Verwundet, aber stark
Befreiende Macht des Trostes
Predigttext: 2. Korinther 1,3-7 (Übersetzung Martin Luther, Revision 1984)
3 Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, 4 der uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott. 5 Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus. 6 Haben wir aber Trübsal, so geschieht es euch zu Trost und Heil. Haben wir Trost, so geschieht es zu eurem Trost, der sich wirksam erweist, wenn ihr mit Geduld dieselben Leiden ertragt, die auch wir leiden. 7 Und unsre Hoffnung steht fest für euch, weil wir wissen: wie ihr an den Leiden teilhabt, so werdet ihr auch am Trost teilhaben.Theologische Entscheidungen und Gedanken zur Predigt
Trübsal und Trost, diese zwei Pole bilden das Zentrum des Predigttextes. Um sie kreisen die Gedanken des Paulus. Paulus selbst begegnet uns in diesem Abschnitt als einer, der weiß, wovon er spricht, weil er selbst des Trostes bedürftig war und ist. Folgende aus dem Text erwachsene Überlegungen liegen meiner Predigt zugrunde. - Gott ist mächtig, indem er tröstet. Er trägt den Namen Gott allen Trostes. Trost ist also nicht zu verharmlosen. Er ist eine Kraft, in der Gott mächtig ist. - Trost geschieht dem Trostbedürftigen. Ohne Not keine Notwendigkeit des Trostes. Trübsal und Trost gehören schon deswegen zusammen. - Die Trübsal der Christen verbindet sie mit Christus. Nicht die Trübsal an sich ist aber gut, sondern der Gott, der in Christus tröstet, indem er Gott mit uns ist. (Bei den Leiden Christi handelt es sich meiner Meinung nach nicht nur um Leiden im Kontext der Nachfolge, sondern um alle Leiden, die Christus mit uns teilt, wie Ohnmacht, Gedemütigt werden, sich verlassen fühlen...) - Trost ist wesentlich österlicher Trost (vgl. auch V. 9), er geschieht aber durch Menschen. - Der Getröstete findet sich wieder in der Trostgemeinschaft. Kirche kann deswegen verstanden werden als die Gemeinschaft derer, die Gott getröstet hat. - Wer getröstet ist, ist nicht nur um seiner selbst willen getröstet. Vielmehr drängt der Trost darauf weitergegeben zu werden. Der Getröstete gibt weiter, was er selbst empfangen hat, weshalb es meiner Meinung nach angemessen ist zu formulieren, dass Gott selbst durch den, der tröstet weiter wirkt. In diesem Sinne ist er Gott allen Trostes. - Wer in der Trübsal von Gott gefunden wurde, wird das auch in der eigenen Art und Weise, andere zu trösten erkennen lassen. Der „verwundete Heiler“ ist nicht aus sich selbst heraus stark, sondern durch den, der ihn getröstet hat und auf dessen Trost er auch in Zukunft angewiesen bleibt. Den Trost, den er weitergibt, findet er selbst in der Gemeinschaft der Schwestern und Brüder (deren Gemeinschaft er deswegen auch sucht.) Hinweis: Bei dem Predigteinstieg handelt es sich nicht um eine konstruierte Geschichte. Es ist so, dass mir an dieser Geschichte tatsächlich deutlich geworden ist wie die Macht des Trostes uns aus der Erfahrung unserer Ohnmacht befreit. Ich denke, dass auch in allen Fragen rund um den sexuellen Missbrauch, die Frage, ob einer getröstet oder ungetröstet blieb eine entscheidende Rolle spielt. Wem das zu gewagt erscheint, sollte einen milderen Einstieg wählen.Lieder
„Jesu meine Freude“ (EG 396), „In dir ist Freude“ (EG 398)Liebe Gemeinde!
Einander trösten
Zwei unterhalten sich miteinander. Sie kennen einander gut. Sagt er: „Ich habe eine scheußliche Geschichte in meinem Kopf“. Antwortet sie: „Erzähl sie mir!“, und stellt sich auf das Schlimmste ein. Aber dann erschrickt sie doch sehr. Was sie hört, ist die Geschichte einer Vergewaltigung. Sie endet wie solche Geschichten enden: Mit Tränen, mit der verzweifelten Einsamkeit des Opfers, mit der Erfahrung einer Angst machenden Ohnmacht. Es gibt in der Geschichte übrigens zwei Opfer. Das eine wird vergewaltigt. Das andere muss zusehen und kann weder eingreifen noch helfen. Nach der Geschichte herrscht betroffenes Schweigen. Der, der erzählt hat, die, die zugehört hat, gehen nachdenklich auseinander. Als sie sich wiedersehen, sagt sie ein wenig vorwurfsvoll zu ihm: „Wie kannst du mir so eine schreckliche Geschichte erzählen. Ich habe, während du erzähltest, die ganze Zeit gehofft, sie würde doch noch gut ausgehen“. „Wie hätte das Ende denn aussehen sollen?“, antwortet er. „Solche Geschichten gehen nicht gut aus“. Dann nach einer Pause: „Aber ich hätte dir vielleicht doch noch erzählen sollen: Ganz am Ende, als die anderen genug bewiesen haben, dass sie die stärksten sind und weitergezogen sind, da sind sich die Gedemütigten in die Arme gefallen und haben einander getröstet“. Als sich die beiden ein drittes Mal sehen, entschuldigt er sich dafür, ihr diese Geschichte zugemutet zu haben. Sie antwortet: „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich bin froh, dass du sie mir erzählt hast. Es ist für mich keine wirklich scheußliche Geschichte mehr. Ohne den Schluss, ja da ist es eine schreckliche Geschichte. Da endet sie mit der Verzweiflung und Ohnmacht der Opfer. Aber mit dem Schluss ist es anders. Die zwei Gedemütigten trösten einander. Sie nehmen sich in die Arme. Sie können etwas tun. Sie sind nicht länger nur Opfer, sie sind wieder Täter. Sie können einander halten und trösten. Trost, das hat mich die Geschichte gelehrt, ist eine Macht. Er erlöst uns aus unserer Ohnmacht“.
