„Wo tu ich den Glauben hin?“
Es ist immer wieder eine Überraschung, wie alle entscheidenden Lebenswendungen durch das Ohr gehen
Predigttext: Römer 10,8-17 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Was sagt sie (die Gerechtigkeit aus dem Glauben)? „Das Wort ist dir nahe, in deinem Munde und in deinem Herzen.“ Dies ist das Wort vom Glauben, das wir predigen. Denn wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet. Denn die Schrift spricht (Jesaja 28,16): „Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.“ Es ist hier kein Unterschied zwischen Juden und Griechen; es ist über alle derselbe Herr, reich für alle, die ihn anrufen. Denn „wer den Namen des Herrn anrufen wird, soll gerettet werden“ (Joel 3,5). Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger? Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden? Wie denn geschrieben steht (Jesaja 52,7): „Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die das Gute verkündigen!“ Aber nicht alle sind dem Evangelium gehorsam. Denn Jesaja spricht (Jesaja 53,1): „Herr, wer glaubt unserm Predigen?“ So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi.Drei Stellen und eine brisante Frage
„Vielleicht können Sie mir helfen: Wo tu ich den Glauben hin?“ Ich muss wohl ein wenig verdutzt ausgesehen haben. Wie, wo tu ich den Glauben hin? Aber so recht erklären konnte mein Gegenüber auch nicht, was er eigentlich wollte. Irgendwann merkte ich, dass er nach einer Stelle in seinem Leben suchte, wo der Glauben so richtig hingehört. Dann entpuppte sich ein interessantes Gespräch: Gehört der Glaube ins Herz? Also in mein Innerstes? So abwegig ist das ja nicht – Glauben als Herzenssache. Als zweiter Favorit schlich sich dann der Mund ins Gespräch. Er forme doch die Worte, er sagt, was ich denke, fühle – oder auch erleide. Der Glaube ist doch so gut wie sein Bekenntnis, oder? Schließlich meinte mein Gegenüber: Nein, eigentlich sei es die Hand, die den Glauben in sich trage. Sie packe an, sie tue etwas. Und fein lächelnd: Sie könne auch in den Schoß gelegt werden. Eine spannende, überraschende Frage: „Vielleicht können Sie mir helfen: Wo tu ich den Glauben hin?“
Das Geheimnis des Ohrs
Alles möglich kann ich irgendwo hintun: Das Buch ins Regal, die Wurst in den Kühlschrank, selbst einen Streit ins Gedächtnis. Aber den Glauben? Aber Halt! Erst mal muss ich den Glauben doch bekommen – bevor ich ihn – irgendwo – hintue? Er ist doch nicht käuflich wie Buch und Wurst. Er ist auch nicht auszuleihen. Er liegt nicht einmal irgendwo herum. Auch nicht in meinem Herzen, nicht in meinem Mund, nicht in meiner Hand. Die einfachste Lösung wäre tatsächlich, ich könnte mich immer damit zufrieden geben, was in meinem Herzen ist, was ich sagen, was ich mit meinen Händen gestalten kann.
Gelernt habe ich viel, erfahren auch. Kaum möglich, das alles zu inventarisieren, zu beschreiben, mit anderen Menschen zu teilen. Nur: Glauben ist mehr: Vom Wortsinn her ist gemeint, ein Vertrauen zu haben – und zu wissen, worauf man bauen, ja, sein Leben setzen kann. Es liegt etwas Festes, etwas Verlässliches in diesem Wort. Oder einfach nur – Treue. Unmerklich kommt jetzt ein kleines Organ ins Spiel, dass in höchsten Tönen gelobt werden kann, dass die größten Erwartungen hegt und – befriedigt. Hier nur ein paar Redewendungen: „über beide Ohren verliebt sein, jemandem sein Ohr leihen, sich etwas hinter die Ohren schreiben, es faustdick hinter den Ohren haben, jemandem einen Floh ins Ohr setzen etc.“ Es ist das Ohr, dass Vertrauen einlässt. Eine Stimme, ein vertrauter Laut, ein zärtlicher Luftzug. Eine Melodie, ein höchster Ton. Der Kopf klingt. Das Herz klingt. Sogar der Atem kann stocken. Die Augen leuchten. Mehr noch: Im Ohr ist mein Gleichgewicht festgemacht. Dass ich geradeaus gehen, auf beiden Beinen stehen kann – ruht in meinem Ohr. Morgens stehe ich auf, abends lege ich mich hin. Weder der Boden noch das Bett schwanken. Jeden Tag schenkt mir das Ohr Grundvertrauen – in eine Welt, die sich dreht, die immer in Bewegung ist, die Höhen und Tiefen ausmisst. Menschen, die von Schwindel erfasst werden, wissen um das Geheimnis des Ohrs. Jetzt ist es heraus: Der Glaube kommt aus dem Ohr!
