„Ein Stückchen Holz“

Ganz anders als von uns erwartet zeigt sich Gott in der Schwachheit des Gekreuzigten

Predigttext: 1. Korinther 1,18-25
Kirche / Ort: Schornsheim/Udenheim (Rheinhessen)
Datum: 4.07.2010
Kirchenjahr: 5. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Kurt Rainer Klein

Predigttext: 1.Korinther 1,18-25 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

18 Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft.  19 Denn es steht geschrieben: »Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.«  20 Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht?  21 Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben.  22 Denn die Juden fordern Zeichen, und die Griechen fragen nach Weisheit,  23 wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit;  24 denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit.  25 Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.

Vorbemerkungen

95 Prozent der Gottesdienstteilnehmer/innen in meinen beiden Dorfgemeinden sind „Hauptschüler/innen“. Für die Art der Predigt heißt das: Eine Lehrpredigt schließt sich aus. Denn  Theologie überfordert diese Hörer/innen. Alle Weisheit würde sich als Torheit entpuppen. So schlage ich einen anderen Weg ein und beginne zu erzählen: Davon, wo das Kreuz in unserer Sprache vorkommt, wo das Kreuz in der Kritik steht, wo das Kreuz zum Spott wird, wo das Kreuz zum Bekenntnis wird, wo das Kreuz sich als Zeichen der Hoffnung zeigt. Vielleicht kann diese törichte Predigt die Weisheit Gottes ans Tageslicht bringen. Und vielleicht erwächst den Gläubigen im Hören die Kraft Gottes, die ihnen Mut und Hoffnung für ihr Leben schenkt. Wichtig ist mir dabei, im Heute zu bleiben. Meine Hörer/innen  interessiert so wenig, was die Probleme eines Paulus vor 2000 Jahren waren, wie Paulus das Leben Christi selbst interessierte. Wer theologisch argumentieren will, wer intellektuell fundiert den Verstand seiner Hörer/innen erreichen will, dem empfehle ich die einschlägigen Kommentare zu lesen. Der Gedanke, dass die Kirche durch den Handlungsreisenden Paulus zum global player mit dem Logo „Kreuz“ wurde und worin die corporate identity besteht, wäre auch ein interessantes Thema für eine Predigt.

Zur Liturgie

Eingangsspruch: Wir aber  predigen den gekreuzigten  Christus, den einen  ein  Ärgernis, den anderen  eine  Torheit;  denen aber die berufen sind, ..., predigen  wir Christus  als  Gottes  Kraft und Gottes Weisheit. 1.Korinther 1,23.24 Sündenbekenntnis: Herr, es fällt uns schwer, in einer Welt, wo fast alles erklärbar geworden ist, an  dich zu  glauben. Wie können wir dir vertrauen, wenn wir nicht wissen, ob du es gut mit uns meinst!  Wie können wir auf das Gute in unserem Leben hoffen, wenn wir nicht verstehen, ob es einen  Sinn in unserem Leben gibt! Wie  können wir zu dir beten, wenn wir nicht sehen, dass du unsere Bitten erhörst. Herr, stärke unseren Glauben, damit wir Kraft daraus schöpfen. Herr, erbarme dich! Gnadenzuspruch: Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit  denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine  Gotteskraft. 1.Korinther 1,18 Gebet: Unser Glaube  ist eine verborgene Kraft. Er gibt  uns Halt,  wenn uns schwierige Situationen ins Wanken bringen.  Er gibt uns Hoffnung und neue Zuversicht,  wo wir  nicht mehr  weiter wissen.  Er ist uns Licht, wo uns das Dunkel der Trauer und des Schmerzes umfängt. Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben! Amen Lieder: „Die güldne Sonne“ (EG 449), „Such, wer da will“ (EG 346),  „Vertraut den neuen Wegen“ (EG 395)

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Das Kreuz – eine Torheit

Manche von uns klagen darüber, dass sie es „im Kreuz haben“. Dabei wissen wir, dass jeder von uns sein „Kreuz zu tragen hat“. Man kann „drei Kreuze machen“, wenn es einem gut geht. Andere beschweren sich, wenn sie „zu Kreuze kriechen müssen“. Froh sind wir allerdings, wenn wir mit niemandem „über Kreuz liegen“. Und wer wünscht sich schon, „aufs Kreuz zu fallen“ oder „aufs Kreuz gelegt“ zu werden. Das Kreuz selbst ist seit geraumer Zeit in das „Kreuzfeuer geraten“. Die Diskussion um das Kreuz geht „kreuz und quer“. Darüber ist der eine oder andere „kreuzunglücklich“. – Soweit hat sich das Kreuz in unserem Sprachschatz verankert, dass viele Redewendungen daraus hervorgegangen sind, die wir alle kennen oder ab und an auch selbst gebrauchen.

