Kämpferisch glauben und leben

Ohne die kämpferische, leidenschaftliche Seite des Christentums wird der Glaube schnell kraftlos und blass

Predigttext: Epheser 6,10-20
Kirche / Ort: Lukaskirche / 79594 Inzlingen
Datum: 24.10.2010
Kirchenjahr: 21. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Dr. Andreas Obenauer

Predigttext: Epheser 6,10-20 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

10 Zuletzt: Seid stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke. 11 Zieht an die Waffenrüstung Gottes, damit ihr bestehen könnt gegen die listigen Anschläge des Teufels. 12 Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Mächtigen und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in dieser Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel. 13 Deshalb ergreift die Waffenrüstung Gottes, damit ihr an dem bösen Tag Widerstand leisten und alles überwinden und das Feld behalten könnt. 14 So steht nun fest, umgürtet an euren Lenden mit Wahrheit und angetan mit dem Panzer der Gerechtigkeit 15 und an den Beinen gestiefelt, bereit einzutreten für das Evangelium des Friedens. 16 Vor allen Dingen aber ergreift den Schild des Glaubens, mit dem ihr auslöschen könnt alle feurigen Pfeile des Bösen, 17 und nehmt den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes. 18 Betet allezeit mit Bitten und Flehen im Geist und wacht dazu mit aller Beharrlichkeit im Gebet für alle Heiligen 19 und für mich, dass mir das Wort gegeben werde, wenn ich meinen Mund auftue, freimütig das Geheimnis des Evangeliums zu verkündigen, 20 dessen Bote ich bin in Ketten, dass ich mit Freimut davon rede, wie ich es muss.

Exegetisch-homiletische Vorüberlegungen

Eph 6,10-20 bildet den inhaltlichen Schluss des Epheserbriefes, nur die Schlussgrüße und der Segen schließen sich daran noch an. Inhaltlich handelt es sich um eine Paränese, die das Bild der Waffenrüstung variiert und ausführt. Sie mündet ein in eine Mahnung zum Gebet (V 18-20). Beides – Paränese zum Bild der Waffenrüstung und Aufforderung zum Gebet – gehören inhaltlich unbedingt zusammen (vgl. Ulrich Luz, Der Brief an die Epheser, in: Jürgen Becker/Ulrich Luz, Die Briefe an die Galater, Epheser und Kolosser, NTD 8/1, Göttingen 181998, S. 179). Deshalb sollte man nicht nur über die Verse 10-17 predigen, sondern die Verse 18-20 in jedem Fall mit hinzunehmen. Die herausgehobene Stellung am Ende des Briefes verleiht Eph 6,10-20 besonderes Gewicht. Sie bilden „einen wirkungsvollen ‚Gipfel‘, der den Leserinnen und Lesern den Ernst der Lage vor Augen führt“ (Luz, Epheser, S. 176). Sie sind in einen endzeitlichen Kampf mit den bösen Mächten gestellt. In diesem Kampf erhalten sie als entscheidendes Hilfsmittel die Waffenrüstung Gottes: „Gottes eigene Rüstung sollen und dürfen die Christinnen und Christen anziehen. Damit ist klar: Sie werden diesen Kampf bestehen und dem Teufel ‚standhalten‘“ (Luz, Ephe- ser, S. 178). Der Eph geht die einzelnen Ausrüstungsgegenstände dieser Rüstung durch und deutet sie jeweils metaphorisch. Eine inhaltliche Beziehung zwischen Gegenstand und Deutung ist aller- dings kaum zu erkennen (vgl. Luz, Epheser, S. 178). Auffällig, auch im Gegensatz zu Texten mit ähnlicher Metaphorik aus Qumran, ist, dass es sich bei diesem Kampf um einen friedlichen Kampf handelt. Der Gedanke des Epheserbriefes, christliches Leben als (geistlichen) Kampf aufzufassen, ist in der heutigen Zeit weitgehend fremd geworden. Weniger als die Frage, ob dieser Kampf zu einem guten Ende führt, steht heute die Frage zur Diskussion, ob die Metapher des Kampfes überhaupt für das christliche Leben angemessen ist. Der Trend geht heute eher in Richtung Wohlfühl-Spiritualität. Kampf-Metaphern gelten da leicht als überfordernd oder intolerant-fundamentalistisch. Wo aber die kämpferische, leidenschaftliche Seite des Christentums ausgeblendet wird, wird der Glaube schnell kraftlos und blass. Es wird nicht mehr deutlich, wofür christlicher Glaube und christli- ches Leben bereit sind sich zu engagieren. Damit wird aber zugleich undeutlich, wofür man sie überhaupt braucht. Die Aufgabe, die sich ausgehend von Eph 6,10-20 stellt, lautet daher: Wie können wir heute die kämpferische, leidenschaftliche Seite unseres Glaubens beschreiben ohne in gewalttätige und intolerant-fundamentalistische Muster zu verfallen? Wie können wir in einem guten Sinn kämpferisch glauben und leben? Am ehesten ist leidenschaftliches Engagement heute im geistlichen Gemeinschaften und kirchlichen Basisgruppen zu Hause. In manchen Klöstern wird seit einiger Zeit die Tradition der Wüstenväter und ihres geistlichen Kampfes wiederentdeckt (vgl. z.B. Anselm Grün, Der Umgang mit dem Bösen. Der Dämonen- kampf im alten Mönchtum, Münsterschwarzacher Kleinschriften 6, Münsterschwarzach 142007). Von Roger Schutz, dem Gründer von Taizé, stammt die prägnante Formulierung, dass zum christ-lichen Glauben Kampf und Kontemplation gehören (vgl. Frère Roger, Kampf und Kontemplation. Auf der Suche nach Gemein-schaft mit allen, Freiburg 51989). Die Predigt wird versuchen, diese Tradition für eine landeskirchliche Gemeinde zu erschließen und deutlich zu machen, dass leidenschaftliches, kämpferisches Engagement wesentlich zu unserem Glauben dazugehört – ebenso wie die Ausrichtung auf Gott in der Kontemplation.

