Erntedank
Empfangen und geben
Predigttext: 2 Korinther 9,6-15 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1994; Erweiterung um Vers 5 aus inhaltlich-homiletischen Gründen)
5 So habe ich es nun für nötig angesehen, die Brüder zu ermahnen, daß sie voranzögen zu euch, um die von euch angekündigte Segensgabe vorher fertigzumachen, so daß sie bereitliegt als eine Gabe des Segens und nicht des Geizes. 6 Ich meine aber dies: Wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten; und wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen. 7 Ein jeder, wie er's sich im Herzen vorgenommen hat, nicht mit Unwillen oder aus Zwang; denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. 8 Gott aber kann machen, dass alle Gnade unter euch reichlich sei, damit ihr in allen Dingen allezeit volle Genüge habt und noch reich seid zu jedem guten Werk; 9 wie geschrieben steht (Psalm 112,9): »Er hat ausgestreut und den Armen gegeben; seine Gerechtigkeit bleibt in Ewigkeit.« 10 Der aber Samen gibt dem Sämann und Brot zur Speise, der wird auch euch Samen geben und ihn mehren und wachsen lassen die Früchte eurer Gerechtigkeit. 11 So werdet ihr reich sein in allen Dingen, zu geben in aller Einfalt, die durch uns wirkt Danksagung an Gott. 12 Denn der Dienst dieser Sammlung hilft nicht allein dem Mangel der Heiligen ab, sondern wirkt auch überschwenglich darin, dass viele Gott danken. 13 Denn für diesen treuen Dienst preisen sie Gott über eurem Gehorsam im Bekenntnis zum Evangelium Christi und über der Einfalt eurer Gemeinschaft mit ihnen und allen. 14 Und in ihrem Gebet für euch sehnen sie sich nach euch wegen der überschwenglichen Gnade Gottes bei euch. 15 Gott aber sei Dank für seine unaussprechliche Gabe!Exegetische und homiletische Anmerkungen
Im Vordergrund der Predigt steht das Thema Erntedank und der „Segen des Gebens“. Da der agrarische Kontext in vielen Gemeinden, vor allem im Stadtbereich, eher ferngerückt ist, wird „Erntedank“ aufgefaltet vom Dank für die reiche Ernte in diesem Jahr in der Natur, auf den Feldern und in den Gärten, hin zum Dank für alles Gute, das wir als Menschen in unserem Leben von Gott empfangen haben. Nach der Entfaltung des „Segens des Empfangens“ wird - motiviert und gelenkt durch den Predigttext - der Blick der PredigthörerInnen auf den „Segen des Gebens“ gerichtet, denn „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.“ (2 Kor 9,7). Auch wenn im Predigttext aus dem 2. Korintherbief die Geldsammlung für die Jerusalemer Urgemeinde im Vordergrund des Gedankens des Teilens steht, möchte ich in der Predigt den Gedanken des Teilens so aufweiten, dass es nicht nur um Geld geht. Vielmehr wird in der Predigt am Beispiel der knappen Ressource „Zeit“ der Segen des Gebens illustriert durch Beispiele für „Zeitspenden“. Wir fragen, wie ein solches „Säen im Segen“ (2 Kor 9,6) aussehen kann. Erkenntnisleitend ist dabei die paradoxe Erfahrung, dass wir reicher werden durch das, was wir teilen und hergeben, auch wenn es für uns ein knappes Gut ist.Lesung
Matthäus 6,25-34 „Sorgt nicht um euer Leben“Lieder
„Danke für diesen guten Morgen“ (EG 334,1-6) „Die Vögel unterm Himmel“ (EG 661, Regionalteil Baden, Elsass und Lothringen, Pfalz – passend zur Schriftlesung) „Ich singe dir mit Herz und Mund“ (EG 324, Wochenlied) „Wir pflügen und wir streuen“ (EG 508)Liebe Gemeinde!
„Erntedank“ – im Kirchenjahr die immer wiederkehrende Erinnerung an den Segen des Empfangens; die jährliche Aufforderung zum Dank für Erhaltenes; die Bewusstmachung dessen, was uns an Gutem in die Hände gegeben ist. Erntedank – ein willkommener Anlass, darüber nachzudenken, was wir alles ernten durften, z.B. auf unseren Feldern und in unseren Gärten. Der reich geschmückte Altarraum gibt uns einen Eindruck davon, wie reich die Ernte in der Natur bei uns wieder war in diesem Jahr. Aber darüber hinaus gibt uns das Erntedankfest Anlass, uns all das zu vergegenwärtigen, was wir an Gutem ernten und empfangen dürfen in unserem Leben. Was könnten wir, sie und ich, heute symbolisch dazulegen an den Altar? Wofür sind sie ganz besonders dankbar in diesem Jahr? Welche guten Gaben habe ich, haben sie empfangen? Wie sieht unser „Erntedank“ aus?
