigt
Die Ambivalenz zwischen erlebter Welterfahrung und statistischer Wirklichkeitsanalyse einerseits wie der Gewissheit der Christen, Gott auf ihrer Seite zu haben, spannt den roten Faden durch die Predigt. Die Leiden der gegenwärtigen Zeit sollen weder klein-, noch schöngeredet, sondern theologisch verortet werden. Das bringt sie noch nicht zum Verschwinden, offeriert aber eine dem Rechtfertigungsgeschehen korrespondierende Umgangsweise mit ihnen (vgl. die sehr anregende Auslegung von Paul Tillich, Fürstentümer und Gewalten, in: Das Neue Sein. Religiöse Reden, 2. Folge, Berlin/ New York 61983, 56-64.- Alle Jahre neu. Weihnachtsmeditationen von Klaus-Peter Hertzsch und Weihnachtsbilder aus Thüringer Kirchen und Museen, hrsg. von Christine Lässig, Weimar 2000, 9f.).Predigt
Liebe Gemeinde!
Kein leichtes Jahr
Das war 2009! As every year wird in wenigen Stunden der Himmel über Deutschland die prächtigsten Farben unzähliger Leuchtraketen spiegeln und sich auf den Straßen das Knallen der Böller und Sektkorken mehr oder minder harmonisch abwechseln. Für einen Moment steht die Zeit still. Menschen liegen sich in den Armen und begrüßen sich erstmalig in einem neuen Jahr mit vielen guten Wünschen. Wenn am Morgen danach der Unrat beseitigt ist, kehrt recht bald wieder für ein Jahr Normalität auf den Straßen und in den Häusern ein.
Das war 2009! „Was sollen wir nun hierzu sagen?“ (V 31a) – am letzten Abend eines Jahres, in dem in unserem Land und anderswo Konjunkturhilfen, politische Wahlen und die Sorge vor Influenza A, genannt „Schweinegrippe“, dominierten? Was sollen wir sagen, wenn wir Rückblick auf 365 Tage halten (nun liegen sie hinter uns) und auf das Neue schauen, das in wenigen Stunden beginnen wird? Bilder ziehen noch einmal an unserem inneren Auge vorbei: der Amoklauf von Winnenden, die nicht enden wollende Gewalt in Afghanistan, die Sorge um Opel, global der gescheiterte UN-Klimagipfel von Kopenhagen, […]. Was sollen wir sagen am Ende eines Jahres, in dem manches gelungen, einiges aber auf der Strecke geblieben ist, auch persönlich? Viele mussten schmerzhafte Trennungen hinnehmen – von einem lieben Menschen, von einer vertrauten Gewohnheit, von ihrer Arbeitsstelle. Das alles hinterlässt Spuren, die nicht einfach wegzuwischen sind. Gewiss ist es kein leichtes Jahr, das wir mit dem heutigen Abend der Interpretation der Geschichtsschreiber überlassen, um unseren Blick erwartungsvoll auf das Neue zu richten.
Beschenkt
Wie gut, dass uns Paulus bei der Deutung der Geschichte helfen will. So können wir das alte Jahr beschließen und voller Vertrauen die Schwelle des Neuen betreten. In seinem Brief an die Christen in Rom argumentiert der Apostel mit „gewaltigen Worten“ (P. Tillich, a.a.O.). Was uns auch im neuen Jahr tragen wird, wie es uns in der Vergangenheit getragen hat, ist die Gewissheit: Nichts kann uns trennen „von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist, […].“ (V 38) So ist die Liebe unseres Gottes das bestimmende Thema am heutigen Abend. Diese Liebe ist das große Thema, mit dem wir das vergehende Jahr beenden und ein Neues beginnen dürfen. Diese Liebe Gottes, sie steht von Beginn an über unserer Welt, seiner Schöpfung, und sie wird diese einmal an ihr Ende bringen und erlösen. Weltzeit ist Gotteszeit, unsere Zeit steht in seinen Händen (Ps 31,16a) Daran gibt es keinen Zweifel, weder für das alte, noch für das beginnende Jahr, weder für die Geschwister im Glauben der vorigen Generationen, noch für alle, die uns einmal folgen werden.
„Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?“, ruft uns der Apostel Paulus zu (V 31b). Als Antwort führt er uns vor Augen, was Gott uns mit seinem Sohn geschenkt hat. Er ist genau eine Woche her, der Jahreshöhepunkt der Geschenke. Wie in jedem Jahr ist er von vielen Menschen über eine lange Zeit hinweg liebevoll vorbereitet worden. Kaum einer mag an Weihnachten denken, ohne sich sogleich der Weihnachtsgeschenke zu besinnen. Was wir einander schenken, jedes Geschenk, ist ein Abbild dessen, was uns von Gott an diesem Tag geschenkt worden ist. „Lobt Gott, ihr Christen alle gleich, in seinem höchsten Thron, der heut schließt auf sein Himmelreich und schenkt uns seinen Sohn.“ (EG 27, 1) Jeder, der sich an seinem Geschenk freut, mag nicht vergessen, was uns mit dem Kind in der Krippe, dem Sohn Gottes, geschenkt ist. Bevor wir das erste Geschenk in den Händen halten, sind wir mit dem Größten und Wichtigsten schon beschenkt worden. Neben allem, was auf den Tischen und unter den Christbäumen mittlerweile ausgepackt liegt, wird uns von Gott mit jedem Weihnachtsfest erneut Zeit geschenkt, Vertrauen wird uns geschenkt, Gemeinschaft, Liebe, Leben, alles wird uns geschenkt.
