„Könige sehen anders aus“
Triumphlied auf einen Bettler
Predigttext: Philipper 2,5-11 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
5 Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht: 6 Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, 7 sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. 8 Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. 9 Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, 10 daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, 11 und alle Zungen bekennen sollen, daß Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.Exegetisches und Homiletisches
Der Christushymnus Phil 2 ist von Paulus als Traditionsstück in den Philipperbrief aufgenommen worden, worauf die für die Einführung eines Traditionsstückes typische Einleitung mit dem Relativpronomen als Zitationspartikel (os), die hymnische Struktur (z.B. Parallelismus Membrorum), die sprachlichen Besonderheiten und der geschlossene Inhalt sowie die Schlussdoxologie hinweisen. Paulus hat den Hymnus in den Philipperbrief eingebunden und redaktionell überarbeitet (so wird z.B. Phil 2,8c [thanatou de staurou] oft als paulinische Interpretation angesehen; vgl. auch V10c und V11c). Obwohl der Hymnus in Theologiegeschichte und Dogmatik als christologischer Kerntext gilt (z.B. Präexistenz, Inkarnation [Krypsis/Kenosis], Inthronisation), ist der Kontext im Philipperbrief nicht dogmatisch, sondern paränetisch akzentuiert. In Phil 2,5 appliziert Paulus als alte Lied explizit auf die Gemeinde, indem er das Geschehen als exemplarisch hinstellt. Wie Christus gehorsam war, so sollen es auch die Christen sein. Das hymnische Traditionsstück erzählt die Geschichte der Inkarnation eines präexistenten Gottwesens, das sich nicht in seiner Göttlichkeit zeigt, sondern als Mensch und gehorsamer Knecht, und deswegen von Gott über alle Mächte und Gewalten erhöht wird (Phil 2,9: dio!), wobei es zur universalem Akklamation und Proskynese kommt (nach O. Hofius liegt ein ägyptisches Inthronisationsschema zugrunde, das drei Elemente hat: Übertragung der Macht, Präsentation vor den Himmlischen, Inthronisation und Huldigung). In der Regel wird Phil 2,6-11 in zwei Teile gegliedert: VV6-8 thematisieren Inkarnation und Erniedrigung, VV 9-11 die Erhöhung; Joachim Jeremias unterteilt den Hymnus indes in drei Strophen (präexistenter, irdischer und erhöhter Christus). Formgeschichtlich wird Phil 2 unterschiedlich bestimmt; so plädiert K. Wengst für ein gnostisches Weglied, K. Berger für ein hellenistisches Christusenkomion, während E. Lohmeyer und andere von einem hymnischen Psalm ausgehen. Auch über die religionsgeschichtliche Herkunft wurde und wird viel gestritten: Handelt es sich um eine Art christlichen Inthronisationspsalm, der alttestamentlich beeinflusst ist? Oder ist Phil 2 ein gnostisches Lied, dem ein gnostischer Erlösermythos zugrunde liegt? In der Tat wurde Phil 2 reichlich im 2. Jh. in gnostischen Texten rezipiert, wohingegen eine Ableitung von Phil 2 aus der Gnosis aus chronologischen Gründen unplausibel ist. Ist weiter mit der Hauptperson von Anfang an Christus gemeint, oder ist das Lied erst später auf Christus gedeutet worden? Sowohl alttestamentliche Einflüsse (vor allem in VV 9-11) als auch hellenistische Vorstellungen (vor allem VV 6-8) liegen vor. In christologischer Hinsicht ist vieles ambivalent, wie allein der kryptokenotische Streit zwischen Tübingen und Gießen im Zeitalter der lutherischen Orthodoxie zeigt: Nimmt Christus die Gestalt eines Menschen nur an und bleibt doch Gott im Verborgen (Krypsis)? Oder entäußerst er sich und wird tatsächlich Mensch (Kenosis)? Phil 2,6-11 gehört zu den zentralen christologischen Texten des Neuen Testaments und findet sich auch im Gesangbuch unter den neutestamentlichen Psalmgebeten (Nr. 760). Eine Möglichkeit, Phil 2 zu predigen, wäre die „paulinische“. Eine paränetische Predigt über Phil 2,6-11 würde die Demut Jesu als Vorbild für uns Christen herausarbeiten. Bezogen auf den Palmsonntag könnte man die Frage fokussieren: Wie erwarte ich Jesus als Gekreuzigten und Auferstandenen? Mit welcher Haltung gehe ich in die Karwoche? Ein Bezug auf EG 11 („Wie soll ich dich empfangen“) als Predigtlied oder auch Liedpredigt wäre reizvoll, zumal hier die Situation des Palmsonntag und der Einzug Jesu in Jerusalem anklingen (vgl. Strophe 2 mit Mt 21,8). Ich entscheide mich für einen christologischen Focus und möchte den Christushymnus zu Palmsonntag in Beziehung setzen: Der Gott in Knechtsgestalt und der König auf dem Esel! Diesen Gedanken möchte ich auf unterschiedliche Weise entfalten. Die einzelnen Abschnitte können durch Liedstrophen unterbrochen werden. Als Predigtlied eignet sich z.B. „Das Kreuz ist aufgerichtet“ (EG 94).Liedstrophen (EG 94,1-2, vor der Predigt): Das Kreuz ist aufgerichtet, der große Streit geschlichtet. Dass er das Heil der Welt in diesem Zeichen gründe, gibt sich für ihre Sünde der Schöpfer selber zum Entgelt.