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Liebe Gemeinde!

Harmloser Glaube?

Die Schlosskirche in Beuggen hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Seit einigen Jahren beten die Mitglieder der Kommunität Beuggen dort ihre Tagzeitengebete. Wenn wir in der evangelischen Tagungs- und Begegnungsstätte Schloss Beuggen Kurse zum Thema Gottesdienstgestaltung und Predigt abhalten, üben wir in der Schlosskirche mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Heute also ist die Kirche ein Ort für Andachten und Fortbildung. Früher war sie eine Ritterkirche, der Versammlungs- und Andachtsraum des Deutschen Ordens. Die Wappen und die Totenköpfe an der Wand geben noch Zeugnis davon. Vorne im Altarraum, dem ehemaligen Oratorium, sieht man überlebensgroß den Erzengel Michael, wie er gegen den Drachen kämpft. Wappen und Totenköpfe, ein kämpfender Engel, ein Gebetsraum für Ritter. Viele Menschen, die in die Kirche kommen, tun sich damit schwer. Das riecht förmlich nach Kreuzzügen, Intoleranz und gewalttätig-fanatischem Christentum. So kann man doch eigentlich eine Kirche nicht gestalten, höre ich immer wieder. Was transportieren wir damit für ein Bild vom Christentum: grausam, gewalttätig, intolerant! Dann fällt immer wieder der Einwand, dass das Neue Testament doch ganz anders von Gott und vom Glauben redet: vom lieben und liebenden Gott; davon, dass Jesu Jünger sanftmütig und gewaltlos leben sollen. Meine eigene Reaktion auf diese Begegnungen, die ich in Beuggen immer wieder habe, ist zwiespältig. Ich möchte nicht zurück zum Kreuzzugs-Christentum, nein, ganz sicher nicht. Ich denke auch, dass der martialische Michael, der die Blicke im Altarraum auf sich zieht, nicht mehr recht passt zu unserer heutigen Art, Christsein zu leben. Gewalttätig und intolerant, so sollen wir Christen nicht mehr sein, so will auch ich nicht sein.

Aber was ist die Alternative? Sollen wir mit den kriegerischen Bildern zugleich die Dimension des Kämpfens aufgeben? Sollen wir uns darauf zurückziehen, immer nur freundlich, nachgiebig und tolerant zu sein – einfach nett? Wird unser Leben und Glauben damit nicht kraftlos, langweilig und fad? Ist der liebe Gott, den wir dann verkünden, nicht so nett und harmlos, dass er niemanden mehr aufregt und niemanden mehr berührt? Ich merke: Dieser harmlosen Glaube mit diesem viel zu lieben Gott überzeugt mich auch nicht. Wie aber kann man leidenschaftlich, engagiert und begeistert, eben im guten Sinne kämpferisch glauben, ohne fanatisch und intolerant zu werden? Wie kann der Glaube Kraft gewinnen ohne dass er anderen schadet?

Kämpferischer Glaube

Der Abschnitt aus dem Epheserbrief ist so etwas wie eine Anleitung zu einem im guten Sinne kämpferischen Christentum. Er ist eine Anleitung für ein leidenschaftliches, engagiertes Leben aus dem Glauben. Hören wir aus Kapitel 6 die Verse 10-20.

