„Über allem ist Gott, gelobt sei Gott in Ewigkeit“
Der Israelsonntag erinnert an die Verbundenheit von Christentum und Judentum und zielt grundsätzlich auf eine Neubesinnung in der Kirche, ihrem Verhältnis zu Israel ohne Antijudaismus und Antisemitismus
Predigttext: Römer 9,1-5 (Übersetzung bis auf V 5 nach Martin Luther, Revision 1984)
1 Ich sage die Wahrheit in Christus und lüge nicht, wie mir mein Gewissen bezeugt im Heiligen Geist, 2 dass ich große Traurigkeit und Schmerzen ohne Unterlass in meinem Herzen habe. 3 Ich selber wünschte, verflucht und von Christus getrennt zu sein für meine Brüder, die meine Stammverwandten sind nach dem Fleisch, 4 die Israeliten sind, denen die Kindschaft gehört und die Herrlichkeit und die Bundesschlüsse und das Gesetz und der Gottesdienst und die Verheißungen, 5 denen auch die Väter gehören und aus denen Christus herkommt nach dem Fleisch. Über allem ist Gott. Der sei gelobt in Ewigkeit. Amen.Exegetische und homiletische Vorbemerkungen
„Wohl dem Volk, dessen Gott der HERR ist, dem Volk, das er zum Erbe erwählt hat“, - so lautet der Wochenspruch (Psalm 33,12) zum 10. Sonntag nach Trinitatis, zum Israelsonntag. Mit dem Segensruf über Israel beginnt also in vielen Gemeinden der Gottesdienst, der Segensruf über Israel sendet am Ende die Gemeindeglieder in die Woche. Ob sie das wahrnehmen? Der Israelsonntag ist der einzige Sonntag in der „festlosen Zeit“ bis zum Ende des Kirchenjahres, der über die Zählung hinaus einen besonderen Namen führt. „Israel“ ist da entsprechend der biblischen Tradition im umfassendsten Sinn zu verstehen, nämlich als großer Zusammenhang von Land und Menschen, Volk und Glaubensgemeinschaft, und zwar von biblischer Zeit bis in die heutige Gegenwart des Judentums. In gewisser Weise führt der Israelsonntag den Gedankengang fort, der in immer neuen Anläufen der evangelischen Predigt- und Leseordnung Sonntag für Sonntag im festlosen Sommerhalbjahr nach Pfingsten und Trinitatis sich der Frage nach der Kirche annimmt. Da geht es um „Apostel und Propheten“ (1.n.Trin.), um den Gedanken „Berufen zum Dienst“ (5.n.Trin.), das „Leben aus der Taufe“ (6.n.Trin.), um „Früchte des Geistes“ (8.n.Trin.) oder um „Anvertraute Gaben“ (9.n.Trin). Dem anschließend entfaltet der Israelsonntag die Verbundenheit von Christen- und Judentum, von Israel und Kirche; er zielt grundsätzlich auf eine Neubesinnung in der Kirche, ihrem Verhältnis zu Israel, nämlich ohne Antijudaismus und Antisemitismus. Dafür in seelsorglicher Perspektive eine Grundlage zu entwickeln, haben die ersten Verse des neunten Römerbriefkapitels die besten Voraussetzungen. Präsentisch führt Paulus an, worin Gott sich selbst in freier, erbarmender Liebe an sein Volk gebunden hat. Ein vorläufiges Dilemma liegt in den zunächst scheinbar einander widerstreitenden Bindungen: Da unterstreicht Paulus, Brüder und Schwestern nicht nur in der Gemeinde, sondern eben auch in denjenigen seiner Landsleuten zu haben, die sich nicht an den Christus halten; da weiß er sich an Christus gebunden und zugleich riskierte er gern eine Trennung, wenn dafür die Christus ablehnenden Juden zu Christus kämen; da