Hörendes Herz
Im täglichen Stimmengewirr das echte Lebenswort suchen, das mir Halt gibt, mich nährt und stärkt
Predigttext: Römer 10, (8)9 – 17(18) (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
8 »Das Wort ist dir nahe, in deinem Munde und in deinem Herzen.« Dies ist das Wort vom Glauben, das wir predigen. 9 Denn wenn du mit deinem Munde bekennst, daß Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, daß ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. 10 Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet. 11 Denn die Schrift spricht (Jesaja 28,16): »Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.« 12 Es ist hier kein Unterschied zwischen Juden und Griechen; es ist über alle derselbe Herr, reich für alle, die ihn anrufen. 13 Denn »wer den Namen des Herrn anrufen wird, soll gerettet werden« (Joel 3,5). 14 Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger? 15 Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden? Wie denn geschrieben steht (Jesaja 52,7): »Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die das Gute verkündigen!« 16 Aber nicht alle sind dem Evangelium gehorsam. Denn Jesaja spricht (Jesaja 53,1): »Herr, wer glaubt unserm Predigen?« 17 So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi. (18 Ich frage aber: Haben sie es nicht gehört? Doch, es ist ja »in alle Lande ausgegangen ihr Schall und ihr Wort bis an die Enden der Welt« (Psalm 19,5).)Vorbemerkungen zum Predigttext
Worte wirken. Gottes Wort wirkt in uns Menschen, vermittelt durch andere. Darauf verweist der vielschichtige Predigttext, von dem jeder Vers und manche einzelne Wörter Stoff bieten zum Nachdenken und Predigen. „Der Glaube kommt durch das Hören, und das Hören vom Wort Christi“ – fides ex auditu. Um den Glauben geht es an diesem 17. Sonntag p.T., wie auch schon der Wochenspruch formuliert: „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat“ (1.Joh. 5,4). Latent wird dieser Vers die Predigt begleiten, denn es ist der Sprachraum Gottes, in den wir - durch den Glauben - hinein genommen sind, der Menschen den Sprachraum der Welt mit ihren Regeln und Kommunikations-stilen überwinden und also nicht in diesen aufgehen lässt. Wir leben aber in dieser Welt und sind weltlichen Worten ausgeliefert. Viele Stimmen dringen täglich auf einen ein, als gesprochene oder geschriebene Worte. Worte, die etwas in uns auslösen. Der Mensch ist gefragt: Worauf hörst du? Was ist dein Lebenswort? Er lebt ja nicht vom Brot allein. Auch Gottes Wort hören wir als Menschenwort. Es ist uns vermittelt: Andere erzählen uns davon, auch leben wir in einer christlich geprägten Tradition. Gottes Wort, seine Botschaft, die in Jesus Christus Fleisch geworden ist, begegnet uns medial. Zugleich wir deutlich: Den Glauben können wir nicht herstellen, Gott wirkt durchs Wort und seinen Geist in uns.Das Wort Christi meint mE zugleich die Sache, um die es Jesus geht, eingeschlossen sein Leben, Wirken, Sterben und Auferstehen. Ebenso meint das Wort „Predigen“, wörtlich „Hören“, auch die Botschaft, die man hört, das Gehörte. Der Predigttext ist Teil der Kapitel 9-11, wo es Paulus um das Verhältnis Juden und Christen, Israel und die Kirche, geht. Das stehe aber für den 17. Sonntag im Hintergrund, spricht Paulus in V 12 doch selbst davon, dass zwischen Heiden und Juden kein Unterschied ist, aber man möge sich davor hüten, vor allem die Verse 14ff negativ auf Israel beziehen zu wollen. Der Text gliedert sich in zwei Teile: Vers 9-13 und 14-17. Mit V 18 fängt durch die Frage ein neues Thema an. Vers 9 knüpft an Vers 8 an, V 14 an 13 durch das Wort „anrufen“. Im zweiten Teil entfaltet Paulus ausgehend von vier Fragen, die eine Kette bilden, wie es zum Glauben kommt: aus dem Hören; im ersten Teil führt er Vers 8 aus, darum werde ich diesen Vers auch einbeziehen; in diesen Versen ist auch die Rechtfertigung aus Glauben (V 10) einbezogen. Gott spricht uns durch sein Wort, Jesus Christus an. Er nimmt uns so in einen schöpferischen Wortwechsel mit ihm hinein, der uns zum guten Gespräch aus Glauben beflügelt: „Wir sind dazu geboren uns im Gespräch einander mitzuteilen.“ (Philipp Melanchthon)Literatur