Trost, liebe Gemeinde, ist eine Macht. Trost erlöst uns aus der Ohnmacht. Manchmal werten wir ihn zwar ab, sprechen vom Trostpflaster oder davon, dass einer den anderen vertrösten möchte. Aber das geht an der Wirklichkeit des Trostes vorbei. Wirklicher Trost verändert das Leben, ändert die Einstellung zum Leben, macht aus scheußlichen Geschichten nicht unbedingt schöne, aber doch versöhnlichere, erträglichere Geschichten.
Trost – ein Name für Gott
Für den Apostel Paulus hat Gott die Macht zu trösten. Für ihn gehört Trost sogar zu den Namen Gottes. Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes nennt er ihn. Paulus sagt uns damit. Gott ist mächtig, indem er tröstet. Glauben wir an ihn, so verändert sich unsere Einstellung zum Leben. Glauben wir an Gott, so ist die Erde nicht nur der Ort, an dem Menschen auf vielfältige Weise gedemütigt, gequält, vergewaltigt und missbraucht werden, nein, die Erde ist eben auch der Ort, wo Menschen auf vielfältige Weise getröstet werden. Glauben wir an den Gott allen Trostes, dann ist das Leben nicht nur eine Zeit, in der jeder von uns früher oder später verwundet wird, nein, jeder und jede von uns soll in ihrem Leben auch erfahren, dass sie getröstet wird. „Denn sie sollen getröstet werden“, Gott der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes hat sich das zur Aufgabe gemacht, ja auf den Leib geschrieben. Gott ist mächtig, indem er tröstet. Das zu glauben verändert aber nicht nur unsere Einstellung zum Leben, es verändert auch unsere Einstellung zum Leiden. Trost erfahre ich, das ist nun einmal so, nur im Leid. Nur weinende Menschen müssen getröstet werden; nur verzweifelte Menschen brauchen jemanden, der sich ihrer erbarmt; nur Menschen an ihrer Grenze sehnen sich nach einer Macht jenseits der Grenze. Es gibt keinen Trost ohne den Menschen, der getröstet werden muss. Das heißt nun aber nicht, dass das Leiden an sich gut ist oder die Verzweiflung oder das tiefe Tal. Es heißt aber, dass der Gott gut ist, der mich tröstet.
Nicht das Leid ist gut, sondern der Gott, der mich tröstet.
Nicht das Kreuz ist gut, sondern der Gott, der im Kreuz bei mir ist und bleibt.
Nicht meine Verlassenheit ist gut, sondern der Gott, der meine Verlassenheit teilt und mit mir schreit: „Mein Gott, mein Gott warum hast du mich verlassen?“
Deshalb: „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Trübsal“.
Natürlicher und österlicher Trost
Eine Frage sei nun allerdings erlaubt: Trösten uns nicht meist Menschen? Wann tröstet uns schon einmal Gott? In meinem Regal steht schon viele Jahre ein Bild von Brot für die Welt. Wenn es dieses Bild in groß gäbe, ich würde es mir auch ganz groß aufhängen. Da ist ein kleiner Junge mit einem Lockenkopf und tief dunklen Augen. Er sieht mich nur ein bisschen an. Um mich wirklich anzusehen, ist er viel zu traurig.
Sein Glück ist: Er befindet sich in den Armen eines älteren Mannes. Der Junge lehnt seinen Kopf an seine Schulter. Das Gesicht des Mannes, den ich für einen Beduinen halte, ist gütig. Manchmal stehe ich vor dem Bild und denke: „Der Junge ist wohl traurig und doch hat er es gut. In diesen Armen ist gut sein“.
