Wo kommt der Glaube her?

Es ist uns fast schon ein ungewohnter Gedanke, dass Jesus uns auch dazu ruft, darüber zu reden, was wir tun, und nicht nur zu handeln – nicht nur die Tat der Liebe, sondern auch das Wort der Liebe ist gefragt

Predigttext: Römer 10,9-18
Kirche / Ort: Evangellische Kirche / Pfeddersheim (67549 Worms)
Datum: 26.09.2010
Kirchenjahr: 17. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrerin Dorothea Zager

Predigttext : Römer 10,9-18 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

[9] Denn wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. [10] Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet. [11] Denn die Schrift spricht (Jesaja 28,16): »Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.« [12] Es ist hier kein Unterschied zwischen Juden und Griechen; es ist über alle derselbe Herr, reich für alle, die ihn anrufen. [13] Denn »wer den Namen des Herrn anrufen wird, soll gerettet werden« (Joel 3,5). [14] Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger? [15] Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden? Wie denn geschrieben steht (Jesaja 52,7): »Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die das Gute verkündigen!« [16] Aber nicht alle sind dem Evangelium gehorsam. Denn Jesaja spricht (Jesaja 53,1): »Herr, wer glaubt unserm Predigen?« [17] So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi. [18] Ich frage aber: Haben sie es nicht gehört? Doch, es ist ja »in alle Lande ausgegangen ihr Schall und ihr Wort bis an die Enden der Welt« (Psalm 19,5).

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Liebe Gemeinde!

Der Glaube ist ein Geschenk

Unser Glaube ist ein Geschenk. Unabhängig von unserem Erfolg oder unserem Versagen wird er uns geschenkt. Unabhängig davon, wie sehr wir uns darum mühen oder vielleicht sogar dagegen sträuben, wird er wie ein Same in unser Herz gelegt und wächst und wird groß wie ein Baum. Glaube ist ein Geschenk Gottes.

Für Martin Luther war es eine große Befreiung, als er entdeckte, dass man sich nicht abkämpfen und abquälen muss, um von Gott geliebt zu werden – im Gegenteil: Offene Hände will Gott, offene Hände, die er beschenken kann. Die Frage, wie man einen gnädigen Gott bekommen kann, war für Martin Luther eine grausame und immer wieder vergebliche Anstrengung, bis er entdeckte, das es reicht, allein auf den Gekreuzigten zu schauen und zu erkennen: Da liegt das Heil der Welt. „Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“ (Röm 8,32)  Wenn der Glaube also ein Geschenk ist, unverfügbar und eigentlich auch nicht bezahlbar durch gute Werke oder große Anstrengungen, dann bedeutet das auch: Es gibt keine Norm, die festlegen könnte, wann der Glaube beginnt und in welcher Weise er sich zu äußern habe. Denken Sie an den Notschrei „Ich glaube – hilf meinem Unglauben!“ (Markus 9,24), mit dem der Vater eines kranken Kindes sich in seiner Ausweglosigkeit und Verzweiflung vorbehaltlos Jesus anvertraut, er beschreibt beispielhaft, worin Glaube besteht. Der Vater überlässt sein Leben ganz Jesus. Er verschließt dabei nicht die Augen vor der Wirklichkeit, vielmehr benennt er seine Hilflosigkeit wie seine Zweifel, er schreit seine körperliche und seelische Zerbrechlichkeit einfach heraus. Er traut Jesus zu, dass sein Wort hebt und trägt. Und er wird nicht enttäuscht. Genau das ist es, was Paulus im ersten Vers unseres Predigttextes meint: „Denn wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet.“