Wolfgang Borchert, „Draußen vor der Tür“, 1956, S. 43. - Martin Luther, Vorrede auf die Epistel St. Pauli an die Römer (1522), WADB 7,2-26. - Philipp Melanchthon, „Rede über das unentbehrliche Band zwischen den Schulen und dem Predigtamt“ (1543), aus: Melanchthon deutsch, Band 2, Leipzig, 1997, S.17ff.Lieder
„Er weckt mich alle Morgen“ (EG 391) „Such wer da will, ein ander Ziel“ (EG 346, Wochenlied) „Gott hat das erste Wort“ (EG 199)Liebe Gemeinde!
Worte
Worte wirken. Egal, ob es nun geschriebene oder gesprochene Worte sind. Worte wirken. Ein bekanntes und prominentes Beispiel dafür sind die Äußerungen von Tilo Sarazzin. Sein Interview damals in der Zeitschrift Lettre International (LI 86, 197ff), wo er von Kopftuchmädchen sprach, oder seine Worte in den letzten Wochen, auch in seinem Buch, wo er sich mit Intelligenz befasst. Ein anderes Beispiel: Vielleicht haben wir noch das Bild von Terry Jones vor uns, der als Prediger einer kleinen Gemeinde den Koran öffentlich verbrennen wollte. Weltweit haben Menschen reagiert. Worte lösen bei Menschen etwas aus. Worte wirken. Sie können beleidigen und verletzen, aufbauen und heilen, erniedrigen und stärken, Angst machen und Wege für die Zukunft aufzeigen. Viele Worte dringen täglich auf uns ein. Viele Stimmen und Botschaften hören und lesen wir. Dabei erhalten wir mannigfache Informationen, die wir verarbeiten müssen. Viele Botschaften, die Wege zum guten Leben aufzeigen und Hinweise geben, wie man glücklich wird. Auch viele Unheilsbotschaften und schlechte Nachrichten erreichen uns.
Wir Menschen leben in einer Welt der Kommunikation, der Verständigung, des Gesprächs und oft auch des Geschwätzes. Wir leben in einer Welt, in der die Informationen, welcher Qualität auch immer, durch Worte fließen. Worte. Ohne Worte können wir nicht leben. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Er braucht das Wort. Er braucht Ansprache. Wer keine Ansprache bekommt, verkümmert und vereinsamt. Worte prägen und formen. Wie gehen wir mit dem um, was auf uns eindringt? Wie reagieren wir darauf? Auf welche Worte hören wir? Welche Worte kommen uns ganz nah? Welchen Worten vertrauen wir? Vertrauen können wir nicht herstellen, wie man einen Gegenstand konstruiert und baut. Vertrauen entsteht und wächst. Allerdings braucht es ein Klima, dass es entstehen und gedeihen kann. Man merkt es Kindern an, ob sie in einer liebvollen Gesprächsatmosphäre aufwachsen, ob sie entsprechende Zuwendung erfahren, die ihnen Vertrauen ermöglicht. Bei all dem Gewirr an Worten, Botschaften und Informationen frage ich mich immer wieder: Wo ist da das echte Lebenswort, dem ich vertrauen kann? Welches ist das Wort, das mir zeigt, welchen Weg ich gehen soll, das mir Halt gibt, mich nährt und stärkt? Bei all dem Stimmengewirr habe ich manchmal, mit Wolfgang Borchert, das Gefühl: „Gott … deine Stimme ist leise geworden – zu leise für den Donner unserer Zeit. Wir können dich nicht mehr hören“. Viele Stimmen und Worte können einen unruhig machen und verunsichern. Damit ziehen sie Kraft und schwächen das Vertrauen. Auf welches Wort kann ich hören?
