Überwindender Glaube
Wo Menschen durch Christus stark geworden sind und die Welt der Angst überwinden, da lebt er, der auferstandene Jesus Christus
Predigttext: 1.Johannes 5, 1 – 5 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Wer glaubt, dass Jesus der Christus ist, der ist von Gott geboren, und wer den liebt, der ihn geboren hat, der liebt auch den, der von ihm geboren ist. Daran erkennen wir, dass wir Gottes Kinder lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten. Denn das ist die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten. Und seine Gebote sind nicht schwer. Denn alles, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt, und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. Wer ist es aber, der die Welt überwindet, wenn nicht der, der glaubt, dass Jesus Gottes Sohn ist?Hinführung zum Predigttext
In Literatur zum Bibeltext ist häufig vom großen Unverständnis dem Text gegenüber die Rede. Weltflucht, elitäres „Sichheraushalten“ wird dem Verfasser des 1. Johannesbriefes vorgeworfen. Er sei schwer zu verstehen. Bedenken wir andererseits, dass 1.Joh eine gnostische Irrlehre abwehrt, sich gleichwohl teilweise der Terminologie der Gnostiker bedient, begreifen wir, dass „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat“ (Vers 4b) keinesfalls als Weltflucht zu verstehen ist, sondern im Gegenteil als Ernstnehmen der Herausforderungen, welche die tatsächliche Inkarnation Gottes in dieser Welt bedeutet. Wird Christus Teil dieser Welt, überwindet er Leid und Tod nicht nur scheinbar am Kreuz (wie es die Gnostiker mutmaßten), ist diese Welt als Aufgabe Gottes an die Christen und Christinnen Ernst zu nehmen.Folgerungen für die Predigt
Christus wurde Teil dieser Welt, Christen und Christinnen sind Teil dieser Welt. Unsere Aufgaben liegen im Diesseits, in der konsequenten Hinwendung an die Aufgaben, die uns Gott in dieser Welt gestellt hat. Überwindung heißt: Die Osterbotschaft als Heil annehmen und umsetzen. Sich nicht binden lassen von den Mächten der Welt, Angst und Todverfallenheit hinter sich zu lassen. Ängstliches, braves „Frommsein“, moralische Angepasstheit, sich einfügen in Strukturen der Welt, die auf Gewalt und Ausbeutung angelegt sind, ist nach dieser Vorstellung von Überwindung der Welt nicht mehr möglich. Maria Magdalena und Dietrich Bonhoeffer können Zeugen dieser gelebten Osterbotschaft werden, mit allen Konsequenzen, wie bei Bonhoeffer ersichtlich. Wir predigen 1.Johannes 5, 1 -5 in der Osterzeit, am Sonntag Jubilate. Deshalb: Die Osterbotschaft soll als Heil und Heilung bringendes Evangelium gehört und gelebt werden.Kontext der Predigt
Seit zehn Jahren ist die Verfasserin Pfarrerin in der Johannes-Diakonie Mosbach, eine der größten Komplexeinrichtungen für Menschen mit geistigen Behinderungen. Seit einigen Wochen ist sie darüber hinaus in einer Jugendvollzugsanstalt tätig, die großen Wert auf Resozialisierung, pädagogische Betreuung und Sozialtherapie legt. An beiden Orten werde ich 1.Johannes 5, 1 -5 predigen. Beide Zielgruppen der Predigt, Menschen mit Assistenzbedarf und jugendliche Straftäter eint, so unterschiedlich diese Gruppen auch sonst erscheinen mögen, dass es sich um Randgruppen handelt, die teilweise unter dem Rechtfertigungsdruck ihrer besonderen Förderung stehen. Beide Gruppen werden eher als Kostenfaktoren der Gesellschaft gesehen, Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist erschwert. Schon gar nicht möglich scheint eine intellektuelle Mittelstandspredigt. Die sozialethische Herausforderung des Textes wird aufgegriffen, Zerrbilder des Christentums benannt und deutlich abgelehnt, die Verantwortungsbereitschaft des Christen, der die Osterbotschaft Ernst nimmt, hoffentlich gefördert.Lieder
„Suchet zuerst Gottes Reich in dieser Welt (EG 182, beachte die Osterstrophe 8, auch Str 9!) „So jemand spricht, ich liebe Gott“ (EG 412, zitiert 1. Johannes)Gebet
„Hilf, Herr meines Lebens“ (EG 419) werde ich als Fürbittengebet sprechen, die Gemeinde nach jeder Strophe mit einem Liedruf antworten lassen. Möglich ist: „Ubi caritas“, „Wo die Liebe wohnt und Güte, da ist unser Gott“ (Badische Ausgabe des EG 608) oder „Bleib mit deiner Gnade bei uns“ (Taize) oder ein Kyrieruf.Irischer Segen
(Zitiert aus: Gesegneter Weg, Hrsg Martin Schmeisser, 1990 S. 108) Bruder und Schwester, seid gesegnet von Gott. Er gehe Dir voraus und zeige Dir den rechten Weg. Gott sei nahe bei Dir und lege seinen Arm um Dich. Gott sei hinter Dir, Dich gegen alle böse Macht zu bewahren. Er sei unter Dir, Dich aufzufangen, wenn Du fällst. Er sei neben Dir, Dich zu trösten, wenn Du traurig bist. Gott sei in Dir. Dich zu heilen. Er sei um Dich her, Dich zu schützen in der Angst. Er sei über Dir wie die Sonne am Himmel und stärke Dich mit seiner Kraft. Er segne und behüte Deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit. Amen.Liebe Gemeinde!
