Einfallstore
Jesu Wort wie einen lieben Gast aufnehmen
Predigttext: Apostelgeschichte 2, 41-47 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision von 1984)
41 Die nun sein Wort annahmen, ließen sich taufen; und an diesem Tage wurden hinzugefügt etwa dreitausend Menschen. 42 Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. 43 Es kam aber Furcht über alle Seelen, und es geschahen auch viele Wunder und Zeichen durch die Apostel. 44 Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. 45 Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nach dem es einer nötig hatte. 46 Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen 47 und lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurde.Exegetische Beobachtungen (I.), homiletische Überlegungen (II.), Hinweis zur Liturgie (III.)
I. In dem Text fallen Entgegensetzungen auf. Die durch die Pfingstpredigt des Petrus Beeindruckten haben sein Wort „freundlich aufgenommen“, willkommen geheißen wie einen lieben Gast. Mit dem gleichen Wort heißen sich im Lukasevangelium Jesus und das Volk wechselseitig willkommen (Lk 8,40; 9,11). Man spürt Leichtigkeit und Wärme. Kaum sind die Neubekehrten aber Mitglieder der Gemeinde, brauchen sie Standhaftigkeit und Ausdauer, um sich von den Aposteln weiter belehren zu lassen. „Christ werden ist nicht schwer, Christ sein dagegen sehr“? Oder gerade nicht? Die zweite Entgegensetzung: Sachlich und nüchtern wird berichtet, wie der Gemeinde immer mehr Menschen „hinzugefügt“ wurden. Kaum sind sie aber dabei, entsteht eine Gemeinschaft (Koinonia), die der Gemeinschaft der Gläubigen mit Jesus Christus (1 Kor 1,9) im heiligen Geist (2Kor 13,13) wesensverwandt ist. Horizontale und Vertikale schneiden sich in der „Koinonia“ des Abendmahls (1Kor 10,16). „Koinonia“ ist auch die Kollekte für Jerusalem (2Kor 8,4). Das Abendmahl als Quelle der Gütergemeinschaft? Die dritte Entgegensetzung: Auf die Frage, wie die Gemeinschaft der Gemeinde funktioniert, erhält man zuerst die einfache Antwort: Sie waren ständig zusammen, täglich, an einem Ort. Sie haben einander kennen gelernt, sich aneinander gewöhnt. Das aber hat sie dann „einmütig“ gemacht – ein Herz und eine Seele. In dem im Urtext verwendeten Wort steckt „thymia“ - Leidenschaft und Zorn. Die Einmütigkeit ist emotionsgeladener als man denkt. Ist wachsendes Vertrautwerden miteinander die Voraussetzung dafür, dass Ärger riskiert und Vertrauen gewagt werden kann? Die vierte Entgegensetzung: Schlichter kann es nach dem gemeinsamen Brotbrechen kaum zugehen, wenn die Gemeinde „Nahrung empfängt“ so wie Paulus nach seinem Erlebnis vor Damaskus (Apg 9,19), passiv, wie ein Kind das sich füttern lässt. Der Schlichtheit der Nahrung entspricht die Schlichtheit (Lauterkeit) des Herzens – aber auch der freudige Jubel, in dem das Ganze geschieht? Wer bricht schon bei einem Butterbrot in Lobeshymnen aus? Aber warum eigentlich nicht? II. Ideal oder Möglichkeit, Grund zur Klage oder Grund zur Hoffnung – die beschriebenen Entgegensetzungen scheinen die Urgemeinde zwischen diesen beiden Polen zu platzieren. Bei aller Ähnlichkeit (vgl. EKK-Kommentar von Rudolf Pesch, Exkurs zu Apg 4, 32-37, S. 184ff) unterscheidet sich der Text von den Staatsutopien der griechischen Philosophie dadurch, dass die Spannung zwischen Realismus und Utopie in dem pfingstlichen Wirken des Geistes aufgehoben ist. Die lateinischen und griechischen Kirchenväter sowie die Reformatoren haben gerade beim heiklen Thema „Besitzverzicht“ stets den Aspekt der Freiwilligkeit des Besitzverzichts betont (Pesch ebd., S. 188ff). Die wäre dann auch ein Geschenk des Geistes! Jenseits aller moralischen Überforderung und Überhöhung möchte ich in der Predigt die Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit herausheben, in der sich der Geist mit seinen Einfällen bemerkbar macht. Für meine große und in sich plurale Innenstadtgemeinde, in der Offenheit groß geschrieben wird und Nähe und Unverbindlichkeit keine absoluten Gegensätze sein müssen, in der nahe Beziehungen möglich sind, aber nicht zum Maßstab gemacht werden, tut diese Verheißung wohl. III. Im Gottesdienst erklingt die Kantate von Johann Friedemann Bach: „Wohl dem der den Herrn fürchtet“. Die beiden Chöre bilden den Rahmen, das Duett antwortet auf die Lesung. Da im Duett „Gottes süße Seelenlehre“ als „Manna“ bezeichnet wird, lese ich 2. Mose 16, 2-3.11-18. Die Betonung der „Süße“ des Gesetzes hat mir geholfen, auch im Predigtabschnitt den Akzent der Leichtigkeit zu erkennen.Liebe Gemeinde!