Glauben
Da tun die Worte von Paulus gut: „Das Wort ist dir nahe in deinem Herzen und deinem Mund“. Du brauchst nicht lange suchen: Das Lebenswort, das Wort Christi, ist dir und mir nahe – im Gewirr der viele Stimmen und Töne. Es ist das Wort vom Glauben, vom Vertrauen. „So kommt der Glaube aus dem Hören, das Hören aber durch das Wort Christi.“ Da wird mir deutlich: Gott sucht das Gespräch mit mir. Gott kommt dir, Mensch nahe mit seinem Wort. Er redet dich an. Schon bevor du ihn anreden kannst, hat er dich angesprochen. „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen.“ Gott spricht zu uns durch und in Jesus Christus. In Christi Leben und Wirken zeigt er, wie sehr er uns schätzt und annimmt. Diese Ansprache Gottes gebiert in mir den Glauben, wirkt das Vertrauen: Gott lässt dich nicht fallen. Mit Worten von Martin Luther gesprochen: „Aber Glaube ist ein göttliches Werk in uns, das uns umwandelt und neu gebiert aus Gott ….macht uns zu ganz anderen Menschen von Herzen, Mut, Sinn und allen Kräften, und bringt den heiligen Geist mit sich…. Glaube ist eine lebendige, verwegene Zuversicht auf Gottes Gnade“.
Gott überzeugt mich durch seine Liebesbotschaft, die er in Jesus Christus gelebt hat, und ich gebe mich dem hin und nehme dieses Geschenk an. Ich brauche es nur in mir aufnehmen, wie das tägliche Brot. Dass Gott uns Menschen liebevoll anspricht, ist ein Geschenk. Dafür müssen wir nichts tun, keine Vorleistung bringen, uns ausweisen und rechtfertigen, dass wir Gottes würdig sind. Gott spricht uns durch andere Menschen an, die uns von ihm erzählen. Menschen, die ihre Erfahrungen mit Gott weitergeben und ihren Glauben leben. Dazu zählt auch die christliche Tradition, in der wir stehen. Den Glauben habe ich nicht ein für alle mal, sondern mal mehr, mal weniger. Glaube braucht das Gespräch. Dadurch bekommt er Nahrung. So brauche auch ich das Gespräch über Gott, über Zweifel und Zuversicht, brauche die Zusage von anderen. Ein Gespräch mit Gott können auch Fragen und Klagen sein. Es ist ein offenes Gespräch, das mich immer wieder spüren lässt: Gott meint es gut mit mir. Ich kann Gott anrufen, jederzeit. Ich kann mich ihm mitteilen. Ich weiß, er hat Zeit für mich. Er ist fürs Gespräch bereit. Er ist ganz Ohr, er hört zu. „Wer glaubt, hat verstanden, gefühlt, intuitiv erfasst, dass Jesu Wort ein ‚Wort des ewigen Lebens’ ist.“ (Gianni Vattimo). Dieses bleibende Lebenswort, das ich gleich dem Lebensbrot aufnehme, spricht mich an, wie ich bin, nimmt mich an – ich brauche nur darauf vertrauen und das Wort Christi fassen, erfassen.
