Kirche
Eine Hausbesichtigung
Predigttext: Epheser 2,17-22 (Übersetzung: Ulrich Luz)
17 Jesus Christus kam und verkündete euch „Frieden, den Fernen, und Frieden den Nahen“, 18 denn durch ihn haben wir beide den Zugang zum Vater in einem einzigen Geist. 19 Also seid ihr nun nicht mehr Fremde und Hintersassen, sondern ihr seid Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes, 20 erbaut auf dem Fundament der Apostel und Propheten, wobei Christus Jesus selbst der Schlussstein ist, 21 in welchem der ganze Bau zusammengefügt wird und wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn, 22 in welchem auch ihr miterbaut werdet zu einer Wohnung Gottes im Geist.Exegetisch-homiletische Vorüberlegungen
Eph 2,17-22 steht im Zusammenhang des größeren Abschnitts 2,11-22. Die Abgrenzung der Perikopenordnung erscheint nach vorn etwas willkürlich, weil zwischen den Versen 16 und 17 kein Einschnitt erkennbar ist. Zumindest für die Predigtvorbereitung muss also der gesamte Abschnitt 2,11-22 bedacht werden (vgl. Jan Hermelink/Corinna Dahlgrün: Zuhause in der einen Kirche, in: Predigtstudien für das Kirchenjahr 2009/2010. Zweiter Halbband, Freiburg im Breisgau 2010, S. 37-44, hier S. 37). Inhaltlich geht es in diesem Abschnitt um eine Erinnerung (V 11): „Die Gemeinde soll an das denken, was ihr aus lauter unverdienter Gnade durch Christus und durch den Apostolat des Paulus widerfahren ist“ (Ulrich Luz, Der Brief an die Epheser, in: Jürgen Becker/Ulrich Luz, Die Briefe an die Galater, Epheser und Kolosser, NTD 8/1, Göttingen 181998, S. 105-180, hier S. 136). Die einstigen Heiden wurden ins Gottesvolk eingegliedert, das nun aus Juden und Heiden besteht. In der Kirche kommt es allerdings zu nicht unerheblichen Spannungen zwischen Judenchristen und Heidenchristen, was sich z.B. in Gal 2,11-14 zeigt. In dieser Situation entwirft der Eph sein Bild von Kirche: Christus hat zwischen beiden Gruppen Frieden gestiftet. In der Kirche sind daher die Gegensätze zwischen beiden Gruppen aufgehoben. Zur Veranschaulichung seiner Gedanken führt der Eph für die Kirche das Bild vom Gebäude bzw. Haus ein: Die Verse 20-22 „modulieren das Motivfeld von der Kirche als Bau, ähnlich wie ein Musikstück ein Motiv variiert“ (Luz, S. 141). Die Frage nach den Konflikten zwischen Juden- und Heidenchristen innerhalb der Kirche, die den Eph bewegt, sind für uns heute Geschichte (vgl. Hermelink/Dahlgrün, S. 38). Wohl aber gibt es auch heute in der Kirche Gruppen, die in ihrem Lebensstil sehr verschieden sind. Daraus resultieren auch heute immer wieder Konflikte. Die Milieuforschung hat uns das in letzter Zeit sehr deutlich vor Augen geführt (vgl. Hermelink/Dahlgrün, S. 38; grundsätzlich zum Thema: Claudia Schulz/Eberhard Hauschildt/Eike Kohler: Milieus praktisch. Analyse- und Planungshilfen für Kirche und Gemeinde, Göttingen 2008). Darüber hinaus sind weitere Aspekte, die der Eph in seinen Variationen über das Motiv „Haus“ anklingen lässt, für unser aktuelles Nachdenken über Kirche relevant: Die Frage nach der Bedeutung der Tradition für die gegenwärtige Gestalt der Kirche; die Rolle der einzelnen Christinnen und Christen in der Kirche; die Vermittlung zwischen Beständigkeit und Wandel; die Kirche als Ort der Begegnung mit Gott. All diese Themen klingen an, wenn heute über die notwendigen Veränderungen in der evangelischen Kirche diskutiert wird (vgl. Ulrike Wagner-Rau, Auf der Schwelle. Das Pfarramt im Prozess kirchlichen Wandels, Stuttgart 2009, v.a. S. 35-71). In dieser Situation soll die Predigt einen Beitrag zur Vergewisserung leisten: Auch wenn die Kirche sich verändern wird und muss, kann sie trotzdem Heimat bleiben. Wandel und Beständigkeit gehören zusammen, Veränderung muss keine Angst machen. Zugleich kann die Predigt den Blick dafür schärfen, dass Veränderung notwendig ist, wenn Kirche ihrem Auftrag (weiterhin, mehr als bisher) gerecht werden will. Um die vielfältigen Aspekte zum Thema „Kirche“ in der Predigt zusammenzubringen, variiere ich das Bild vom Haus, das im Predigttext angelegt ist. Ich nehme die Predigthörerinnen und -hörer mit auf eine Hausbesichtigung. Der formale Rundgang durchs Haus spiegelt dabei etwas Inhaltliches: Verschiedene Perspektiven auf die Kirche sind wichtig und ergänzen sich. Man darf nicht eine gegen die andere ausspielen.Liebe Gemeinde!
