Beistand

Die Geschichte von Pfingsten erzählt nicht nur von einer Sehnsucht, sie erzählt vom Kommen Gottes - Was Jesus gesagt und getan hat, fängt an Pfingsten wieder zu leuchten an

Predigttext: Apostelgeschichte 2,1-18
Kirche / Ort: Aachen
Datum: 23.05.2010
Kirchenjahr: Pfingstsonntag
Autor/in: Pfarrer Manfred Wussow
Predigttext: Apostelgeschichte 2,1-18 1 Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. 2 Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. 3 Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, 4 und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen. 5 Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. 6 Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. 7 Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? 8 Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache? 9 Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, 10 Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom, 11 Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unsern Sprachen von den großen Taten Gottes reden. 12 Sie entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? 13 Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein. 14 Da trat Petrus auf mit den Elf, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Ihr Juden, liebe Männer, und alle, die ihr in Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, und lasst meine Worte zu euren Ohren eingehen! 15 Denn diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, ist es doch erst die dritte Stunde am Tage; 16 sondern das ist's, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist (Joel 3,1-5): 17 »Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben; 18 und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen. Tagesgebet Gott, wenn einfache Menschen zu reden anfangen, der Welt deine großen Taten verkünden und alle sie verstehen, dann ist ein Wunder geschehen. Wir werden angesteckt. Wir bitten dich: Schütte deinen Geist über uns aus. Aus Kleinmut wird dann Mut, aus Sprachlosigkeit wachsen uns Worte zu und unser Unglauben wird verwandelt. Du hast verheißen, uns deinen Geist zu geben. Wir nennen dich: Vater. Durch unseren Herrn, Jesus Christus.

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Nicht allein

Ich liebe Geschichten, in denen Menschen mitgerissen und angesteckt werden.  Mitgerissen und angesteckt von einem guten Geist! Sie werden es kaum glauben: Heute findet das Kirchenjahr sogar seinen Höhepunkt!  Von oben lässt sich ein weiter Blick riskieren. Auf den Weg Jesu. Auf unseren eigenen. Schauen wir uns einfach einmal um.

Ich denke an den alten Mann, der seine Frau zu Grabe trägt. Nicht, dass soviel zu regeln ist, liegt ihm auf der Seele. Da nimmt ihm das Beerdigungsinstitut viel ab. Aber so allein den letzten Weg gehen, das macht ihm zu schaffen und tut weh. Ich denke an die Kollegin, die geschnitten und gemobbt wird. Sie kann sagen, was sie will oder auch gleich den Mund halten, sie wird ausgegrenzt. Ihr Wunsch nach Blickkontakt, einem freundlichen Wort zwischendurch, wird immer neu enttäuscht. Am Ende mag sie nicht einmal mehr funktionieren. Sie hält es nicht mehr aus. Ich denke an einen Angeklagten. Er hat auf seiner Bank Platz genommen. Alles ist fremd. Richter, Staatsanwalt, Zuschauer. Was ist denn Schuld? Was ist Recht? Die Anklage wird verlesen, Paragraphen genannt, ein Antrag gestellt. Nichts als die Wahrheit, heißt es. Nur: Kann ein Mensch die „ganze“ Wahrheit kennen? – Diese drei Beispiele sind offen. Sie schreien förmlich danach, dass Menschen einen Beistand finden, jemanden, der mitgeht, der zu ihnen steht, der für sie spricht. Solche Geschichten zu erzählen heißt, Pfingstgeschichten zu erzählen. Es kann sogar sein, körperlich zu spüren, was sich in einem Leben ereignet. Wie Sturm. Wie Feuerszunge.

Angesteckt und mitgerissen

Es sind gewaltige Bilder! Obwohl nur angedeutet, hingehaucht: Wir spüren, wenn wir an die Geschichte denken, den Sturm auf unserer Haut, sehen mit eigenen Augen die Feuerflammen – in diesem kleinen Raum geben sich Urgewalten ein Stelldichein. Die Menschen, die sich hierhin zurückgezogen haben, werden regelrecht erfasst. Es ist, als ob Gott selbst kommt. Ungezähmt. Und nicht vom Leib zu halten. Wenn ich dann die Jünger vor mir sehe, nehme ich die großen Erwartungen wahr, die ihnen entgegenschlagen. Von den Jüngern wird tatsächlich erwartet wird, dass sie Wege von Menschen mitgehen, sich auf ihre Seite stellen und immer gute Worte finden. Die also mithelfen, dass Menschen nicht alleine sind, nicht alleine gelassen und schon gar nicht fallen gelassen werden. Die Schweigen, Grauzonen und Niemandsländer aushalten. Die sich mit Mächtigen anlegen. Die sich den Mund verbrennen. Die sich die Finger schmutzig machen. Es hört sich wie ein Traum an, wie eine Sehnsucht, macht aber hilflos – und Angst davor habe ich auch.

