Nüchtern und wachsam

Sorgsam mit dem Leben umgehen – nicht als Menschen, welche von der Sorge beherrscht werden, sondern als solche, die mit ihrem Leben und Wirken auf Gottes Fürsorge dankbar antworten

Predigttext: 1.Petrus 5,5c-11
Kirche / Ort: 98597 Fambach / Thüringen
Datum: 12.09.2010
Kirchenjahr: 15. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Michael Glöckner

Predigttext: 1Petrus 5,5c-11 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

5c Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.  6 So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit.  7 Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.  8 Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.  9 Dem widersteht, fest im Glauben, und wißt, daß ebendieselben Leiden über eure Brüder in der Welt gehen.  10 Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen.  11 Ihm sei die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen. Eigene Übersetzung (Michael Glöckner): (5c) Den Hochmütigen stellt sich Gott entgegen, den Demütigen aber gibt er Gnade. (6) Beugt euch daher unter die starke Hand Gottes, damit er euch zur rechten Zeit erhöhe, (7) indem ihr alles, was euch Sorge macht, auf ihn legt, denn ihm liegt an euch. (8) Seid nüchtern, macht die Augen auf. Euer Widersacher, der Teufel, wie ein brüllender Löwe geht er umher und sucht, dass er einen verschlinge. (9) Ihm widersteht, im Glauben standhaft, wissend, dass dieselben Leiden eurer Brüderschaft in der Welt auferlegt sind. (10) Der Gott aller Gnade aber, der euch zu seiner ewigen Klarheit in Christus [Jesus] berufen hat, wird euch in Ordnung bringen, beständig machen, stärken, gründen, nachdem ihr kurze Zeit gelitten habt. Ihm sei Herrschaft in Ewigkeit, Amen.

Zum Sonntag und über den Predigttext

Das Proprium des 15. Sonntags nach Trinitatis liegt in der Thematik „Gegen den Geist der Sorge; Gottvertrauen“ (K.-H. Bieritz, Das Kirchenjahr. Feste, Gedenk- und Feiertage in Geschichte und Gegenwart, München 1994, 172). Wochenspruch (1Petr 5,7), Evangelium (Mt 6,25-34), Epistel (Predigttext) wie auch zwei alternativ einsetzbare Wochenlieder (EG 345 bzw. 369) entfalten es auf je ihre Weise. „Gottes Fürsorge befreit uns von der Sorge um uns selbst.“ (Agende I. Die Gottesdienste an Sonn- und Feiertagen, hrsg. vom Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche in Kurhessen-Waldeck, Kassel 1996, 377) – das seelsorglich zu entfalten, ist Intention vorliegender Predigt. Mit 1 Petr liegt uns ein pseudepigraphisches Schreiben an Christen in den römischen Provinzen Kleinasiens vor (1,1). Es ist durch „urchristliche Traditionen, die von ihrem Trägerkreis Petrus und Silvanus zugeschrieben werden“ (U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 62007, 439), bestimmt. Im Hintergrund stehen Konfliktsituationen, mit den Christenverfolgungen in der Spätzeit Domitians zusammenhängend, „der den Herrscherkult besonders in den griechischen und kleinasiatischen Provinzen ausbaute“ (U. Schnelle, a.a.O., 442). Der Predigttext markiert den Schlusspunkt des mit 2,11 beginnenden zweiten Hauptteils, der das „Weltverhältnis, und zwar sowohl was die aktive Seite des Verhaltens in der Gesellschaft anbelangt als auch was die passive Seite des Leidens an dieser betrifft“ (R. Feldmeier, Der erste Brief des Petrus [ThHK 15/I], Leipzig 2005, 97) thematisiert. Im Blick auf die Mikrostruktur der Predigtperikope sind „Schlussermahnung“ (5,6-9) und „Abschließender Zuspruch und Schlussdoxologie“ (5,10f.) voneinander zu unterscheiden (R. Feldmeier, 162ff.). Die Predigt entfaltet das durch den Text wie durch das übrige Proprium des Sonntags vorgegebene Thema folgendermaßen: I. Über die Sorge - sorgenvoll II. Gegen die Sorge – sorglos III. Mit der Sorge - sorgsam

Literaturhinweise

W. Krötke, Gottes Fürsorge für die Welt. Überlegungen zur Bedeutung der Vorsehungs-lehre, in: ThLZ (4) 1983, 241-252; ders., Gottes Klarheiten. Eine Neuinterpretation der Lehre von Gottes „Eigenschaften“, Tübingen 2001, 204f.; A.F. van der Vegt, Predigtmeditation für den 15. Sonntag nach Trinitatis, in: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext. Zur Perikopenreihe II, Wernsbach 2009, 312.309; T. Klie, Maß nehmen an Gottes Für-Sorge. Predigtmeditation zum 15. Sonntag nach Trinitatis, in: Göttinger Predigtmeditationen, (64) 2010, 389.