Empfangen
Stellen sie sich vor, vor ihnen würden Stift und Zettel liegen und sie sollten aufschreiben, was ihnen einfällt als Antwort zu der Frage: „Wofür bin ich dankbar?“ Was würden sie aufschreiben? Vielleicht würden sie schreiben: „Mir geht es gut, dafür bin ich dankbar“. Oder: „Ich habe mein finanzielles Auskommen, dafür bin ich dankbar“. Oder: „Ich bin glücklich, in meinem Alter noch meinen klaren Verstand zu haben und am Leben teilhaben zu können, dafür bin ich dankbar“. Vielleicht haben sie in ihrem privaten Leben in diesem Jahr etwas besonders Freudiges erlebt, einen runden Geburtstag, eine Urlaubsreise, die Geburt eines Kindes. Es gibt so vieles, was wir dankbar empfangen dürfen, manchmal nur Kleinigkeiten, die unser Leben hell machen: ein Spaziergang in der Herbstsonne, ein Brief von einem lieben Menschen, Musik im Radio – Anlass, um Gott dafür zu danken. Vielleicht können sie Gott danken und sagen: „Ich freue mich, dass es meiner Familie gut geht“. Bei anderen gibt es beruflich eine gute Entwicklung, die ihnen Zufriedenheit beschert… Wenn wir nachdenken, fällt uns vermutlich allen etwas ein, für das wir dankbar sein können inmitten anderer Dinge, die uns Sorgen machen.
Die Dankbarkeit des Herzens kann den Blick weiten zu den positiven Gesichtspunkten des Lebens. Dieser von der Dankbarkeit geweitete Blick lohnt sich! Er hilft uns, das Gute in unserem Leben nicht selbstverständlich zu nehmen, sondern es bewusst wahrzunehmen und dankbar anzunehmen. Erntedank – Dank für das Gute im Leben, Dank für die Fülle an Gutem, die uns umgibt, die unser Herz erfreut. Erntedank – Dank für den Segen des Empfangens, Dank für die guten Gaben Gottes.
Geben
Unser Predigttext aus dem zweiten Korintherbrief hat nicht etwa (nur) diesen Dank für den Segen des Empfangens zum Thema, sondern er hat (auch) den Segen des Gebens zum Thema. Nicht nur auf dem dankbaren Empfangen liegt Segen, schreibt Paulus, sondern auch auf dem freudigen Geben. Wer dankbar ist für das, was er empfängt, der ist auch leichter und freudiger bereit zu geben. Wer mit Dank nimmt, der kann auch mit Freude geben, der gibt nicht unwillig oder aus Zwang, sondern bereitwillig und gerne. Dieses freudige Geben ist Gott wohlgefällig. „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb“, heißt es im Predigt. Also nicht nur einen dankbaren Empfänger seiner Segensgaben hat Gott lieb, sondern auch einen fröhlichen Geber. Jeder Mensch ist Gott wohlgefällig, der das Gute, das er empfangen hat, bereit ist, mit andern zu teilen.
„Tue Gutes und teile mit anderen!“ – eigentlich ein selbstverständlicher Satz, aber zugleich für viele Menschen unendlich schwer in der Umsetzung. Viele haben ständig das Gefühl, im Leben zu kurz gekommen zu sein, ungerecht behandelt zu werden; viele fühlen sich gegenüber anderen zurückgesetzt. Ein verbitterter, frustrierter Mensch gibt nicht gerne –warum soll ich anderen entgegenkommen, die geben mir ja auch nichts. Aber was für ein Leben ist das, wenn jemand nichts für andere übrig hat, sich nicht für andere Menschen interessiert, alles nur mit sich abmacht, alles, was er hat, nur für sich behalten will und mit niemandem teilt? Ein solcher wird auch wenig oder nichts empfangen. So wie es im Predigttext heißt: „Wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten“. Dagegen macht zufrieden, was Paulus im Predigttext mit den Worten umschreibt: „… wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen“. „Säen im Segen“, gerne teilen, fröhlich geben – wie kann das aussehen in unserem Leben? Es geht keineswegs immer nur um Geld. Es gibt außer Geld noch so viel Anderes, was wir geben und teilen können. Wir können z.B. etwas von unserer knappen Ressource „Zeit“ für andere Menschen einsetzen, ihnen schenken. Eine „Zeitspende“ kann ein Gespräch mit jemandem sein, der ein Ohr zum Zuhören braucht, Zeit mit Menschen verbringen, die mir nahe stehen. Auch hier gilt: „Wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten; und wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen. … denn einen fröhlichen Gebet hat Gott lieb“.