Der Glaube wird durch die Predigt vermittelt

Nun ja, denken Sie – mag ja alles richtig sein. Wo kommt er nun her, der Glaube? Wie kommt man da dran, an dieses Geschenk. Kann das sein, dass der eine Glaube geschenkt bekommt und der andere eben nicht? Wo kommt der Glaube her? Ja, wo kommt Ihr Glaube her? Erinnern Sie sich doch einmal, liebe Gemeindeglieder, wo Ihr Glaube hergekommen ist. Mancher ist schon als Baby damit aufgewachsen. Kein Abend verging, ohne dass die Eltern am Bett gesungen und gebetet haben: „Müde bin ich geh zur Ruh, schließe meine Äuglein zu … lass an Deinem ewgen Heil uns im Himmel haben teil“. Geborgenheit schenkten diese Worte, Sicherheit und das Gefühl: Da ist noch ein größerer, ein stärkerer über den Eltern, der Vater im Himmel, der uns alle beschützt. Der andere sieht sich im Rückblick im Kindergottesdienst sitzen und sein erstes Gebet mitsprechen, das die Helferin ihm beigebracht hat: „Wo ich gehe, wo ich stehe, ist mein lieber Gott bei mir. Wenn ich ihn auch niemals sehe, weiß ich doch, er ist bei mir“. Er erinnert sich an die Geschichten vom guten Hirten und von Jakob mit der Himmelsleiter – und will sie auch heute nicht missen: diese Stunde der Einkehr und der Kraft, die er im Gottesdienst findet. Für viele war die Konfirmandenzeit entscheidend oder auch der Religionsunterricht – die Stunden im Unterricht, erste Erkenntnisse, wie das alles zusammenhängt und gedacht ist mit dem Glauben und der Kirche und dem Leben als Christ in der Welt, die Gespräche mit dem Pfarrer oder dem Religionslehrer, die Einsegnung und der Konfirmationsspruch, z.B. : „Sei getreu bis in den Tod, dann werde ich dir die Krone des Lebens geben“. Viele werden sich daran erinnern, dass andere Menschen ihnen von ihrem Glauben erzählten: die Großmutter oder die Eltern, die Patentante oder sogar ein großes Geschwisterkind. Schlag dem Baum nicht die Blätter ab, Kind. Es tut dem Baum weh. Er ist auch ein Geschöpf Gottes, höre ich meine Mutter sagen. Oder: Gott wartet auf Dich, wenn die Glocken läuten. Willst Du, dass er Deinen Platz in der Kirche leer findet? Manch einer kam auch erst als Erwachsener zum Glauben. Ich selbst gehöre nicht dazu, aber ich höre es doch immer wieder mit Staunen, dass Menschen, die von Jesus bisher völlig unbeeindruckt waren, auf einmal von ihm ergriffen wurden: durch eine Predigt bei der Zeltmission, ein Gespräch mit christlichen Freunden, das Lesen eines Buches. Wie ein Geschenk des Himmels erfüllte Glaube ihr Herz.

Es ist das Wort, aus dem der Glaube spricht. Das erzählte, gesprochene, geschriebene Wort. Wie anders sollen wir sonst von Gott erfahren? Worte haben uns vom Glauben erzählt. Worte haben uns zum Nachdenken gebracht. Und Worte haben uns letztendlich auch überzeugt. Paulus schreibt: Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger? Paulus hat Recht: Der Glaube wird zunächst einmal vermittelt durch die Predigt. Das Wort Christi, das wir Prediger versuchen in menschliche und verständlicher Sprache zu Ihnen zu reden. Hin und wieder höre ich bei Hausbesuchen: „Wissen Sie, Frau Pfarrer, ich bin kein Kirchgänger – aber ich habe schon meinen Glauben!“ Ich nehme das Anliegen der Beteuerung zwar ernst, ich bestreite auch die darin liegende Religiosität nicht. Aber ich frage ich mich schon, ob die Formulierung nicht bereits verrät, dass es sich bei diesem Glauben in der Tat um „Selbstgestricktes“ handelt, eine Frömmigkeit, gewachsen aus Resten alten Kinderglaubens, aus Katechismuswissen aus dem Konfirmandenunterricht, ein bisschen Mystik und Begeisterung für die Natur. Dann weise ich gern daraufhin, wie wichtig doch auch im Berufsleben die Fort- und Weiterbildung sei. Da könne man auch nicht bei dem in der Lehrzeit Gelerntem stehen bleiben. So sei es auch mit dem Glauben. Wir benötigen immer wieder das Hören auf Gottes Wort. Oder in einer Ehe. Sie lebt doch auch von dem Gespräch, lebt von dem einander zuhören, miteinander reden, ja streiten, sich auseinandersetzen und wieder versöhnen, Probleme erkennen und beim Namen nennen und dann gemeinsam nach Lösungen suchen. In einer guten Ehe lässt sich einer auf den anderen ein, hört zwischen den Zeilen, weiß sie zu deuten. Ohne Worte stirbt eine Ehe. Genauso ist es auch mit dem Glauben. Auch er bedarf der Ansprache, der Ermahnung, des Austausches. Darum ist die Kirche als Ort des Hörens so wichtig. Und die Predigt, die ist und bleibt im evangelischen Gottesdienst der Mittelpunkt. Nur wenn gut gepredigt wird, wird uns unser Glaube auch wieder Herzenssache. Und ich glaube, dass brauche ich Ihnen nicht zu erzählen, wie eine Predigt sein soll, wie Sie sich als Hörende eine Predigt wünschen, damit sie zu Herzen geht: lebendig und gut verständlich, mit deutlichem und klaren Bezug auf die frohe Botschaft von der Liebe Gottes, zugleich aber auch mit einem gut verständlichen Bezug auf unser tägliches Leben. – Ob uns Predigern das immer so gelingt, bezweifle ich. Es ist ja auch nicht ganz einfach. Aber zumindest bemühen wir uns darum und Ihre Rückmeldungen sind uns dabei auch immer eine große Hilfe. Viel wichtiger ist aber doch noch etwas ganz anderes!