Er wollte, dass die Erde zum Stern des Kreuzes werde, und der am Kreuz verblich, der sollte wiederbringen, die sonst verlorengingen, dafür gab er zum Opfer sich“
Liebe Gemeinde!
„Ein komischer König“
Palmsonntag in der Kinderkirche. Wir betrachten ein Bild. Jesus in einem schlichten Gewand auf einem Esel. „Das ist aber ein komischer König.“ Malte runzelt die Stirn. „Der hat ja ein Nachthemd an. Und gar keine Krone.“ – „Das Pferd ist mickrig.“ Auch Anna-Lena scheint irgendwie enttäuscht zu sein. Mit der Coolness der bunten Piratenwelt und mit dem rosa Glamour von Prinzessin Lillifee hat dieser Jesus nichts zu tun. Ich muss schmunzeln. Aber irgendwie haben Malte und Anna-Lena ja recht: Könige sehen anders aus. Nicht nur für Kinder. In unserer Welt setzen sich Könige anders in Szene. Ich denke an den „King of Pop“. Michael Jackson, das war ein richtiger König mit aufwendigen Kostümen und Bühnenshows mit fast apokalyptischer Lichtarchitektur. Ein richtiger König auch über den Tod hinaus. In einem Sarg aus Gold ist er beerdigt worden. Glitzer und Glamour gehören bei Königen dazu. Das ist bei den Großen so. Und das beginnt mit Prinzessin Lillifee. Könige glänzen, egal ob in Gold, ob in Rosa oder mit funkelnden Piratenschwertern. Palmsonntag enttäuscht diese Erwartungen. Der arme Mann auf dem Esel. Wie ein König scheint Jesus nicht auszusehen. „Jesus Christ Superstar“ – wie es im gleichnamigen Musical heißt – hat wenig mit dem King of Pop zu tun. Doch die, die Jesus kennen, wissen, dass der Schein trügt. „Hosianna, Davids Sohn!“ – jubelt die Menge dem Mann auf dem Esel entgegen. Ein Triumphlied auf einen Bettler und nicht das einzige in der Bibel. Auch unser Predigttext ist ein Christushymnus, ein Krönungslied auf Jesus aus den ersten Tagen der Christenheit.
(Lesung des Bibeltextes) Phil 2,6-11)
Liebe Gemeinde, wovon die junge christliche Gemeinde da singt, entspricht nicht unseren Erwartungen. Dass einer nicht an seinen Vorzügen und Vorteilen festhält, passt nicht zu unserem Verhalten. Im Gegenteil: Allzu krampfhaft halten wir oft fest an Ehren, an Titeln, an Reichtum und Markenprodukten und wenn es sein muss auch an gefälschten. Oft verbirgt sich dahinter mehr Schein als Sein. Und nicht selten trügt der Schein. Hinter all den Würden, Titeln und Glänzen verbirgt sich in Wahrheit oft menschliche Armut. Ganz anders Jesus. Er gibt sich nicht hochmütig für mehr aus, als er ist. Er besteht nicht mal auf dem, worauf er bestehen könnte. Gott wird Mensch und nimmt die Gestalt eines Knechtes an, eines gehorsamen und demütigen noch dazu. Das hat nichts mit rhetorischer Spielerei oder Understatement zu tun, sondern das ist ernst. Todernst. Jesus hält nicht an dem fest, was er hat und was er ist, sondern gibt alles und zum Schluss sich selbst. Seine Macht zeigt sich als Ohnmacht. An menschlichen Maßstäben gemessen muss man wohl sagen: Ein komischer Gott, der sich im Tod verliert. Aber einer, der das Leben gewonnen hat für uns. Und das ist mehr als wir je erwarten durften.
(Liedstrophe, EG 94,3) „Er schonte den Verräter, ließ sich als Missetäter verdammen vor Gericht, schwieg zu allem Hohne, nahm an die Dornenkrone, die Schläge in sein Angesicht“
„Keine klassische Aufstiegsgeschichte“
Liebe Gemeinde, an menschlichen Maßstäben dürfen wir dieses Christuslied nicht messen, auch nicht zu verstehen versuchen. Sicher, am Ende wird Jesus zum König eingesetzt, dem alle huldigen. Fast scheint es, das sei die Belohnung für seine Demut, der Preis für seine Reise in das Menschliche. Aber Vorsicht: Unser Christuslied besingt keine klassische Aufstiegsgeschichte von einem, der arm wurde und dann wieder reich. Im Mittelpunkt steht nicht der Strebsame, der zur richtigen Zeit am richtigen Ort den richtigen Menschen gefallen und sich mit diplomatischem Geschick gefügt hat. Es geht nicht um die Belohung für den üblichen Gehorsam nach dem Motto „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“, geboren aus der Erkenntnis, dass man sich manchmal bücken muss, um auf der Karriereleiter nach oben zu kommen. Bei Jesus ist die Erniedrigung keine Strategie zum Aufstieg. Das hat er nicht nötig, denn er kommt von ganz oben.