Er-hörter Glaube
Nein, gewagt ist dies nicht. In seinem Brief an die Gemeinde in Rom schreibt Paulus:
(Lesung des Predigttextes).
Dieser Abschnitt umspielt das Wort „hören“. Vom ersten Wort an – bis zum letzten: Höhepunkt ist, dass der Glaube aus dem Wort Christi kommt, vermittelt, übermittelt durch die Predigt. Sprich: durch ein lebendiges Wort. Durch das Wort eines Menschen. Diese Einsicht bewahrt uns auch davor, mit Predigt nur die Rede zu meinen, die ein ordentlich ausgebildeter und berufener Mensch auf der Kanzel hält. Womöglich auch noch von „oben“ herab. Predigt ist: Zusage. Der besondere Reiz dieses Wort zeigt sich, wenn es auseinander geschrieben wird: Zu-sage. Das Wort, das hilft, tröstet, mitreißt – kannst du dir nicht selber sagen, hat ein kluger Mensch einmal gesagt. Denn das Wort gibt es nicht allein, leer schon mal gar nicht – es gibt das Wort immer nur mit einem Gesicht, einer Stimme, einem Namen. Ich sehe ein Wort vor mir oder bin selbst Wort mit Leben. Paulus hat das griffig formuliert: Der Glaube kommt aus der Predigt, das Predigen – ein höchst dynamischer Vorgang – aber durch das Wort Christi. Ohne Umschweife: Das Wort Christi wächst sich zum Glauben aus. Dass es mit menschlichen Worten geschieht, ist ein Geschenk. Die Worte haben einen Mund, Augen, Hände. Sie bewegen sich. Lachen wie ein Gesicht. Spitzen zu wie Lippen. Formen wie Hände.
Eine Oma erzählt ihrem Enkelkind eine biblische Geschichte. Die beiden sitzen eng aneinander gekuschelt auf dem Sofa. Irgendwann erzählt Oma „von früher“. Mit großen Ohren hört das Enkelkind zu. Will die Geschichte immer wieder hören. Das große Vertrauen kommt aus einem kleinen Glück. – Ein Kollege erzählt, gegenüber am Schreibtisch, dass sich seine Frau von ihm trennen will. Er kann kaum noch klar denken. Arbeiten schon gar nicht. Die Angst macht seine Stimme klein. Alles Mögliche rast ihm durch den Kopf. Aber viel sagen kann er nicht. Er braucht jetzt einen Menschen, der ihm zuhört. Der schweigen kann. Der versteht. Es ist ein kleines Wunder, wenn auch ohne viele Worte ganz viel gesagt, ganz viel gehört wird. – Ein Mann wird beerdigt. Viele Jahre war er in einem großen Entwicklungsprojekt in Tansania. Chef einer Großbaustelle. Dann lief sein Vertrag aus. Er übernahm eine leitende Position in einem großen Bauunternehmen bei uns. Aber er kam nicht mehr zurecht. Mit sich nicht, auch mit seiner neuen Rolle nicht. Eines Morgens wirft er sich vor den Zug. Auf dem Friedhof läuft sein Zwölfjähriger, panisch und voller Angst weg. Der Pfarrer versucht Worte zu finden. Eine „schöne“ Beerdigung wird es nicht werden. Aber beim Beerdigungskaffee nimmt ein Onkel den Jungen in den Arm, lässt ihn ausweinen, hört ihm zu.
