Zu seinem Glauben stehen
Christsein in der Welt und für die Welt von heute gestalten
Predigttext: 2. Timotheus 1,7-10 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
(weggelassen sind: „Denn“, v7, und „durch das Evangelium“, v10) 7 Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. 8 Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener bin, sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes. 9 Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt, 10 jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat.Exegetische Bemerkungen zum Predigttext
Zur Verfasserfrage „Der zweite Brief des Paulus an Timotheus“ gibt sich als Paulus-Brief (1,1). Die Selbstbezeichnung „…nach der Verheißung des Lebens in Christus Jesus“ ist zwar für Paulus ungewöhnlich, passt aber mit v 10 zusammen, in dem sich „Paulus“ zu Jesus als dem Bringer des neuen Lebens bekennt, was ja auch Anhalt in seiner Vita hätte. Der historische Verweis auf die Gefangenschaft des Paulus in Rom (v 17) erscheint stimmig. Wäre dem nicht so, dann wäre auch der Besucher Onesiphorus erfunden. Wozu ihn aber erfinden? Ein Imitator könnte auch von „meinen Ketten“ sprechen, ohne einen Onesiphoros einzuführen. Das gleiche Argument gilt erst recht im Blick auf Timotheus. Warum sich Paulus nennen und einen Timotheus (samt Mutter und Großmutter) erfinden, um eine Theologie der Furchtlosigkeit in allem Leide zu entwickeln? Zudem ist eine Verbindung Paulus - Timotheus schon in 1. Kor 4,17 hergestellt. Auch andere Namen stehen mit Paulus schon länger in Verbindung: z.B. Markus (4,11 vgl. Phlm 24), Prisca (4,19 vgl. Röm 16,3). G. Holtz urteilt: „Der Gedanke einer späteren Imitation darf als unsachlich ausgeschieden werden“ (Die Pastoralbriefe, ThHKNT 13, 2.Aufl., Berlin 1972, S. 153). Für den pseudepigraphischen Charakter tritt dagegen U. Schnelle ein (Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, 6.Aufl., Göttingen 2007, S. 369 ff.). Folgende Beobachtungen erscheinen mir nachvollziehbar: Es tritt ein Amtsverständnis zutage, wie es Paulus noch nicht hatte (Anfänge apostolischer Sukzession 1,6; Lehrer 1,11; 3,10; vgl. dazu Röm 12,7, wo Paulus sich nicht als Lehrer, sondern eher als Apostel sieht (Röm 1,1-6)); die „gesunde Lehre“ (4,3) erscheint als eine sich verfestigende Dogmatik, die u.a. auch in Abgrenzung gegen die Gnosis (z.B. 3,7) entsteht; die hier gemeinte Irrlehre führt zu bösen Lastern (3,1-9), entsprechend wird Glaube zur Tugend (3,10-13), die Schrift zur Lehre (!) in Gerechtigkeit und Vollkommenheit (3,14-17); 3,10 spricht von der Nachfolge Pauli, was für Paulus völlig undenkbar erscheint. Mein Gedanke, der evtl. Paulus-Schüler habe sich alias Paulus II. genannt, führt nicht wirklich weiter, weil er an der Kreuzung bekannter Namen in der Person des Paulus vorbei gehen würde. Es ist unbefriedigend, die Verfasserfrage nicht lösen zu können, letztlich aber würde ihre Klärung nichts an der folgenden theologischen Auslegung ändern. Zur Situation und Theologie Die Situation, aus der heraus sich der 2. Tim erklärt, ist die der persönlichen Verfolgung. Eine solche ist freilich immer im Zusammenhang allgemeiner Pogrome zu sehen. Darin entwickelt sich eine Theologie des Leidens (vgl. bes. 3,12: „Und alle, die gottesfürchtig leben wollen in Christus, müssen Verfolgung leiden.