Vor kurzem ist die Diskussion darüber wieder aufgeflackert, ob Kruzifixe in öffentlichen Schulen hängen sollen, dürfen, können. Die neue Sozialministerin Aygül Özkan in Niedersachsen hat sich zu Wort gemeldet. Die türkischstämmige CDU-Politikerin Özkan, die in Hannover zur Ministerin ernannt wurde, hatte gesagt, christliche Symbole gehörten nicht in staatliche Schulen, die ein neutraler Ort sein sollten. Damit trat sie eine alte Debatte um Kreuze in Klassenzimmern wieder los. Bereits 1995 hatte das Bundesverfassungsgericht die Anordnung in der bayerischen Volksschulordnung zur Anbringung von Kreuzen als verfassungswidrig aufgehoben. Die Regelung verstoße gegen das Grundrecht auf Religionsfreiheit und die staatliche Neutralitätspflicht, befanden die Karlsruher Richter damals. Nach massiven Angriffen aus der Union lenkte die niedersächsische Sozialministerin Özkan allerdings ein: Kruzifixe an öffentlichen Schulen hält sie nun doch für tolerabel.

Kreuze treffen wir nicht nur in Schulen oder auf Friedhöfen. Im Vorbeifahren entdecken wir immer wieder ein Kreuz am Straßenrand. Manchmal ist es von frischen Blumen umgeben. Manchmal erkennen wir einen Name mit einem Datum darauf. Wir wissen sofort, was uns dieses Kreuz sagen will. Es ist der Ort, an dem ein Mensch sein Leben verloren hat. Ein Ort der Trauer und des Schmerzes für die Angehörigen. Vielleicht ist es auch eine Mahnung an die Vorbeifahrenden, achtsam und vorsichtig im Straßenverkehr zu sein.

Im Jahr 1856 machten Forscher auf dem Palatin in Rom eine interessante Entdeckung. Als sie den Trümmerschutt aus einer alten römischen Kadetten-Anstalt entfernt hatten, fanden sie an der Wand ein Kreuz. Es war mit einem Nagel oder einem Messer primitiv in den Wandverputz eingeritzt. Ein Junge hebt grüßend, betend seine Hand zum Kreuz hin. Am Kreuz hängt ein Mann. Aber sein Kopf ist ein Eselskopf. Darunter steht in ungelenken Buchstaben: Alexamenos sebete theon – Alexamenos betet seinen Gott an! Es ist also eine Karikatur, ein Spott-Kruzifix. Die Forscher glauben, es müsse in der Zeit von 123 bis 126 nach Chr. entstanden sein. Eines der frühesten Bilder des Kreuzes. Aber ein Spott-Bild. Gott am Kreuz? Dieser Gott ist ein Esel, und wer ihn anbetet, ist es auch! 1870 entdeckten Forscher in einem anderen Raum die eindeutige Antwort des jungen Christen Alexamenos. Auf dem Sockel unter dem Standbild des Kriegsgottes Mars stand, mit einem Nagel eingeritzt: Alexamenos fidelis – Alexamenos bleibt treu und gläubig!

Das Kreuz – eine Weisheit

Letzte Woche in einer Straußwirtschaft im Grünen fiel mir die bedienende Frau auf, die um ihren Hals ein sehr auffälliges Kreuz trug, sogar mit dem Corpus Christi. Mir fällt es schwer zu denken, dass dies sich jemand nur umhängt, weil es schick aussieht. Denn bei solch einem „Schmuckstück“ kann man nie vor Spott sicher sein. Ich vermute mehr dahinter und glaube: Da will jemand offensichtlich kundtun, dass das Kreuz für ihn eine besondere Bedeutung hat und mehr ist als nur ein schmückendes Etwas an einer goldenen Kette. Es ist das offene Bekenntnis zum christlichen Glauben.

Für den Apostel Paulus hat die Welt es nicht geschafft, mithilfe ihrer Weisheit und klugen  Wissenschaft Gott zu erkennen. So hat sich Gott einen anderen Weg ausgesucht, einen törichten im Grunde, der vor Spott nie sicher sein kann. Der gekreuzigte Christus ist für den Apostel Paulus Gottes Kraft und Weisheit. Ganz anders als von uns erwartet und erhofft zeigt sich Gott in der Schwäche, nämlich in der Schwachheit des Gekreuzigten. Und damit in der Torheit des Kreuzes. So stellt sich für einen jeden von uns die Frage: Was bedeutet dir das Kreuz? Auf logischem Wege können wir hier keine Antwort geben. Die Weisheit ist in dieser Frage Torheit. Wir sind emotional gefordert und fragen: Erregt das Kreuz ein Ärgernis, wenn wir es – wo auch immer – sehen? Möchten wir es aus unseren Augen verbannen? Oder verbindet sich mit diesem Kreuz unser Glaube an den Gekreuzigten? Sehen wir im Kreuz das Zeichen von Erlösung und Hoffnung? Und ist es wirklich Zeichen unseres Glaubens?