(Lesung des Predigttextes)

Eine Ermahnung und Ermutigung zu einem leidenschaftlichen, engagierten Leben aus dem Glauben. Wie sieht solch ein Christentum aus? Drei Gedanken aus dem Predigttext möchte ich mit Ihnen heute Morgen genauer bedenken. Der erste Gedanke: Leidenschaftliches, kämpferisches Christentum kämpft gegen die Mächte des Bösen. Das Engagement, der Einsatz, der Kampf ist für den Glauben also kein Selbstzweck. Es geht nicht einfach darum, irgendwie für irgendwas zu kämpfen, sich irgendwo für irgendwas zu engagieren. Im Kampf des Glaubens gibt es ganz klare Gegner: „Mächtige“ und „Gewaltige“ nennt sie der Epheserbrief, „Herren der Welt“ und „böse Geiser“. Allesamt Umschreibungen für die Mächte des Bösen. Aber wie soll man sich diese Mächte des Bösen genau vorstellen? Wer oder was ist denn so böse, dass man dagegen ankämpfen müsste? Die alten Mönche haben die bösen Mächte, die „Dämonen“, wie sie sie nannten, innen gesucht. Für sie war der Kampf gegen das Böse vor allem eine Auseinandersetzung mit eigenen Lastern und schlechten Gewohnheiten. Der Kampfplatz zwischen gut und böse war das eigene Herz. Das klingt ungewohnt in einer Zeit, in der der Slogan „ich bin ok, du bist ok“ zur vorherrschenden Lebenseinstellung geworden ist. Ungewohnt in einer Zeit, in der man eigene Schwächen und Fehler gerne mit dem Verweis auf die eigene Geschichte oder die widrigen Verhältnisse entschuldigt. Und doch glaube ich: Die alten Mönche verstanden an diesem Punkt mehr vom Christsein als wir heute. Sie hatten ein Gespür dafür, dass Christentum nur dann engagiert und kraftvoll, eben im guten Sinne kämpferisch sein kann, wenn ich bei mir selbst beginne. Wenn ich den Kampf mit dem Bösen in mir aufnehme. Mit den Angewohnheiten, Eigenschaften und Verhaltensweisen, mit denen ich mir selbst und anderen schade. Mit all dem in mir, was mich und andere vom Leben abschneidet. Mein Christsein kann nur dann engagiert und kraftvoll sein, wenn ich bereit bin, mich von Gott verändern zu lassen. Wenn ich es nicht scheue an mir zu arbeiten. Leidenschaftlich, kämpferisch Christ sein heißt deshalb zunächst einmal: Mich selbst immer wieder der Gegenwart Gottes aussetzen und im Licht von seinem Wort erkennen, wie ich wirklich bin. Dieser Kampf gegen das Böse in mir ist nur möglich in beständigem Kontakt mit Gott. Dies führt mich zum zweiten Gedanken: Leidenschaftliches, kämpferisches Christentum braucht die Kraftquelle des Gebets.

Kraftquelle Gebet

Der Epheserbrief verbindet beides eindrücklich. Er ruft zunächst zum Kampf gegen das Böse und dann zum leidenschaftlichen Gebet auf. Beides gehört zusammen: Kein Kampf ohne Gebet, kein Engagement ohne den Rückzug in den Kontakt mit Gott. Roger Schutz, der Gründer von Taizé, der sich mit seiner Gemeinschaft unermüdlich für Frieden und Versöhnung eingesetzt hat, schreibt einmal: Kampf und Kontemplation, also Engagement und Zur-Ruhe-Kommen bei Gott – beides braucht ein lebendiger Glaube. Ohne das Gebet wird der Kampf schnell kraftlos. Man schöpft nur noch aus den eigenen Quellen und die können schnell versiegen. Aber ohne Kampf, Leidenschaft und Engagement wird das Gebet oberflächlich und selbstbezogen, kreist nur noch um die Erfüllung egoistischer Wünsche. Wo aber Gebet und Engagement sich verbinden, da klärt sich immer wieder, worauf der geistliche Kampf zielt. Das ist der dritte Gedanke in unserem Abschnitt aus dem Epheserbrief: Leidenschaftliches, kämpferisches Christentum zielt auf Frieden.