preist er Gottes Bindung an Israel und sieht sie von Gegnern und Gesprächspartnern angezweifelt. Mit dem Modell der neuen Perikopenordnung beschränke ich mich aus Zeitgründen auf die ersten fünf Verse, bzw. 1-5+15; die letzten Worte in V 5 halte ich allerdings für eine abschließende Eulogie, die sich nicht relativisch auf „Christus“ bezieht. Wer der bisherigen Ordnung folgen will (1-8.14-16) sei ausdrücklich auf die Übersetzung von Klaus Wengst zur Stelle verwiesen. Wengst versteht V 6 (297) als rhetorische Frage: „Sind denn nicht alle aus Israel (also alle Nachkommen des Jakob!, die Verf.) eben Israel?“ Die erwartete und evozierte Antwort ist natürlich „Ja!“. Weil nämlich bei Jakob von Isaak her die Verheißung Gottes eingelöst wird, die Abraham gegeben ist. Und zwar nur in der einen Linie der Nachkommen, nicht im Hinblick auf die Kinder, die von Jakobs Bruder Esau abstammen. „Diese Unterscheidung, dass zwar alle Kinder Jakobs, 'Israels', zu Israel gehören, nicht aber alle Kinder Abrahams, ist im Judentum der neutestamentlichen Zeit geläufig – und spricht von der Bibel her ja auch nur eine Selbstverständlichkeit aus“ (Wengst, a.a.O, S. 298). Das aber ist freie Wahl Gottes – unabhängig vom Tun des Einzelnen, weder vom moralischen, noch vom biologischen (Zeugung). Bei dieser Übersetzung und Auslegung lässt sich nachvollziehen, wie die Argumentation des Paulus an die ersten Verse des Kapitels anknüpft und sie nicht konterkariert. Letztlich geht es stets um die Beständigkeit der Gaben Gottes und seiner Treue. Auf Gottes Verlässlichkeit könnten sich die Heiden dann nicht mehr stützen, wenn sie sich schon im Israel-Zusammenhang aufgelöst hätte. Das aber ist nicht der Fall – Gottes Gaben können ihn nicht gereuen (Röm 11,29). Bei Israel bleiben all die Gaben Gottes, die in den ersten fünf Versen des 9. Kapitels genannt sind – sogar unter der Voraussetzung, dass die meisten aus Israel Jesus nicht als den Christus Gottes akzeptieren. Auch unter neuen, erschwerten Bedingungen, die Paulus durchdiskutiert, bleiben Gottes Gaben, bleibt Gottes Wort, bleibt seine Liebe und sein Erbarmen! - Die aus den Völkern, die Heiden, können darum eine gewisse, eine feste Hoffnung haben. Theologie, Christologie und Ekklesiologie bleiben bei Paulus aufeinander bezogen. Und sie haben eine seelsorgliche Funktion, sind Evangelium, frohe, erfreuende, entlastende und befreiende Botschaft bis heute. Auch ohne dass die katholische Kirche einen ausdrücklichen „Israelsonntag“ kennt, lässt sich mit den katholischen Lesungen am 19. Sonntag im Jahreskreis 2010 ein Israelgedenken entwickeln. Da nimmt das Buch der Weisheit (18, 6-9) Bezug auf „die Nacht der Befreiung“, also das Pessachfest, da wird mit dem Hebräerbrief (11, 1.28-19) Abrahams gedacht und das Evangelium spricht von den Erwartungen an die Herde Christi (Lk 12, 32-48). Dazu gehört nach heutigem Verständnis durchaus eine Haltung, wie sie sich in der Fürbitte für die Juden in der Karfreitagsliturgie der ordentlichen Form des lateinischen Ritus niedergeschlagen hat. Da nämlich ruft die Christenheit Gott an, er möge Israel bewahren „in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluss (Hervorhebung Vfin) sie führen will“. Dies entspricht der theologischen Entscheidung des Paulus (Röm 11,11ff), dass Israels Verweigerung den Heiden zum Heil gereicht und Gott selbst schließlich seine Wege zum Ziel bringt (11,33). „Wohl dem Volk, dessen Gott der HERR ist, dem Volk, das er zum Erbe gewählt hat“ - der Wochenspruch sei als Segenswort über Israel der Wegweiser für Gottesdienst und Liturgie.Literatur
