Auf der Spur des Glaubens

Kraft gewinnen, Krisen zu bewältigen oder zu ertragen

Predigttext: Epheser 3,14-21
Kirche / Ort: Christuskirche Karlsruhe
Datum: 16.05.2010
Kirchenjahr: Exaudi (6. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pfarrer PD Dr. Wolfgang Vögele

Predigttext: Epheser 3,14-21 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden, daß er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, daß Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid. So könnt ihr mit allen Heiligen begreifen, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, auch die Liebe Christi erkennen, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet mit der ganzen Gottesfülle. Dem aber, der überschwenglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt, dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

Exegetische und homiletische Vorbemerkungen zum Predigttext

Dieser Predigttext bereitet in seinem enthusiastischen Überschwang der Worte allen Predigern/innen gewisse Schwierigkeiten. Man könnte einzelne Bilder daraus herausgreifen: das Wort vom Vater oder das von den Kindern, aber damit würde man dem Gesamtduktus dieses Gebets nicht gerecht. Ich habe deshalb das Bild von der Rose eingeführt, das wie ein  hermeneutischer Schlüssel in der Predigt dazu dient, den Bibeltext in seiner Sperrigkeit und Unverständlichkeit anzunehmen und ihm gleichzeitig dennoch Anschauliches und Hilfreiches für die Gegenwart zu entlocken. Eine gute, auf die Predigt abgestellte exegetische Einführung in den Text fand ich in den Göttinger Predigtmeditationen (F.M.Lütze, GPM 90, 2010, 252ff.).

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Liebe Gemeinde!

Eine Rose

Eine einfache, einzelne Rose habe ich Ihnen mitgebracht. Eine Rosenblüte weckt Erinnerungen, an Liebe und an Sonnenschein, genauso aber an Stolz und Eigenständigkeit. Das leuchtende Rot der Rose strahlt in einer Blüte, die sich aus vielen ineinander geschichteten Blättern zusammensetzt. Viele Dichter schreiben der Rose Stolz zu, daneben eine gewisse Distanz zu allen anderen Blüten. Eine Rose kann für sich selbst stehen. In Blumensträußen verträgt sich die stolze Rose nicht besonders gut mit anderen Blüten. Deswegen finden viele Menschen Blumensträuße nur aus Rosen besonders schön. Hildegard Knef hat gesungen: „Für mich, soll’s rote Rosen regnen, / mir sollten ganz neue Wunder begegnen“.  Aber umgekehrt gilt auch: Die Rose gehört zu den wenigen Blumen, die man, ohne als knauserig zu gelten, als einzelne Exemplare verschenken kann. Unabhängigkeit und Stolz, die man Rosen zuschreibt, können auch in den Dornen ihren Stachel finden. Dornen machen es schwierig, die Stengel festzuhalten. Rosen haben etwas Unantastbares, etwas Unberührbares: Rosen stehen für sich selbst.

Ein Gebet 

Wegen dieser Unabhängigkeit und Unantastbarkeit habe ich mich am Anfang bei den Rosen aufgehalten, obwohl sie in unserem Predigttext gar nicht zu finden sind. Die Passage aus dem Epheserbrief kommt mir wie eine Rose vor: Diese Passage ist ein Gebet. Und das Gebet steht für sich selbst, es ist nicht einfach zu begreifen. Es ist von einer gewissen stolzen Unnahbarkeit. Ein Bibeltext wie eine Rose. Was kann mit diesem Vergleich anstellen? Nun, einen Predigttext kann man erklären und zerteilen wie man eine Rosenblüte in ihre einzelnen Blätter zerpflücken kann. Bertolt Brecht, der schroffe und gelegentlich so zynische Dichter, hat einmal vor Schülern über Gedichte gesprochen. Und er hat Gedichte mit Rosen verglichen, und er stellte die Frage: Was soll ich mit schwierigen Gedichten machen? Stehenlassen und genießen? Oder aufteilen und die Einzelteile betrachten? Brecht favorisierte die zweite Meinung. Er sagte: „Zerpflücke eine Rose, und jedes Blatt ist schön“.

Freude an Worten

Zerpflücke ein Gedicht und jeder Vers ist schön. Zerpflücke eine Briefstelle aus der Bibel und jedes Wort ist schön. Brecht hat nicht über den Epheserbrief gesprochen, obwohl er auch über die Bibel viel Kluges zu sagen wußte. Brecht sprach über Gedichte und nicht über Gebete. Kann man, soll man ein Gebet zerpflücken? Was wir als Predigttext aus dem Epheserbrief gehört haben, ist ein eindringliches, von enthusiastischen Worten überbordendes Gebet. Es erschließt sich nicht beim ersten Hören. Es steht uns stolz wie eine Rose vor Augen, und wir Hörer/innen  und Leser/innen sind nicht in der Lage, in die Tiefe der Blüte hineinzuschauen, ohne den Aufbau, das stilistische Wachstum dieser Sätze zu zerstören. Dieses Gebet aus dem Epheserbrief ist eine stolze Rose, geprägt von überschwenglicher Freude an den Worten. Der Glaube bringt hier einen Enthusiasmus hervor, der die Grammatik und Logik der Sätze beinahe zum Einstürzen bringt.