Empfangen und geben
So könnten wir jetzt in Gedanken noch eine zweite Liste schreiben und neben die erste Liste legen, auf der wir notiert haben, „Wofür ich dankbar bin“. Eine Liste schreiben mit Antworten auf die Frage: „Was kann ich geben? Wie kann ich teilen?“ Wie und wodurch kann ich einem anderen Menschen eine Freude machen? Wie kann ich meine Verbundenheit mit anderen Menschen vertiefen, durch das, was ich geben kann und zu teilen bereit bin? Ich bin überzeugt: Jeder Mensch kann etwas geben, jeder Mensch kann für andere etwas Gutes tun, was auch immer es sein mag. Es müsste nur jeder seine Fantasie spielen lassen. Auf dem Versuch, Gutes zu tun und mit anderen zu teilen, liegt Gottes Segen. So wie Paulus sagt: „Der aber Samen gibt dem Sämann und Brot zur Speise, der wir auch euch Samen geben und ihn mehren und wachsen lassen die Früchte eurer Gerechtigkeit“. Auch auf dem Geben liegt Segen, manchmal mehr noch als auf dem Nehmen. So wie die Bibel sagt: „Geben ist seliger denn nehmen“. Menschen, die an allem geizen, am Geld, an der Zeit, an der Liebe, am Gemeinschaftssinn, am Einsatz für andere – deren Same wird verkümmern, weil er nicht eingesetzt wird. Ist es die Angst vor Enttäuschung oder die Angst, etwas zu verlieren, dass sich viele Menschen aus der Gemeinschaft zurückziehen? Es klingt paradox, aber es ist wahr: Reich werden wir auch durch den Segen des Gebens, nicht nur durch den Segen des Nehmens; reich werden wir durch den Segen des Teilens und nicht nur durch den Segen des Empfangens. Was wir teilen, macht uns nicht ärmer, sondern reicher. Es beschert uns in unserem persönlichen Leben inneren Reichtum, der uns zum Tun des Guten motiviert, nämlich durch Gottes Gnade, so wie Paulus schreibt: „So werdet ihr reich sein in allen Dingen, zu geben in aller Einfalt, die durch uns wirkt Danksagung an Gott“.
Heute feiern wir Erntedank. Wir danken für das Gute, dass wir durch Gottes Güte in unserem Leben empfangen. Wir wollen aber auch in den Blick nehmen, was wir Gutes geben können, denn „einen fröhlichen Geber“ hat Gott genauso lieb wie einen dankbaren Empfänger seiner Gaben. So möchte ich in ein Gebet einstimmen, dass uns nicht nur zur Dankbarkeit ermuntert, sondern gleichzeitig auch zum Tun des Guten auffordert: „Gott, mir gehen die Augen buchstäblich über, wenn ich sehe, wie groß die Ernte wieder einmal ausgefallen ist. Mir geht es gut, dafür bin ich dankbar. Zeige mir, wie ich anderen Menschen Gutes tun kann – Ihnen zur Hilfe und dir zur Ehre“.
Amen.
Nach einer Einstimmung ins Erntedankfest hat die Pfarrerin die gute Idee, die Hörer aufzufordern, in Gedanken eine Liste aufzuschreiben: Wofür kann ich mich bei Gott bedanken? Nach dem Bedenken des Predigttextes mit dem Zentrum “Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb” hat Pfarrein Rheinheimer eine noch originellere zweite Idee: Auf einer zweiten Liste sollte der Hörer in Gedanken aufschreiben: “Wie kann ich anderen Menschen aus Dankbarkeit helfen und eine Freude machen?” Dazu passt ihr Schlussgebet zum Erntedank: “Lieber Gott! Zeige mir, wie ich andern Menschen Gutes tun kann- ihnen zur Hilfe und Dir zur Ehre!” Warmherzig und fröhlich, mit der Idee der Zeitspende und nicht ohne Sorgen, ermutigt diese Predigt, ein fröhlicher Geber zu werden, den Gott liebhat. “Reich werden wir durch den Segen des Gebens, nicht des Nehmens.”