Schwere Tugend Demut

Kann man demütig leben, ohne unter die Räder zu kommen?

Predigttext: Philipper 2,3-11
Kirche / Ort: Stadtkirche 55276 Oppenheim
Datum: 28.03.2010
Kirchenjahr: Palmsonntag (6. Sonntag der Passionzeit)
Autor/in: Pfarrerin Dorothea Zager
Predigttext: Philipper 2,3-11 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984) 3 Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst, 4 und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient. 5 Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht: 6 Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, 7 sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. 8 Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. 9 Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, 10 dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, 11 und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.

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Liebe Gemeinde!

Was ist Demut? Eine christliche Tugend, sagt man. Im Philipperbrief ist sie gut verständlich beschrieben:

(Lesung des Predigttextes, V.3-4)

Das ist hartes Brot. Demut ist eine schwere Tugend. Wie soll das möglich sein in einer Welt, die harte Kerle verlangt und taffe Frauen? Kann man da noch demütig leben, ohne unter die Räder zu kommen? Niemand lebte Demut so konsequent wie Jesus von Nazareth. Wenn wir – heute als Predigttext – das Loblied auf seine Demut und auf seinen Gehorsam gegenüber Gott in einem der bekanntesten Psalmen im Neuen Testament lesen, wird uns noch deutlicher, wie schwer Demut ist:

(Lesung des Predigttextes, V.5-11)

Diese Worte sind ein Loblied auf die Liebe, die Demut und die Hingabe Christi bis in den Tod. Sie sind aber auch eine Aufforderung in die Nachfolge! Ausdrücklich heißt ganz zu Beginn: Seid so auch untereinander gesinnt. In Demut und in Hingabe. Wie soll das möglich sein? Liebe Schwestern und Brüder, Demut ist nicht eine Handlung, zu der wir uns zwingen müssten. Demut ist eine innere Haltung, die dann unser Handeln bestimmt. Darum geht es heute.

Beipiel für Demut

(An dieser Stelle kann man ggf. ein vergrößertes altes 50-Pfennig-Stück sichtbar in Händen halten.)

Kennen Sie es noch? Das gute alte 50-Pfennig-Stück? Aus hellem Silber ist es, und hat diesen schönen geriffelten Rand, so dass man es früher sofort im Portemonnaie erkennen konnte!  Für 50 Pfennig konnte man früher noch richtig viel kaufen: 1 Kugel Eis oder 1 Liter Milch kosteten zu meiner Kindheit noch 50 Pfennig. Man bekam dafür 2 Schulhefte oder 1 Radiozeitung. Ja, tatsächlich: Es gab sogar mal eine Zeit, da bekam man für 50 Pfennig einen ganzen Liter Benzin! Heute ist das undenkbar! Was bekommt man heute schon für 25 Cent? Das 50 Pfennig-Stück war übrigens die beliebteste Münze im Geldbeutel der Deutschen, als es noch die D-Mark gab. Sie war auf ganzer Linie etwas besonderes! Das 50-Pfennig-Stück ist die einzige Münze, die es jemals in Deutschland gegeben hat, auf der eine Frau abgebildet ist! Sie können sich sicher noch an die anderen Münzen erinnern: Auf dem 5 Mark-Stück ist der deutsche Adler drauf gewesen, das 2 Mark-Stück war geziert mit den Profilen von Theodor Heuss, Konrad Adenauer und Max Planck – ein ganz seltenes gab es auch mit Franz-Josef Strauß. Auf den Groschen und Pfennigen – erinnern Sie sich noch? – da waren kleine Eichenbäumchen drauf. Aber auf keinem war eine Frau. Nur auf dem 50 Pfennig-Stück.