Hier betet jemand nicht sparsam, sondern aus vollem Herzen, mit allen Worten und Sätzen, die ihm lobend, preisend und voller Glaubensüberschwang zu Gebote stehen. Man muß das nicht verstehen, um es zu begreifen. Vielleicht genügt es, darüber zu staunen und im Staunen einige der Wortfetzen aufzufangen und sie ein wenig zu drehen und zu wenden, an ihnen zu riechen und in der Hand das zarte, seidige Gewebe der Blütenblätter zu spüren. Das Epheser-Gebet beginnt mit dem Vater, der alle, die ihn anbeten, zu Kindern macht. „Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden, (…).“ Der Vater erst macht die Betenden zu Kindern. Zwischen Gott und Mensch besteht ein Verhältnis der Asymmetrie und Ungleichheit. Gott und Mensch sind nicht gleich, auch wenn der Mensch nach Gottes Ebenbild geschaffen wurde. Zwischen dem allmächtigen und barmherzigen Gott und dem leidenden und hilfsbedürftigen Menschen besteht ein Graben, der sich nicht kleinreden läßt. Der Briefschreiber muß alle stilistische Anstrengung aufwenden, um im Gebet über diesen Graben hinwegzukommen.

Bilder

Auf das Verhältnis von Gott und Mensch sind ganz unterschiedliche Bilder angewendet worden. Wäre Gott ein allmächtiger Diktator, so wären die Menschen unterdrückte, tyrannisierte Untertanen. Wäre Gott ein Frauen- und Knabenheld wie Jupiter auf dem Olymp, so wären die Menschen erotisches Freiwild, das sich seiner Nachstellungen wehren müßte. Wäre Gott ein blindes Schicksal, so wären die Menschen vom Zufall und vom Unglück geplagte Ameisen, die nicht wissen, was mit ihnen geschieht. Aber der Epheserbrief macht Gott nicht zum Diktator, zum Tyrannen, zum Frauenheld oder zum blinden Schicksal. Alle diese Bilder würden schließlich den Graben zwischen Gott und Mensch nur vergrößern. Der Epheserbrief führt uns Gott als Vater seiner Kinder im Glauben vor Augen. Wenn Gott zum Vater wird, werden die Glaubenden zu Kindern. Die Kinder des Glaubens werden mit den wirklichen Kindern aus den alltäglichen Familien verglichen.

Es ist lange nicht mehr so, daß Väter und Mütter über ihre Kinder bestimmen. Kinder sind nicht leere Tafeln, die auf dem Weg von Bildung und Erziehung einfach beschrieben werden müßten. Zwischen Eltern und Kindern besteht ein ganz vielfältiger Prozeß der Wechselwirkungen, den wir theologisch fruchtbar machen können. Kinder brauchen einen Vater, der vieles zugleich leistet: Orientierung, Schutz, Fürsorge, Sicherheit. Die Rolle des Vaters unterscheidet sich sehr von der Rolle der Mutter. Das eine kann das andere nicht ersetzen. Väter leisten weit mehr als liebende Fürsorge: Sie haben die Aufgabe, ihren Kindern die Welt zu zeigen, sie langsam daran zu gewöhnen und ihnen zu helfen, sich darin in Freiheit und Verantwortung zurechtzufinden. Die vaterlose Gesellschaft oder die Väterlosigkeit unserer Zeit wird deshalb so oft beklagt, weil Väter dieser Aufgabe nicht mehr gerecht werden, aus ganz unterschiedlichen – berechtigten wie unberechtigten – Gründen. Viele Väter werden ihrer Aufgaben und ihrer Rolle nicht mehr gerecht. Diesen gesellschaftlichen Befund könnte man nun auch ohne weiteres auf das Verhältnis von Gott und den Menschen übertragen. Manche sagen: Wir beten so viel, aber Gott hört uns nicht. Die Gebete seiner Kinder verhallen wirkungslos und ungehört. Aber ein Gott, der sich den Menschen gegenüber nicht wie ein Vater verhält, wäre kein Gott mehr. Ein Vater, der keine Antworten gibt, auf die bohrenden, neugierigen Fragen seiner Kinder, kann kein richtiger Kindervater mehr sein.

