Jesus ganz menschlich

Leuchtzeichen durch die Zeiten bis in unser Leben heute

Predigttext: Hebräer 5,7-9
Kirche / Ort: 79189 Bad Krozingen
Datum: 21.03.2010
Kirchenjahr: Judika (5. Sonntag der Passionszeit)
Autor/in: Kirchenrat Pfarrer Heinz Janssen

Hebräer 5,7-9

(Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984 – Da in V.9 die Perikope mitten im Satz abbricht, nehme ich die Verse 9-11 hinzu und stelle auch die in den Zusammenhang gehörenden Verse 4-6 voran und setzte Beides in eckige Klammern.) [4 Und niemand nimmt sich selbst die hohepriesterliche Würde, sondern er wird von Gott berufen wie auch Aaron. 5 So hat auch Christus sich nicht selbst die Ehre beigelegt, Hoherpriester zu werden, sondern der, der zu ihm gesagt hat: »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt.« 6 Wie er auch an anderer Stelle spricht: »Du bist ein Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks.«] 7 Und er hat in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte; und er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt. 8 So hat er, obwohl er Gottes Sohn war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt. 9 Und als er vollendet war, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber des ewigen Heils geworden, [10 genannt von Gott ein Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks.11 Darüber hätten wir noch viel zu sagen; aber es ist schwer, weil ihr so harthörig geworden seid].