Christsein, das auf Frieden zielt

Seid „bereit einzutreten für das Evangelium des Friedens“, so heißt es hier im Epheserbrief. Der Kampf gegen das Böse ist also kein Kampf, der anderen Menschen schadet. Im Gegenteil: Er ist vor allem ein Eintreten für etwas, nämlich für Gottes umfassenden Frieden, für Gottes Schalom. Darauf zielt der geistliche Kampf, der bei mir selbst, bei dem Bösen in mir beginnt, der dann aber nicht bei mir stehen bleibt, sondern sich ausstreckt, ausweitet um das Gesicht der Welt zu verändern. Weil er auf Frieden zielt, verwendet er auch friedliche Mittel, kämpft nicht mit Waffengewalt, sondern mit dem Wort Gottes. Gerade im vergangenen 20. Jahrhundert hat es eindrückliche Beispiele dafür gegeben, wo Christen aus dem Gebet heraus den Kampf gegen böse, lebensfeindliche Mächte aufgenommen haben. Dietrich Bonhoeffer etwa, von dem überliefert ist, wie wichtig ihm die Zeiten des Gebets waren. Vor allem zwei Dinge, so schreibt er einmal, sind für Christen heute wichtig: Das Gebet und das Tun des Gerechten. Nur ein Beispiel von vielen dafür, wie das Christentum seine kämpferische, leidenschaftliche Seite wiederentdeckt hat. Nur ein Beispiel dafür, wie Spiritualität und Engagement, Kampf und Kontemplation sich verbinden.

Liebe Gemeinde, eine Anleitung zum leidenschaftlichen, kämpferischen Christentum gibt uns der Epheserbrief heute Morgen mit auf den Weg. Ich bin überzeugt: Wir brauchen diese kämpferische, engagierte Seite unseres Glaubens, damit er nicht kraftlos wird. Genauso brauchen wir die Zeiten der Begegnung mit Gott, in denen wir uns wieder neu ausrichten, damit unser Kampf nicht ziellos, nicht Selbstzweck wird. Spiritualität und Engagement, Kampf und Kontemplation – beides gehört zusammen, das eine ist nicht ohne das andere zu haben. Die Schlosskirche in Beuggen wird übrigens im nächsten Jahr umgestaltet. In einem Architektenwettbewerb erhielten die teilnehmenden Architekturbüros unter anderem den Auftrag, das Thema „Kampf und Kontemplation“ in die heutige Zeit zu übertragen. Der Siegerentwurf, der nun umgesetzt wird, begeistert mich: Der martialische Michael verschwindet hinter einem Vorhang. Das Oratorium wird wieder ein Gebetsraum – für die Kommunität ebenso wie für die Touristen und Gäste, die nach Beuggen kommen. Ein Ort, um die Welt ins Gebet zu nehmen. Im neu gestalteten Altarbereich im Kirchenschiff werden Zitate aus der Kirchengeschichte zu lesen sein, eingemeißelt in den Stein des Fußbodens. Zitate, die alle mit Kampf und Kontemplation zu tun haben, aus der Bibel, von Luther, Bonhoeffer und manchen anderen. So wird die neu gestaltete Schlosskirche ein sichtbares Zeichen dafür sein, dass der Kampf ebenso zu unserem Glauben gehört wie die Kontemplation. Kreuzritter möchten wir nicht mehr sein, Fanatiker auch nicht. Aber kämpfen, uns leidenschaftlich einsetzen für eine friedliche und gerechte Welt, das wollen wir schon. Drunter geht es nicht – für einen einzelnen Christen und für unsere Kirche.

Amen.

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Ein Kommentar zu “Kämpferisch glauben und leben

  1. Pastor iR Heinz Rußmann

    Gegen die miltärischen Bilder des Predigttextes setzt Pfarrer Dr. Obenauer “Kontemplation und Kampf” nach Frere Roger. Am Beispiel der Schlosskirche in Beuggen kritisiert er eine fanatisch-gewalttätige Tradition des Christentums mit dem Erzengel Michael. Ein harmlos-freundliches Wohlfühl-Christentum kann aber für ihn keine Alternative sein. Mit dem Predigttext und Frere Roger Schutz´ Programm für Taize “Kampf und Kontemplation” setzt der Prediger mit leidenschaftlichen und lebendigen Formulierungen sich dafür ein, dass wir zuerst das Böse in unserem Herzen im Gebet bekämpfen sollen. Im Sinne von Bonhoeffer und anderen sollten wir leidenschaftlich für Frieden und Gerechtigkeit kämpfen. Gern hätte man noch konkrete Beispiele dazu gehört. Die alte Kreuz-Ritterkirche in Beuggen ist aber schon mit christlichen Zitaten zum Frieden umgestaltet worden. Der Erzengel Michael wurde mit einem Vorhang zugedeckt.

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