Lange Zeit war nicht bekannt, wer die “50-Pfennig-Frau” war, sie wurde gemeinhin für eine idealtypische Darstellung gehalten. Im Jahre 1988 recherchierte ein Journalist zum Thema, und erst dadurch wurde der Zusammenhang bundesweit bekannt. Die Frau auf dem 50-Pfennig-Stück heißt Gerda Johanna Werner. Die Geschichte, wie sie auf das 50-Pfennig-Stück kam, ist richtig spannend. Geschaffen wurde die bekannte Abbildung der Baumpflanzerin 1949 von Gerdas Mann Richard für einen Gestaltungswettbewerb der Bank Deutscher Länder (später: Deutsche Bundesbank). Für die 50-Pfennig-Stücke wurde ein Motiv gesucht, das den Wiederaufbau Deutschlands nach demZweiten Weltkrieg verkörpern sollte. Um sich an dieser Ausschreibung beteiligen zu können, nahm Werner eine bereits vorhandene Serie von Aktzeichnungen, die er von seiner Frau angefertigt hatte. Er ergänzte die Zeichnungen kurzerhand mit verhüllenden Tüchern sowie den Eichensetzling in ihren Händen. Noch heute sieht man die deutlichen Konturen des Körpers, wie als hätte sie nichts an. Werners Entwurf der jungen Eichen-Pflanzerin überzeugte auf Anhieb. Er wurde einstimmig ausgewählt. Man wollte damit die Millionen Trümmerfrauen, aber auch die zahlreichen in der Wiederaufforstung tätigen Waldarbeiterinnen ehren. Durch die Wahl des schlicht gehaltenen Bildes nach dem Modell seiner damals schwangeren Frau wurde all diesen Frauen symbolisch das bis heute, zumindest zahlenmäßig, wohl größte Denkmal gesetzt.

Würde heute jemand auf die Idee kommen, eine schwangere Frau, die ein Bäumchen pflanzt, auf eine Münze zu prägen oder auf einen Geldschein zu drucken? Auf unseren Euro-Münzen sind heute kaum noch Menschen drauf. Da sind die Landes-Fahnen drauf oder die Europa-Flagge, der Bundesadler oder das Brandenburger Tor. Auf den Scheinen sind Gebäude abgebildet: Solaranlagen, die größten Brücken Europas, Tempel und Kirchenfenster, Portale und Schiffe. Und wenn einmal Menschen abgebildet sind, dann sind es großartige Menschen, Menschen, die viel geleistet haben, Menschen, die stolz auf sich sind: Herrscher und Könige, Erfinder und Dichter, Nobelpreisträger oder Sagengestalten. Lauter großartige Menschen, lauter großartige Leistungen der Menschheit – damit schmücken wir heute unser Geld. Eine einfache, namenlose Frau, die ein Kind unter dem Herzen trägt und sich liebevoll zu einem Bäumchen herabbeugt, um es zu pflanzen, das gäbe es heute auf keiner Münze auf keinem Schein. Die Menschen, die nach dem Krieg diese neuen Münzen prägten hatten etwas, was uns heute weithin verloren gegangen ist: Demut.

Was im Leben wirklich zählt

Den Menschen damals war klar geworden, was im Leben wirklich zählt. Nach den Leiden des Krieges, nach den vielfachen Zerstörungen – in diesen Wochen jähren sich die Zerstörungen Dresdens, Frankfurts, Oppenheims und Worms zum 55. Mal –, nach soviel Tod, und Leid, Vertreibung und Flucht, war den Menschen klar geworden: Nicht unsere Macht ist es, nicht unsere Kraft ist es, auf die wir uns verlassen können, sondern nur Gottes Liebe und seine Vergebung, die uns nach all diesen schrecklichen Jahren wieder einen neuen Anfang schenkt. Gott lässt das Grün auf dieser Erde sprießen, und er allein sorgt dafür, dass die kleinen Pflänzchen, die wir in die Erde stecken, große, starke Bäume werden, die uns Schatten spenden oder die uns Früchte schenken. Ohne Gottes Segen ist all unsere Arbeit, unser Säen und Ernten umsonst. Das sagt uns das kleine Bäumchen auf dem 50-Pfennig-Stück. Gott lässt das Leben auf dieser Erde gedeihen. Er allein sorgt dafür, dass jung-verliebte Paare Eltern werden, dass Kinder entstehen, sich entwickeln und zu neuen Generationen heranwachsen. Ohne Gottes Segen ist all unser Mühen um die Zukunft umsonst.