Exegetische Wahrnehmungen

Nach dem ersten Lesen des Predigttextes, Hebr 5,7-9, war ich drauf und dran, mich für das Evangelium als Predigttext zu entscheiden, das für diesen Sonntag Judika 2010 als Lesung bestimmt ist. Ich dachte, es fiele mir bestimmt leichter, über das Evangelium (Markus 10,35-45) als über die Epistel zu predigen, mündet doch das Evangelium in Jesu schöne Beschreibung seiner Zuwendung zu uns Menschen, aus der wir allezeit die nötige Kraft schöpfen und Orientierung für unseren persönlichen Lebensweg finden können: „Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele“ (Markus 10,45). Als ich mich dann noch in den griechischen Urtext Hebräer 5,7-9 einzulesen versuchte, fühlte ich mich nur bestätigt. Aber die Rede in der Epistel vom Bitten und Flehen Jesu, seinem Schreien und Weinen und die Rede vom „Lernen“ Jesu, dass er wie ein Jünger lernt, haben mich berührt und dazu bewegt, meine Entscheidung zu revidieren: Ich wandte mich dem Predigttext für den Sonntag Judika 2010 zu. Die Predigt halte ich im Rahmen der Bezirksvisitation im Kirchenbezirk Breisgau Hochschwarzwald in der Evangelischen Kirche in Bad Krozingen. Hier einige exegetische Wahrnehmungen zum Predigttext: I.    Verf. des Hebräerbriefes, dem das hellenistisch-jüdische Bildungsgut sowie das Alte/Erste Testament und dessen hellenistisch-jüdische Auslegungstraditionen vertraut sind, geht es hier (und im ganzen Brief) nicht um den Nachweis der Echtheit der Messianität Jesu von Nazareth, sondern um den Nachweis seines Menschseins, seiner Menschlichkeit: Jesus war tatsächlich, real, Mensch, wurde „versucht“/ angefochten wie wir (Hebr 4,15). Jesus hatte wirklich Angst, litt wirklich, nicht nur scheinbar, und er starb, wie jeder Mensch sterben muss, es war kein Scheintod. Dieser starken Betonung des Menschseins Jesu begegnen wir auch im Lukasevangelium. Gerade sein Menschsein, sein Erleben von Anfechtung, ist im Gesamtzusammenhang der Christologie des Hebräerbriefs, die sich im Predigttext spiegelt, der Erweis der Messianität Jesu („Christologie von unten“). Was Jesus „heraushebt“ ist in der soteriologischen Konzeption des Hebräerbriefes seine Sündlosigkeit („chooris hamartias“, Hebr 4,15), diese „folgt aber nicht nur aus seiner göttlichen ‚Natur’, sondern sie ist auch Ergebnis seines Kampfes und bewusster Entscheidung (vgl. Hebr 12,2-3). Sündlosigkeit markiert somit die inkarnatorische und epiphaniale Differenz Jesu gegenüber allen Menschen“ (U.Schnelle, S.434). Darum wurde Jesus zum „Urheber des ewigen Heils“ (Hebr 5,9). II.    V.7 „…und er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt“ – kai eisakoustheis apo taes eulabeias, wörtlich übersetzt: und (er wurde) erhört auf Grund der Gottesfurcht. „eulabeia“ bedeutet „Gottesfurcht“. Erhörung durch Gott (eisakoustheis = Partizip passiv, hier = passivum Divinum) ist an dieser Stelle Umschreibung von Jesu Vollendung und Einsetzung in die Priesterwürde „nach der Weise Melchisedeks“, mit dem als einem königlichen Priester der Gerechtigkeit / des Rechtverhaltens / Gott und den Menschen Gerechtwerdens (hebr. zedaqa) gegenüber dem Priestertum Aarons etwas Neues und völlig Anderes begann (Hebr 5,6 vgl. Gen 14). Gott hat Jesus erhört und ihn erhöht. V.8 „So hat er, obwohl er Gottes Sohn war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt“ – kaiper oon hyios, emathen aph’ hoon epathen taen hypakoaen ( wörtlich übersetzt: auf Grund dessen, was er litt (Präposition „apo“ wie in V.7). Auffallend in der griechischen Diktion ist das Nebeneinander der Verben manthanein (= lernen) und pathein (= leiden). Die hier vorliegende sog. Parechese, der lautliche Anklang zweier verschiedener Verben (in der dt. Übersetzung liegt so etwas wie ein Stabreim vor), „betont“ christologisch das Zusammendenken von Lernen und Leiden. „Lernen“ auf Jesus bezogen, von dem sonst im Neuen Testament als dem „Lehrenden“ die Rede ist, kommt im Neuen Testament nur hier in Hebr 5,8 vor (Hinweis O.Michel, S.136). Das Verb „manthanein“ ist das Wort, das in der griechischen Bezeichnung für den „Jünger“ Jesu steckt: Der Jünger Jesu („mathaetaes“) ist ein „Lernender“. Und an unserer Stelle, Hebr 5,8, Jesus selbst – ein Lernender. III.    V.9 "Und als er vollendet war, ist er für alle, die ihm Gehorsam sind, der Urheber des ewigen Heils geworden..." - Die passive Formulierung weist auf Gott als den Handelnden, Jesus, Gottes Sohn, Vollendenden (passivum Divinum, vgl. V.7). Wenn Vf. des Hebräerbriefes Jesus Christus den Adressaten als Lernenden vor Augen malt, sieht Vf. vor sich eine „harthörige“/ „schwerhörige“ („noothros“) Gemeinde/Kirche, worauf Hebr 5,11 hinweist, und eine „müde“ gewordene Gemeinde, deren Teilnahme am Gottesdienst nachgelassen hat, wie in Hebr 10,25 zu hören ist. Ihr will Vf., den ganzen Brief als Wort des Zurufens/Trostes/Ermutigens („logos taes paraklaeseoos“) verstehend (Hebr 13,22), neu sagen, was sie an Jesus Christus hat: Dieser Jesus lehrt nicht nur, sondern lernt, lernt mit den Menschen, ist mit ihnen unterwegs, ist ein auf Gott Hörender und von Ihm Lernender – „Jeden Morgen weckt er mein Ohr, damit ich auf ihn höre wie ein Jünger“ (Jes 54,4). Von ihm und mit ihm kann die Gemeinde (auch heute) neu lernen, was Kirche ist, nämlich die um ihren Kyrios Jesus Christus versammelte Gemeinde – „für  alle, die ihm gehorsam sind“, ist Jesus von Nazareth, der Christus Gottes, „der Urheber des ewigen Heils geworden“ (Hebr 5,9). Literatur O.Michel, KEK 13, 10.Aufl., 1957, S.128-138, vgl. H.F.Weiß, 1991.- H.Strobel, NTD 9, 4.Aufl. 1991.- E.Gräßer, EKK XVII/1.2, 1990.1993 (Hebr 1,1-10,18). – U.Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 2.Aufl., 1996, S.419-437.

Lieder

"Gott liebt diese Welt" (EG 409), „Herr Jesu Christ“ (EG 155 ), „O Mensch“ (EG 76), Selig seid ihr (EG 667 – Regionalteil Baden, Elsass-Lothringen, Pfalz), Bewahre uns, Gott (EG 171)

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Liebe Gemeinde!