Gott hält sich aus der Welt nicht heraus
Es hört sich absolut logisch an: Der, der glaubt, dass Jesus Gottes Sohn ist, der hat die Welt überwunden. Komplizierter wird es, wenn wir bedenken, was es heißt, die „Welt zu überwinden“. Ich bin ein Teil dieser Welt. Ich bin als kleines Kind hier hineingeboren worden. So ist es. Es geht nichts Anderes. Ich kann und darf nicht so tun, als könnte ich mich irgendwo nach draußen setzen, außerhalb dieser Welt, und so tun, als ob sie mich nichts anginge. So geht es auch Ihnen allen hier. Sie sind ein Teil dieser Welt. So wie ich es bin, bist du es auch. So einfach, so klar. Ja, und noch viel mehr: Der Einzige, den wir uns vorstellen können, der außerhalb dieser Welt existiert, er, der sie erschaffen hat und erhalten hat, er, Gott, ist Mensch geworden. Als kleines Kind geboren, Jesus aus Nazareth, Sohn der Maria und des Zimmermanns Josef, kleiner Leute Kind. Hineingeworfen in politische Verstrickungen, von Geburt an. Ein Flüchtlingskind, nach Ägypten unter Gefahr für Leib und Leben emigriert. Später dann, bis ins Erwachsenenalter hinein unerkannt als Handwerker, dann ein Wanderprediger für die einfachen Leute, weit weg vom goldglänzenden Tempel, wo der ferne Gott verehrt wird. Er verkündet das Evangelium für die bodenständigen Menschen, die Fischer, Handwerker, Bauern. Er verkündet auch den Ausgestoßenen, den Prostituierten, den kleinen Betrügern. Sein Wort gilt den Gefangenen, den vom Leben Geschlagenen. Und er stirbt den Tod der von Gott Verworfenen, den schrecklichsten Tod, der als Fluch angesehen wurde in der damaligen Zeit, den Tod am Kreuz, zwischen zwei Verbrechern. Das ist unser Gott, der christliche Gott. Sage niemand, dieser Gott hielte sich aus der Welt, wie sie ist, heraus! Nein, er geht an ihr zugrunde. Das ist Karfreitag: Der Tod Jesu. Unser Gott geht weiter, ja, was niemand glauben konnte: Über den Tod, diese tiefste Schwärze hinaus. Er zerbricht sein irdisches Leben an dieser Welt, und er überwindet den Tod durch seine Auferstehung. Wer das nicht ganz begreift, sagt sich: „Okay, für Gott war das alles ja gar nicht so schlimm. Er hat halt nur so getan, als ob er stirbt. Gott kann nicht sterben“. Aber unsere christliche Botschaft sagt Anderes: Doch, in Jesus Christus ist Gott gestorben, gestorben an allem Leid und Schuld dieser Welt. Ja, er ist auferstanden, weil er diese Welt erhalten will.
Überwindung und Erhaltung dieser Welt, das ist das Heilsgeschehen in Jesus Christus. Das ist Ostern. Wir leben jetzt in der österlichen Zeit. Wer also meint, oder gemeint hat, Überwindung der Welt und der bösen Zeiten, die diese Welt erlebte, bedeutet, sich einfach herauszustehlen aus ihr, sich fromm und friedlich sozusagen an den Rand zu setzen und zuzuschauen, wie sie leidet, der hat das Ostergeschehen mit Christus nicht verstanden.
Fromme Worte ohne Taten?