Trösten uns nicht meistens Menschen? Wann tröstet uns schon Gott? Oder ist es Gott, der uns die Menschen schickt, die uns trösten? Ich auf jeden Fall kenne eine, wie ich das nennen möchte, ganz natürliche Art des Tröstens: Die Mutter, der Vater, die ihr Kind in den Arm nehmen. Der Zuhörende, der mir sein Ohr leiht. Der Aufmerksame, der mir sein Auge schenkt. Die Zupackende, die mir aufhilft. Die Einfühlsame, die bei mir bleibt, als ich nicht mehr kann. Es mag Zufall sein, dass diese Menschen mir/uns begegnen. Mir liegt es näher zu glauben, dass es eine Art und Weise Gottes ist, uns zu trösten. Nur dass dieser natürliche Trost seine Grenzen hat. Wir können uns das deutlich machen an Maria, der Mutter Jesu. Eine Mutter kann wohl ihr Kind trösten. Aber wenn das Kind stirbt, weint sie. Als Jesus stirbt, hat Maria keinen Trost. Den österlichen kennt sie noch nicht. Und deswegen ist es wirklich weiterführend, dass es neben dem natürlichen Trost, den wir einander schenken, den anderen gibt, den – wie ich ihn nenne – österlichen Trost. Es ist der Trost des Mannes, der neben seinen traurigen Jüngern von Jerusalem nach Emmaus geht. Der nachfragt und stehenbleibt, um dann auszulegen und zu fragen: Musste nicht … bis ihnen das Herz brennt und die Augen aufgehen und sie – den Auferstandenen erkennend – mit neuer Kraft und voller Hoffnung zu den anderen zurückkehren. Es ist die Kraft aus der Begegnung mit dem Auferstandenen, die sich Paulus in Leib und Seele eingeprägt hat, wenn er schreibt: „Damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott“. Laetare, heißt der heutige Sonntag. Er ist mitten in der Passionszeit so etwas wie ein kleines, schon einmal vorweggenommenes Osterfest.
Verwundete Heiler
Jetzt fehlt uns für heute nur noch eines: Getröstete Menschen haben oft etwas Besonderes an sich. Es ist als ob das, was in ihnen ist, wieder aus ihnen heraus will. Genauer: Als ob es wie von selbst wieder aus ihnen herauskommt, ja herausleuchtet. Unsere Sprache hat für diese Menschen den Begriff der verwundeten Heiler geprägt. Verwundete Heiler, das sind Menschen, Christen, die das Leben verwundet hat. Sie sind selber einmal durchs dunkle Tal gegangen und wussten nicht aus noch ein. Sie haben Hilfe gebraucht, waren am Boden zerstört, fühlten das Ende. Aber in dem allen haben sie auch das andere erfahren: Sie haben den Trost empfangen, den sie sich selber nicht geben konnten. Sie sind dem Menschen begegnet, den sie sich selber nicht schicken konnten. Sie wurden aufgerichtet und es war für sie wie eine Auferstehung mitten im Leben. Und nun geben sie als Getröstete weiter, was sie selbst empfangen haben. Sie wissen um die Notwendigkeit des Aushaltens und des Bleibens. Sie wissen um die Nacht der Angst. Sie ersparen uns dumme Sprüche. Sie wissen wie wertvoll sie sind und halten gleichzeitig fest an der Begrenztheit ihres eigenen Tuns. Sie sind es, die trösten, und es bleibt doch Gott, der durch sie tröstet. Gerne geben sie weiter, was sie selbst empfangen haben. Und indem sie es weitergeben, wirkt der in ihnen weiter, der der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes ist. Liebe Gemeinde, Paulus nennt das eine Trostgemeinschaft, wenn einer für den anderen Hoffnung hat. Die Kirche versteht sich bis heute im Anschluss an Paulus als eine solche Trostgemeinschaft. Wir sind Verletzte und sind doch stark durch den, der uns tröstet, damit wir einander trösten.
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.
Amen.
Vielen Dank für diese Predigt. Sie klingt so menschlich und ist doch von Gott durchdrungen. Sie lässt mir Zeit für meine Gedanken und Erinnerungen und trotzdem verliere ich mich nicht dort, sondern bleibe bei den Gedanken der Predigt.
Sie rührt mich an. Ich nehme etwas mit, das mich beschäftigt.
Ich denke, dass auch in allen Fragen rund um den sexuellen
Missbrauch, die Frage, ob einer getröstet oder ungetröstet blieb eine entscheidende Rolle spielt.
Liebe Frau Pfarrerin Böhme,
großartig, dass Sie genau das wahrscheinlich schwerste Seel-
sorgegebiet in der Kirche ansprechen! Die Sorge, die bei
diesem Trösten mitschwingt ist, ob der so getröstete Mensch
ein echt innerlich reifer freier selbstständiger Mensch wird und
nun nicht in neue Abhängigkeit zu besonderen Tröster-
menschen gerät. Die Hinwendung zur ganzen Bibel müsste das
Ziel sein. Jahrtausende alte Menschheitsgeschichte in Ver-
gangenheit über Gegenwart zur Zukunft, andernfalls sind
neue Abweichungen immer wieder eine Gefahr, da das Leben
unter Menschen mit Menschen doch erhalten bleibt.
Mit