Klaus Wengst, „Freut euch, ihr Völker, mit Gottes Volk!“ Israel und die Völker als Thema des Paulus – ein Gang durch den Römerbrief, Stuttgart 2008 Die ganze Bibel zu Wort kommen lassen. Ein neues Perikopenmodell. Erarbeitet im Auftrag der Konferenz Landeskirchlicher Arbeitskreise Christen und Juden (KLAK). In: Raupach-Rudnick, Wolfgang (Hg. im Auftrag des Evangelisch-lutherischen Zentralvereins für Begegnung von Christen und Juden e.V.), Begegnungen, Sonderheft 2, Hannover Dezember 2009 Kira Busch-Wagner, Der Israelsonntag. In: Glauben leben. Zeitschrift für Spiritualität im Alltag. Heft 4, 2010.Lieder
„Man lobt dich in der Stille“ (EG 323, 1+2 Eingangslied, Strophe 3 Loblied) „O Israel, Gott herrscht auf Erden“ (290, 3-7 Hauptlied) „Der treue Hüter Israel bewahret dir dein Leib und Seel“ (EG 296, 4+7+8 Schlusslied) Nach der Predigt: Glaubenslied von Gerhard Bauer (nach der Melodie „Wir glauben Gott im höchsten Thron“ EG 184) Wir glauben, Gott ist in der Welt, der Leben gibt und Treue hält. Gott fügt das All und trägt die Zeit, Erbarmen bis in Ewigkeit. Wir glauben: Gottes Schöpfermacht hat Leben neu ans Licht gebracht, denn alles, was der Glaube sieht, spricht seine Sprache, singt sein Lied. Wir glauben: Gott hat ihn erwählt, den Juden Jesus für die Welt. Der schrie am Kreuz nach seinem Gott, der sich verbirgt in Not und Tod. Wir glauben: Gott wirkt durch den Geist. Was Jesu Taufe uns verheißt: Umkehr aus der verwirkten Zeit und Trachten nach Gerechtigkeit. Wir glauben: Gott ruft durch die Schrift das Wort, das unser Leben trifft. Das Abendmahl mit Brot und Wein lädt Hungrige zur Hoffnung ein. Wenn unser Leben Antwort gibt darauf, dass Gott die Welt geliebt, wächst Gottes Volk in dieser Zeit, Erbarmen bis in Ewigkeit. AmenFortsetzung folgt
„Fortsetzung folgt“ – ohne dass das gesagt wird, schwingt der Satz als Ausblick, als eine Verheißung, unhörbar am Ende eines jeden Gottesdienstes mit. „Fortsetzung folgt“: Die Geschichte Gottes geht weiter, die Geschichte Gottes mit seinem Volk und der ganzen Menschheit; Fortsetzung folgt: Auch unsere Geschichte geht weiter, und in immer neuen Anläufen versuchen wir in den Gottesdiensten, in den Predigten, Gottes Wort neu zu verstehen, neu ver-
ständlich werden zu lassen für jede neue Zeit. Fortsetzung folgt. Gott sei Dank hört Gottes Geschichte nicht auf; und Gott sei Dank hören Menschen nicht auf, darauf zu antworten.
So ist auch der Gottesdienst heute eine Fortsetzung, und es lohnt sich, noch einmal einen Blick zurückzuwerfen. Wer am vergangen Sonntag an einem evangelischen Gottesdienst teilnahm, hörte in der Predigt mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Stelle aus dem Philipperbrief (Phil 3, 7-11).