“), die zugleich immer auch eine Theologie der Furchtlosigkeit und des Vertrauens ist („Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“). Der Abschnitt 2. Tim 1,6-10 ist ein besonders aussagekräftiges Zeugnis jener Theologie. Kern der Aufforderung an Timotheus ist: „… leide mit mir…“. Das ist nicht misszuverstehen als eine Bitte um Solidarität im Leiden, sondern als ein Hineinziehen in die „Verheißung des Lebens in Christus Jesus“ (1,1); denn „Sind wir mit gestorben, so werden wir mit leben…“ (3,11). Diese Glaubenswahrheit gründet in dem hymnischen Bekenntnis v 10: „…Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat“ (Der Hymnuscharakter wird dargestellt von J. Jeremias, Die Briefe an Timotheus und Titus, NTD IV, Göttingen 1982, S. 49; dort wird auch deutlich, dass „durch das Evangelium“ nicht mehr zum Hymnus, sondern zum Prosatext des Briefes gehört.). Dass Timotheus sich des Mitleidens nicht schämen solle, bleibt für Schnelle (a.a.O., S. 370) unverständlich. Jedoch ist Verleugnung in Verfolgungssituationen nicht ungewöhnlich, wie schon die Evangelien lehren. So lässt sich auch der Bezug zu 2,12b wunderbar herstellen. Wie zur Kreuzestheologie die Auferstehungshoffnung gehört, so zur Leidenstheologie die Theologie des Vertrauens. Diese findet in v 7 ihren vollendeten Ausdruck. Die Theologie des Vertrauens lässt sich auf der Grundlage von 2. Tim 1,7 etwa so entfalten: Gott hat uns den Geist gegeben. Dieser Geist wird in v 14 als der „heilige Geist“ beschrieben, „der in uns wohnt“. Gott hat diesen Geist, sonst könnte er ihn nicht geben; mehr noch: Er ist dieser Geist: „Der Herr ist Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“ (2. Kor 3,17). In 2. Kor verbindet sich „Geist“ mit „Freiheit“ (vom Gesetz, vgl. auch Gal 5), hier mit Kraft, Liebe und Besonnenheit. Gott gibt also Geist von seinem Geist und schafft so neues Leben und unvergängliches Wesen mitten in der Welt des Todes. Der Anklang an die alte Schöpfungsgeschichte ist unüberhörbar (Gen 2,7); durch das Einfließen der Schöpfungstheologie in das NT wird diese zur Neuschöpfungstheologie (von 2. Kor 5,17 bis Offb 21). Zum Einzelnen Gott hat uns den Geist der Kraft gegeben. Er macht stark (2,1), in der Welt, in der gekämpft wird, zu bestehen (2,5), in der gelitten wird, durchzuhalten und am Bekenntnis festzuhalten (1,8). Gott hat uns den Geist der Liebe gegeben. Hier lassen sich theologische Linien zu 1. Joh 4,16 und zu 1. Kor 13 ziehen. Gott hat nicht nur die Liebe bei sich, er ist die Liebe. Er gibt uns Liebe von seiner Liebe, mehr noch: Er gibt sich selbst uns ganz. Indem er sich in Jesus Christus uns ganz gegeben hat, hat er uns zur Wohnung seiner Liebe gemacht. Wie sich der Geist der Liebe in uns auf unsere Lebenshaltung auswirkt, beschreibt 1. Kor 13. Die Liebe als Geistesgabe hat Gott uns unwiderruflich gegeben (1. Kor 13,8). Das ist dann auch für die beiden anderen Geistesgaben Kraft und Besonnenheit vorauszusetzen. Gott hat uns den Geist der Besonnenheit gegeben. Dieser Geist sorgt dafür, dass der Herr dem Timotheus „in allen Dingen Verstand geben“ wird (2,7). G. Holtz (a.a.O., S. 155) fragt, ob der Verfasser mit dem letzten der drei Glieder von der Höhe seiner Betrachtung abfällt, vielleicht weil „Besonnenheit“ (nicht „Zucht“!) ein Begriff der Profanphilosophie ist. Aber die Aufnahme solcher Begriffe allein diskreditiert den Verfasser nicht. Eher stellt sich die Frage, ob „Besonnenheit“ in die Reihe der Gaben passt, wo es doch eher eine Tugend ist. Indes mag die Frage müßig sein, weil das Wort nun mal hier steht. Ich deute Besonnenheit im christlichen Sinn als „Besinnung auf Gott“. G. Holtz´ Deutung sei hinzugefügt: „Blinder Enthusiasmus und Fanatismus sind abgewiesen.