Das Kreuz – Kraft Gottes

Religionsstunde. Hannes hat eine Frage, die ihn anscheinend sehr beschäftigt. „Warum nur haben viele Christenfamilien ein Kreuz in der Wohnung?“ – „Zeichen der Auferstehung wäre besser“, meint ein anderer- Da setze ich mich zu meinen Buben und erzähle ihnen eine Geschichte: Großvater ging mit Michael spazieren. Es war ein eiskalter Winternachmittag. Michael freute sich an Eis und Schnee, hopste, stapfte. Der Großvater folgte ihm lächelnd, aber mühsam. Sein Herz war krank, schon sehr krank. Michael wollte zum Teich. Dieser war zugefroren, stocksteif! „Das muss herrlich zum Eislaufen gehen“, rief Michael, „wenigsten rutschen und schlittern möchte ich einmal probieren!“ Großpapa warnte. Dicht am Ufer stand der alte Mann, als Michael schon beide Beine aufs Eis gesetzt hatte. „Komm, Michi …“

Des alten Herrn Ruf kam zu spät. Michael schrie, war eingebrochen durchs Eis, klammerte sich an Rand und Brocken. Zitternd streckte der Großvater seinen Stock dem Buben entgegen. Der fasste ihn, zog sich mit aller Kraft empor. Alle seine Kräfte aber setzte der Alte ein, um auf den Beinen zu bleiben, den Stock in den geballten Fäusten zu behalten. Die Rettung gelang. In den Armen des Retters geborgen, so eilends sie konnten, kehrten Michael und Großvater heim. Dem Buben half ein warmes Bad und das Bett über seine Beschwerden, aber für Großvater war dieses Geschehnis zu viel, zu anstrengend, zu aufregend gewesen. Ein heftiger Herzanfall nahm ihm das Leben. Die Trauer seiner Lieben war groß. Bald wollten die Angehörigen das, was dem Großvater gehört hatte, wegräumen, vergeben, verschenken. Mit starrem Gesicht sah Michael zu. „Nein!“ rief er auf einmal, „werft den Stock nicht weg, er gehört mir! Solange ich lebe, will ich den Stecken bei mir haben als Zeichen seiner Liebe zu mir!“ – Ich brauchte nicht weiterzusprechen. Meine Buben wussten Bescheid. Hannes sagte: „Ich verstehe jetzt, was ein Stückchen Holz einem bedeuten kann …, was den Christen das Zeichen des Kreuzes wert ist.“

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2 Kommentare on “„Ein Stückchen Holz“

  1. Pastor iR Heinz Rußmann

    Der Prediger erzählt ansprechend, wo das Kreuz in unserer Welt vorkommt. Das gelingt ihm gut. Der Text ist ja überaus schwer zu verstehen und zu predigen. Gegen die Weisheit der Welt setzt Gott die Macht der Liebe. Was Paulus mit der Weisheit und der Torheit der Korinther im Auge hatte, läßt sich aber nicht mehr sicher erkennen, schreibt Prof Wilckens in seiner NT-Übersetzung zur Stelle. – Pfarrer Klein predigt also bewußt und sinnig statt hoher theologischer Weisheit verschiedene Aspekte des Kreuzes: In unserem Sprachgebrauch, umstrittene Kreuze in der Schule, Grab-Kreuze, Kreuz als Spottfigur im alten Rom, Kreuze als Schmuck an einer goldenen Kette. Zum Schluß eine Geschichte, wie ein Großvater sich für seinen Enkel aufopfert. -Die Abschnitte werden m.E. zu sehr nebeneinander aufgereiht. Als Zuhörer hätte ich mir bei dieser lebendigen und interessanten Predigt eine innere Dramaturgie beim Predigtaufbau gewünscht und einen Spannungsbogen bis zum Schluß.

  2. Jörg Reichmann

    Die Predigt ist eine Oase der Anschaulichkeit im staubtrockenen Gestrüpp des Epistel – Perikopenjahrs, die PredigthörerInnen in ihrer Lebenswirklichkeit anspricht und gleichzeitig auch den theologischen Inhalt der Perikope wirklich verständlich in die Gegenwart herüber holt. Dabei ist die bildhafte Sprache nicht nur für HörerInnen mit dem genannten Niveau ein Genuss. Danke für die Anregung!

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