“Auf die Plätze…”
Gut zu wissen, wohin ich gehöre, wo ich gebraucht werde, etwas Sinnvolles tun kann, mich wohl fühle
Predigttext: Epheser 2,4-10 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
4 Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, 5 auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht - aus Gnade seid ihr selig geworden -; 6 und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus, 7 damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwenglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus. 8 Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, 9 nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. 10 Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, daß wir darin wandeln sollen.Exegetische Vorüberlegungen
Der 11.Sonntag nach Trinitatis ist geprägt durch das Evangelium vom „Pharisäer und Zöllner“ und soll wie die anderen Perikopentexte, der Psalm und das Wochenlied zeigen, dass „Gott den Hochmütigen widersteht, aber den Demütigen Gnade gibt“, wie es im Wochenspruch heißt. Wie entfaltet nun der Episteltext diesen Gedanken? Die Lutherbibel titelt den Abschnitt „Das neue Leben mit Christus als Geschenk der Gnade“. Nachdem der Vf im ersten Kapitel darlegt, was Gottes Heilsplan ist und er den Ephesern wünscht, dass sie diesen Plan auch erkennen, wendet er in Kapitel zwei die Christusherrschaft auf die Epheser an und führt auf, welche Konsequenzen sie für das Leben der Christen unter der Gnade hat. Erst dann wendet sich der Vf. einem seiner Hauptanliegen zu, der Frage nach der Einheit der Kirche, der Einheit der Gemeinde aus Juden und Heiden. Der Form nach erinnert der Abschnitt an eine urchristliche Taufunterweisung. Nach dem Schema „Einst und jetzt“ zeigt sie, was die Christen hinter sich gelassen haben, wenn sie die Taufe empfangen (Vv 1-3) und was ihnen in der Taufe geschenkt ist. Durch Gnade sind wir gerettet, so betont es der Vf gleich zweimal, und das heißt: durch Christus lebendig werden, mit ihm auferweckt werden und mit Christus einen Platz im Himmel bekommen. Das Entscheidende ist in der Taufe bereits passiert, deswegen die Aoriste in V 5 und V 6, der Heilszustand ist damit gewissermaßen „perfekt“, ein kleiner eschatologischer Vorbehalt findet sich nur noch in V 7. Die Sätze klingen nach Paulus, unterscheiden sich aber doch vom Original. Für den Vf geht es nicht – wie bei Pls – um den Kontrast von Glaube und Gesetz, sondern um Glaubensschwäche, mangelnde Glaubenserkenntnis, die Abweichung von der apostolischen Tradition. Aus der Rechtfertigung durch Christus wird bei ihm die Rettung, die sich in der Taufe vollzieht. Damit stellt er den präsentischen Charakter des Heils heraus. Gewiss – alles, was ist und was wir tun können, ist an Gott gelegen, durch Christus begründet, ist Gnade allein. Wir sind von Gott dazu geschaffen, gute Werke zu vollbringen und was wir gut machen, ist nicht unsere Verdienst, sondern ebenso von Gott gemacht. Aber eben: Das Ziel dieses Abschnitts liegt darin, an den Glauben der Epheser zu appellieren und sie zu einem Gott wohlgefälligen Lebenswandel zu ermutigen. Auffällig ist der Wechsel zwischen „ihr“ und „wir“. Hiermit verweist der Vf auf die Gemeinschaft der Christen in der einen Kirche Christi. Wir sind gemeinsam auf dem Weg und partizipieren gemeinsam an dem Weg, den Christus gegangen ist. Keiner kann sich über den anderen erheben, „sich rühmen“, denn wenn uns jemand gut macht, dann ist es allein Gott, deswegen gebührt ihm der Ruhm – und den Mitchristen Bescheidenheit und Liebe! Literatur: Rudolf Schnackenburg, Der Brief an die Epheser, EKK XAuf dem Weg zur Predigt
„Wir sind mit Christus eingesetzt im Himmel“, diese Aussage aus V 6 ist mir besonders ins Auge gesprungen und löst verschiedene Bilder in mir aus: Ich denke an den himmlischen Thron, auf ihm der Weltenrichter Christus, darum herum versammelt die „Gemeinschaft der Heiligen“. Was bedeutet das, wenn wir hier unseren Platz haben? Die Eschatologie des Eph ist stärker als bei Paulus präsentisch ausgerichtet, eine Vorstellung, die mir nicht ganz leicht zugänglich ist. Gleichwohl möchte ich dieser Vorstellung nicht ausweichen, sondern fragen, was sie austrägt für die Gemeinde heute. In der Gemeinde, für die ich den Gottesdienst vorbereite, feiern wir zwei Taufen, was für einen Text, der einer Taufunterweisung entlehnt ist, wie eine Steilvorlage ist. Meine Predigt ist Tauf-Predigt. Ein Satz von Fulbert Steffensky hat mich sehr angesprochen: „Wir sind schon angekommen in dem Land, zu dem wir unterwegs sind“. (Fundstelle: Calwer Predigthilfe II/2, 1992, S.119)Zur Gestaltung des Gottesdienstes
Eingangsgebet im Anschluss an Psalm 113: Wer ist ein Gott wie du, Herr, unser Gott! Du bist im Himmel und verlierst dabei die Erde nicht aus den Augen. Du siehst, wo es Menschen schlecht geht. Du siehst, wo es der Natur schlecht geht. Du behältst den Überblick in dem ganzen Chaos, das uns manchmal überfällt. Und du hilfst! Danke, dass wir auch an diesem Sonntag zu dir kommen können, dass wir dir alles an Herz legen können, was uns beschäftigt hat. Danke, dass wir dir unsere Kinder ans Herz legen können, auch N.N. und N.N. Segne du diesen Gottesdienst und die Taufe, segne auch die, die nicht bei uns sein können. Herr, erbarme dich! Evangelium: Lukas 18, 9-14 Psalm: 113, 1-8 Wochenspruch 1.Petrus 5,5: Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. Predigtlied (= WL): „Bei dir gilt nichts denn Gnad und Gunst“ (EG 299, 2-4, Melodie 2!)Liebe Gemeinde!