“ (a.a.O., S. 155). Gott hat uns diesen heiligen Geist gegeben, und somit kann die Folge dieser Gabe nur noch ein tiefes Vertrauen auf Gott sein und auf seine Anwesenheit bei uns und in uns in diesem Geist. Wo der Geist Gottes ist, da ist Furchtlosigkeit. Die gesamte Bibel wird durchzogen von jenem „fürchte dich nicht“ bzw. „fürchtet euch nicht“. Insofern ist die Theologie der Furchtlosigkeit und des Vertrauens biblische Theologie, und diese biblische Theologie findet in 2. Tim 1,7 einen unübersehbaren Brennpunkt. Homiletische Bemerkungen zum Predigttext Es ist immer wieder eine Herausforderung, einen biblischen Text, der in einer Verfolgungssituation entstanden ist, in unsere Zeit in ähnlicher Tonart zum Sprechen zu bringen. Die zweite Schwierigkeit dieses Textes liegt darin, dass er in v 7 von selbst spricht und ohne Kommentar eingängig erscheint. Darum spricht er uns ja auch in besonders feierlichen Momenten sofort an. Problem 1: Ich soll reden über etwas, was von selbst wirkt. Problem 2: Die damalige Situation war nicht besonders feierlich. Kann ich dem Ganzen entgehen, indem ich christologisch predige? Genügend Gewicht in diese Richtung hätte ja der Text (v 10). Aber ich sehe mich nicht in der Lage, diesen Hymnus in 15-20 Minuten zur gefühlten existentiellen Lebensgrundlage des Hörers zu machen. Zum Glück hat die Exegese ja auch gezeigt, dass der Schwerpunkt noch woanders liegt. Ich werde also dem Hörer Mut machen, v 7 einfach genießend in sich aufzunehmen. Ich werde ihn einladen, wenn er will, mir noch ein wenig weiter zu folgen. Ich muss nun zunächst unsere Zeit als eine ganz andere zur Kenntnis nehmen, und sie auch ehrlich so beschreiben. Zu unserer entspannten Zeit, in der Aktivitäten der Kirche z.T. auch mit Wohlwollen gefördert werden, gehört aber auch das andere: Kraftlosigkeit, Lieblosigkeit, Gedankenlosigkeit. Kraftlosigkeit im Glauben resultiert aus Sprachlosigkeit, Furcht vor Spott und missverstandener Toleranz. Hier möchte ich den Hörer stärken, zu seinem Glauben zu stehen: Habe Mut, fürchte dich nicht! Lieblosigkeit aus Egoismus: Hier möchte ich den Hörer zu einer anderen Haltung bewegen und ermutigen. Gedankenlosigkeit: Hier möchte ich dem Hörer die Besinnung auf Gott nahelegen, so den Begriff der Besonnenheit aus der antiken Philosophie herausholen und in einen christlichen Kontext hineinstellen. Wenn „Besinnung auf Gott“ zur Haltung wird, prägt sich darin auch ein Stück (christlicher) Bildung aus. Dazu möchte ich Mut machen. Fürchtet euch nicht! Oder: „Stoh fast, kiek wiet, rög di!“ (Hochdeutsch: „Steh fest, schau weit, reg dich!“). Liturgische Elemente Eingangs- oder Schlussgebet (in Abwandlung eines bekannten Gebetes) Herr, gib uns den Geist des Vertrauens auf unseren Wegen. Gib uns die Kraft, zu bewegen, was zu bewegen ist. Gib uns die Liebe zu tragen, was zu tragen ist. Gib uns die Besonnenheit, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden. Glaubensbekenntnis (Hinführende Worte:) Dietrich Bonhoeffers Bekenntnis (aus „Widerstand und Ergebung“) zeugt von einer Theologie der Furchtlosigkeit und des Vertrauens und davon, dass Glaube sich im Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit realisiert. „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein. Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden als mit unseren vermeintlichen Guttaten. Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Fatum ist, sondern dass er auf aufrichtige und verantwortliche Taten wartet und antwortet.“ Fürbittgebet Gott, du belebst die Erde aus der Fülle deiner Gaben. Wir danken dir und bitten dich um Kraft, wenn wir über unseren Sorgen verzagen: Gib uns den heiligen Geist, dass wir wach und zuversichtlich bleiben in unserer Liebe zum nahen und zum fernen Nächsten. Hilf den Verantwortlichen Männern und Frauen im Staat, im Geist der Besonnenheit zu wirken und die Erde vor Krieg und Umweltschäden zu bewahren. Mach uns, o Herr, bereit für alles, was von dir kommt, dass wir geborgen bleiben unter deinem Segen.Liebe Gemeinde!