Welches Jesusbild wird uns in diesem kleinen Abschnitt aus dem Hebräerbrief vor Augen gemalt? Das Bild, welches wir in der Passionszeit erwarten – ein geduldig leidender Jesus? Aber hier im Hebräerbrief ist es ein bittender und flehender Jesus, ein Jesus, der “Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen” vor Gott bringt.  Jesus ganz menschlich. Was veranlasste den Verfasser des Hebräerbriefs, diese Menschlickeit Jesu so hervorzuheben? Aus der Kirchengeschichte wissen wir, wie in den jungen Gemeinden darum gerungen wurde, Jesu Beziehung zu Gott zu beschreiben. Die einen sahen in Jesus den wahren Menschen, die anderen den wahren Gott, andere stellten das wirkliche Menschsein Jesu in Frage, Jesus sollte ganz Gott und nichts als Gott sein, über alles Menschliche erhaben.  Der Verfasser des Hebräerbriefs wollte demgegenüber die Gemeinde an die tatsächliche Menschlichkeit Jesu erinnern, denn er war überzeugt, dass Jesus nur so und nicht in seiner Erhabenheit den Menschen nahe sein konnte.

Not, Anfechtung, Demütigung

Schauen wir auf die Lebenszeit Jesu, die “Tage seines irdischen Lebens”. Ständig war er mit der Not und dem Leiden seiner Mitmenschen konfrontiert. Er heilte Menschen an Leib und Seele. Ich bin überzeugt, liebe Gemeinde, Jesu heilende Kräfte konnten sich nur entfalten, weil Jesus tief in seinem Herzen mit den Menschen litt, weil ihm angesichts ihrer Not Tränen über sein Herz liefen und er mit ihnen weinte. Jesus wurde angefeindet, immer wieder, es hörte nicht auf. Er musste sich gegen Unterstellungen wehren und für seine Lehre, sein besonderes Reden von Gott, seine „Theologie“, kämpfen. Die Liebe Gottes zu den Menschen und der Menschen untereinander lehrte und predigte er, und er lebte sie. Wie oft wird Jesus dabei Gott um Kraft, Hilfe und Verstehen gebeten und angefleht haben. Dann der Gipfel des Entsetzens: den Tod vor Augen war Jesus der Verachtung und Demütigung von Menschen ausgesetzt, für die er doch da sein, ihnen “dienen” wollte (Markus 10,35-45, Lesung zum Sonntag Judika). Mit Bitten, Flehen, Schreien und Weinen brachte er seinen Schmerz vor Gott. Jesus blieb menschlich, auch in seinem schweren Leiden.

Hoffnungsvolle Zeichen

Liebe Gemeinde, ein bittender und flehender Jesus. Die Worte bitten und flehen stehen im weiten  Zusammenhang von „beten“. Beten heißt mit Gott Verbindung halten, sprechen, vor Gott aussprechen, was mich bewegt, mich Gott mitteilen und zwar in Allem. Es kann laut und mit Tränen geschehen, ganz anders als wir es in unseren Gottesdiensten erleben. Jesus  kannte die Adresse, an die er sich in seiner Not und angesichts seines nahen Todes wenden konnte. Mit Tod ist der leibliche Tod gemeint, das Sterben, welches wir alle mehr oder weniger fürchten und Jesus leibhaftig aufs grausamste drohte. Aus der Bibel hören wir: Jesus erkannte, dass es Errettung aus unterschiedlichen seelischen Toden tatsächlich gibt. Er selbst erweckte in so vielen Menschen wieder zum Leben, was in ihnen erstorben war, was an Lebendigkeit verloren ging oder was am Verlöschen war. Wunden, die lebensbedrohlich für Leib und Seele waren, heilte er, und hat er nicht sogar seinen Freund Lazarus aus dem Tod wieder in das Leben zurückgeholt? Welch Hoffnungsvolle Zeichen damals und Leuchtzeichen durch die Zeiten bis heute.

