Neu eingekleidet

Manchmal hat man den Eindruck, es hat alles seinen gewohnten Gang und Neues kann nicht werden - durch die Taufe sind wir neu eingekleidet und ermutigt, uns mit unguten Zuständen nicht abzufinden

Predigttext: Epheser 4, 22-32
Kirche / Ort: Waibstadt
Datum: 10.10.2010
Kirchenjahr: 19. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Dekan Hans Scheffel

Predigttext: Epheser 4, 22-32 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

22 Legt von euch ab den alten Menschen mit seinem früheren Wandel, der sich durch trügerische Begierden zugrunde richtet. 23 Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn 24 und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit. 25 Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, weil wir untereinander Glieder sind. 26 Zürnt ihr, so sündigt nicht; lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen 27 und gebt nicht Raum dem Teufel. 28 Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit eigenen Händen das nötige Gut, damit er dem Bedürftigen abgeben kann. 29 Lasst kein faules Geschwätz aus eurem Mund gehen, sondern redet, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Segen bringe denen, die es hören. 30 Und betrübt nicht den Heiligen Geist Gottes, mit dem ihr versiegelt seid für den Tag der Erlösung. 31 Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung seien fern von euch samt aller Bosheit. 32 Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.

Homiletische Überlegungen

Der Epheserbrief ist ein Rundschreiben an Gemeinden in Kleinasien aus der Schule des Völkerapostels Paulus. Ihm liegt besonders daran zu beschreiben, was christliche Gemeinde in ihrem Wesen ist. Dabei modifiziert er das paulinische Bild vom Leib Christi dahingehend, dass alle Glaubenden der Leib sind, aber sie stellen Christus nicht dar. Christus ist das Haupt der Gemeinde. Diejenigen, die an Christus glauben, gestalten ihr Leben in bewusster Differenz zu ihrer Umgebung. Sie verdanken ihr neues Sein ausschließlich der Versöhnungstat Jesu Christi. Das neue Kleid ist immer nur geliehene und geschenkte Identität. Allgemeine ethische Vorgaben und Anweisungen wollen das christliche Leben gestalten und in eine Richtung entwickeln, in der die Zehn Gebote gelebt werden. Das Leben im Licht erstrahlt in der Gemeinde. In unserer Perikope kommen beide Momente vor: das neue Kleid mit Leben aus der Taufe und die ethischen Anweisungen. Am 10. Oktober 2010 halte ich die Festpredigt zu 100 Jahre Kirche Waibstadt. Mit der Gemeindepfarrerin habe ich abgesprochen, dass ich den Perikopentext nehme, aber deutlich Bezug zum Kirchenbau und –jubiläum nehme. Über dem Altarraum der kleinen neugotischen Kirche ist ein schwaches Gewölbe, das blau gestrichen ist und auf ihm erstrahlt ein Sternenhimmel. So haben wir uns entschieden, dieses schöne Gemälde des Sternenhimmels im Gottesdienst aufzunehmen. Die Schriftlesung ist darum Genesis 15, 1-6, das Lied nach der Predigt: „Weißt du wie viel Sternlein stehen“ (EG 511). Es werden nur die Verse 22-24 des Predigttextes gelesen. Literatur: Zürcher Bibel 2007.- Joachim Zirkler, Epheser 4,22-32, GPM 8, 2010, S.411 ff.- Traugott Schall, Predigtimpulse, DtPfrbl 9, 2010, S. 487.

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Liebe Gemeinde!