Heute Morgen möchte ich Sie ein zu einer Hausbesichtigung einladen. Das Gebäude, das wir besichtigen werden – es heißt „Kirche“. Bei der Hausbesichtigung lassen wir uns leiten von einer Beschreibung im Epheserbrief. Hören wir also zunächst diese Beschreibung, bevor wir uns aufmachen und losgehen. Ich lese den Predigttext, Epheser 2,17-22, in der Übersetzung des Berner Neutestamentlers Ulrich Luz.
(Lesung des Predigttextes)
Eine Hausbesichtigung haben wir uns für heute Morgen vorgenommen. Das Gebäude, das es zu besichtigen gilt, heißt „Kirche“. Gehen wir also los und starten unsere Besichtigung!
Fundamente
Schauen wir zunächst ganz nach unten, auf die Fundamente. Wenn das Fundament nicht stabil ist, taugt das ganze Gebäude nichts. Und wenn die Grundmauern nicht klar gezogen sind, dann ist die Kontur des Gebäudes nicht erkennbar. Man weiß nicht, um was für ein Bauwerk es sich handelt. Schauen wir also auf das Fundament der Kirche. Die Kirche, so schreibt der Epheserbrief, ist „erbaut auf dem Fundament der Apostel und Propheten“. Sie hat also ein festes Fundament – oder wie man auch übersetzen könnte: klare Grundmauern. Die Kirche steht auf dem Grund der Apostel und Propheten, das heißt: auf der biblischen Tradition. Sie gründet sich auf die Überlieferungen der Heiligen Schrift, so wie sie die Generation der Apostel und Propheten weitergegeben und aufgeschrieben hat. Die Kirche ist also in einem guten Sinn traditionsverhaftet. Sie verkauft kein Produkt, das sie den jeweiligen Marktbedingungen anpassen müsste. Die Botschaft vom menschenfreundlichen Gott, die sie verkündet, ist ihr vor-gegeben. Deshalb sagt sie nicht heute dieses und morgen etwas völlig anderes. Sie verkündet den menschenfreundlichen Gott, für jede Generation neu, immer im Bezug zu den jeweiligen Lebensbedingungen und kulturellen Eigenheiten. Das ist ihr Auftrag seit Jahrhunderten. Das wird auch in Zukunft ihr Auftrag sein.
Mauern
Gehen wir einen Schritt weiter bei der Besichtigung. Schauen wir uns die Mauern an. Viele verschiedene Steine sind da zusammengefügt. Auch ihr, so schreibt der Epheserbrief, seid mit eingebaut in diese Mauern. Jeder und jede von uns also ist ein Stein in diesem Bauwerk. Schauen wir auf die vielen unterschiedlichen Steine, dann sehen wir, wie vielfältig die Kirche ist. Sie besteht keineswegs nur aus Pfarrerinnen und Pfarrern. Jeder Einzelne, der zur Kirche gehört, ist ein Stein im Ganzen. Wie ein buntes Mosaik fügen sich die verschiedenen Steine zu einem Ganzen zusammen. Kirche, das ist also auch: bunte Vielfalt. Da sind die verschiedensten Menschen mit den unterschiedlichsten Begabungen, und sie alle gehören zusammen. Erst gemeinsam bilden sie dieses Bauwerk, das „Kirche“ heißt. Einer allein kann nicht Kirche sein. Die Kirche ist eine Gemeinschaft.