Freude im Himmel
Nicht nur in unserer Gemeinde wird heute Taufe gefeiert. Auch im Himmel ist die Freude groß: Ein kleines und ein großes Mädchen werden von ihren Eltern zu Jesus gebracht, damit er sie annimmt und segnet? Na dann, schafft schnell noch zwei Stühle herbei, rückt noch ein wenig zusammen, macht Platz für die Kinder! Unser Herr möchte sie doch bei sich haben!
Auch für Sie und mich stehen im Himmel die Stühle bereit. Seit unserer Taufe haben auch wir dort unseren Platz, mitten unter den Heiligen. Es ist schon eine bunte Gesellschaft, die dort im Himmel beisammen sitzt. Doch so liebt es der Herr auf seinem Thron. Er hat sie schließlich alle zu sich gerufen, er hat auch Sie und mich bei unserem Namen gerufen. Kommt, nehmt Platz! Aus Gnaden seid ihr selig geworden! „Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht.“ Für mich ist das schon sehr eindrücklich, was ich im Epheserbrief lese.
Wir sind „mit Christus“ lebendig gemacht, heißt es da.
Wir sind „mit ihm“ auferweckt.
Wir sind „mit Christus Jesus“ eingesetzt im Himmel.
Augenblick Taufe
Und wann soll das passiert sein? Das kann doch nur in dem Augenblick geschehen sein, als über uns das Wasser der Taufe gegossen wurde. Da ist uns auf den Kopf zugesprochen worden, dass wir einen Vater und einen Bruder im Himmel haben, dem wir ganz eng verbunden sind. So sieht das zumindest der Epheserbrief. Ich finde es schon beachtlich, was er der Taufe alles zutraut. Denn nach der Taufe geht es doch eigentlich ganz normal weiter. Wir werden doch keine anderen Menschen und leider auch nicht immer bessere Menschen… N.N. wird auch morgen noch das aufgewecktes Mädchen sein, das gerne singt und mit ihren Freundinnen spielt und sich auf die Schule freut. Und für N.N. geht das Leben eigentlich erst so richtig los mit ihren sieben Monaten! Und Sie, liebe Gemeinde? Sie stehen Ihren Mann, Ihre Frau, Sie stehen mitten im Leben, tun dort Ihre Pflicht. Wie soll sich da die Taufe bemerkbar machen?
Es ist gut, wenn man seinen Platz im Leben gefunden hat. Es ist gut, wenn man weiß, da gehör ich hin, da werde ich gebraucht, da kann ich etwas Sinnvolles tun, da fühle ich mich wohl. Und genauso gut ist, wenn man sich dann und wann an seinen Platz im Himmel erinnert. Das heißt doch: Es komme, was wolle, diesen Platz hält Gott ganz gewiss für mich frei! Ich glaube, es gibt Zeiten, wo es uns sogar ganz besonders gut tut, wenn wir uns das bewusst machen. Nicht wahr, manchmal wissen wir ja nicht so ganz genau: Ja, wo ist denn jetzt eigentlich mein Platz? Was wird aus mir als Mutter, als Vater, wenn die Kinder aus dem Haus gehen – und wie entwickelt sich dann unsere Beziehung? Was ist, wenn jemand anders meinen Platz einnimmt, einer, der mehr Umsatz erwirtschaftet, der fitter ist am PC? Und was, wenn ich meinen Platz erst noch finden muss, wenn ich noch keine Ausbildungsstelle habe?
