Rettender Glaube

Ermutigung zum Zuhören

Predigttext: Römer 10, 9-17(18)
Kirche / Ort: Hamburg
Datum: 26.09.2010
Kirchenjahr: 17. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pastor Christoph Kühne

Predigttext: Römer 10, (8)9 – 17(18) (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

(8  »Das Wort ist dir nahe, in deinem Munde und in deinem Herzen.« Dies ist das Wort vom Glauben, das wir predigen.) 9 Denn wenn du mit deinem Munde  bekennst, daß Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, daß ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. 10 Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet. 11 Denn die Schrift spricht (Jesaja 28,16): »Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.« 12 Es ist hier kein Unterschied zwischen Juden und Griechen; es ist über alle derselbe Herr, reich für alle, die ihn anrufen. 13 Denn »wer den Namen des Herrn anrufen wird, soll gerettet werden« (Joel 3,5). 14 Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger? 15 Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden? Wie denn geschrieben steht (Jesaja 52,7): »Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die das Gute verkündigen!« 16 Aber nicht alle sind dem Evangelium gehorsam. Denn Jesaja spricht (Jesaja 53,1): »Herr, wer glaubt unserm Predigen?« 17 So  kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi. (18 Ich frage aber: Haben sie es nicht gehört? Doch, es ist ja »in alle Lande ausgegangen ihr Schall und ihr Wort bis an die Enden der Welt« (Psalm 19,5).)

Beim Lesen des Textes

Ich setze etwas vor der Perikope am Kapitelanfang an und erlebe einen gefühlsbeladenen Apostel, der um seine Zuhörer oder Leser ringt. Es geht um alles. Es geht ums Leben. Es geht darum, "gerettet" zu werden. Und diese "Rettung" finden wir weder im Himmel noch in der "Tiefe" sondern im "Wort vom Glauben" (Röm 10,8bß). Dieses Wort der Frohen Botschaft ist, wie die Zitate aus dem Alten Testament belegen, der Welt hinlänglich bekannt gemacht worden. Also haben alle Menschen die Chance, zum Glauben zu kommen. Warum nehmen viele Menschen diese Chance nicht an? Was soll der Apostel sonst noch unternehmen? Er formuliert am Ende noch einmal einen "Lernspruch": "So kommt der Gaube aus der Predigt ..." Zur Liturgie: Glaubensbekenntnis von Dietrich Bonhoeffer (s. EG)

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In einer Fernsehsendung wurde über zum Teil hochverschuldete Menschen berichtet. Sie hatten eine Firma in die Insolvenz getrieben oder sich durch unvorsichtige Geldausgaben pleite gesetzt. In der Sendung kamen mehrere Frauen und Männer zu Wort. Sie berichteten davon, wie sie sich immer mehr von den Menschen zurückgezogen hätten. Es hätte niemanden mehr gegeben, dem sie sich anvertrauen konnten. Eine furchtbare Einsamkeit war die Folge mit Suizidgedanken. Wer kann uns noch retten? Die Insolvenzabwickler sacken das meiste Geld ein. Die Banken geben kein Geld mehr. Die Gläubiger sind allgegenwärtig. Immer besteht die Angst, sie auf der Straße zu treffen. Wer kann uns noch retten? Größte Existenzängste. Ängste vor dem Leben und vor den Menschen.

Die Hilfsangebote aus einer solchen Krise sind vielfältig. Aber es gibt auch viele unseriöse Angebote, auf die man hereinfallen kann. Das Leid des einen ist der Gewinn des andern. In eine solche Situation trifft dieses Wort aus dem Römerbrief in diesen Gottesdienst: Wenn Du von Herzen glaubst und bekennst, dass Gott Jesus Christus von den Toten auferweckt hat, wirst du gerettet. Das schreibt Paulus an die Gemeinde in der Weltstadt Rom. Wie kann uns sein Brief heute helfen, die anstehenden Probleme zu bewältigen? Ich will versuchen, in drei Schritten diese alten Gedanken aus dem Neuen Testament für uns heute aktuell zu machen: Glauben entsteht aus Zuhören – Wer glaubt, wird gerecht und gerettet – Zuhören und Predigen?

Glauben entsteht aus dem Zuhören

Zuhören ist die Grundform der Zärtlichkeit, schreibt der Schweizer Dichter und Pastor Kurt Marti. Es wird viel zu wenig zugehört, klagen Menschen in Seelsorge und Beratung. Niemand kann oder will mehr zuhören. Dabei verändert das Zuhören: den Zuhörenden und den, der sich ausspricht. Ich weiß noch, dass ich in der U-Bahn in Hamburg einen Punk gesehen habe mit schwarzen Struwwelhaaren, Piercings und einem “gewalttätigen” Aussehen. Mein erster Eindruck war: Nichts wie weg! Doch dann ergab sich durch eine simple Frage nach einer U-Bahn-Station ein Gespräch mit ihm – und der erste Eindruck war weg. Ich konnte ihn als Persönlichkeit mit eigenen Merkmalen (wie ich sie auch habe) sehen und anerkennen. Durch Zuhören habe ich gelernt, Menschen anders wahr zu nehmen. Wenn nun Paulus schreibt, dass der Glaube aus dem Zuhören komme, dann mag darin auch eine Ermutigung stecken, das Gespräch mit dem Andern, mit Gott, zu suchen. Dieses Gespräch mit Gott ist das Gebet. Beten als zuhören, was Gott sagt. Die eigene Einstellung ändern können, sodass ich z.B. meinen Punk-Nachbarn menschlicher sehe – und ich mich besser fühle.