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I.

„Als einst die ´Sorge` über einen Fluss ging, sah sie tonhaltiges Erdreich: sinnend nahm sie davon ein Stück und begann es zu formen. Während sie bei sich darüber nachdenkt, was sie geschaffen, tritt Jupiter hinzu. Ihn bittet die ´Sorge`, dass er dem geformten Stück Ton Geist verleihe. Das gewährt ihr Jupiter gern. Als sie aber ihrem Gebilde nun ihren Namen beilegen wollte, verbot das Jupiter und verlangte, dass ihm sein Name gegeben werden müsse. Während über den Namen die ´Sorge` und Jupiter stritten, erhob sich auch die Erde (Tellus) und begehrte, dass dem Gebilde ihr Name beigelegt werde, da sie ja doch ihm ein Stück ihres Leibes dargeboten habe. Die Streitenden nahmen Saturn zum Richter. Und ihnen erteilte Saturn folgende anscheinend gerechte Entscheidung: Du, Jupiter, weil du den Geist gegeben hast, sollst bei seinem Tode den Geist, du Erde, weil du den Körper geschenkt hast, sollst den Körper empfangen. Weil aber die ´Sorge` dieses Wesen zuerst gebildet, so möge, solange es lebt, die ´Sorge` es besitzen. Weil aber über den Namen Streit besteht, so möge es ´homo` heißen, da es aus humus (Erde) gemacht ist.“ (Cura-Fabel des Hyginus, hier zitiert nach M. Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen 171993, 198.)

Liebe Gemeinde, solange der Mensch lebt, soll ihn die Sorge besitzen. Sorge ist das menschliche Wesen, denn die Sorge hat es zuerst gebildet. So lesen wir es in der alten Cura-Fabel des Hyginus. Was da steht, scheint sich grundlegend mit den Erfahrungen unserer Zeit zu decken: Das ganze Leben ist durch die Sorge bestimmt. Junge Menschen sorgen sich um die Zukunft, Berufstätige manchmal um die Arbeitsstelle, Ältere um ihre Gesundheit. Eltern sorgen sich um ihre Kinder, Führungspersonen um die Mitarbeiter und das Wohlergehen der Firma. Gesundheits-, Risiko- und Altersvorsorge sind wichtige Bausteine unserer Gesellschaft. Auch der Sozialstaat scheut keine Mühen, insbesondere diejenigen zu versorgen, die für sich selbst nicht sorgen können. Eigentlich ist es eine schöne Aufgabe – für einen anderen Menschen sorgen. Wie gerne versorgen Eltern ihre Kinder mit dem, was sie benötigen, oder Arbeitgeber die Mitarbeiter der Firma, ohne die sie kaum erfolgreich sein könnten. Wie gerne fühlen wir uns sicher, wenn der Riester-Vertrag mit garantierter Rentenzahlung abgeschlossen ist. Dann haben wir klug vorgesorgt. Wir sorgen gerne um unser Leben, und eine wesentliche Wahrnehmung christlicher Verantwortung besteht in der Sorge für das eigene Leben wie das anderer Menschen. Es gibt aber auch Sorgen, die einen Menschen regelrecht verzehren. Zeit und Energie fressen sie auf, ständige Überlegungen, ob die Kinder recht erzogen werden und Ehe noch intakt ist, oder ob die berufliche Existenz Sicherheit bietet, von der ständigen Sorge mancher Menschen um ihre eigene Gesundheit ganz zu schweigen. Demographische Prognosen und der Klimawandel gehören zu den größeren Sorgen unseres gesamten Volkes.

Jesus erinnert einmal an einen reichen Mann, dessen anfängliche Freude über eine gute Ernte zu einer wahren Begegnung mit dem Tod führte. Als die alten Scheunen das viele Korn nicht mehr fassen können, passt er sein Anwesen entsprechend an und freut sich am Ende seines großen Vorrats. Doch mitten in der Nacht tritt Gott vor ihn und erklärt ihm, was seine Vorsorge nützt: „Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?“ (Lk 12,16-21)

II.

