Zielstrebig

Sich klarwerden, was man will, Überflüssiges weglassen, abwarten können und sich auf das Ziel konzentrieren

Predigttext: 1.Korinther 9, 24-27
Kirche / Ort: Hamburg
Datum: 31.01.2010
Kirchenjahr: Septuagesimae (70 Tage vor Ostern)
Autor/in: Pastor Christoph Kühne

Predigttext: 1.Korinther 9,24-27 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

24 Wißt ihr nicht, daß die, die in der Kampfbahn laufen, die laufen alle, aber einer empfängt den Siegespreis? Lauft so, daß ihr ihn erlangt. 25 Jeder aber, der kämpft, enthält sich aller Dinge; jene nun, damit sie einen vergänglichen Kranz empfangen, wir aber einen unvergänglichen. 26 Ich aber laufe nicht wie aufs Ungewisse; ich kämpfe mit der Faust, nicht wie einer, der in die Luft schlägt,  27 sondern ich bezwinge meinen Leib und zähme ihn, damit ich nicht andern predige und selbst verwerflich werde. Übertragung (Christoph Kühne) Paulus schreibt an die Gemeindeglieder in Korinth: 24 Wisst ihr nicht, dass die Athleten im Stadion zwar alle laufen, aber einer nur den Preis (bravium) erhält? Also lauft, damit ihr ihn bekommt! 25 Jeder Kämpfer lebt enthaltsam, wobei es den einen um einen vergänglichen Siegeskranz geht – uns aber um einen unvergänglichen Preis (incorruptam coronam). 26 Ich jedenfalls laufe nicht einfach zu ins Blaue; so boxe ich nicht wie einer, der ins Leere schlägt, weil der Gegner ausweicht. 27 Sondern ich schlage genau unters Auge – aber meines eigenen Körpers und mache ihn mir untertan, damit ich nicht anderen predige und selbst disqualifiziert werde.

Anmutungen

Der Text spricht mich an als einer, der gerne Boxkämpfe sieht. Man braucht ein gutes Auge. Man muss warten können, die Taktik des Gegners erfassen, mit den eigenen Kräften haushalten – und ziemlich viel einstecken können. Ziel ist immer der Sieg (durch k.o.). Auch Kurzstreckenläufer sehe ich mir gerne an: Sie scheinen nicht mehr physisch zu laufen, sondern vom Ziel gezogen zu werden. Oft entscheidet der letzte Schritt ins Ziel hinein, schön am Zielphoto zu erkennen. Bei beiden Sportarten geht es ums Siegen und nicht nur ums Mitmachen. Und ist das nicht ein wichtiges Anliegen, das eigene Ziel im Leben zu erkennen und anzustreben? Das setzt Ressourcen frei, gibt Kraft und belebt einen Menschen. Ohne Ziel ist das Leben ein Dahindümpeln, das sich in Klagen und Luxusproblemen erschöpft.

Exegetische Anmerkungen

Der Text ist gut überliefert. Der Kontext, Kap. 9, handelt von „Recht und Freiheit des Apostels“ (Lutherübersetzung, Rev.), vom „Vorbild des Apostels“ (Jerusalemer, 6.Aufl., 1974), von den „Rechten des Apostels“ (G. Otto), an dessen Ende dann unsre Perikope vom „Wettkämpfer“ (C. Westermann) oder vom „Marathon – Ausdauer, Kraft und Leidenschaft“ (M. Wussow) steht. Paulus setzt sich persönlich gegen den gnostischen Zeitgeist ein, der (sexuelle) Enthaltsamkeit predigt wie auch eine selbstbeanspruchte Freiheit, um jetzt schon im Besitz der Heilssicherheit zu sein. Der Apostel gebraucht Begriffe aus der Sportsprache der damaligen Zeit. Dies findet sich auch in dem wenig später an die Gemeinde in Philippi (3,12-14) geschriebenen Brief. Immer geht es um das Ziel, einen  „unvergänglichen Preis“, nämlich Christus zu erringen.

 Lieder

„Such wer da will“ (EG 346) „Stern auf den ich schaue“ (EG 407) „Du hast uns Herr gerufen“ (EG 168)

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 Liebe Gemeinde!

 Frischer Wind

 Die heutige Epistel, die gleichzeitig unser heutiger Predigttext ist, lässt mich aufatmen: Da spricht ein neuer Geist, der erfrischt, der Lust und Laune macht und der mich reizt. Ich freue mich über diesen frischen Wind, der in unsrer Kirche auch durch Personen wie die Bischöfin Margot Käßmann weht. In unserem Predigtabschnitt spricht ein Apostel im Sportjagon, und er spricht von sich und wie er mit sich umgeht. Man ist versucht, die sogenannten Schwertworte Jesu zu nennen, in denen von Entschiedenheit und Eindeutigkeit die Rede ist, wenn Jesus z.B. im Matthäusevangelium (10, 34) sagt: „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ Die Metapher des Schwertes wird später ein Sympathisant des Paulus den „Hebräern“ zumuten, wenn er sagt, dass das Wort Gottes schärfer sei als ein zweischneidiges Schwert (Hebräer 4,12). Die Lust an der Auseinandersetzung spiegelt sich auch in diesem Wort, und sie belebt, beflügelt und inspiriert. Nichts ist langweiliger als ein eingespieltes team – ohne eine Querdenkerin oder einen „Freigeist“! Doch hören wir noch einmal den Text der Epistel aus dem 1. Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in der griechischen Hafenstadt Korinth.