Belastendes
Doch können zwei oder drei besinnliche Tage am Ende kaum hinwegtäuschen über die Entbehrungen, die uns die restliche Zeit des Jahres belasten und die es uns schwer machen, manchmal sogar verstärkt an diesen besonderen Tagen, auch mit dem Glauben. Es gibt nicht nur harmonisch eingerichtete Weihnachtszimmer, es gibt Streitende, die immer wieder dem Hass und der Gewalt verfallen. Auch das vergangene Jahr war davon geprägt. Es gibt nicht überall erfüllte Kinderaugen, es gibt Hungernde, arme und arbeitslose Menschen, die Mangel an dem Lebensnotwendigen leiden und sich nach Gerechtigkeit sehnen. Armut wird zunehmend auch in unseren Kirchengemeinden ein Thema sein, und es ist ein guter Vorsatz für das neue Jahr, ein Augenmerk eben darauf zu legen. Es gibt nicht nur den vollen Gesang in festlich geschmückten Kirchen, es gibt Einsamkeit und Krankheit, die dazu führen, dass Menschen aus ihrer Lage kaum noch einen Ausweg sehen. Neben dem Licht der Weihnacht liegt über unserer Welt auch ein Schatten. Manchmal mag er wie eine dunkle Folie, von der sich Lichtvolles um so mehr abhebt, erscheinen. Der Apostel Paulus schreibt den Christen in Rom über die Leiden seiner Zeit, mit vielen haben wir es heute gleichsam zu tun: Trübsal, Angst, Verfolgung, Hunger, Blöße, Gefahr, Schwert. (V 35) Sie stehen dem, wonach wir uns in diesen Tagen so sehnen, entgegen. Sie sind nicht wegzureden. Die Leiden verschwinden nicht einfach, auch dann nicht, wenn man sich vornimmt, seine Konzentration anderen, schöneren Dingen zuzuwenden. Von Anfang an sind Christen den „Leiden dieser Zeit“ nicht entzogen gewesen. Bis zur Vollendung werfen sie einen schweren Schatten über unsere Welt. Sie fallen ins Gewicht, sie bedrücken, sie lasten schwer.
Gewissheit
Paulus bleibt aber bei ihnen nicht stehen. Er weiß darum, und wir Christen tun gut daran, sie mit ihm aufzudecken und zu benennen, denn wie viel Leid muten wir uns selbst und einander zu! Die Leiden dieser Zeit aber sollen aber nicht das letzte Wort haben: „Denn ich bin gewiss, […].“ – so schreibt der Apostel Paulus uns ins Herz, wovon er zutiefst überzeugt ist (V 38). Was uns jetzt beschwert, ist nicht von Dauer. Was Menschen heute erleiden, wird keinen Bestand haben. Hier redet einer, der mehr erfahren hat. Hier redet einer, der weiter sehen kann. Gott gibt die nicht auf, für die er sich einmal entschieden hat. „Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr der auch auferweckt worden ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt.“ (V 34) Christus Jesus ist hier, mitten in unserem Leben, in seiner Gemeinde, heute Abend. Christus Jesus ist hier, auch morgen, am ersten Tag des neuen Jahres und „[…] alle Tage bis an der Welt Ende.“ (Mt 28,20b) Daher kommt die Gewissheit, dass uns von seiner Liebe nichts trennen kann, weder „Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Hohes noch Tiefes […]“ (V 38f.) Eine Liebe ohne Ende, so geht Gott mit uns um. So wollen wir ihm begegnen, in Glück und Leid, im Guten wie im Schweren, voller Freude und Erwartung.
„Euer Herz erschrecke nicht!“, fordert uns der auferstandene Christus auf (Joh 14,1). Sein Wort begleitet uns als Jahreslosung durch das, was auf uns zukommt. Liebe Gemeinde, wie ein schneebedecktes Feld liegt es vor uns, das neue Jahr. Einige Termine sind bereits eingetragen. Vieles haben wir geplant: berufliche Projekte, Besuche bei der Familie und bei Freunden, möglicherweise eine Hochzeit, vielleicht einen Umzug, den Wechsel der Arbeitsstelle oder eine Operation. Das Jahr 2010 steht vor der Tür. Was es im Einzelnen bringen wird, können wir nicht wissen. Es ist gut, dass wir es nicht wissen. Wer könnte sich ernsthaft an einer Überraschung freuen, die ihm seit langem bekannt ist?! Wer würde das Schwere gerne im Voraus planen, dass es sich etwa vorbereiten könnte?! So treten wir ein in das Neue Jahr und sind gewiss, dass uns – was immer auch kommt – „[…] weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn“ (Vv38f.).
„Eins aber, hoff ich, wirst du mir,
mein Heiland, nicht versagen:
dass ich dich möge für und für
in, bei und an mir tragen.
So lass mich doch dein Kripplein sein;
komm, komm und lege bei mir ein
dich und all deine Freuden.“ (EG 37,8)
Amen.