Paulus hat gefragt: Wie sollen sie … Immer wieder: Wie sollen sie „anrufen“, „glauben“, „hören“, „predigen“ – und dann das Wort aus dem Propheten Jesaja: „Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die das Gute verkündigen (Jes. 53,1).“ Jesaja hat mehr gesagt. Israel ist in der Verbannung. Klein geworden. Zusammengestaucht. Aber Gott kann das einmal gegebene Wort nicht zurücknehmen, nicht brechen, nicht unter Vorbehalt stellen. Darum machen sich Freudenboten auf den Weg – und verkündigen das Gute. Zukunft. Einen neuen Anfang.
Es ist immer wieder eine Überraschung, wie alle entscheidenden Lebenswendungen durch das Ohr gehen. Worte, die verletzen, drücken einen Menschen nach unten, Worte, die aufbauen, richten einen Menschen auf. Worte können töten, Worte können aber auch den Himmel aufschließen. Freudenboten sind übrigens: Evangelisten. Leute, die eine gute Botschaft ausrichten. In fremdem Namen, in Gottes Namen, aber mit eigenem Gesicht! Und mit eigenen Worten! Im Mittelalter gab es darüber einmal einen richtig großen Streit. Er ist in die Geschichte eingegangen als „Verbot der Laienpredigt“. Aber: es ging gar nicht um eine Predigt in unserem landläufigen Sinn, sondern darum, ob Leute sich untereinander Gottes Wort sagen dürfen, die Hl. Schrift lesen, sich ihre eigenen Gedanken machen – die Kirche bestand darauf, dass ein Priester dabei sein müsste. Das Auslegungsmonopol sollte unbedingt erhalten bleiben. Man ging soweit, sogar Bibelübersetzungen zu verbieten. Denn wer lesen kann, könnte kritische Fragen stellen – Monopole haben das noch nie gemocht. Als Paulus aber das Wort „Predigen“ wählte, hatte er das ganz alte Verständnis im Kopf, dass ein Mensch dem anderen zum Freudenboten wird – und dass die Quellen sprudeln: Das Wort Christi.
Herz und Mund
Christi Wort wird mir ins Ohr gelegt. Unter den vielen Stimmen, die um mich buhlen, die mich betören, die mich verunsichern, höre ich ihn heraus. Christi Wort hat einen eigenen Klang. Und eine wunderbare Kraft. Paulus schreibt: >>Denn wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet. Denn die Schrift spricht (Jesaja 28,16): „Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.“<< – Was mit dem Ohr anfängt, verwandelt einen Menschen, verwandelt mich ganz und gar. Ich höre mich sagen: Jesus ist der Herr. Das ist das älteste Bekenntnis überhaupt. Den vielen Herren dieser Welt zum Trotz. Er hat auch mein Herz erobert. Der, der den Tod überwunden hat, gibt meinem Leben Zukunft. Er birgt in seiner Liebe meine Verwundungen und Enttäuschungen. Er birgt in seiner Liebe auch die Menschen, die ich längst abgeschrieben habe. Und er schenkt mir einen Glauben, der – so heißt es im Evangelium – Berge versetzt. Der das Unmögliche wagt: dem Hass, der Resignation, der Angst Paroli zu bieten. Widerworte voller Leben. Ich habe nur mein – Ohr! Ich brauche nur mein – Ohr! Jochen Klepper konnte sich in einer für ihn bitteren und harten Zeit an einem aufgeweckten Ohr freuen – und sein ganzes Vertrauen hinein legen:
Er weckt mich alle Morgen, / er weckt mir selbst das Ohr.
Gott hält sich nicht verborgen, / führt mir den Tag empor,
dass ich mit seinem Worte / begrüß das neue Licht.
Schon an der Dämmrung Pforte / ist er mir nah und spricht.
Jetzt weiß ich, wo mich der Glaube hin tut!
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.