Es gut sein lassen

Loslassen fällt schwer, vor allem sich selber loslassen

Predigttext: Römer 3,21-28
Kirche / Ort: Emmaus-Gemeinde / Karlsruhe Waldstadt-Nord
Datum: 31.10.2010
Kirchenjahr: Gedenktag der Reformation
Autor/in: Pfarrer Klaus Paetzholdt

Predigttext: Römer 3,21-28 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

21 Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. 22 Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied:  23 sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten,  24 und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.  25 Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher 26 begangen wurden in der Zeit seiner Geduld, um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, daß er selbst gerecht ist und gerecht macht den, der da ist aus dem Glauben an Jesus. 27 Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens.  28 So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.

Literatur

Neben dem Römerbriefkommentar von E. Käsemann empfand ich am hilfreichsten: GPM 2010, H. 4, S.429ff (I. Junkermann) – PrSt 2009/2010, 2.Hb., S.186ff  (W. Stegemann u. D. Beese).

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(Ich erzähle:) Über den weißen Stämmen der Birken draußen vor seinem Fenster mischte sich inzwischen kräftiges Gelb unter das Grün und dort drüben die Akazien zeigten sich in einem kräftigen Rot. Er liebte diese Farbenpracht der Herbstbäume. Selber hatte er inzwischen längst den Herbst seines Lebens erreicht, beruflich sowieso, im Blick auf Gesundheit, Leistungsfähigkeit, Durchhaltevermögen auch. Konnte er das genauso schön finden wie die Farbenpracht draußen? Vermutlich war sich die Welt der Bäume nicht des Herbstes bewusst, er aber musste mit seinem Herbst leben. Vielleicht war ein anderer Unterschied viel entscheidender; denn auf die kalte Jahreszeit folgten für die Natur ein neues Blühen und Knospen, der Herbst des Lebens aber gemahnte ihn ans Ende, an die Vergänglichkeit seines Daseins.

Loslassen

Er müsse Bilanz ziehen, dieser Gedanke drängte sich ihm immer wieder auf. Zugleich schob er diesen Gedanken gerne von sich. Warum eigentlich? Womöglich hatte er es noch nicht gelernt, es gut sein zu lassen, „es“: sein Leben, seine Arbeit, die Frucht seines Wirkens. Wie schwer war es loszulassen, einzusehen: Jetzt haben andere die Verantwortung übernommen, Jüngere! Er könnte zufrieden sein, auch stolz; er hatte viel erreicht, nach einigen misslungenen Versuchen am Anfang hatte er sich als Unternehmer etabliert. Man konnte über die Gesetze der freien Marktwirtschaft denken, wie man wollte, übers Ohr gehauen hatte er niemanden, niemandem etwas „angedreht“, was von der Qualität nicht dem Preis entsprach. Er könnte Produktion wie Versand in andere Hände legen, alles stand auf einem soliden Fundament. Das war das eine. Doch das andere:

War das alles, was sein Leben ausmachte? Ihm Wert, Tiefe, Schönheit verlieh? Es kam ihm vor wie bei der Steuer: Zu jedem Gewinn gehörte ein Verlust. Vieles war ihm gelungen, zugleich erschienen ihm seine Jahrzehnte eher als Fragment, als etwas Unvollkommenes. Steine sammeln hat seine Zeit, Steine wegwerfen hat seine Zeit! Als fehlten im Puzzle seines Lebens noch einige wichtige Stücke; das Ganze war erkennbar, aber die fehlenden Teile verteilten sich wie Flecken über die ganze Tafel. Was hatte er zu Ende gebracht, wenn er ganz aus seinem Betrieb ausscheiden wird? Wobei: Zu Ende bringen wir ja vieles. Aber war das Ende ein Abschluss, eine Krönung? Dabei wusste er nicht einmal genau, welche Maßstäbe er anlegte an sich und sein Leben. Möglicherweise waren andere bescheidener, konnten andere früher die Bilanz ziehen: Es ist genug! Was musste für ihn noch in Erfüllung gehen? Laut Statistik nahmen sich so viele Ältere das Leben. Woran lag das? Überfordern sie sich alle? Oder erleben sie die hohe Lebenserwartung nur noch als Last? Und er? Nein, ihn plagte keine Verzweiflung, keine Depression. Aber vielleicht überforderte er sich mit den Maßstäben, die er an sich anlegte. Depressiv war er nicht, vielleicht aber fehlte ihm etwas ganz anderes. Nicht die Erfüllung seines Lebenswerkes, nicht der gebrochene Stolz über das von ihm Erreichte. Ihm fehlte offensichtlich die Fähigkeit loszulassen, das Lebenswerk aus der Hand zu geben. Aber was heißt: Das Lebenswerk aus der Hand geben! Er konnte sich selber nicht aus der Hand geben. Wo lernte er das: sich selber loslassen? Dieses Loslassen oder Nicht loslassen Können verband sich mit der anderen Frage: Wem übergebe ich dann alles? Ein frommer Mensch würde ihm mit Sicherheit die für ihn nahe liegende Antwort geben. Er aber war im Laufe seines Lebens immer eindeutiger ausgewandert aus dem Glauben, der Kirche, der Religion. Wie lernte er loslassen? Möglicherweise drängte sich schon über diese Frage Gott neu in sein Leben.