Hören
„Wir sind dazu geboren, uns im Gespräch einander mitzuteilen“, so schreibt Philipp Melanchthon 1543 und fährt fort: „Weshalb das? Etwa, um nur Liebesgeschichten vorzulesen, auf Gastmählern zu wetteiferen oder um darüber zu reden, wie man mit Verträgen, durch Kauf, Verkauf usw. am besten Geld scheffeln kann? Nein! Die Menschen sollen einander über Gott und die Aufgaben der Ethik unterrichten“. Zum guten Gespräch gehört ein entsprechendes Herz. Gottes Wortwechsel mit uns befördert unsere zwischenmenschliche Gesprächskultur zu einer herzlichen und freundlichen. Das Gespräch zwischen uns Menschen wurzelt für Melanchthon darin, dass Gott ein Gott ist, der spricht: „Groß und bewundernswert ist Gottes Schöpfungswerk, jedoch nicht weniger die Wohltat, dass er sich selbst enthüllte, zu den Menschen kam und sich freundlich mit uns unterhielt…. Doch um vieles heftiger bin ich ergriffen, sooft ich an die Gespräche Gottes mit den Vätern und Propheten denke, an jenen freundlichen Umgang, den Christus mit allem Volk pflegte, an das vom Himmel ausgebreitete Licht des Heiligen Geistes und an die Gespräche, die Christus nach seiner Auferstehung mit vielen Menschen hatte“.
„Mit dem Munde bekennen, so wird man gerettet.“ Mit dem Mund bekennen, was ich glaube, dass mein Reden zeigt: Ich lebe in der Nachfolge Jesu Christi, habe ihn im Herzen – das macht fähig, mit anderen Menschen ins gute Gespräch zu kommen. Miteinander reden, vertrauensvoll, kompromissfähig, aus einem Herzen, das die Verständigung sucht, das bietet die beste Möglichkeit, Konflikte konstruktiv zu lösen. Glaube macht sprachfähig. Er nimmt andere mit ihren Sorgen und Nöten, ihren Fragen und Problemen ernst – er wehrt arrogantem Rechthaben und platter, billiger, hetzerischer Polemik. Der Glaube kommt aus dem Hören. Zuerst spricht Gott. Er stellt den Sprachraum her, in dem wir leben, weben und sind. Glaube heißt dann: Mit Christus und seinen Worten in diesem Sprachraum leben, der auf diese Welt, wie sie ist, wirkt. Hören heißt, diese Worte in unser Herz aufnehmen und sich von ihnen bestimmen lassen. Hören heißt, das Evangelium von der befreienden Liebe Gottes in sich wirken lassen. Solcher Glaube wirkt sich auch im Zusammenleben mit den Mitmenschen aus.
Im Zwischenmenschlichen kann „Hören“ auch bedeuten, auf die – womöglich vorschnellen – eigenen Worte zu verzichten. Wir kennen wohl alle die Erfahrung, wie gut es tut, wenn uns jemand ernsthaft zuhört und sich Zeit dafür nimmt. Das drückt die Wendung „einander Gehör schenken“ aus. Es ist ein Geschenk, wenn jemand ganz Ohr ist für uns. Man fühlt sich ernst genommen. Darum können Menschen, denen man zugehört hat, sagen: „Das hat gut getan. Jetzt, wo ich alles erzählen konnte, fühle ich mich leichter und verstanden. Jetzt kommt mir alles nicht mehr so schwer vor“. Dietrich Bonhoeffer schreibt in seinem kleinen Buch „Gemeinsames Leben“: „Wie die Liebe zu Gott damit beginnt, dass wir sein Wort hören, so ist es der Anfang der Liebe zum Bruder, dass wir lernen, auf ihn zu hören. … Zuhören kann ein größerer Dienst sein als Reden. Viele Menschen suchen ein Ohr, das ihnen zuhört…“ Dass ich Gottes Wort höre, lässt mich meinen Glauben leben als einer, der zuhört – denn im Hören fängt das Gespräch an, mit Gott und den Mitmenschen. Ein echtes Gespräch kommt nur zustande, wenn wir das Gegenüber wirklich hören, zu Wort kommen lassen; wenn wir das, was uns fremd ist, nicht wegreden, sondern hören und im Herzen bewegen. Ob es das Gespräch mit Gott ist, mit unseren Lieben, mit Fremden, der Dialog der Positionen, der Dialog der Religionen, welcher Dialog auch immer: Gott gebe uns ein hörendes Herz.
Amen.