 (Lesung des Predigttextes)

 Zielorientiert

Ja, in diesen Worten geht es zur Sache! Der Apostel stellt sich als Vorbild vor die Gemeinde, zeigt, wie ers macht, und schont sich nicht. Eigentlich müssten wir den Vers unmittelbar vor unserer Perikope lesen, weil Paulus dort das Ziel seines Lebens und Tuns beschreibt: „Ich mache alles wegen des Evangeliums! Denn ich will unbedingt ein Mitteilhaber am Evangelium werden“. Anschließend gebraucht er Bilder, die jeder kennt und die nicht speziell nur mit den olympischen Spielen in Griechenland verbunden sind. Auch uns sind diese Bilder vom Sport vertraut. Ich wenigstens schaue mir gerne Boxkämpfe an, natürlich insbesondere von den Klitschkow-Brüdern. Es geht eindeutig um Sieg oder Niederlage. Es geht darum, den Gegner kennenzulernen, seine Schlagkraft wie auch seine Taktik. Es geht darum, auch Schläge einzustecken, bis man den Gegner kennt: Unvergessen, wenigstens für die Älteren unter uns, der Kampf von Muhammed Ali gegen George Forman 1974, wo jeder glaubte, Ali wäre am Ende – und dann das plötzliche k.o. des Gegners! Also sich klarwerden, was man will, Überflüssiges weglassen, abwarten können und sich auf das Ziel konzentrieren. Das ist es. Aber bei den Leichtathleten geht es mir ähnlich: Ich sehe die Läufer vor dem Start, konzentriert, das Ziel noch einmal imaginierend, die Muskeln lösen, vielleicht einige Spurtversuche machend  und dann „Auf die Plätze – fertig – los!“ Immer wieder überrascht es mich, wie die Athleten laufen: als ob das Ziel sie ziehen würde! Die Füße berühren kaum den Boden. Sie sind praktisch schon im Ziel, müssen nur noch die Distanz überwinden! Genau das ist der Gedanke des Apostels Paulus: Ihr seid schon im Ziel, seid schon „in Christus“, seid schon angekommen in der „Gemeinschaft der Heiligen“. Jetzt lebt als „neue Kreatur“! Wenig später wird Paulus genau dies in einem weiteren Brief an seine Gemeinde in Korinth schreiben (2 Kor 5,17). Das ist der ganze Christus, den Paulus verkündigt: „Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen“, es ist da, steht in der Tür. So hat es uns der Evangelist Matthäus schon oft eindringlich erzählt (z.B. 10,7). Also auch Jesus geht es darum, dass wir einen „unvergänglichen Preis“ gewinnen! Lasst uns innehalten und einmal über Ziele sprechen. Das Thema ist ja schon im Psalm 39 vorgegeben. Ich lese die Verse 5-7:

(Lesung aus Psalm 39)

Sinn

Ich erkenne mich in dem verzweifelten und ringenden betenden Menschen von Psalm 39 wieder: Was mache ich nicht alles für überflüssige und unnütze Dinge! Es gibt Zeiten in meinem Leben, in denen die Zeit verrinnt und ich mich am Abend eines Tages verwundert frage, was die letzten 24 Stunden eigentlich an Wesentlichem gebracht haben. Ich komme mir dann wirklich vor wie ein Schatten, der durch die Zeit gehuscht ist. Ich habe vielleicht viel Sturm erregt, aber es war ein Wasserglas, das noch nicht einmal umgefallen ist. Auch den letzten Gedanken kenne ich, dass ich Dinge sammle, Wissen und Erkenntnisse, aber nicht weiß wozu. „Herr, lehre mich doch, … dass mein Leben ein Ziel hat!“ Diesen Satz setze ich mir wieder einmal deutlich vor Augen. Was ist ein Ziel, das sich lohnt? Diese Frage wird auch heute für viele Menschen wieder wichtig werden. Denn die Aussichtslosigkeit und Ziellosigkeit, z.B. der beruflichen Aussichten, scheint immer schlimmer zu werden. Es ist oft Medieninteresse, diese Ziellosigkeit zu belegen, zu untermauern und zu beklagen. Doch gibt es  d a s  Ziel für uns alle? Wenn wir diese Frage verneinen, dann wäre zu fragen, woran man erkennen kann, dass ein Mensch ein Ziel hat? Vielleicht ist es zunächst wichtiger, nach individuellen Zielen zu fragen und dann nach kollektiven Zielvorstellungen. Dann wäre tatsächlich zu fragen, woran ich bei Dir erkennen kann, ob Du ein Ziel in Deinem Leben hast. Vielleicht haben wir in unserem Leben verschiedene Ziele: So wollte ich als Schüler möglichst schnell „die Penne“, wie wir unsre Schule genannt haben, verlassen. Als Student wollte ich möglichst schnell mein Examen machen, weil die Familiengründung drängte. So ging es in meinem Leben immer weiter. Waren dies alles Teilziele auf ein großes, eigentliches Ziel hin? Welches ist das jetzt? Oft sind es Krisen in unserem Leben, die die Frage nach dem Ziel, dem Sinn des Lebens stellen lassen. Sonst haben wir oft keine Zeit für solche „Luxusthemen“, die von der „eigentlichen“ Arbeit ablenken. Aber dann kommt man in so eine Situation, in der wir den betenden Menschen des 39. Psalms wiederfinden, mit der Erkenntnis: „Wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben!“ Oder auch wie unser Apostel Paulus, der das kennt, einfach so ins Blaue hineinzuleben oder auch ziellose Aktionen durchzuführen, ohne die Frage nach dem Ziel. Vielleicht hilft erst eine Krise oder eine Krankheit oder auch eine Trennung, um das eigene Ziel zu finden, für das es sich zu leben lohnt.