Der Glaube wird nicht nur durch die Predigt vermittelt

Ich bin mir nämlich ganz sicher, liebe Gemeinde, dass der Glaube nicht nur durch die Predigt vermittelt wird! Das sieht Paulus hier wohl ein bisschen einseitig, wenn er behauptet, Glaube entstünde nur durch die Predigt der vielen Missionare, die in alle Lande ausgegangen sind und ihr Schall und ihr Wort bis an die Enden der Welt. Sind nicht auch all die Großmütter Missionare, die ihren Enkelkindern die Geschichten und Gleichnisse Jesu erzählen? All die Eltern, die mit ihren Kindern das Tischgebet sprechen oder das Abendlied singen? Sind nicht all die Religionslehrer und Jugendhelfer Missionare, die in ihren Gruppen und Kreisen Jugendliche für den Glauben zu gewinnen suchen? All die Kindergottesdiensthelfer, die Sonntag für Sonntag singen, tanzen, erzählen, malen und spielen, damit die Kinder – also die Kirche der Zukunft – Jesus liebgewinnen? Ist nicht jeder ein Missionar, der von seinem Glauben spricht und versucht, andere davon zu überzeugen, wie wertvoll und erfüllend es ist, zu glauben?

Ja, liebe Gemeinde, es ist uns fast schon ein ungewohnter Gedanke, dass Jesus uns auch dazu ruft, zu reden und nicht nur zu handeln. Wie oft hören wir von den Kanzeln: Ihr sollt nicht nur hören und nicht nur reden, sondern Liebe üben. Nur dann ist Euer Glaube glaubwürdig. Nicht die, die „Herr! Herr!“ sagen, werden in den Himmel kommen, sondern die, die den Willen unseres Vaters im Himmel tun. Ja, das sind wir gewöhnt, von unseren Kanzeln zu hören – Sie kennen das auch von mir: die ständige Mahnung, die ständige Bitte: Lebt Euren Glauben in Eurem Leben. Verzeiht Euch, liebt Euch, teilt Eure Gaben, nehmt Fremde freundlich auf. Heute sage ich Ihnen: Es ist noch mehr, was Gott von uns erwartet. Nicht nur die Tat der Liebe, sondern auch das Wort der Liebe. Dass wir auch darüber reden, was wir tun. Warum gehen wir zu Kirche? Weil uns die Stille und die Nähe Gottes gut tut. Warum schonen wir die Natur? Weil sie Gottes Schöpfung ist. Warum geben wird dem Fremden ein Zuhause? Dem Hungrigen zu Essen? Dem Durstigen zu Trinken? Und dem Nackten Kleidung? Weil wir in jedem Nächsten Jesus sehen, dem wir mit unserer Liebe Gutes tun. Jeder von uns, liebe Gemeinde, ist ein kleiner, manchmal sogar ein großer Missionar. Ja, manchmal ist es sogar leichter, in der Stille Liebe zu üben, als deutlich und unmissverständlich von Gottes Liebe und von Gottes Anspruch zu reden. Weil man sich damit natürlich auch der Kritik und dem Spott aussetzt. Aber – wie sagt Paulus?: Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger? Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden? Liebe Mitchristen, dieser Ruf gilt uns allen. Mir und Ihnen. Dass wir mit unseren Taten und mit unseren Worten die frohe Botschaft von Jesus Christus in die Welt tragen. Beides ist nicht leicht: Liebe üben und darüber reden. Aber gerade dann, wenn es uns schwer fällt, konsequent zu lieben; wenn es uns schwer fällt, uns zu unserer Liebe zu Gott zu bekennen, gerade dann ist Jesus ganz dicht an unserer Seite. Er hilft uns, das richtige zu tun und das richtige zu sagen. Und er trägt uns, wenn wir damit nicht immer auf Beifall stoßen. Er selbst hat es uns gesagt: Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen leiden; denn ihrer ist das Himmelreich.

Amen.

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