Kontrastiert wird der reiche Kornbauer durch den Lebensentwurf einer anderen Figur, Diogenes von Sinope, ein Weiser, Philosoph und Mitbegründer der Schule der Kyniker. Im vierten vorchristlichen Jahrhundert lebte er. Diogenes gilt als der erste Mensch, der sich „Kosmopolit/ Weltbürger“ nannte. Verschiedene Anekdoten überliefern, er habe als Zeichen seiner Bedürfnislosigkeit in einer Tonne gelebt. Als Alexander der Große, König von Makedonien, einmal zu Diogenes kam, um diesem einen Wunsch zu erfüllen, antwortete der weise Mann: „Geh mir ein wenig aus der Sonne!“ Kaum bekleidet war Diogenes, und der durch Alexander verursachte Schatten ließ ihn frieren. Bekannt ist die Antwort des makedonischen Königs: „Wenn ich nicht Alexander wäre, wollte ich Diogenes sein.“ Ein Christ war Diogenes freilich nicht. Seine Lebenshaltung, die der absoluten Bedürfnislosigkeit in materieller Hinsicht und die der Sorglosigkeit, hat im Christentum jedoch zahlreiche Nachahmer gefunden. Diogenes wollte sich nicht um sein Leben sorgen, lebte in den Tag hinein aus dem, was er von den Zeitgenossen annehmen konnte.

Nicht ganz fünfhundert Jahre später lesen Christen in Kleinasien in dem an sie gerichteten Brief: „Alle eure Sorge werft auf ihn (sc. den Herrn); denn er sorgt für euch.“ (V7) Er wird euch „aufrichten, stärken, kräftigen, gründen.“ (V11) Wie schön hört sich das an: Es wird gesorgt. Jesus selbst sorgt für uns. Vielleicht erinnert man sich an das, was Jesus gesagt hat: „Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?“ (Mt 6,25) Vielleicht erinnert man sich an Beispiele, mit denen Jesus seine Worte untermauerte. Gott ernährt die „Vögel unter dem Himmel“, auch wenn sie nicht säen, nicht ernten, nicht in Scheunen sammeln. Gott sorgt für die Lilien auf dem Feld, auch wenn sie nicht arbeiten, nicht spinnen. (Mt 6,26.28) Wenn das so ist, warum dann nicht alle Sorgen auf den Herrn werfen […]

„Sorgt euch nicht wie die, die keinen Gott haben. Glaubt daran, dass Gottes Güte wie der Himmel ist – grenzenlos.“ (A.F. van der Vegt) – so möchte uns der Briefschreiber zurufen. „Sorgt euch nicht […]!“, und wenn es vielleicht erst einmal nur darum geht, sich in der Nacht für eine Zeit von den Sorgen zu verabschieden und Ruhe zu finden. Zum abendlichen Einschlafritual unserer beiden Kinder gehört ein Abendlied, das von solcher Entlastung handelt:

„Ruhet von des Tages Müh´,
es will Nacht nun werden.
Lasst die Sorg´ bis morgen früh!
Gott bewacht die Erden.“

Wer um Gottes Wache weiß, kann ihm die Sorgen des Tages anvertrauen und Ruhe in der Nacht finden. Wie wohl tut es, wenigstens für eine Nacht seine Sorgen los zu sein!

III.