Schlussstein
Gehen wir weiter bei unserer Besichtigung. Richten wir den Blick jetzt ganz nach oben. Der letzte Stein im Bogen ganz oben hält den ganzen Bau zusammen. Dieser Schlussstein ist der wichtigste. Wenn man ihn herausnimmt, fällt der ganze Bau zusammen. „Christus Jesus selbst“ ist „der Schlussstein“, so heißt es im Epheserbrief. In ihm wird „der ganze Bau zusammengefügt“. Jesus Christus hält also den ganzen Bau zusammen! Wäre er nicht – die vielen unterschiedlichen Steine würden auseinander fallen. Erst durch ihn werden all die Gegensätze zu einer Einheit! Er sorgt für Frieden zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen in der Kirche. Damals, als der Epheserbrief geschrieben wurde, bestand die Kirche aus zwei Gruppen, die von ihrer Kultur, ihrem Glauben und ihrer Lebensweise sehr unterschiedlich waren: Judenchristen und Heidenchristen. Menschen aus dem Volk Israel, die zum Glauben an Jesus gekommen waren, und Menschen aus dem weiten Römischen Reich mit seinen vielen Kulten und Kulturen, die früher einer heidnischen Religion angehört hatten. Aus beiden Gruppen sollte eine Einheit werden, obwohl sie einander fremd waren; obwohl es immer wieder Konflikte gab. Solche Einheit, so schreibt der Epheserbrief, gibt es nur in Christus. Nur er kann die unterschiedlichen Gruppen zusammenhalten. Nur er kann verhindern, dass der ganze Bau auseinander fällt. Nur im Blick auf ihn können Menschen, die sich fremd sind, Schritte aufeinander zu gehen.
Wie ist das bei uns heute? Auch bei uns in Inzlingen, auch bei uns in Deutschland gehören Menschen zur Kirche, die sich von ihrer Art zu leben und zu glauben fremd sind. Menschen gehören zur Kirche, die nie miteinander ihre Freizeit verbringen würden, weil ihre Interessen so unterschiedlich sind. Sie könnten sich nicht über die Musik einigen – J.S. Bach oder Dieter Bohlen? Nicht über die Beschäftigung: Heimwerken? Eine Ausstellung besuchen? Oder einfach nur „chillen“? Und all diese Menschen, die nie zusammen ihre Freizeit verbringen würden, die nie miteinander in Urlaub fahren würden – all diese Menschen sind Kirche! Wie können sie aufeinander Acht geben, aufeinander zugehen? Wie können sie voreinander Respekt haben, einander Raum gewähren – auch hier in unserer Lukaskirche? Der Epheserbrief sagt: Das geht nur in Christus. Im Vertrauen und mit dem Blick auf ihn erkenne ich in dem Menschen, der mir fremd ist, meinen Bruder, meine Schwester im Glauben. Deshalb ist der Schlussstein für die Kirche so wichtig. Ohne ihn würde der Bau auseinander fallen – auch heute noch!
Baustelle
Noch ein Stück weiter geht unsere Besichtigung. Wenn wir den Bau genau anschauen, merken wir: Er ist noch gar nicht fertig. Überall wird weiter gebaut. Fast könnte man sagen: Er ist eine ewige Baustelle. Der Bau wächst, so sagt es der Epheserbrief. Das heißt: Er ist immer noch im Werden. Er ist nicht fertig. Kirche ist im Werden, immer noch. Und sie muss es sein, wenn sie Kirche sein will! Wenn sie nicht mehr lebendig ist, wenn sie sich nicht weiterentwickelt, wird sie ihrem Auftrag nicht gerecht. Sie muss eine Baustelle sein. Wenn sie zum gemütlichen Wohnzimmer verkommt, ist sie keine Kirche mehr. Kirche muss wachsen, so schreibt der Epheserbrief, wachsen auf Christus hin. Die Baustelle ist also kein Selbstzweck. Es geht nicht darum, dass in der Kirche irgendwie rumgewerkelt wird, nach dem Motto: Hauptsache Action! Die Kirche muss auf Christus hin wachsen. Das heißt: Bei allem, was sie tut und lässt, soll sie Christus im Blick haben.