Schwieriges Wort Gehorsam

Liebe Gemeinde, wenn es um Heilung ging, hat Jesus Grenzen überschritten und das Äußerste getan, mehr als alles Menschenmögliche. Damals im Garten Gethsemane stieß er auf eine Grenze, die auch ihn erzittern ließ. Der Verfasser des Hebräerbriefes betont:  Obwohl er Gottes Sohn war, hat Jesus an dem, was er litt, Gehorsam gelernt (V.8). Jesus, der sonst ein Lehrender war, begegnet uns hier als ein Lernender. Im griechischen Urtext klingt das Wort an, das Martin Luther mit “Jünger” übersetzt, Bezeichnung für die Schüler, die Vertrauten Jesu. Wir wissen, Jesus musste die Grenze zwischen Leben und Tod überschreiten. Das Wort Gehorsam im Zusammenhang mit Leid ist für unsere Ohren heute schwierig, klingt es nicht nach „schwarzer Pädagogik“ und fragwürdiger Abhängigkeit? Menschen, von denen ich abhängig bin, üben eine positive, gute Macht auf mich aus, wenn sie es gut mit mir meinen und mich zu richtigem Handeln anleiten. Aber es gibt auch die negative, ungute Macht, die Gehorsam einfordert, nicht um mir gut zu tun, die Macht, die missbraucht, mich in Abhängigkeiten führt, Macht, welche die Lebenskraft erstickt, unsere Seelen zerstört. Diese Macht erleben wir in jeder Diktatur, in jedem Krieg, auch im Kleinkrieg unseres Lebens, den wir so oft führen. Unsere Sehnsucht gilt der positiven, guten Macht, der Macht der Liebe in all ihren lebensspendenden Äußerungen. Gleichzeitig wissen wir um die Macht, die stets bestrebt ist, Herrschaft über uns Menschen zu gewinnen, sie kann verletzend, entwürdigend und sogar tödlich sein. Beispiele aus Geschichte und Gegenwart (in Gesellschaft und Kirche) können uns dabei in den Sinn kommen.

Lernen, Lernende/r sein

Der leibliche Tod kann als Freund am Ende eines Lebens kommen, als „süßer Tod“, wie er in manchen Liedern besungen wird. Der Tod jedoch, den Jesus zu erleiden hatte, war keineswegs freundlich, sondern bitter. Vor und nach Jesus, bis heute, haben Menschen unbeschreibliche köperliche und seelische Qual erlitten. Gehorsam heißt hier: Du musst, ob du willst oder nicht, du hast keine Wahl. Aber gleichzeitig heißt Gehorsam in den tiefsten Tiefen, im unverständlichen Leid: Du bist nicht allein, es ist jemand da, der dich “erhört”. Wie bei jeder menschlichen Abhängigkeit kommt es auch hier auf die Beziehung an. Wem schenkte Jesus Gehorsam in seinem Leiden? Einem Gott, von dem es in der Bibel heißt: Gott ist die Liebe (Johannes 4,16). Jesus war nicht verlassen, er war begleitet, umgeben und getragen von Gottes Liebe. Gott trägt mit, leidet mit, weint und schreit mit, Gott lässt mich nicht fallen. Gott hat Jesus „erhört“, weil Jesus „Gott in Ehren hielt“ (V.7, wörtlich steht im Bibeltext: „auf Grund seiner Gottesfurcht“), und er hat ihn “vollender”, zum “Urheber des ewigen Heils” erhöht – Geheimnis des Glaubens. In ihm haben wir den Hohenpriester, den Priester aller Priester, den Lehrer aller Lehrenden – und “aller, die ihm gehorsam sind”. In unserer  Kirche sind es zum Beispiel die Menschen, die beruflich oder ehrenamtlich ihren Dienst tun. Aber es sind auch alle gemeint, die für andere Menschen in irgendeiner Weise da sind: Die Nachbarin zum Beispiel, die für den erkrankten Menschen einkauft, die Eltern, die immer eine offene Tür für ihre Kinder haben, die schon längst aus dem Haus sind, der Großvater, der für sein Enkelkind da ist, mit ihm zusammen spielt, vorliest, der junge Mensch, der sich gegen gewalttätige Auseinandersetzung in der Schule einsetzt.

Nachfolge

Liebe Gemeinde, Überwindung des Todes und aller Todesmächte. Jesus hat uns diese Erfahrung geschenkt, dass Leid und Tod nicht das letzte Wort haben. Das Wort “Kirche” bezeichnet die um Jesus Christus, ihren Kyrios/Herrn, versammelte Gemeinde, die sich an ihm orientiert und ihm nachfolgt. Wir hoffen als christliche Gemeinde hier in Bad Krozingen und weltweit,  dass Gott auch uns durch unser Leid trägt, durch den Tod hindurch und weit darüber hinaus ins Leben. In der Menschlichkeit Jesu ist uns Gott ganz nahe, so zeigt Gott uns sein Gesicht. Ohne die Menschlichkeit Jesu bliebe Gott uns ganz fern, darum ist Jesus “wahrer Mensch und wahrer Gott”, unser Heil, Trost und Leben.

Amen.

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