Doch bei aller christlichen Sorglosigkeit gilt es dennoch wachsam zu sein, so empfiehlt es der Briefschreiber. „Seid nüchtern und wacht; […].“ (V8), wir könnten es auch so formulieren: „Werft eure Sorge auf ihn (sc. den Herrn), aber bleibt dabei nüchtern und wach.“ (T. Klie) Beides müssen wir im Blick behalten. Als sie damals den Brief erhielten, lebten die Christen in Kleinasien in einer „Situation von Unsicherheit und Bedrohung“. (A.F. van der Vegt) Diskriminierung und Verfolgung standen während der späteren Regierungszeit des römischen Kaisers Domitian in den römischen Provinzen auf der Tagesordnung. Diskriminierung und Verfolgung sind unsere Themen in Deutschland am beginnenden 21. Jahrhundert nicht, Gott sei Dank. Für alle Gebiete der Erde kann das aber so nicht behauptet werden. Es sind aber andere Probleme, vor denen wir als Kirche Jesu Christi wie als Christen in unserem Land und in der Welt stehen. In den letzten Woche ist das Thema Integration von Menschen mit Migrationshintergrund verstärkt in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion gerückt, entfacht durch das Buch des Vorstandsmitglieds der Bundesbank, Thilo Sarrazin. Ein stetig wachsender Bevölkerungsanteil von Menschen mit anderer religiöser Herkunft stellt eine Herausforderung zukünftig auch an das Zeugnis von Christen in einer zunehmend säkularen Gesellschaft dar, überhaupt der Umgang mit Religionen in Deutschland. Ein anderes Problem ist das eines „Neuen Atheismus“, der den christlichen Glauben aus der Öffentlichkeit heraushalten und Religiöses ausschließlich als Privatsache deklarieren will. In der intellektuellen Diskussion wird innerhalb solcher Tendenzen erwogen, ob an Stelle von Religion bzw. Philosophie nicht die Hirnforschung als Leitwissenschaft zur Deutung von Sinn und Lebensvollzügen treten sollte. Hinzu kommt die Herausforderung, wenn viele Menschen in Deutschland auf die christliche Botschaft mit konstanter Gleichgültigkeit reagieren.

„Seid nüchtern und wacht; […].“ – darin wie auch in dem, was sich an jedem Tag in eurer Nähe ereignet. Geht sorgsam mit eurem Leben um: nicht als Menschen, welche von der Sorge beherrscht werden, sondern als solche, die mit ihrem Leben und Wirken auf Gottes Fürsorge dankbar antworten. Wie kann das geschehen – nüchtern und wachsam auf Gottes Fürsorge antworten? Würde mich einer so fragen, ich würde ihm folgendes antworten: Nüchtern und wachsam sein – das geschieht im Gebet. Durch das Gebet sind wir fähig, uns über Gottes Sorge um die Welt mit Gedanken zu machen. Wir brauchen uns nicht zu scheuen, Gott Vorschläge für sein Tun mit uns und unserer Welt vorzubringen. Dazu gehören auch die Klage über das Leid und Fragen, auf die wir keine Antwort wissen.  Nüchtern und wachsam sein – dazu gehört auch, in der Sorge für Gottes Welt und alle Mitgeschöpfe je das Seine zu tun. Dann gilt, womit der Briefabschnitt endet: „Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird euch, […] aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. Ihm sei die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ (Vv10f.)

Amen.

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Ein Kommentar zu “Nüchtern und wachsam

  1. Pastor iR Heinz Rußmann

    Tiefsinnige Gedanken und Mythen über die Sorge thematisiert diese Predigt. Nach der griechischen Mythologie ist die Sorge Eigentümer der Menschen. Andererseits kannten die Griechen auch den sorglosen Diogenes. Jesus fordert uns auf, uns nicht zu zersorgen. Im Predigttext heißt es dazu: Alle Eure Sorge werft auf Gott, denn er sorgt für Euch! Zum Schluß macht Pfarrer Glöckner mit dem Text darauf aufmerksam, dass es darum geht, aufmerksam und wachsam zu sein.

    Gut gegliedert und aufgebaut erwähnt diese Predigt auch aktuell Sarrazin, Hirnforschung, Klimawandel und den Neuen Atheismus. Es würde den Leser verwirren, wenn der Prediger auch noch nach dem Text über Demut und das Wirken des Teufels gepredigt hätte.

    Fragen möchte ich, ob es stimmt: “Wachsam sein – das geschieht im Gebet”. Der Christ und Psychologe Prof Julius Kuhl macht in seinem für Christen wichtigen Buch “Gegen den kalten Krieg im Kopf” (2005) darauf aufmerksam, dass unsere linke Gehirnhälfte rational und wachsam denkt. Die rechte denkt ganzheitlich, intuitiv und ist auf Gott bezogen. Wenn ich nachts nicht schlafen kann, drehen sich endlos die rationalen, misstrauisch-wachsamen Gedanken in meinem Kopf. Ganz bewusst verwende ich im Gebet suggestiv die rechte Gehirn-Hälfte und werfe alle meine Sorgen auf Gott. Gewöhnlich schlafe ich danach getrost ein. Gebet hat für mich wenig zu tun mit Wachsamkeit, sondern fördert Sorglosigkeit.

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