Martin Luther übersetzt den Vers vom Zuhören: “So kommt der Glaube aus der Predigt” (Röm 10,17a). Das legt nahe, dass diese Worte, die Sie hören, Auswirkungen auf Ihre Einstellung haben!? Ganz vordergründig hat eine Predigt den Anspruch, einen (geistlichen) Perspektivenwechsel anzustoßen. Was wäre, wenn ich meinen Kollegen / meine Kollegin „sub specie aeternitatis“ ansehe, wenn ich mich fragen lasse: Was würde Jesus in dieser Situation tun? Beten und damit eine neue Perspektive, einen neuen Standpunkt einnehmen. Ora et labora: Beten und neues Handeln. Glauben entsteht aus dem Zuhören, und damit werden wir Gott und den Menschen gerechter.

Wer glaubt, wird gerecht und gerettet

Ein erstes Ergebnis haben wir also schon: Wer zuhört, wird Menschen gerechter. Erinnern wir uns: Zuhören als Grundform der Zärtlichkeit. Erinnern wir uns an Momo von Michael Ende. Momo hatte die Fähigkeit, Menschen allein durch ihr Zuhören zu ändern, sodass es ihnen gut ging. Von Carl Rogers, dem Begründer der Gesprächstherapie, heißt es, dass in seiner Umgebung Menschen aufgeblüht seien. Sie hätten angefangen zu sprechen, sich zu entfalten und wieder einen Sinn in ihrem Leben zu sehen. Und das allein dadurch, dass Carl Rogers “nur” zugehört hat, jedoch in einer Haltung, die es dem Gesprächspartner ermöglichte, sich zu entfalten. Wir haben dies alles schon einmal am eigenen Leibe erlebt, dass wir einem Freund unsre chaotischen Dinge erzählt, sie förmlich vor ihm ausgebreitet haben: Ich weiß nicht mehr aus noch ein! Und durch das Ausbreiten haben die Dinge Konturen bekommen. Auf ein Mal habe ich selbst eine Idee, mein Gegenüber erkennt dies an einem neuen Augen-Blick, an dem Glanz in meinen Augen, in einer neuen Körperspannung: Jetzt weiß ich, was ich machen muss! So kann manche verfahrene Situation “gerettet” werden und damit natürlich auch der Mensch. In unsrer Perikope hält uns unser Seelsorger, Paulus, das Bild des Auferstandenen vor Augen, während wir unser Ach und Weh vor ihm ausbreiten. Das Bild des österlichen Christus als Bild von Aufstehen und Leben wirkt als Vorschuss für unsere Probleme. Christus ist das positive, das gute Zeichen inmitten von Angst und Not, die uns betroffen haben. So können wir uns aufrichten, ins Leben gehen und leben.

Zuhören und predigen

Im griechischen Wort ist beides enthalten: eine neue Haltung, also Glaube, entsteht aus der Predigt, jedoch weniger aus dem, was aus der Kanzel erschallt als vielmehr aus dem, was ich höre, verstehe, mir anverwandle. Hier ist die Aktivität des Hörenden gefragt. Wie höre ich zu? Zwar kann eine Predigt rhetorisch verzaubern – Derartiges habe ich oft auf Kirchentagen erlebt! -, sie kann gut oder schlecht aufgebaut sein, mit Witz und Humor gewürzt oder aber langweilig und wenig ansprechend. Aber ums rechte Hören kommt kein Gottesdienstbesucher herum. Also müssten Euch unsre Predigten anregen, aktivieren, begeistern und auch nachdenklich machen oder auch ärgern, aufrütteln. Das Wort Christi will, dass wir in diesem Leben schon aufstehen zu sinnvollem Handeln in dieser Welt. Paulus zitiert Jesaja: “Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden” (Jes 28,16). Ja, er wird “gerettet”.

Wenden wir unseren Blick wieder an den Anfang und sehen die Menschen vor uns, die, schuldhaft oder nicht, an den Rand der Existenz  geraten sind – mit der Alternative, „zuschanden“ zu werden und sich umzubringen oder gerettet zu werden und zum Leben finden. Solche Menschen begegnen uns auch in Altenheimen oder einfach im normalen Leben. Was tun? Paulus ermutigt uns zum Zuhören als Grundform der Zärtlichkeit. So können sich Menschen endlich aufschließen, sich öffnen und die Chance erhalten, das eigene Leben zu sortieren und kreativ neu zu ordnen. Als Zuhörer ermutigt Paulus, das Bild des auferstandenen Christus in uns zu tragen, der lebt – auch über den Tod hinaus – und vielen Menschen wieder ins Leben geholfen hat. Schließlich ermutigt uns Paulus, selber wieder zu hören und im Gebet sich vor Ihm zu klären, Gott. Dieser Glaube, so sagt es unser Wochenspruch, ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.

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Ein Kommentar zu “Rettender Glaube

  1. Pastor iR Heinz Rußmann

    Mit aktuellen Beispielen von Existenzangst heute, lebendig und kreativ, kommt diese Predigt auf den Hörer zu und nimmt ihn mit. Durch schöne Formulierungen wie: “Zuhören ist eine Grundform der Zärtlichkeit” wird das Thema des Predigttextes für uns verständlich. Zuhören heilt auch einen Punker und nach Momo und Carl Rogers andere Mitmenschen. Beim Zuhören auf Christi Wort aber können wir schon jetzt aufstehen zu sinnvollem Handeln. Paulus ermutigt, das Bild des auferstandenen Christus in uns zu tragen. Christus kann die zu Beginn beschriebenen Existenzängste und andere überwinden. Als Zuhörer werde ich nicht nur empathisch mitgenommen, sondern in Existenzängsten getröstst.

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