Weitergehen

Wer in den Himmel starrt, scheitert an den kleinen Widerständen am Boden

Predigttext: Apostelgeschichte 1,3-12
Kirche / Ort: Emmaus-Gemeinde / 76139 Karlsruhe-Waldstadt
Datum: 13.05.2010
Kirchenjahr: Christi Himmelfahrt
Autor/in: Pfarrer Klaus Paetzholdt

Predigttext: Apostelgeschichte 1,3-12 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

 3 Ihnen zeigte er sich nach seinem Leiden durch viele Beweise als der Lebendige und ließ sich sehen unter ihnen vierzig Tage lang und redete mit ihnen vom Reich Gottes. 4 Und als er mit ihnen zusammen war, befahl er ihnen, Jerusalem nicht zu verlassen, sondern zu warten auf die Verheißung des Vaters, die ihr, so sprach er, von mir gehört habt; 5 denn Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber sollt mit dem heiligen Geist getauft werden nicht lange nach diesen Tagen. 6 Die nun zusammengekommen waren, fragten ihn und sprachen: Herr, wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten das Reich für Israel? 7 Er sprach aber zu ihnen: Es gebührt euch nicht, Zeit oder Stunde zu wissen, die der Vater in seiner Macht bestimmt hat; 8 aber ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde. 9 Und als er das gesagt hatte, wurde er zusehends aufgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg. 10 Und als sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Gewändern. 11 Die sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen. 12 Da kehrten sie nach Jerusalem zurück von dem Berg, der heißt Ölberg und liegt nahe bei Jerusalem, einen Sabbatweg entfernt.

Mein Weg mit dem Predigttext

 In einer Seminarreihe unserer Gemeinde über aktuell interessierende Fragen unseres Glaubens tauchte als Wunsch das Thema auf: Was bedeutet Nachfolge? Ich spüre, wie mich selber das Thema interessiert und im Blick auf den Diskussionsabend in der Woche nach Himmelfahrt bewegt. Das ist, wie jede/r Leser/in/Hörer/in schnell feststellen wird, in die Überlegungen zur Gestaltung des Himmelfahrtgottesdienstes hineingeraten. Ich selber habe lange Zeit Nachfolge eher mit dem irdischen Weg Jesu verbunden und damit, zugespitzt, mit seinem Weg ans Kreuz. Ostern wird mir inzwischen aber immer stärker zum Angebot für meine Lebensgestaltung. Ich will ein österlicher Mensch sein. Das Interesse, was Himmelfahrt und diese Perikope dafür austragen, ist zu meinem Weg mit diesem Text geworden und hat zur folgenden Predigt geführt. Noch zwei Anmerkungen: Wie es in katholischen Kirchen den Kreuzweg gibt, gestalten wir seit einigen Jahren in ökumenischem Miteinander in der Woche nach Ostern einen „Emmausweg“: In vier Stationen begleiten wir die beiden Jünger auf ihrem Weg und besingen und meditieren ihn. Die Gemeinde, in der ich lebe und mit meiner Frau zusammen arbeite, ist die Waldstadtgemeinde Nord in Karlsruhe, eine nach dem Krieg entstandene Trabantenstadt, in  der viele Fremde, Ausländer, eben die „Völker“ leben. Abgesehen davon können wir inzwischen auch viele Deutsche religiös unter die „Völker“ zählen.                                   

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Wie weit reicht die Nachfolge Jesu? Für viele bis zum Kreuz: „Wer mir nachfolgen will, der nehme sein Kreuz auf sich!“ Oder: „Kommt, wir gehen hinauf nach Jerusalem und es wird alles vollendet werden…“ Doch wir stehen in der Osterzeit, lassen sieben Wochen lang Ostern nachwirken. Ist das Zeit jenseits der Nachfolge? Als Mensch kann ich doch nur den irdischen Weg Jesu mitgehen.

Es geht zunächst um meinen Weg. Ich will Nachfolge zunächst für mich durchspielen, bevor ich diesen Weg anderen empfehle. Die Frage: Worin besteht meine Frömmigkeit?, beantworte ich mir selber gerne so: Ich will den Weg Jesu als meinen Weg mitgehen! Dabei frage ich: Bis wohin kann ich mitgehen oder will ich mitgehen? Oder ist es Bequemlichkeit, wenn ich mich auf den irdischen Weg oder gar auf den Passionsweg beschränke: auf „sieben Wochen ohne“? Ich habe schon zitiert: „Es wird alles vollendet werden…“  „Vollendet“. Da steckt das „Ende“ drin. Jesu Leben kam an ein Ende; kommt meine Nachfolge damit an ein Ende? Jesu Weg von der Taufe bis zum Tod war insgesamt kein sehr langer Weg, kaum viel länger als ein Jahr. Kann dann mein ganzer Lebensweg ein Weg in der Nachfolge sein?