Wie wird Gemeinde Gemeinde? Gemeindefest, Vereinsfest, Schulfest, Grillfest, Sommerfest, Abschlussfest – was ist heute dran? Jetzt vor den Ferien drängt sich alles. Man hat Mühe nachzukommen. Diese Zeit im Juli ist ja bald anstrengender als Weihnachten. Und das noch bei der Hitze. Was unterscheidet Gemeinde eigentlich vom Gartenverein – oder vom Handballverein? Die Feierei jedenfalls nicht. Ich frage lieber so: Wer unterscheidet Gemeinde von einem Verein? Dann bekomme ich eine Antwort: Der heilige Geist. Der unterscheidet christliche Gemeinde von der Rheuma-Liga oder von der Belegschaft eines Betriebs. Jedenfalls erst der heilige Geist und dann vielleicht noch ein paar andere Dinge. Der heilige Geist weht wo er will. Aber er sucht Einfallstore um seine Einfälle loszuwerden, um uns seine guten Ideen für Gemeinde wissen zu lassen. Er schafft uns Einfallstore, durch die wir gehen können mit unseren Einfällen, um uns der Gegenwart des Geistes zu vergegenwärtigen. Von solchen Einfallstoren hören wir in der Apostelgeschichte.
(Lesung des Predigttextes)
Gastfreundschaft
Beachtlich. 3000 machen den Anfang, aber längst noch nicht das Ende. „Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden.“ Wie im Märchen. „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“. Ein Gemeindemärchen. Die Einfallstore müssen damals riesig groß gewesen sein, und die Einfälle des heiligen Geistes einander überschlagend. Dabei werden sie eher beiläufig erzählt und klingen nicht nach großem Aufwand. „Die nun sein Wort annahmen, ließen sich taufen.“ Annehmen muss eigentlich „aufnehmen“ heißen – aufnehmen wie einen lieben Gast. Manche werden vom Sommerurlaub zurückkehren, aus der Türkei oder aus Bosnien oder noch einem ferneren Land und davon schwärmen: von der Gastfreundschaft. Die haben selber nichts und behandeln einen wie Könige. Das bleibt hängen. Gastfreundschaft bewegt und hinterlässt einen tiefen Eindruck.
Gastfreundlich hatten einst die Menschen in den galiläischen Dörfern Jesus aufgenommen. „Als Jesus zurück kam, nahm ihn das Volk auf, denn sie warteten alle auf ihn“, steht im Lukasevangelium. Die Leute haben keine Angst gehabt, sich Jesus gegenüber zu irgendetwas verpflichten zu müssen. Oder dass Jesus ihre Gastfreundschaft ausnutzt. Er war einfach willkommen bei ihnen. Genauso gastfreundlich hat aber umgekehrt auch Jesus die Menschen bei sich aufgenommen. Im Lukasevangelium wird auch erzählt, wie Jesus einmal mit seinen Jüngern allein sein wollte. Dann kamen aber viele und wollten in seiner Nähe sein. Und Jesus warf seine Pläne um, ließ die Leute zu sich, sprach freundlich mit ihnen und behandelte sie wie gern gesehene Gäste. Spontaneität und Flexibilität sind Zeichen guter Gastfreundschaft. Nicht Perfektion. Aber ein Herz das offen ist und bereit. Und ein bisschen neugierig vielleicht auch, eben so, wie einen gern gesehenen Gast, freundlich und erwartungsvoll zugleich, nahmen die Menschen das Wort von Jesus auf. Als ob das Wort ein Mensch wäre. Als ob Jesus selbst wieder da wäre und mit ihnen sprach. Dieselbe helle Leichtigkeit, dieselbe Wärme, dasselbe Gefühl: Hier und jetzt geschieht etwas, das ganz stark und unmittelbar mit Dir zu tun hat. Jesu Wort aufnehmen wie einen lieben Gast – dann fühlen wir uns selbst willkommen geheißen von ihm. Ein Gefühl, das man nicht mehr missen möchte. Der Rest ergab sich wie von selbst. Oder wie vom heiligen Geist gewirkt: „Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel“. Es gehört Ausdauer dazu sich belehren zu lassen. Dieser Gast kann manchmal auch anstrengend sein. Aber das Gefühl, selbst willkommen zu sein, das kehrt immer wieder.