“Kleider machen Leute”

Bestimmt kennen Sie auch die Frage: Welches Hemd oder welche Bluse ziehe ich heute an? Dann überlegt man, was der Tag bringen wird und entscheidet sich für ein bestimmtes Kleidungsstück, das an diesem Tag zu diesem Anlass gefällt. Ein Entscheidungsmerkmal für mich ist immer: In welchem Hemd fühle ich mich wohl. Wenn ich weiß, worin ich mir gefalle, dann ist die Entscheidung auch leicht. Welches Kleid ziehe ich an? Eine alltägliche Frage, ja, aber nicht nur. Im übertragenen Sinne meint das Kleid wesentlich mehr als nur die Textilie, sondern wir identifizieren damit Geschmack, Ausstrahlung, Wesen, Charakter. Es stimmt: „Kleider machen Leute“. Darum ist es gut, sich genau zu überlegen, was ich anziehe. Wie ich mich kleide, hat eine klare äußere Wirkung.

Was die Kirche kleidet

Auch ein Haus hat eine Ausstrahlung. So ist es für Euch als Waibstädter evangelische Gemeinde wesentlich, welche Ausstrahlung Eure Kirche hat. Die Geschichte dieser Kirche ist bekannt. Dankbar dürft Ihr sein, dass vor 100 Jahren Menschen es gewagt haben, diese kleine aber sehr schöne Kirche zu bauen. Wieviele Gottesdienste sind hier gefeiert worden, wieviele junge Menschen wurden hier konfirmiert, wieviele Menschen haben hier in den Bänken gesessen und haben getrauert, weil ein lieber Mensch gestorben ist. Ob nun Taufe oder Hochzeit, Konfirmation oder Beerdigung, Andacht oder Gottesdienst hier gefeiert wird, es kommt schon darauf an, dass man sich in einer Kirche wohl fühlt. Ich wünsche mir, dass es Ihnen so geht wie mir: Ich war höchst erfreut und beeindruckt, als ich vor kurzem Eure Kirche nach der Sanierung das erste Mal gesehen habe. Schön ist sie geworden. Ich spüre die Liebe zum Detail, die die Verantwortlichen bei der Renovierung an den Tag legten. Schön ist das Kleid dieser Kirche. Sie dürfen stolz sein auf die gelungene Sanierung Ihrer 100 Jahre alten Kirche. Darum können wir heute das Jubiläum feiern. Das Kirchlein strahlt und lädt ein, Gottesdienste zu feiern, hier Kinder zu taufen und auch einfach zu kommen, um zu beten. In einem übertragenen Sinne hat Ihre Kirche ein neues schönes Kleid bekommen, in dem Sie sich wohl fühlen können. Unsere drei Verse aus dem Epheserbrief handeln von dem Kleid der Christen, sie sprechen bildlich vom Ablegen und Anziehen der Kleider. Der Epheserbrief zeigt uns das Kleid, das uns Christinnen und Christen in der Taufe geschenkt wird. Zieht den neuen Menschen an, den Menschen, der nach Gott geschaffen ist, der aus der Gerechtigkeit Gottes lebt und in Heiligkeit das tut, was im Leben der Gemeinschaft verantwortungsvoll ist. „Zieht den neuen Menschen an!“

Mit der Taufe ist uns dieses neue Kleid des Christen und der Christin von Gott geschenkt worden. Mit der Taufe werden wir zu neuen Menschen. Wir entdecken neu das Leben, neu, weil wir das Leben unter der Perspektive der Barmherzigkeit und Güte Gottes sehen. Neu, weil in der Taufe Jesus Christus selbst uns zum Freund und Herrn wird. Jesus Christus ist mein Freund, mein allerbester Freund, habe ich vor Jahren einmal ein Kindergartenkind vor sich hin singen hören und dabei gespürt, wie dieses Kind fröhlich und zufrieden ist. Jesus Christus ist mein Herr, habe ich einen Mann reden hören, der voller Geistesgegenwart Menschen Mut zugesprochen hat, nicht aufzugeben, sondern auf die Versöhnung zu hoffen und jetzt schon alles zu tun, damit der Friede gefördert wird und nicht der Hass. Dieses Kleid der Versöhnung und der Hoffnung auf ein Leben, das stärker ist als der Tod, ist uns allen in der Taufe angelegt worden. Gerne erzähle ich von Martin Luther, dass er gerade in seinen depressiven Phasen auf seine Tafel geschrieben hat: bapticatus sum – ich bin getauft, und dann wurde ihm wieder bewusst, dass Christus sein Herr ist. Dies machte ihn zuversichtlich. Eine Frau wurde als Erwachsene getauft und berichtet: „Meine Taufe war für mich das größte Erlebnis seit langem. Ich sehe vieles in neuem Licht. Ich fühle mich als anderer Mensch. Der Glaube gibt mir Schutz. Irgendwie ist alles anders geworden“. Das ist das Geschehen der Taufe – der Mensch wird ein anderer, er sieht das Leben aus der Perspektive der Liebe Gottes und weiß, dass Jesus Christus ihm Freund, Bruder und Herr ist. Zieht den neuen Menschen an, ermutigt der Epheserbrief nicht nur die Menschen um das Jahr 100 in der Westtürkei, sondern auch uns heute in diesem Festgottesdienst „100 Jahre Waibstädter Kirche“, die in neuem Kleid erstrahlt.