Jesu Weg führte ans Kreuz. Sieben Wochen Passionszeit, sieben Wochen Osterzeit. Sein Weg geht also doch weiter: Nach den Männern – die haben ihn zum Schluss verraten und verlassen – wurden Frauen die Handelnden: Drei von ihnen gingen zum Grab, auch dies ein Weg, für sie zunächst ihre letzte Station in seiner Nachfolge: Dem Toten die letzte Ehre erweisen, nicht mit Blumen und einem Grabstein, sondern mit Salböl. Wenigstens den Toten noch König sein lassen, wenigstens den Toten zum König krönen. Der Lebendige wollte ja kein König sein und die Römer und einige der jüdischen Verantwortungsträger haben ihn als falschen König missverstanden. Worauf ich hinaus will: Der Weg Jesu geht weiter; ich will mitgehen. Vorher als einer der Jünger begleite ich jetzt die Frauen: Das Grab ist leer, der Tote fort, so führt der Weg der Frauen wieder hinaus aus dem Grab, ins Licht, in die blühende Landschaft außerhalb des Grabes. Ich begleite sie, zurück zu den Jüngern. Die haben inzwischen auch gemerkt: ER ist da, anders da als früher, lebendig, anders lebendig als früher, aber lebendig. Doch war das ihr Weg? Es war eher sein Weg zu ihnen. Oder ich begleite die zwei, die sich wirklich auf den Weg gemacht haben: fort vom Ort des Grauens zurück zu einer früheren Station ihres Lebens: nach Emmaus. Doch auch ihr Weg kehrte sich um. Noch am selben Abend, in die Nacht hinein, sind sie zurück gekehrt. Für sie war das keine finstere Nacht mehr. Erst in Emmaus hatten sie gemerkt: Wir haben den Lebendigen bei uns. Und auf dem Rückweg – aber ist das ein Rückweg? – haben sie den Lebendigen hinter sich. Nachfolge nach dem Weg nach Jerusalem jetzt ein österlicher Weg.

40 Tage sollen die Erscheinungen des Auferstandenen gewährt haben. Darum heute Himmelfahrt. 40 Jahre wanderte Israel durch die Wüste, 40 Tage war Elia unterwegs zum Horeb, 40 Tage fastete Jesus in der Wüste. Biblische Zahlen sind oft Symbolzahlen: 40 meint: Jemand braucht Zeit, um reif zu werden, um ans Ziel zu finden, vor allem um bei Gott anzukommen. Jeder von uns weiß: Wer einen lieben Menschen verloren hat, braucht Zeit für seine Trauer. Das Loslassen, das Verarbeiten des Schmerzes, sich umstellen auf neue Lebensumstände: Der eine braucht dafür mehr als 40 Tage, eine andere weniger. Es kommt nicht aufs Tagezählen an: Es geht um einen Weg, einen Prozess, ein Werden. Zurück zum Ostern damals: Wer Jesus jetzt für seine Jünger und Jüngerinnen ist, das musste ihnen zuwachsen. Da mussten sie hineinwachsen. Erst dann wurden sie fähig, ihre Wege neu zu gehen, neue Wege zu gehen, weiter zu gehen.