Da schaut Paulus zurück auf seine Lebensgeschichte, auf die Zeit, bevor er dem Auferstandenen begegnete und gerufen und beauftragt wurde. Von der Begegnung bleibt er so geprägt, dass alles andere dagegen wortwörtlich nach dem Philipperbrief „abstinken“ kann. Ganz besonders seine Haltung gegenüber den Heiden, gegenüber Menschen aus der Umwelt Israels, aus der Umwelt des jüdischen Volkes, hat sich geändert. Hatte Paulus vorher sehr genau drauf geschaut, dass in den Synagogen neben den traditionellen Formen nicht etwa Jesusleute, nicht etwa Christen neue Lehren hineinbringen, so ist er sich jetzt, nach seiner Berufung, in seiner neuen Lebensphase, ganz sicher: Es gibt für die Heiden, für die Völker der Welt, einen Zugang zum biblischen Gott, zum Bund, den er mit Israel geschlossen hat. Einen Zugang, der nicht über den klassischen Übertritt führt mit allen Konsequenzen, von Beschneidung bis zur Lebensweise nach den Geboten, nach der Thora. Es gibt für die Völker der Welt jetzt einen Zugang um Christi willen. Christus, der Gerechte
schlechthin, ermöglicht den Heiden hinzuzutreten zum Bund. Darauf zu vertrauen, daran sich zu halten, ist genug. Und weil ihm Christus an der Stelle so unendlich wichtig geworden ist, faucht Paulus in seinen Briefen alle möglichen Gegner an: solche, die dann doch nach der Taufe noch eine Beschneidung gern hinterher hätten, sozusagen zur Sicherheit. Welch ein Unsinn in den Augen des Paulus. Und welch fehlendes Vertrauen in Christus. Und Paulus faucht solche an, die gänzlich abheben und denen alles egal ist, wie einer nach der Taufe konkret sein Leben gestaltet. Bis heute hat das Konsequenzen. Wer getauft ist, gehört zum Leib Christi. Nichts fehlt dafür, nichts muss nachgeschoben werden. Christus gilt. Zugleich darf alle Welt hohe Erwartungen an die Getauften stellen: Ein Leben aus der Taufe bleibt orientiert an Gottes Gebot.
Doch zurück zu Paulus. Er will immer weiter. Er will das nächste und das übernächste Kapitel aufschlagen in dieser Geschichte, er reist durch den ganzen Mittelmeerraum, er will an der Fortsetzung selber mitwirken und sie vorantreiben. So schloss der Predigtabschnitt am vergangenen Sonntag mit den Worten des Paulus: „Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich aus nach dem, was da vorne ist, und jage nach dem vorgestreckten Ziel, dem Siegespreis der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus.“
Gott bleibt sich treu
Heute also die Fortsetzung im Brief nach Rom. Zeit ist vergangen. Mehr als 20 Jahre liegen zurück, seit Paulus seine Berufung erfuhr, mehr als 20 Jahre seit der Begegnung mit dem Auferstandenen. Es sind für Paulus zwei Jahrzehnte der Auseinandersetzungen. Mit sich selbst, mit den anderen Aposteln, mit den Säulen der Gemeinde in Jerusalem, Petrus und Jakobus, mit Gegnern der verschiedenen Lager. Es sind zwei Jahrzehnte der Heidenmission, zwei Jahrzehnte des Nachdenkens und Entscheidens. Als praktischer Theologe schaut Paulus auch immer auf die Gegebenheiten. Sein Nachdenken schärft er am Faktischen, seine Theologie hat Bezug zum gelebten Alltag. Er erkennt: Seine leiblichen Geschwister, seine Ursprungsfamilie, die jüdischen Menschen in Israel und in der Diaspora – sie sind ihm nicht gefolgt. So sehr sein Ruf zu Christus unter den Nichtjuden, den Heiden, aufgenommen wurde – bei den Juden war die Resonanz jedenfalls sehr viel verhaltener, als Paulus sich das ursprünglich vorgestellt hat. Weder für sie selbst noch im Hinblick auf die Heiden ist ihnen Jesus, der Christus, relevant geworden.
Wie gern würde Paulus daran etwas ändern. Sein eigenes Leben würde er dafür hingeben, seine ganze Glaubensexistenz. Wenn seine leiblichen, seine jüdischen Geschwister, seine Stammverwandten, wenn die einen Zugang hätten zu Christus – wie wäre er froh. Sie wollen nicht. Sie halten sich getrennt. Jesus ist ihnen nicht der Gesalbte. Jesus ist ihnen nicht der Christus. Paulus fragt sich selbst – und wird wohl auch von manch anderen gefragt: Hat das eine Bedeutung? Wird Israel, werden die Juden jetzt bestraft? „Hat denn Gott sein Volk verstoßen“ (11,1)? – und Paulus antwortet darauf in drei langen Kapiteln im Brief nach Rom: Nein, in keiner Weise! So zählt er gleich zu Beginn auf, welche Gaben ihnen Gott in seinem Erbarmen, in seiner Erwählung hat zukommen lassen und die ihnen bleiben. Mit und ohne Christus. Es sind Geschenke Gottes. Gott nimmt die Geschenke nicht zurück. Gott bleibt treu. Die Kindschaft gehört ihnen, schreibt Paulus – schlicht also, dass sie Kinder Gottes sind. Geliebt sind sie, gehalten, begleitet, getragen, umworben, gehätschelt, ermahnt, vielleicht bestraft, erzogen, gerufen – was auch immer man in Liebe mit seinen Kindern macht. So hält es auch Gott. Die Kinder Israel sind und bleiben seine Kinder. Die Herrlichkeit gehört ihnen – Paulus meint damit nicht, dass das jüdische Volk herrlich sei, sondern dass der Glanz der Herrlichkeit Gottes auf Israel fällt. Gottes machtvolle Gegenwart bleibt in ihrer Mitte. Sein Wort und Wirken ist präsent.