Vertrauen

Die Frau seines Geschäftsfreundes bewunderte er. Ihre Frömmigkeit passte kaum zu seinen Körpermaßen. Zugleich bedauerte er: Er konnte von ihr nur Antworten bekommen, wenn beide Ehepaare beisammen waren. Und im Blick auf einige allzu intime religiöse Fragen empfand er eher Scham sowohl der eigenen Frau wie dem Freund gegenüber. Sie durchschaute ihn, sah irgendwie in ihn hinein. Auch wenn ihre Frömmigkeit nicht seine war, bewunderte er, was sie sich alles an Wissen angeeignet hatte. Neulich hatte er  geklagt, wie schwer ihm das Glauben falle; da hatte sie ihm gezeigt: Schau, was in den meisten Bibelübersetzungen „Glaube“ genannt wird, bedeutet „Vertrauen“. Und fügte hinzu: Ich vertraue Gott, damit glaube ich an ihn. Schau nicht auf das, was du angeblich nicht glauben kannst; nimm wahr, womit du beschenkt bist, dann wächst von alleine dein Vertrauen auf den, der dich beschenkt hat und immer neu beschenkt! Sie durchschaute, welch hohe Maßstäbe er an sich selber anlegte. Ihr konnte er nichts vormachen. Einmal erklärte sie ihm: Dir ist beim Besuch eines Münsters oder Domes sicher schon die Skulptur aufgefallen, die die Gerechtigkeit darstellt: Die „Iustitia“ hat die Augen verbunden: Sie soll sich im Fällen ihres Urteils nicht von der äußeren Erscheinung beeinflussen lassen. Aber wenn Paulus von Gerechtigkeit spricht, hat diese Gerechtigkeit offene Augen; sie will nämlich sehen, was du brauchst, was ich brauche. Sie will kein Urteil mehr fällen, sie will sehen, was uns fehlt, und uns damit beschenken. Nicht du vollendest dein Lebenswerk, jemand anderes hat gesagt: Es war gut so und es ist gut so!

Geschenk

Aber mir fällt das Loslassen so schwer, vor allem mich selber loszulassen!, wand er ein. Und wieder sie: Du überforderst dich schon wieder selber. Damit bringst du dich um die Schätze deines Lebens. Nimm wahr, wie reich du bist. Du kannst jeden Tag Bilanz ziehen; dann merkst du: Du wirst jeden Tag reich beschenkt und erhältst dadurch Kraft, auch das andere zu ertragen. Dann wächst das Vertrauen von alleine. Für Paulus ist auch der „Glaube“, dieses Vertrauen, ein Geschenk! Von Gott?, fragte er. Ich würde den Geber Gott nennen, antwortete sie, mehr sagte sie nicht, als wollte sie ihm die Freiheit lassen, selber zu entscheiden, auf wen sich sein Vertrauen richtete. Aber der christliche Glaube hat es doch entscheidend mit Jesus zu tun, fiel ihm ein, als müsse er ihre Antwort noch ein wenig von sich wegschieben. Jesus als Gottessohn, das eine und andere der Wunder: Ihm fiel wieder ein, wie schwierig ihm der „Glaube“ im vertrauten Sinn geworden war. Doch sein Gegenüber war nicht zu schlagen: Das hängt alles zusammen: Jesus war wie sonst kein Mensch durchdrungen vom Vertrauen in Gottes gnädige Nähe. Darum nannte er Gott „Vater“ und wurde er für uns zum „Gottessohn“. So verbindet uns unser Glaube, unser Vertrauen mit Jesus und Gott zugleich, für uns gehören Gott und Jesus unlösbar zusammen!

Bevor er reagieren konnte, fuhr sie fort: Lies es selber nach. An einer entscheidenden Stelle in seinem Römerbrief schreibt Paulus, der Mensch ermangele der göttlichen Herrlichkeit. Als Jude denkt er hier an den Sündenfall: Wir Menschen haben unsere Gottebenbildlichkeit verloren. Darum setzen wir Evangelische gerne Leben und Sünde gleich und schämen uns alles dessen, was das Leben schön und interessant macht. Aber nun der Vorschlag des Paulus: Lassen wir uns von Gott beschenken in seiner gebenden Gerechtigkeit und leben wir aus dem Vertrauen und im Vertrauen, dann öffnet sich für uns die Pforte zum Garten Eden neu. Garten Eden und Vertreibung sind zwei Sichtweisen derselben Welt. Mach die Augen auf und sieh, wie viel Paradies es in deinem Leben gab und gibt, trotz aller Bruchstücke! Mit dem Blick auf die Bäume draußen überlegte er: Welche Stelle hatte sie ihm in diesem Gespräch genannt? Einen der zentralen Texte für die Reformation hatte sie einen Abschnitt aus Kapitel 3 genannt. Wo hatte er seine Bibel hingestellt? Diese Stelle wollte er noch einmal selber nachlesen.

(Lesung des Predigttextes, evtl nach einer neueren Übersetzung)

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Ein Kommentar zu “Es gut sein lassen

  1. Pastor iR Heinz Rußmann

    Diese feine Erzählpredigt macht das Anliegen der Reformation indirekt deutlich durch das Beispiel eines älteren Unternehmers, der um die Rechtfertigung seines Lebens ringt. Ganz überzeugend bringt ihm die Frau eines Geschäftsfreundes die frohe Botschaft des Predigttextes nahe, dass Gott uns akzeptiert, sodass wir unser Selbstwertgefühl nicht an unseren Leistungen orientieren müssen.

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