 Herz

Das Väter-Kinder-Bild kann also nicht für sich selbst stehen, um das Verhältnis von Gott und Menschen zu beschreiben. Da braucht es noch mehr. Der Briefschreiber wünscht uns, „daß Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne“. Um ein Kind Gottes zu werden, reicht es nicht aus, sich einfach in der Taufe dazu zu erklären und väterliche göttliche Liebe in Anspruch zu nehmen. Dazu braucht es mehr: Christus soll durch den Glauben im Herzen wohnen. Der „inwendige Mensch“ ist angesprochen. Hier kann uns ein zweites Mal die Rose helfen, die Rose, die im Epheserbrief gar nicht auftaucht. Aber Martin Luther hat als Siegel eine Rose verwendet. Diese so genannte Lutherrose war ein Kennzeichen seiner Theologie. Innen befand sich ein schwarzes Kreuz in einem roten Herzen; dieses war umgeben von einer weißen Rose, und darum herum ein goldener Ring. Luther hat darüber in einem Brief an einen Freund folgendes geschrieben: „Das erst sollt ein Kreuz sein, schwarz im Herzen, das seine natürliche Farbe hätte, damit ich mir selbst Erinnerung gäbe, daß der Glaube an den Gekreuzigten uns selig machet. Denn so man von Herzen glaubt, wird man gerecht. (…)  Solch Herz aber soll mitten in einer weißen Rosen stehen, anzuzeigen, daß der Glaube Freude, Trost und Friede gibt, darum soll die Rose weiß und nicht rot sein; denn weiße Farbe ist der Geister und aller Engel Farbe. Solche Rose stehet im himmelfarben Felde, daß solche Freude im Geist und Glauben ein Anfang ist der himmlische Freude zukünftig, jetzt wohl schon drinnen begriffen und durch Hoffnung gefasset, aber noch nicht offenbar. Und in solch Feld einen goldenen Ring, daß solch Seligkeit im Himmel ewig währet und kein Ende hat und auch köstlich über alle Freude und Güter, wie das Gold das höchste, köstlichste Erz ist“. (WA,  Luthers Briefwechsel, 5. Band, S. 444f .) Ein schwarzes Kreuz, ein rotes Herz, eine weiße Rose und ein goldener Ring: Alle vier Symbole halten nach Martin Luther den inwendigen Menschen auf der Spur des Glaubens. Zum Kind des Glaubens wird man innen, im Herzen, wo Christus wohnt. Christus wohnt in mir. Innen ein Kind Gottes – außen ein erwachsener Mensch. Aus dieser Spannung lebt das Gebet des Epheserbriefs, daraus gewinnt es seine Tiefe, aber auch seine gegenwärtige Bedeutung.

Innen und außen

Mit Bestürzung und zunehmendem Schrecken haben Sie alle die Nachrichten der letzten Woche gehört: von der Finanzkrise in Griechenland, von den Bemühungen der Europäischen Union, durch Kreditübernahmen den Finanzmarkt und seine Einlagen sowie einen Absturz des Euro zu sichern. Für alle, die das nur aus der Ferne von Zeitung und Fernsehen wahrnehmen, also für die Mehrheit unter uns, war und ist es erschütternd zu sehen, wie plötzlich – für den Außenstehenden unerwartet – riesige Kredite fällig werden, wie sich Lösungswege öffnen und schließen. Solche politischen und wirtschaftlichen Konflikte brauchen Nüchternheit und Sachverstand, ein pragmatisches Kalkül, das sich durch Gefühle wie Zorn und Neid möglichst nicht beeindrucken läßt. Neben der Finanzkrise kommen andere äußere Konflikte hinzu, die jeder von uns täglich erlebt. Ich will mich nicht in langen Schilderungen von Streit und Leiden ergeht. Ich will nur erklären, wieso die Unterscheidung von innerem und äußerem Menschen hilfreich sein kann. Denn diese Unterscheidung hilft jedem geplagten, leidenden, gestreßten Christenmenschen, einen kühlen Kopf zu bewahren.

Glaube zielt auf das Herz, auf das innere Zentrum des Menschen, auf den inneren Punkt, an dem Lebens- und Kraftlinien zusammenlaufen. Dort soll Christus wohnen. Er wohnt dort in dem Sinn, daß er stellvertretend bei Gott für die Menschen eingetreten ist, daß er Gott gnädig gestimmt hat und darum den Tod überwunden hat. Zusammenfassend kann man das die Barmherzigkeit des Sohnes nennen. Sie beseitigt keinen der Konflikte, die uns in diesen Wochen besorgt machen, weder die Finanzkrise noch eine schwere Krankheit noch irgendein anderes Leiden. Aber sie gibt uns eine Glaubensgewißheit, die uns im Herzen kräftigt und stärkt. Aus dieser Kraft gewinnen wir die Stärke, Krisen zu bewältigen oder zu ertragen. Diese Kraft des Herzens stärkt die Fähigkeiten der Vernunft, ja sie bringt sie allererst zum Blühen. Darum können wir auch dieses Gebet aus dem Epheserbrief nachsprechen: Es führt uns zurück auf die Spur der Kinder Gottes, die sich mit den Worten „Vater unser“ an ihren barmherzigen und liebenden Gott wenden.

Amen.

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Ein Kommentar zu “Auf der Spur des Glaubens

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