Man spricht heute gern von der Wertegemeinschaft, zu der wir uns bekennen. Es lohnt sich, einmal darüber nachzudenken, welche Werte gemeint sind. Vier sind mir wichtig: Wahrhaftigkeit, Toleranz, Fairness und Gemeinsinn. Wenn ich diese Werte durchbuchstabiere, kann ich mein Leben in der Wertegemeinschaft bewusster gestalten.
Christsein gestalten
Ich lebe –wie Sie alle – in unserer Wertegemeinschaft auch als Christ. Als Christ kann ich mich zu diesen Werten auch gut bekennen; als Christ weiß ich darüber hinaus aber auch, dass es vor den Werten noch Gaben gibt; Gaben, die Gott mir gegeben hat, Gaben, die einfach da sind und nicht vergehen können. Werte können verfallen, Gaben nicht. Wahrhaftigkeit geht verloren, wenn alles auf Lüge und Schein aufgebaut ist. Toleranz kommt unter die Räder, wenn die Achtung des Anderen schwindet. Fairness erlischt in der Ellenbogengesellschaft, Gemeinsinn weicht dem Egoismus. – Gaben dagegen sind nicht selbst-verordnet, sondern kommen von Gott. Sie können zwar ungenutzt liegen bleiben, aber nicht vergehen (1. Kor. 13,8). Sie sollen freilich nicht ungenutzt liegen bleiben, sondern ergriffen und gelebt werden.
Um welche Gaben geht es? Unser Predigtext nennt drei Gaben: den Geist der Kraft, den Geist der Liebe und den Geist der Besonnenheit. Und es geht darum, das Christsein aus diesen drei Gaben heraus zu gestalten. Hören wir, wie der Apostel Paulus das seinem Schüler Timotheus nahebringt.
(Lesung des Predigttext, ohne „Denn“,v7, und ohne „durch das Evangelium“, v10)
Gott hat uns gegeben Geist von seinem Geist. Nicht erst heute; nicht erst zur Zeit des Apostels, sondern von Anbeginn der Schöpfung an. Denn so sind wir zum Menschen geworden: Gott hauchte dem Erdenkloß Geist von seinem Geist ein, „und so wurde der Mensch ein lebendiges Wesen“ (Gen 2,7). Gott hat uns gegeben Geist von seinem Geist, Gott hat uns gegeben Kraft von seiner Kraft, Gott hat uns gegeben Liebe von seiner Liebe. Das hat Gott uns gegeben, damit wir unser Christsein in der Welt von heute und für die Welt von heute gestalten können.