Da höre ich Jesus seinen Jüngern den Beistand verheißen. Bezogen auf ihre Lebenszeit sind sie nur kurz mit ihm unterwegs gewesen, haben gehört, was er sage, gesehen, was er tat. Vergangenheit. Dann haben sie ihn in seiner schwersten Stunde – fallengelassen. Allein gelassen. Sie sind geflüchtet. Sie haben sogar die Türen und Fenster hinter sich zu gemacht. Und gelitten haben sie. An ihrer Schwäche, ihrem Zweifel, ihrer Resignation. Wir sehen sie in ihr altes Leben zurückgehen. Die Nachfolge Jesu – eine Episode? Eine Jugendsünde? Wenn Jesu Weg nicht ins Leere gegangen sein soll, dann muss sich Gott schon seines verschreckten Häufchens annehmen. Dass er es so macht, wie heute zu hören, macht aus einer kleinen Geschichte eine große. Der Beistand kommt, steckt an, reißt mit. Auf einmal reden die großen Schweiger, und die ganze Welt hört ihnen zu. Darum müssen „Parther und Meder und Elamiter“ und die vielen anderen, an denen man sich die Zunge zerbricht, die Ohren spitzen und aus dem Staunen nicht herauskommen. Dass es ein so großes Verstehen geben kann – ein Wunder! Beistand ist ein altes Wort. Beistehen steckt in ihm. Spannend ist, wie in einer langen Geschichte das Wort Beistand Farben bekommen hat; andere Übersetzungen heißen: „Anwalt“, „Fürsprecher“, „Tröster“. Wobei das Wort „Tröster“, in seiner ursprünglichen Bedeutung, die Erfahrung aufbewahrt, dass ein Mensch gehalten, ja, getragen wird. Die Jünger sind nicht allein gelassen. Sie werden einander auch nicht allein lassen.

Prozess

Wenn wir heute, zu Pfingsten, diese farbenprächtige und überwältigende Geschichte hören, werden uns auch die Auseinandersetzungen bewusst, in die Christen gestellt werden. Der Glaube hat seine Selbstverständlichkeit, die ihm in früheren Zeiten – vielleicht – auszeichnete, verloren. Die, die kirchlich engagiert sind, nehmen die Fremdheit wahr, die für viele Menschen ein Hindernis sind, auch die Kirche wieder neu für sich zu entdecken. Alle modernen Versuche, Anpassungen, Vereinfachungen haben letztlich den langsamen, schleichenden Prozess des Fremdwerdens nicht aufhalten können. Prozess. Das Wort trifft. Im Regelfall meinen wir zwar: Entwicklungen. Aber Prozess passt besser. Wie in einem Gerichtsverfahren werden Anklagen erhoben: gegen Gott, gegen den Glauben, gegen die Glaubenden. Die Anklageschrift ist umfangreich. Nachvollziehbar und plausibel hören sich die Anträge der Ankläger an. Die Presse ist zugelassen. Erwartet wird ein Urteil. Was ist wahr, was trägt? Vor dem Forum der Vernunft, in der Öffentlichkeit, aber auch im Zwiegespräch  wird der Streit ausgetragen. Und das Evangelium sagt kein Wort dagegen – nur ein Wort dazu: Wenn der Beistand kommt, den ich euch vom Vater aus senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, dann wird er Zeugnis für mich ablegen.

Was Jesus gesagt und getan hat, fängt wieder zu leuchten an. Es ist ein guter Geist, der den Blick auf Jesus lenkt. Er beherrscht die Kunst, Worte zu finden, die befreien und ein neues Vertrauen möglich machen. Die großen Taten Gottes ereignen sich unter uns. Das lässt sich auch ganz einfach sagen: Uns geht die ganze Wahrheit auf, wenn wir, dem Beispiel Jesu folgend, „Beistand“ werden, Anwälte, Fürsprecher – und eben auch Tröster, die einen Menschen halten, aufrichten und schützen. Von dem Geist, den Jesus uns verheißt, kann nichts Größeres und Schöneres gesagt werden, als dass er uns Gottes Welt öffnet. „Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben; und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen.“

Plötzlich

Weissagen ist ein altes, aber auch ungemein schönes Wort. Es spricht von nichts anderem als von einer geklärten, also: klaren und hellen Zukunft. Was wird denn kommen? Die Geschichte von Pfingsten erzählt nicht nur von einer Sehnsucht, sie erzählt vom Kommen Gottes. Ein kleines Wort, versteckt in den ersten Zeilen, entpuppt sich  jetzt als Aufhänger, Draufgänger und Absänger: „Plötzlich“.  „Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel“. Gott schleicht nicht durch die Hintertür. Er braucht auch nicht den Schutz des Mondes. Auf die Uhr sieht er nicht. Plötzlich – das meint stürmend, bestürmend, himmelstürmend. Das meint auch: weithin sichtbar lodernd, anmachend, leidenschaftlich brennend. Plötzlich! Ich liebe Geschichten, in denen Menschen mitgerissen und angesteckt werden.  Mitgerissen und angesteckt von einem guten Geist!  Der niederländische Dichter Huub Oosterhuis hat eine „Litanei von der Gegenwart Gottes“ geschrieben (Übertragung Lothar Zenetti). In ihr heißt es.

„…Sei hier zugegen, stark wie ein Feuer.
Flamme und Leben, Gott bei den Menschen.
Komm und befreie uns, damit wir leben.
Komm uns zu retten wie Licht in der Frühe.
Komm wie der helle Tag, Licht unsern Augen.
Sei hier zugegen mit deinem Leben

Send deinen Geist aus, Neues zu schaffen.
Flamme des Lebens, Licht unsres Lichtes.
Send deinen Geist aus, neu uns zu schaffen.
Tiefe des Herzens, Licht unsres Lichtes.
Send deinen Geist aus, uns neu zu schaffen.
Gib dieser Erde ein neues Angesicht…“

Und der Geist Gottes, der uns birgt und trägt,
bewahre unsre Herzen und Sinne,
in Christus Jesus, unserem Herrn.

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