Leichte Kleidung, die schwere ablegen

Mit dem Anziehen ist in der Regel auch die andere Handlung verbunden. Wir legen ab. So beginnt auch unser Text mit der Aufforderung: „Legt von euch ab den alten Menschen mit seinem früheren Wandel, der sich durch trügerische Begierden zugrunde richtet“. Legt ab, was Beschwerde macht. Legt ab, was zu schwer geworden ist, was das Zusammensein behindert, was eine tragfähige Beziehung zum Scheitern bringt. Dieses Ablegen kann hier geschehen. Wenn Sie zum Gottesdienst kommen, so dürfen Sie ablegen, was Ihnen in der Woche schwer wurde, Sie dürfen Gott klagen, was nicht gut ist in Ihrem persönlichen Leben und auch in dem politischen. Hier in dieser Kirche können Sie so ganz unbeschwert sein und Gott, dem Barmherzigen, alles anvertrauen, was Sie bewegt und belastet. Ablegen ist eine wichtige, aber auch ganz schwere Handlung. Leichter ist es, in den alten und gewohnten Strukturen zu verharren. Wie oft hören wir und manchmal sagen wir es auch selbst: Das war schon immer so, und so wird es auch bleiben. Oft werden solche Sätze nicht aus guter erhaltender Motivation gesprochen, damit die wahren Werte wie Würde, Achtung und Respekt vor dem Leben gefördert werden. Oft sind andere Mächte am Werke, Mächte, die kein Interesse daran haben, dass Neues wächst und Friede auf Erden gefördert wird. Das Wissen, dass ein Kleid von Gott selbst uns angezogen wird, das wir nicht machen können, sondern das uns von Gott geliehen und geschenkt wird, hilft weiter und tröstet. Das neue Kleid ermutigt, das Leben in der Versöhnung zu wagen. Wir wissen als Gemeinde Jesu Christi, dass uns in der Taufe dieses schöne neue Kleid geschenkt worden ist. Die neue Garderobe ist bekannt, und doch werden die alten Kleider nicht weggeworfen. Was hindert uns an der neuen Einkleidung? Ach, jetzt könnten wir so vieles aufzählen, angefangen von: „Ich habe es probiert mit dem neuen Kleid und bin doch der alte geblieben“, bis hin zu: „Die Welt ist wie sie ist, und daran ändert auch ein neues Kleid eines Einzelnen oder einer kleinen evangelischen Gemeinde nicht viel“. Mag sein, dass aus diesen Stimmen viel Erfahrung spricht, dennoch ermutigt uns der Epheserbrief, das neue Kleid anzuziehen, auch wenn so viele Realitäten dagegen sprechen. Ja, Luther hat recht, wenn er sagt: „Und wenn morgen die Welt unterginge, so will ich dennoch heute ein Apfelbäumchen pflanzen“.