Gestaltungsspielräume
Wir leben – Gott sei Dank – in einer anderen Welt als der Apostel Paulus und sein Schüler Timotheus. Damals wurden Christen vom Staat verfolgt; der Märtyrertod stand ihnen vor Augen, so auch dem Paulus, der schon im Gefängnis ist; und er sieht dieses Schicksal auch für Timotheus heraufziehen. Viel Gestaltungsspielraum für das Christsein bleibt da nicht mehr. Wo aber der Gestaltungsspielraum immer enger wird, da werden die Worte immer dichter. Und so sind diese Worte entstanden: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ Fürchte dich nicht! Unser Gestaltungsspielraum ist – Gott sei Dank – größer. So können wir uns Gedanken darüber machen, wie wir diese Gaben in unserer Zeit nutzen können.
Zunächst einmal hören wir die dichten Worte ganz anders, viel entspannter. Habe Mut, deine Zukunft in die Hand zu nehmen! Die Worte haben für uns etwas Zukunftweisendes, etwas Feierliches, etwas Würdevolles. Oft haben Brautpaare ihn als Trauspruch gewählt, immer wieder sage ich ihn Konfirmandinnen und Konfirmanden zu. Gern gibt man ihn auch kirchlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen mit auf den Weg. In ruhigen Zeiten haben sie auch die Zeit, sich langsam in uns zu entfalten, zu wirken und unser Leben zu beeinflussen. Eingeprägt und verinnerlicht wirken sie oft mehr als ausgelegt und zerredet. Wer auch dieser Meinung ist, der nehme heute einfach nur dieses Wort mit: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“. Es wird seine Wirkung entfalten bis in den Alltag hinein. Wer mir aber noch ein bisschen folgen möchte, der darf sich gern noch ein Stück weit mitnehmen lassen. Nehmen Sie das Wort in sich auf: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“. Genießen Sie ihn, diesen Geist! Er soll wirken. Innerlich. Er soll schmecken. Es ist wie mit einem Glas Wein. Ich schwenke das gefüllte Glas, ich rieche daran: Die Blume entfaltet sich. So entfaltet sich auch der Geist, den Gott mir eingehaucht hat. Er schmeckt nach Kraft und nach Liebe und nach Besonnenheit. Mit diesen Geistesgaben kann ich mein Christsein in dieser Welt und für diese Welt geistvoll gestalten.
Geist der Kraft
Kraft brauche ich in dieser Zeit. Damals wie heute ist die Kraft gefragt, zum Glauben zu stehen. Nicht Verfolgung bedroht uns in Europa, sondern die Sprachlosigkeit in Dingen des Glaubens. Wir haben es verlernt, vom Glauben zu reden, und darum verstecken wir ihn. Wir haben es verlernt, Geschichten zu erzählen, wie sie die Bibel erzählt. Wir haben es verlernt, unsere Erfahrungen in Worte zu fassen. Darum: Wir brauchen die Kraft, vom Glauben zu reden und so zu unserem Glauben zu stehen. Uns bedroht auch die Furcht vor Spott. Spötter hat es schon immer gegeben, solange es Glauben gibt. Schon der Psalm 1 zeugt davon: „Wohl dem, der nicht…sitzt, wo die Spötter sitzen“. Und eine alte antichristliche Karikatur zeigt einen Esel am Kreuz mit der Unterschrift: Alexander glaubt an einen Esel. Und der Sportkommentator Dieter Kürten berichtet, dass er in seinem ZDF-Postkorb Zettelchen fand mit der Aufschrift: „Kürten kennt Jesus“. Furcht vor Spott macht uns kraftlos, zu unserem Glauben zu stehen. Gott hat uns aber nicht den Geist der Furcht gegeben, sondern den Geist der Kraft; und der erkennt: Spötter sind hohl und intolerant. Kraftlosigkeit im Glauben entsteht schließlich auch durch missverstandene Toleranz, eine Toleranz, die alles duldet bis hin zur eigenen Konturlosigkeit. Hast du aber keine Kontur, hast du auch kein Gesicht. Du bist niemand. Gott hat dir aber die Kraft gegeben, Kontur zu zeigen. Nur wer Konturen zeigt, wird erkannt, wird ernst genommen, ist jemand, auch in der Vielstimmigkeit der Religionen.