Genauso auch die Bundesschlüsse! Bundesschlüsse: Mit dem einen Wort ist die ganze Geschichte Israels auf dem Tisch. Abraham und Isaak und Jakob und Mose und David und Salomo und die Propheten – immer wieder erneuert Gott seinen Bund, schmiedet immer einen Bundesschluss neu um die früheren: Nichts geht dabei verloren. (Unser Psalm, 111, zum Eingang hat davon gesprochen, auch unsere Lesung, Deut 4, 31- 40.) Kein Bundesschluss wird hinfällig, keiner geht perdu. So wenig wie Gottes Wort verloren geht, die Thora, das Gesetz. Der Gottesdienst natürlich auch nicht. Weil der ja in der Thora beschrieben ist. All die Verrichtungen am Tempel und die von Gott gebotenen Opfer und die Sühne, die Rückkehr zu Gott, die möglich ist, weil Gott selbst diesen Weg eröffnet hat. Welch ein Glück, welch eine Treue.
Und die Verheißungen bleiben bestehen. Das Leben im Land gehört dazu. Vor allem aber Nachkommenschaft. Kinder zu haben. Zahlreich zu bleiben, zahlreich zu werden und Segen weiter zu reichen. Zu diesem Segen gehört auch das Kommen Christi. Christus gehört zu den Kindern Israels, gehört Israel nach dem Fleische an, hat hier seine Eltern, seine Herkunft, seine Vorfahren. Später einmal werden die Evangelisten das plastisch in Stammbäumen darstellen, bis zurück zu David, und noch weiter darüber hinaus. Wie Christus ein Teil der Verheißung ist, einer aus der Linie, einer aus dem Stamm, so wird es noch Generationen geben. Alles gemäß der Verheißung. Gemäß der Verheißung an Abraham, Kinder zu haben und Nachkommen auf ewig. Das heißt auch: Geschichte haben. Geschichte in die Zukunft hinein. Israel hat also Zukunft. Ein Judentum, das Jesus nicht anerkennt, hat Zukunft. Es mag die Gegner des Paulus, es mag die Unsicheren, die Fragenden, es mag manche unter den neu hinzugekommenen Heiden, es mag manche Getauften überraschen. Aber auch das Judentum ohne Christus hat eine Zukunft. Paulus kann sich nichts anderes vorstellen, als dass auch dieser Weg von Gott herkommt und von ihm gewollt ist und irgendwie doch seinen Sinn hat. Sinn sogar für die Völker der Welt. Zwei Kapitel weiter (11) beschäftigt sich Paulus noch mal ausführlich damit. Jetzt aber muss er erst mal Atem holen. Er muss mal einen Absatz machen. Einen Punkt setzen (Luther ist übrigens beim Übersetzen über den Punkt des Paulus hinweggefegt). Paulus jedenfalls muss erst mal Luft holen, nachdem er bei Christus und seiner Herkunft angelangt ist. Aus Israel kommt er her. Punkt. Ende der enthusiastischen Aufzählung. Zäsur. Stop. Halt. Und über allem ist Gott, Er sei gelobt in Ewigkeit. Amen. So ist es. So bleibt es. So ist es wahr.