Immer schon ein Stückchen voraus
Einen Platz kann dir niemand nehmen! Du bist getauft! Für mich ist es tröstlich, wenn ich das so im Epheserbrief lese. So ohne wenn und aber. Weil ich weiß, dass es Situationen gibt, wo wir so einen klaren Zuspruch ohne Wenn und Aber brauchen. Es gibt diese Situationen, wo wir ganz unsicher sind und uns immer wieder die Frage stellen: „Was wird denn, wenn…“ „Aber was, wenn dies und jenes noch kommt…“ Diese Wenns und Abers – auf die Dauer stellen wir uns selber damit in Frage. Gut, dass die Taufe uns dann daran erinnert: Vom Himmel aus betrachtet sind wir uns selbst und dem, was so ist, wie es ist, immer schon ein Stück voraus: Wir sind, wie es heißt „tot in den Sünden“ – auch wenn wir uns Tag für Tag mit eben diesen „Sünden“ und Halbheiten herumplagen müssen. Wir können nur begrenzt lieben, wir können nur begrenzt für andere da sein, begrenzt glauben, wir sind keine perfekten Mütter und keine perfekten Pfarrerinnen. Aber wir sind geliebt! Wir sind, wie es heißt „aus Gnaden gerettet“. Und wir, wir stellen manchmal so hohe Ansprüche an uns selbst, dass wir den ersten Schritt übersehen, mit dem man ja schon mal anfangen könnte. Zum Glück ist Gott da barmherzig! Wir sind, wie es heißt „auferstanden“. Jawohl, wir leben noch! Auch wenn wir älter werden und uns manchmal auch ziemlich alt vorkommen… Wir haben unseren Platz im Himmel und sind dort mit Christus eingesetzt, so sagt das der Epheserbrief.
Wenn das wirklich so ist, dann hat die Taufe für Sie und mich und für die beiden Mädchen, die wir vorhin getauft haben, bestimmt Konsequenzen. Denn welchen Platz nimmt Christus im Himmel ein? Ich denke daran, dass Christus der Weltenrichter ist, was für mich bedeutet, dass er es wirklich richten wird in dieser Welt, dass er sich dafür einsetzt, dass auch die „Mühseligen und Beladenen“ zu ihrem Recht kommen. Ich denke daran, dass Christus der Herr ist, und ich verstehe das so, dass er die Mächtigen in ihre Schranken weist, die sich nicht für die Menschen und für die Natur einsetzen. Wenn wir nun wirklich unseren Platz im Himmel haben mit Christus zusammen, dann haben wir ihn gleichzeitig auch hier auf der Erde. Dann ist unser Platz an der Seite der Menschen, die auch für Jesus ganz wichtig gewesen sind.
Glaubt es nur
Also, „aus Gnaden seid ihr gerettet worden aus Glauben“. Beachten Sie den kleinen Zusatz, liebe Gemeinde. „Aus Glauben“. Für mich heißt das: Ja, glaubt es nur, verlasst euch da auf euren Gott: Vom Himmel aus betrachtet sind wir uns selber und dem, was so ist, wie es ist, immer schon ein Stückchen voraus. Das gilt nicht zuletzt für unsere guten Werke. Im Epheserbrief liest sich das so: „Wir sind sein Werk, geschaffen zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, damit wir darin wandeln.“ Also, auf die Plätze – und los geht´s! Sie wissen ja selber am allerbesten, was für Sie dran ist, in der neuen Woche. Vielleicht legt Ihnen Gott schon in dieser Woche etwas vor die Füße, was Sie gut machen können. Vielleicht werden Sie ja auch etwas gut machen, ohne es wirklich zu merken. Oder es reift etwas heran, was Sie längst abgeschrieben haben. Ein Platz steht auf jeden Fall für Sie bereit. Und im Himmel ist die Freude darüber groß.
Amen.
Über die Bedeutung der Taufe wird selten so groß, lebendig und seelsorglich gepredigt wie in dieser Predigt. Üblicherweise wird ja zur Taufe verkündet, dass die Beziehung der Getauften zu Gott nie enden wird. Dekanin Wellhöner betont originell das Besondere des Predigt-Textes: Wir sind schon auferweckt und miteingesetzt im Himmel in Jesus Christus. Die Predigerin beschreibt aber auch sehr lebendig und einfühlsam die weiteren Chancen und Probleme auf dem Lebensweg aller Getauften in ihrer Lebenszeit.
Der Gegensatz von dem “Wir haben jetzt schon einen Platz im Himmel an Jesu Seite” und “im Himmel ist ganz sicher schon jetzt ein Platz für uns nach dem Tod reserviert” ist wohl das eigentliche Problem, über den Text zu predigen. Der auferstandene “kosmische” Christus Jesus ist sicher alle Tage bei uns. Jetzt schon einen Platz bei ihm im Himmel zu haben, ist sehr paradox. Ein kleines Kind betonte einmal nach dem Gebet “Lieber Gott mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm”: “Ich möchte jetzt aber noch nicht im Himmel sein”. Die “präsentische Eschatologie” zu vermitteln ist eine besondere homiletische Herausforderung, der sich die Autorin der Predigt sehr überzeugend stellt.