Im neuen Kleid versöhnen, nicht spalten

Was sollen wir tun? Das ist eine Frage von vielen, die getauft worden sind. Der Epheserbrief kennt die Strukturen der Welt, und der Schreiber weiß genau, dass der Glaube in Ephesus von den Mächtigen nicht sehr geschätzt worden ist, weil er angeblich der Wirtschaft der Goldschmiede in der Metropole schadet, die gerne Göttinnen der Diana aus Gold verkaufen wollten. Vom christlichen Glauben konnten sie kein Abbild verkaufen. Es ist kein spezifisches Kennzeichen unserer Zeit, dass die entscheidenden Vorgaben für die Politik, für das gesellschaftliche Leben, ja sogar für die Religion von der Wirtschaft gemacht werden. Das ist antik und aktuell. Weil der Epheserbrief diese Machtstrukturen kennt, ermutigt er, das neue Kleid anzuziehen. Im Anschluss an unsere Verse werden viele gute Beispiele genannt. Eines heißt: „Lasst kein faules Geschwätz aus Eurem Munde gehen“. Wie gut ist es, wenn wir anfangen, eine gute Gesprächskultur zu pflegen in der Familie, in der Gemeinde, in der Gesellschaft. Stuttgart 21 braucht jetzt nichts nötiger als eine gute Gesprächskultur im neuen Kleid. Das heißt konkret: keine Rache und keine Vergeltung, keine Machtdemonstration, sondern versöhnen und nicht spalten. Was notwendig ist, damit es Segen bringt, das tut – dazu ermutigt uns durch die Taufe Gott selbst. Manchmal hat man den Eindruck, es hat alles seinen gewohnten Gang und Neues kann nicht werden. Das beste Gegenbeispiel ist Abraham: Er hat sich abgefunden, dass Sarah und er keinen Sohn mehr bekommen. Dann begegnete ihm Gott und verhieß ihm einen Sohn und ermunterte zum Vertrauen mit dem Hinweis: „Sieh gen Himmel und zähle die Sterne; kannst du sie zählen?“ Dieses Wort Gottes an Abraham wird in dieser Kirche wahr. Über dem Altar steht in dem Bogen das Blau des Himmels. Es ist der Sternenhimmel, er ist weit und nach oben offen. Wir, die dieses Bild sehen, können staunen über die Weite des Lebens und die Tiefe der Wahrheit. Wir dürfen hören, dass Christus uns Freund und Bruder ist und uns liebevoll sagt: „Zieht den neuen Menschen an, ich gehe mit Euch,“ und weiter dürfen wir mit Abraham gewiss werden, dass Gott seine Verheißung wahr macht. In diesem Vertrauen singen wir das alte Lied aus Kindertagen: „Weißt du wie viel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt“, und am Ende des Liedes heißt es: „kennt auch dich und hat dich lieb“.

Amen.

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Ein Kommentar zu “Neu eingekleidet

  1. Pastor iR Heinz Rußmann

    Die Eingangsfrage: “Welches Hemd ziehe ich an ?” klingt etwas alltäglich. Danach spricht der Prediger aber über die Bedeutung der persönlichen Ausstrahlung und über die der Kirche in Waibstadt. Der Predigttext spricht ja auch bildlich vom Anlegen und Ablegen von geistlicher Kleidung und von christlicher Ausstrahlung. Mit der Taufe ist uns durch Christus ein neues Kleid geschenkt worden. Ich bin getauft, das macht zuversichtlich. Wir sollen aber auch nach dem Predigt-Text und der Predigt das Gewand des bisherigen, des alten Menschen, ablegen. Schließlich nimmt Dekan Scheffel die konkreten Ermahnungen des Predigttextes von dem Menschen, der Christus angezogen hat, auf. Am Schluß, wo es doch eigentlich um theologisch-emotionale Verdichtung geht, irritiert mich ein wenig, daß plötzlich die auch von mir verehrten Abraham und Sarah noch überraschend eingewoben werden.

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