Einfach zusammen sein
Aus dieser Gastfreundschaft ergab sich noch eine andere. Die zwischen ihnen selber nämlich. Es fing ganz harmlos an. Zweimal heißt es in unserem Abschnitt: Sie waren beieinander. Einfach eine Anzahl von Menschen zur selben Zeit am selben Ort. So wie wir hier in der Kirche sitzen und nachher wieder auseinander gehen – aber vielleicht am nächsten Sonntag wieder kommen. So wie wir beim Kirchenkaffee zusammen sitzen, beim Kindergartenfest oder in der Kantorei. Über ihr Verhältnis zueinander werden die ersten Christen damals gar nicht nachgedacht haben. Das ergab sich. Oder: Das schenkte der heilige Geist. Einmütig, heißt es, seinen sie gewesen. Aber nicht „immer lächeln, immer freundlich“. In „einmütig“ steckt „Mut“ drin. Auch „Leidenschaft“ und „Zorn“. Gefühle wagten sie jedenfalls zu zeigen, diese ersten Christen. Auseinandersetzungen und Vertrauen, beides haben sie riskiert.
Das Notwendige teilen
Besonders dicht rückte er ihnen aber auf den Leib, der heilige Geist, wenn es leiblich wurde bei ihnen. Jesu Gastfreundschaft erlebten diese ersten Christen am intensivsten dann, wenn sie Abendmahl miteinander feierten. Das hatten schon die Jünger Jesu getan und den Kreis wie selbstverständlich erweitert. Sie brachen das Brot – das Lebensnotwendige. Einigen von ihnen wird man nicht extra beigebracht haben müssen, dass Brot ein notwendiges Lebensmittel ist. Das Brot zu brechen ließ sie mitten im Empfangen auch die eigene Bedürftigkeit spüren. Man könnte auch zu denen gehören, denen das Brot einmal ausgeht. So lernten sie wie von selbst aufeinander achten – und auch das war ein Geschenk des Geistes. „Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nach dem es einer nötig hatte.“ Diesen Verteilerschlüssel schafft keine Sozialgesetzgebung. Dazu muss man zusammen gewachsen sein und einander gut kennen. Man braucht dann nicht viele Worte zu machen. Im Abendmahl erfahren wir, dass Bedürftigkeit, welcher Art auch immer, jeden treffen kann. Und dass jeder arm ist und reich zugleich.
Essen und jubeln
Ich stelle mir vor, liebe Gemeinde, so ein wenig Abendmahlscharakter hat der heilige Geist in seinem Einfallsreichtum allen Mahlzeiten gegeben, zu denen diese ersten Christen zusammen kamen. Nicht wie zu einem Gemeindefest. Eher als Menschen, die froh sind, wenn nach einen anstrengenden Arbeitstag überhaupt etwas auf dem Tisch steht. Ich sehe sie vor mir, wie sie ohne viel zu reden das einfache Mahl zu sich nahmen, müde und hungrig. Aber dankbar und, wie es heißt, voller Freude. Das einfache Essen ließ sie in Jubelgesänge ausbrechen – Jubelgesänge, die sich bis in den Tempel hinein fortsetzten! Gerade an dem Einfachen erlebten sie Gottes Freude. Gerade bei diesen Mahlzeiten wachte die Jesus-Atmosphäre wieder auf, in der das Leben machbar erschien und schön, voll Hoffnung und irgendwie „richtig“. So, wie es in den Worten Bert Brechts Maria schon an Weihnachten erfuhr:
Alles dies
kam vom Gesicht ihres Sohnes, der leicht war
Gesang liebte
Arme zu sich lud
und die Gewohnheit hatte, unter Königen zu leben
und einen Stern über sich zu sehen zur Nachtzeit.
Und sie lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden.
Amen.
“Den Akzent der Leichtigkeit” des Heiligen Geistes sieht Pfarrerin Krumm im Predigttext. Von sommerlicher Fröhlichkeit und Leichtigkeit ist ihr ganzer Predigtstil geprägt. Mit originellen Formulierungen fragt sie zB lässig und lustig, was Gemeindefeierei vom Gartenverein, Handballverein oder der Rheuma-Liga unterscheidet ? Sehr erfreulich und tiefsinnig spricht sie dann über die Gastfreundschaft. Jesus ist oft gastfreundlich eingeladen worden in den galiläischen Dörfern. ( Nur von Gastfreundschaft hat er sich ja übrigens ernährt. ) Er hat Menschen gastfreundlich aufgenommen in seine Mahl-Gemeinschaft. Heute geht es für uns darum, “Jesu Wort aufzunehmen wie einen lieben Gast. Ein Gefühl, das man nicht mehr missen möchte”. Gastfreundschaft schließlich zwischen Christen in der Gemeinde. Dabei kann “die Jesus-Atmosphäre auftauchen, in der das Leben machbar erscheint und schön, voll Hoffnung und irgendwie richtig”. – Schön, nicht wahr ? Zur Abwechslung unserer gedankenschweren Predigten mit Kreuz und Leid beschwingt diese Predigt mit dem Akzent der Leichtigkeit.