Geist der Liebe
Der Geist der Kraft. Wir brauchen dieses vorwärtsstrebende Prinzip in uns. Wir brauchen aber ebenso auch das mäßigende Prinzip. Darum hat Gott uns als Pendant auch den Geist der Liebe gegeben. Auch ihn brauchen wir, um unser Christsein geistvoll in unserer Zeit zu gestalten. Über die Liebe hat Paulus in seinem Brief an die Korinther eigentlich schon alles gesagt: Die Liebe hat Geduld; sie ist nicht aufgeblasen. Sie handelt nicht taktlos, sie sucht nicht den eigenen Vorteil… Sie glaubt alles, hofft alles, trägt alles… Können wir so unser Leben in dieser Welt gestalten? Warten lernen, mehr sein als scheinen? Zurückhaltend sein im Urteil über andere, das Wohl aller im Auge haben? Es fällt schwer. Wir brauchen schon viel Liebe aus Gottes Liebe. Gott gibt sie uns. Er hat sie uns gegeben. Darum ist nichts zu schwer für die Liebe.
Geist der Besonnenheit
Die Kraft das vorwärtsdrängende, die Liebe das mäßigende Prinzip. Es gibt eine Verbindung zwischen beiden, und das ist der Geist der Besonnenheit. Der Geist der Besonnenheit ist der Geist der Besinnung auf Gott. Wenn ich mich auf Gott besinne, werde ich herausfinden, welchen Geist ich im Moment mehr gebrauche, den Geist der Kraft oder den Geist der Liebe. Besonnenheit ist Besinnung auf Gott. Zumindest in unserer christlichen Lebensgestaltung heute. Besonnenheit ist freilich schon eine antike Tugend: „Was du auch tust, tue es klug und bedenke das Ende“, eine alte philosophische Weisheit, auch außerhalb des Christentums. Wie wäre es, wenn wir sagten: „Was du auch tust, tue es klug und schaue auf Christus“? Auf jenen Christus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat.
Amen.
Diese Predigt ist sehr klug und anspruchsvoll. Nach der ausführlichen Exegese geht es zu Beginn um den Unterschied von den vergänglichen humanen Werten: Wahrhaftigkeit, Toleranz, Fairness und von Gemeinsinn zu Gottes Geist. Wir Christen brauchen ja nicht so sehr obige vergängliche, humane Werte, die leicht im Alltag missachtet werden. Es geht für uns Christen mit dem Predigttext um drei unvergängliche Gaben von Gott, denen der Predigtautor nachgeht: den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Diese göttlichen Werte eröffnen Gestaltungsfreiräume und Zukunft. Deswegen wird der Text oft von Brautpaaren als Trauspruch gewählt. Den Geist der Kraft brauchen wir, weil wir unter dem Spott der Weltleute für unseren Glauben oft verstummen. Den Geist der Liebe brauchen wir, um unser Leben geistvoll zu gestalten. Die Kraft ist das vorwärtsdrängende, die Liebe das mäßigende Prinzip. Die Verbindung zwischen beiden ist die Besonnenheit durch die Besinnung auf Gott. Die Predigt mündet in die Aufforderung, klug zu sein und auf Christus zu schauen.
Vorschlagen würde ich, in die Predigt aktuelle Bezüge und Beispiele aus unserer Zeit, aus der Gemeinde und der Seelsorge einzuweben (z.B. wie gehen wir als Christen mit R. Dawkins Verspottung der Religion in seinem Buch “Gotteswahn” um).
Auf Besuch bei unserer Tochter in Sydney bereite ich mich auf einen Gottesdienstbesuch insofern vor, da ich der englischen Sprache nur zu 50% maechtig bin. Also suche ich im Internet unter Predigten 19.09.2010 und finde Ihre Predigt aus Elstorf. Das war fuer mich ueberraschend, denn ich komme aus Buxtehude. So weit weg von zu Hause und jetzt in Elstorf, wer haette das gedacht? Meinen Dank Ihnen und Jesus Christus, welcher sich unser erbarmt und uns seinen Frieden gezeigt hat!
Herzliche Gruesse
peter pflueger