Kleines Evangelium

Gott schenkt dem Menschen Arbeitskraft und Ideen, er schenkt ihm Durchhaltevermögen und Energie, Mut zu Neuem und Forscherdrang – all das, was wir Menschen brauchen, um Höchstleistungen zu erbringen, Brücken zu bauen, Tore und Portale, Dome und Tempel – ja, all das, was heute als die großen Errungenschaften der Menschheit auf Münzen geprägt und auf Geldscheine gedruckt wird: Ohne Gottes Segen und ohne die Kraft, die er uns zu alldem schenkt, wäre das alles nie so geworden. Das kleine 50-Pfennig-Stück, das die, die es einmal zu DM-Zeiten benutzt haben, eigentlich nie wirklich vergessen können, ist uns heute zu einem kleinen Evangelium geworden. Es hat uns heute auf etwas ganz wichtiges hingewiesen: Menschenkind, vergiss nicht, woher Du kommst. Menschenkind, vergiss nicht, wer Dir das alles geschenkt hat, vergiss nicht, wovon Du lebst.

Und Menschenkind, vergiss nicht, auf wen Du Dich letztlich wirklich verlassen kannst: Nicht auf Deine Leistungen und Errungenschaften, nicht auf Dein Können, Deine Brücken und Burgen, Kirchen und Schlösser, nicht auf Deine Erfindungen und Deine Erkenntnisse – im letzten Grunde Deines Lebens kannst Du Dich nur auf den verlassen, der Dir das Leben geschenkt hat im Leib Deiner Mutter.
Er hat Dich wachsen lassen in Deinen Kindertagen.
Er hat Dich behütet und geleitet, als Du erwachsen wurdest, hat Dir den Weg gezeigt, den Du gehen sollst bis auf den heutigen Tag. Hat Dir Menschen geschenkt, die Du lieben darfst und die Dich lieben.
Und er allein ist es auch, der Dir noch einmal unzerstörbares Leben schenken wird, wenn Deine Zeit auf dieser Erde einmal zu ende geht.
Denn nur Er ist das wirkliche Leben.
Und nur bei Ihm können wir Leben finden und Kraft.
Nur durch Ihn hat unser Leben einen Sinn.
Und nur durch Ihn hat unser Leben ein Ziel.

Liebe Gemeinde, so zu denken, das ist Demut. Wer von Demut erfüllt ist, der handelt auch anders:

„Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst, und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient“.

Amen.

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3 Kommentare on “Schwere Tugend Demut

  1. Pastor iR Heinz Rußmann

    Ganz besonders originell und tiefsinnig ist diese Predigt über das Thema Demut! Wir erfahren über die 50 Pfennig- Münze sehr viel Interessantes, über das wir uns sicher bisher noch keine Gedanken gemacht haben. Sehr stimmig werden diese Informationen dann auf die Dimension Demut angewendet. Im letzten Drittel der Predigt wird mit ansprechenden Formulierungen und existenziellen Fragen betont, daß unser Leben nur durch Gott Sinn und Ziel hat. Eine schöne und besondere Thema-Predigt! – Man könnte allerdings fragen, ob man am Palmsonntag nicht doch etwas vom Einzug Jesu in Jerusalem sagen müßte. Auch hätte ich gern etwas von den kosmischen Dimensionen des auferstandenen Christus gehört: “Jeder Mund soll bekennen, daß Christus der Herr ist.” ( übers. Wilckens ) Aber eine tiefsinnige Themapredigt über Demut muß sich ja konzentrieren.

  2. Pfn. Maria Bartels

    Ich finde die Predigt ausgesprochen interessant! Schade, daß ich kein Anschauungsstück dabei habe! Sicher ist es auch eine Form von Demut, nicht gleich über die absoluten Wahrheiten des Christus zu predigen. Und das finde ich echt gut!

  3. Dorothea Zager

    Liebe Frau Bartels,

    danke für Ihren freundlichen Kommentar!
    Ich habe mir aus dem Internet das Foto eines 50 Pfennigstücks heruntergeladen
    (unter “http://www.google.de” Stichworte “50 pfennig münze” eingeben),
    auf DIN A3 kopiert und auf eine kreisrunde Pappe geklebt. Das geht prima und man hat was zum Anschauen dabei.
    Vielleicht schaffen Sie es noch bis morgen früh!

    Einen gesegneten Gottesdienst!
    Dorothea Zager

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