(Liedstrophe, EG 94,4) „So hat es Gott gefallen, so gibt er sich uns allen. Das Ja erscheint im Nein, der Sieg im Unterliegen, der Segen im Versiegen, die Liebe will verborgen sein.“
„Kein König undercover“
Liebe Gemeinde, ein Gott als Mensch. Ein König als Knecht. Sicher, auch das hat es schon öfter gegeben, auch das kann man missverstehen. Der legendäre Herrscher Harun al Raschid hat sich im achten Jahrhundert als Bettler unter das Volk gemischt, um zu wissen, was sein Volk so denkt, auch über ihn. Ein König undercover. Und auch unsere Prominenten, unsere Könige der Herzen, mischen sich inkognito unters Volk, vielleicht um ein bisschen Normalität zu leben. Königsein kann auch anstrengend sein. Mit Jesus ist das anders. Bei ihm ist das keine Verkleidung, kein Spiel, keine Neugier. Unsere Herrscher im Alltagsgewand haben alle den Schlüssel zu ihren Palästen in der Jackentasche. Der Dreck der Strasse wird dann locker abgespült mit duftenden Ölen, um anschließend im flauschigen Bademantel die Reise in eine andere Welt bei einem Glas Wein Revue passieren zu lassen. Das ist bei Jesus anders: Für ihn öffnet sich keine Tür zum Palast, wenn er will. Hinter ihm schließt sich die Kerkertür, ob er will oder nicht. Jesu Abenteuer in der Welt des Menschlichen endet nicht mit duftenden Ölen auf der Haut und teuren Weinen auf der Zunge, sondern mit dem Geschmack von Essig, Blut und Tränen. Bei Jesus ist es ernst. Todernst. Auch die Einsetzung in die göttliche Macht ändert daran nichts. Wenn die Mächte und Gewalten Jesus huldigen, so hat das nichts mit dem happy end eines Abenteuers zu tun, wo sich der Held nach erfüllter Mission unversehrt und wiederhergestellt in alter Frische feiern lässt. Bei Jesus bleiben Spuren. Eindrücklich ist das zu sehen auf alten Gemälden. Der in Herrlichkeit auferstandene Christus trägt die Wundmale an seinen Händen. Es hat sich etwas verändert für immer. Nicht nur für unseren Gott, sondern auch für uns. Die Macht des Todes ist gebrochen. Ein für alle Mal.
Amen
(Liedstrophe, EG 94,5) „Wir sind nicht mehr die Knechte der alten Todesmächte und ihrer Tyrannei. Der Sohn, der es erduldet, hat uns am Kreuz entschuldet. Auch wir sind Söhne und sind frei.“
Diese lebendige Predigt betont die Niedrigkeit Jesu. Die sehr informative und erhellende Exegese dazu endet mit der Zusammenfassung: “Gott in Knechtsgestalt und der König auf dem Esel”. Schon die Kinderkommentare zu Jesu Einzug in Jerusalem beschreiben diese Demut Jesu. Mehrfach betont Pastorin Dr. Janßen, daß Jesus kein “Superstar” war. Der Weg Jesu bis zur universalen Verehrung ist kein Aufstiegsgeschichte mit Happy End. Auch der kosmische Christus trägt weiter die Narben der Kreuzigung. Zu dieser sehr reflektierten und hinter verständlichen Worten anspruchsvollen Predigt habe ich drei Anmerkungen: 1. Happy End hört sich abwertend banal an. Ist die Erhöhung Christi nach Kreuz und Tod nicht doch ein guter Ausgang? Erwarten wir nicht deswegen auch ein gutes Ende der Weltgeschichte und unseres Lebens? 2. Drewermann macht darauf aufmerksam, daß die Evangelien nach dem Schema eines Helden-Mythos aufgebaut sind. Palmsonntag zieht danach ein “Held” in die Hochburg seiner Feinde ein. Er unterliegt wie im Mythos und siegt am Ende doch! 3. Diese Dimension, daß Jesus nicht nur unentwegt sein Kreuz getragen hat, sondern zwischendurch wie am Palmsonntag – aus welchen Gründen auch immer – Anerkennung und Begeisterung geschenkt bekam und am Ende ja nach dem Predigttext von allen Menschen anerkannt werden wird, hat mich von den Tagen des Kindergottesdienstes bis heute tiefenpsychologisch-seelisch erfreut.