In der Geschichte der Kirche hat es immer und immer wieder diese Gefahr gegeben, dass Menschen meinten, die Welt und ihre Leiden zu überwinden, indem sie sich als betende und büßende Einsiedler, Mönche oder Nonnen aus aller Sünde heraushalten wollten. Es gab tüchtige Prediger und auch Predigerinnen, auch oder gerade im protestantischen Bereich, die genau wussten, wie Christen und Christinnen sich fromm und brav zu verhalten haben, damit sie Gottes Ansprüche erfüllen. Unser Predigtwort diente ihnen gerne als Anreiz für ihre christliche Lebensführung. Und dann blieb es oft bei frommen Worten, ohne Taten. Die Gefahr besteht ja darin: Wer sich raushält, macht keine Fehler. Umkehrschluss: Wer keine Fehler machen will, muss sich eben raushalten. Aus allem! Zu der Haltung: „Pfui bäh, diese Welt ist schmutzig!“ ist es dann nur noch ein kleiner Schritt. Es gibt aber auch viele, viele Christen und Christinnen, die genau den anderen Weg gegangen sind.
„Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat,“ das hat Menschen stark gemacht, die Osterbotschaft in(!) dieser Welt zu leben, nicht außerhalb. Es fängt an bei Maria Magdalena, der ersten Verkündigerin der Osterbotschaft. Sie konnte und wollte zunächst nicht verstehen, was geschehen war, es überstieg einfach ihre Vorstellungskraft, wie auch die der Apostel und Gelehrten übrigens. Sie war in Trauer versunken, tränenblind und hoffnungslos, als ihr der auferstandene Christus selber begegnet. Er ist es, der sie ihre Welt aus Trauer und Traurigkeit überwinden lässt. Er weckt ihren Glauben. Der Glauben lässt sie handeln. Sie bricht auf aus der Todesstarre und Angst und verkündet, wer und was sie wieder hat leben lassen. Sie wird zur Apostelin der Apostel, und weiter und weiter wird die Botschaft getragen, von einem zum anderen, durch alle Völker, bis heute.
Radikale Diesseitigkeit aus dem Glauben heraus
So hat der Glaube, der Sieg des Glaubens, die Welt überwunden. Wo Menschen durch Christus stark geworden sind und die Welt der Angst, der Unterdrückung, der Todesstarre überwinden durch die Botschaft des Auferstandenen, da lebt er, Jesus Christus. Es ist in diesen Tagen fast genau 65 Jahre her, dass Dietrich Bonhoeffer ermordet wurde. Bonhoeffer war ein frommer Mann, ein Pfarrer und ein kluger Gelehrter. In seinem viel gelesenen Buch „Nachfolge“ beschreibt er eindrücklich, welche Haltung ein Mensch leben sollte, um ganz und gar Gottes Willen zu tun und dem Frieden Gottes zu folgen. Er erlebt die Gewaltherrschaft der Nazis, erlebt, wie humane Werte des Christentums mit Füßen getreten werden, dass Menschen durch den Staat entrechtet werden. Den ungeheuren Skandal der Naziherrschaft kann er nicht ertragen. In den vielen Opfern der Gewaltherrschaft sieht er Christus erneut leiden an dieser Welt. Er kann und will sich nicht einfach fromm heraushalten aus dieser furchtbaren Welt. Die Chancen, auszuwandern und sein eigenes Leben zu retten, lehnt er ab. Seine Freunde und er wissen, dass die Nazis ihn verfolgen und bedrohen, dass auf Dauer sein Leben in Deutschland in Gefahr ist. Er aber wird noch radikaler, noch weltzugewandter, indem er sich nicht nur dem kirchlichen Widerstand anschließt, der die Nazis gewaltfrei bekämpft, nein, er geht einen noch radikaleren Weg. Zum Unverständnis vieler Freunde will er nicht einfach als Christ sauber bleiben, sondern er ist bereit, zur Überwindung des Naziterrors selber Schuld auf sich nehmen. Sein Weg wird schwer. Als tiefgläubiger Christ versteht er die Menschwerdung Gottes so, dass ein Nachfolger Christi sich für Nichts zu schade sein darf. Er nennt das radikale Diesseitigkeit und das sei Aufgabe der Christen. Er sagt einem Freund sinngemäß: „Wenn ein verrückter Autofahrer in eine Menschenmenge rast, dann reicht es nicht, die verwundeten Opfer zu verbinden. Dann muss man bereit sein, das Auto wirklich zu stoppen, dem Rad in die Speichen fallen.“ Bonhoeffer wird ein politischer Widerstandskämpfer, ist bereit, am Umsturz und Attentat auf Hitler mitzuwirken. Mehrere Versuche misslingen, die Verschwörer werden verhaftet und noch vor dem Ende des Krieges fast alle grausam hingerichtet, auch Bonhoeffer am 9.April 1945. Sein Trost im Sterben war Jesus Christus und der Glaube an ihn, der die Welt nicht nur überwunden hat, sondern neues Leben ermöglichte durch Kreuz und Auferstehung.
Amen.