Ausrichtung

Dann kann es geschehen, dass einer förmlich vom Saulus zum Paulus wird, dass einer seine Ressourcen und Begabungen auf ein neues, ein lohnendes Ziel ausrichtet. Bei dem Apostel aus Tarsus jedenfalls hat es eine solche Kehrtwende gegeben. Für ihn war ab jetzt klar: „Ich mache alles wegen des Evangeliums! Denn ich will unbedingt ein Mitteilhaber am Evangelium – damit meinte er: an Christus – werden.“ Er nimmt diese Wende sportlich, wie wir gesehen haben. Da ihm das Bild vom Leichtathleten nicht genug ist (ich finde, darin ist schon eine Menge enthalten an Spannkraft, Konzentration, Verinnerlichung des Ziels, Umstellung der Lebensumstände, um nur einiges zu nennen), nein, er greift das Bild einer Sportart auf, in der alle diese Ressourcen noch fokussiert werden, immerhin geht es um einen konkreten Gegner, der nichts anderes will, als mich k.o. zu schlagen. So ernst ist es Paulus mit seinem Ziel, und er empfiehlt diesen Ernst und diese Lust am Ziel den Freunden in der griechischen Hafenstadt Korinth, ja, es ist eigentlich die Lust am Ziel, die Paulus beflügelt. Da ist kein Grübeln, kein Bedenkentragen, kein Wenn und Aber. Da steht das Evangelium, die Gute Nachricht, da steht Christus selber als Ziel meines Lebens, und an Ihm will ich Anteil haben. Ich will nicht letztlich disqualifiziert werden, weil ich das große Ziel vielen kleinen Neben- und Luxuszielen geopfert und damit mein Leben verwirkt habe. Leuchtet da nicht auch ein wenig der „Reiche Kornbauer“ auf, von dem Jesus schon gesprochen hat (Lukas 12,16ff)?! Ja, es geht ums Leben beim Glauben. Es geht um einen klaren „unvergänglichen Preis“ in unserm Leben. Es geht schlicht ums Leben im Leben! Das hat Paulus seinerzeit erfahren. Das muss er uns mitteilen und uns wachrütteln: Lebt und lauft Euren Lebensweg so, dass  i h r  den unvergänglichen Siegespreis bekommt: die Teilhabe an Christus, lohnendes und sinnvolles Leben!

Amen

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Ein Kommentar zu “Zielstrebig

  1. Pastor iR Heinz Rußmann

    Der Predigttext läßt mich aufatmen! So beginnt diese Predigt. Im Gegensatz zur versteckten Skepsis und Resignation in manchen Predigten redet der Pastor dem Text entsprechend mit einem Geist, der erfrischt und Laune macht. Die Athleten -ebenso wie die Christen- laufen, als ob das Ziel sie ziehen würde. Die Füße berühren kaum den Boden. Sie sind praktisch schon im Ziel, müssen nur noch die Distanz überwinden. Genau das ist der Gedanke des Paulus: ihr seid schon eine neue Kreatur. Die schwungvolle Sprache der Predigt begeistert mich.
    Der verzweifelte Beter und Krise und Trennung werden gleichwohl nicht übergangen ( Ps 39 ) Die Predigt endet mit Gedanken über das Ziel und die Ausrichtung unseres Lebens. Wie auch Newman einmal gesagt hat: Fürchtet nicht das Ende des Lebens, sondern daß ihr es nicht gelebt hat, so endet diese Predigt: Es geht ums Leben im Leben! – Zur Exegese des Textes könnte man noch ergänzen, daß ein Bild des Paulus aus der Sportbegeisterung nicht ganz stimmig angewendet wird. Natürlich erreichen viele Christen das Ziel bei Jesus und nicht nur einer. Aufatmend wird der Predigthörer nach dem Gottesdienst gehen und weiter laufen und für das Evangelium kämpfen.

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