Es geht um meinen Weg. Ich will mitgehen. Ihr Weg soll mein Weg werden. Also Nachfolge über den Karfreitag hinaus. Mitgehen ans Grab und wieder hinaus, mitgehen nach Emmaus und wieder zurück (wir sind ja, liebe Gemeinde, miteinander in der Woche nach Ostern den „Emmausweg“ als unseren Osterweg gegangen). 40 Tage war ER österlich unterwegs zu ihnen. Und nun: Jetzt sind Jesu Jünger noch einmal versammelt am Ölberg. Diesen Ort kennen sie; das war für sie keine rühmliche Station. „Wachet und betet“, darum hatte Jesus sie gebeten – und sie sind eingeschlafen. Sie konnten die Augen nicht offen halten, sie waren am Ende ihrer Kraft. Hinterher war an Schlafen sowie nicht mehr zu denken. Himmelfahrt: Ausgerechnet an diesem Ort sind sie noch einmal versammelt. Sie müssen sich ihrer Geschichte stellen, vielleicht haben sie dafür 40 Tage gebraucht: um sich ihrer Vergangenheit zu stellen, dem Verleugnen, Davonlaufen, ihrer Angst. Wie dem auch sei, Jesus wird zum Himmel emporgehoben, und sie schauen „hinauf“. Nun ist uns klar: Der blaue Himmel ist nicht der Himmel der Bibel, nicht der Himmel Gottes. Nach „40 Tagen“ können sie Jesus also zu Gott gehen lassen. Sie können ihn wirklich loslassen. Jesus hat sie ja beten gelehrt: „Vater unser im Himmel!“ Dabei war er überzeugt: Gott ist nahe bei uns, sein Reich ist unter uns angebrochen. Also: Wer Jesus loslässt, verliert ihn nicht! Er ist dort, wo Gott ist, und damit nahe bei uns! Nun befehle ich in jeder Trauerfeier den Toten/die Tote Gott an. Manchmal überlege ich: Vielleicht ist das zu früh; vielleicht sind die Angehörigen noch nicht so weit. Vielleicht brauchen auch sie diese „40 Tage“, um den/die Verstorbene/n loszulassen und der Hand Gottes zu übergeben. Ich muss darüber weiter und gründlicher nachdenken.

Aber nun können die Jünger nicht stehen bleiben, fixiert mit dem Blick zum Himmel. Wir wissen, was mit dem „Hans guck in die Luft“ passiert ist. Wer in den Himmel starrt, scheitert an den kleinen Widerständen am Boden. Zum Glück steht da jemand, „zwei Männer mit weißen Gewändern“, lese ich. Wir denken sofort an Engel. Aber wir wissen: Engel sind Boten. Manchmal muss mir jemand im Namen Gottes sagen, wohin mein Weg gehen soll oder was zu tun ansteht. Und wie die Zahlen sind auch die Farben Symbole – weiß im Blick auf die zwei Boten: Sie haben vertreten Gottes Herrlichkeit, Gottes Leuchten, weiß im Blick auf die Jünger: Der neue Auftrag, der neue Weg: hinausgehen zu den Völkern, liegt rein, neu, unbefleckt vor ihnen. Der Geist wird ihnen im Blick auf Pfingsten versprochen. Eine neue Übersetzung übersetzt Geist immer mit Geistkraft: Der Geist ist eine Kraft. Die wird ihnen versprochen. Getauft – über die Wassertaufe hinaus – mit der Geistkraft. Ich brauche nicht nur Kraft für meinen Weg, ich bekomme diese Kraft. Ostern will ja nicht nur die traurigen Jünger trösten, Ostern will – das ist diese Geistkraft – Jesus, seinen Lebensweg, seine Botschaft, seinen Tod, seine Auferstehung und so weiter für die Zukunft und für die weite Welt lebendig machen.

Ich will nachfolgen. Ich merke: Das endet nicht am Karfreitag. Auch Ostern ist ein Weg: Jesu Weg zu mir und mein Weg mit ihm. Ich selber gehe nicht hinaus zu Völkern. Nicht weil ich Rollstuhlfahrer bin; „Völker“ hat es in der „Waldstadt“ genug, zu ihnen zu gehen ist der Auftrag der beiden Engel oder Boten in weißen Kleidern an mich. Dabei merke ich: Der Osterweg ist kein anderer Weg als der Weg in der Nachfolge des irdischen Jesus. Denn Jesu Leben war ein österliches Leben und genau das hat er gelebt: In seiner Zuwendung zu den Leidenden, Verachteten, an den Rand Gedrängten siegt bereits das Leben über den Tod, siegt die Liebe über die Verachtung, die Wahrheit über die Lüge… Ich merke, Nachfolge ist mehr als ein Weg mit gesenktem Haupt zum Kreuz, Nachfolge ist ein Osterweg. Ich glaube an Ostern und damit lebt die Auferstehung mitten in meinem Leben, feiere ich von Montag bis Sonntag das Leben als Gabe Gottes, kann ich meinen Weg gehen als die mir von Gott in Jesus geschenkten Möglichkeiten. Ich will Ostern leben, Auferstehung leben. Das ist für mich Nachfolge. Zum Himmel, zu Gott schauen und vom Ölberg mich neu auf den Weg machen zu den „Völkern“, die zum Beispiel hier mit uns zusammen Leben.

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