Bauherr
Gehen wir noch einen letzten Schritt auf unserer Besichtigung. Dann begegnen wir dem Bauherrn. Er wohnt selbst in diesem Gebäude, obwohl es noch gar nicht fertig ist! Er ist schon eingezogen! Eine „Wohnung Gottes“ ist die Kirche, so schreibt der Epheserbrief. Was für eine wunderbare Verheißung: Unsere unfertige, unvollkommene Kirche ist Gott nicht zu schlecht um darin zu wohnen. Die Kirche ist Gottes Wohnung auf der Erde. Dieses Bild hat für mich eine doppelte Richtung. Zum einen heißt das für mich: Wo Kirche ist, da bin ich zu Hause. Da begegne ich dem Grund meines Lebens, da bin ich, wie es der Epheserbrief schreibt, kein Fremder mehr, sondern ein Mitbürger, ein Hausgenosse Gottes. Einer, der im tiefsten Sinn dazugehört. So sehr ich manchmal daran leide, wie unvollkommen und fehlerhaft die Kirche ist, ich bin hier zu Hause, trotz allem. Weil ich in der Kirche zu Gott finde. Und damit verbindet sich der zweite Gedanke zu diesem Bild: Wir alle, die wir zur Kirche gehören, haben eine große Verantwortung. Wenn die Menschen die Kirche sehen, sollen sie etwas von der Gegenwart Gottes spüren. Wir alle können und sollen mit dazu beitragen, dass das so ist. Dass die Kirche erkennbar wird als ein Ort, an dem es um Gott geht. Ein Ort, an dem ganz unterschiedliche Menschen etwas wie Geborgenheit und Heimat finden können. Ein Ort, an dem Gegensätze nicht bedrohlich erscheinen, sondern aufgehoben sind im Glauben an Christus.
Liebe Gemeinde, mit dem Blick auf den Bauherrn beenden wir unsere Hausbesichtigung. Die Kirche, so hat unsere Besichtigung gezeigt, ist ein ganz besonderer Bau. Lebendig und dynamisch und zugleich klar in ihrer Ausrichtung. Ein Ort der Einheit und der Vielfalt. Zugeben: Die Kirche, so wie wir sie in der Realität vorfinden, ist das nur zum Teil. Sie ist noch nicht das, was sie nach dem Epheserbrief eigentlich sein sollte. Aber trotzdem: Auch diese Kirche hat eine Verheißung: Sie birgt in all ihrer Unfertigkeit und Fehlerhaftigkeit ein Geheimnis, auch hier bei uns in Inzlingen: In ihr begegnen sich Gott und Mensch, Himmel und Erde. Sie ist der Ort, an dem wir zu Hause sind.
Amen.
Ich finde, das ist kein schlechter Ansatz: über eine Hausbesichtigung den Zugang zum Predigttext und seiner Auslegung zu finden. Allerdings ist mir die Predigt an vielen Stellen etwas zu allgemein und ohne konkreten Bezug, z. B. zu aktuellem Geschehen, gehalten. Und es ist m.E. leider relativ wenig von den Menschen, den Gliedern und lebendigen Bausteinen der Kirche, die Rede.
Mir gefällt diese Predigt über einen eigentlich schwierigen und trockenen Text außerordentlich gut! Man wird so intensiv hineingenommen in das Bild der Kirche, daß man die Predigt später anderen und sich selbst (!) lange nacherzählen kann. Für welche Predigt gilt das sonst schon ?
Ich schließe mich Heiko Singers Kommentar an. Finde den Ansatz gut, ganz besonders stark finde ich, dass Kirche eine bleibende Baustelle ist.
Zu diesen Baustellen gehört allerdings, denke ich, den eigenen “Migrationshintergrund” (vgl. Predigtmeditation im christlich-jüdischen Kontext, z.St.) nicht zu vergessen. Die Heidenchristen sind
w i r, wir haben Zugang durch Christus zum Gott Israels. Das ist mir in den Vorüberlegungen zu schnell auf dem Ablageplatz der Geschichte gelandet. In welcher Verantwortung stehen wir konkret heute, in dieser Welt, als einstmals “Hinzugekommene”, die allzu lange (mit furchtbaren Folgen) genau das vergessen haben?
Ich finde die Predigt gut!