Eine reiche Saat und reiche Früchte
Gut, das Paulus zwischendurch mal Luft holen muss. Gut, dass er auf seine Leserinnen und Leser, seine Hörerinnen und Hörer, seine Gemeinde aus Juden und Heiden, zwischendurch mal einen Blick werfen kann. Und dass wir an der Stelle mit unseren Fragen einhaken können. Lieber Paulus, was hat das alles mit uns zu tun? Was nutzt, ja, wirklich: was „frommt“ uns das? Fällt dabei auch etwas an froher Botschaft für uns ab? Für uns, die wir erst einmal nichts mit Israel zu tun haben, keine Juden sind, die uns das alles vielleicht nicht einmal besonders interessiert. Die wir vielmehr unsere kleinen und durchaus auch großen Sorgen und Nöte haben. Und gar nicht immer so weit und so groß und so viel denken wollen, sondern einfach auch ein bisschen Beachtung brauchen. Paulus würde vielleicht antworten mit eben jenem alttestamentlichen Zitat, das auch zum Predigtabschnitt heute gehört, wo Gott zu Mose spricht: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig. Wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. Da hat uns Paulus die Liebe Gottes entfaltet, die Treue, die in ihr liegt, sein unbedingter Wille, dass er zu seinem Wort steht. Selbst unter schwierigsten Bedingungen. Selbst unter den Bedingungen, die den Menschen und Theologen Paulus ganz kirre machen: dass Israel den Christus Gottes nicht annimmt. Es sind Bedingungen, die aber Gott offensichtlich eben gar nicht irritieren können. Wie sollte dann Gottes Wort nicht denen gelten, die den Leib Christi ausmachen, die am Rockzipfel Christi dranhängen, die gar in Christus drinstecken, weil sie – wie Paulus an anderer Stelle schreibt – ihn angezogen haben in der Taufe. Wenn Gott Israel nicht lässt, wenn Gott Zukunft schenkt, wenn Gott sich stärker erweist als menschliches Handeln, wenn Gott seinen Bund nicht fallen lässt – dann ist auf diesen Gott Verlass. Dann ist diese Beziehung belastbarer als wir uns es manchmal vorstellen können. So können wir mit den kleinen und eben auch den großen Nöten kommen. Keine ist so groß, als dass Gott nicht größer wäre. Als dass Gott sich ihrer nicht annähme.
Liebe Gemeinde, heute hängen an Altar und Kanzel wie die ganze Sommerzeit über die grünen Paramente. Heute, am Israelsonntag, so schlagen auch manche vor, wäre es wichtig, die violetten Tücher heraus zu holen. Um in Trauer dessen zu gedenken, wie die Christen Gott (!) eben nicht gefolgt sind in seiner Liebe zu Israel. Und jüdische Menschen grade von Christen unendlich viel zu leiden hatten, in Pogromen, Verfolgungen, Zwangstaufen, mit Gehässigkeiten, Ignoranz, Unterdrückung und Ausbeutung. An all das erinnern violette Paramente. Gute Gründe, sie hervorzuholen. Ich hatte mich auch schon einmal anders entschieden und die roten Antependien genommen. Bei Rot geht es um die Kirche. Und Kirche, das haben wir jetzt bei Paulus gelernt, die Gemeinschaft der Getauften ist nicht denkbar ohne den Christus aus Israel, ist nicht denkbar ohne den jüdischen Jesus. Wenn Kirche von sich redet, redet sie immer auch von Israel, immer auch vom jüdischen Volk. Darum hatte ich mich vor Jahren einmal für Rot entschieden. Jetzt haben wir die grünen Tücher vor Augen. Bei Grün dürfen wir an wachsende Früchte denken: Uns fallen die Früchte von Gottes Liebe in den Schoß. Auch die haben wir nicht gesät und dürfen sie ernten. Bei Grün dürfen wir an sprießende Saaten denken – welch reiche Saat hat Paulus aufgehen sehen und wir haben sie noch längst nicht zu Ende geerntet. Bei Grün dürfen wir an Frisches, Neues, Aufsprießendes Denken – und dass Gottes Gnade, sein Erbarmen, wie wir in den Liedern Israels lesen, jeden Morgen neu ist und seine Treue groß.
Auch da heißt es also: Fortsetzung folgt. Nächsten Sonntag sieht die Predigtordnung vor, aus dem Epheserbrief zu lesen. „Aus Gnade seid ihr selig geworden durch den Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es; nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme“. Aus Gnade seid ihr selig geworden – eine ganz logische Fortsetzung, nach dem, was wir heute gehört haben. Wie denn auch anders. Denn die Fortsetzung folgt.
Amen.