Kostbare Beziehungen

Christlicher Glaube auf den Punkt gebracht

Predigttext: Römer 14,7-9
Kirche / Ort: Heidelberg
Datum: 7.11.2010
Kirchenjahr: Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr
Autor/in: Petra Neumann-Janssen, Erwachsenenbildnerin

Predigttext: Römer 14:7-9 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

7 Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber.  8 Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.  9 Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, daß er über Tote und Lebende Herr sei.

Übersetzung "BasisBibel" (2010, www.basisbibel.de)

7Keiner von uns lebt nur für sich selbst und keiner stirbt nur für sich selbst. 8Denn wenn wir leben, leben wir für den Herrn. Und wenn wir sterben, sterben wir für den Herrn. Ob wir also leben oder ob wir sterben – immer gehören wir dem Herrn! 9Denn das ist der Grund, warum Christus gestorben ist und wieder lebendig wurde: Er sollte der Herr sein über die Toten und die Lebenden.

Hinweise zur Perikope

Der Predigttext steht im großen Zusammenhang der Thematik "Starke und Schwache im Glauben" (Römer 14,1-15,13), die auf eine konkrete gemeindliche Situation in Rom hindeutet. Die Perikope Römer 14,7-9 bilden aber eine in sich geschlossene Einheit, sie gleicht einem zusammenfassenden Lehrsatz, einem kleinen Kompendium des christlichen Glaubens und Lebens, wahrscheinlich hat der Apostel Paulus eine überlieferte Taufparänese aufgenommen. Die Predigt muss also nicht unbedingt auf die damalige gemeindliche Situation in Rom eingehen, in der das Essen oder Nichtessen von Götzenopferfleisch die christlichen Hausgemeinschaften in "Starke und Schwache im Glauben" zu spalten drohte. Der Apostel Paulus wollte mit seiner Stellungnahme offensichtlich zur Überwindung einer solchen Spaltung beitragen. Christus, der kraft seines Sterbens und seines seit Ostern Lebens nicht nur über die Lebenden, sondern auch über die Toten "Herr", der "Kyrios", ist (V.9), hat auch die Kraft, Starke und Schwache im Glauben heute wie damals zusammenzuführen. Die Starken sollen nicht auf die Schwachen herabschauen, und die Schwachen sollen die Starken nicht verurteilen, "richtet vielmehr darauf euren Sinn, dass ihr einander keinen Anstoß oder kein Ärgernis bereitet", sagt Paulus im weiteren Zusammenhang (Römer 14,13). Maßstab des Zusammenlebens ist die "Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn" (Römer 8,19). In einem traditionellen Taufgebet heißt es: "...wende dem Kind deine ewige Liebe zu. Dein sind wir, hilf uns dein bleiben in Zeit und Ewigkeit". Literatur: Otto Michel, Der Brief an die Römer (KEK) Predigtlied: „Bei dir, Jesu, will ich bleiben“ (EG 406)

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Liebe Gemeinde!

Drei Bibelverse, die unser Christsein auf den Punkt bringen. Drei Verse aus dem Römerbrief des Apostels Paulus voller Lebensweisheit. Sogar aus dem Zusammenhang herausgenommen, sind sie von einer bedeutenden Aussage.

I.

Fremdbestimmt?

„Keiner von uns lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber.“ Wie sieht es denn mit unseren eigenen Entscheidungen aus? Bin ich nicht Herr/Frau über mich selbst? Gebe ich als Christ/in die Selbstbestimmung auf? Lasse ich mich fremdbestimmen, und brauche ich, um christgemäß leben zu können, eine Vorgabe, an der ich mich orientieren soll?

„Keiner von uns lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber“ – ist dies ein Satz, der meinen eigenen persönlichen Wert nur in größeren Zusammenhängen duldet, mich kleiner macht, als ich mich sehen möchte, mein Leben abwertet und mich nur in der allgemeinen Christenheit aufgehen oder verschwinden lässt? Geht es um eine Aufforderung, sich aufopferungsvoll wie eine Mutter Theresa oder ein Albert Schweitzer den hilfsbedürftigen Menschen zuzuwenden, die eigenen Bedürfnisse den Menschen, die bitter leiden, unterzuordnen, sich mit Liebe für ihr Wohl hinzugegeben? Keinesfalls ist hier eine Abwertung gemeint. Es kann meine Aufgabe, ja meine Berufung, sein, mich anderen Menschen zuzuwenden, ganz persönlich in meiner Familie mit der Pflege eines Angehörigen, aber auch im Beruf, etwa als Lehrerin oder Ärztin. Es kann sein, dass ich zugunsten eines Ganzen, einer Gemeinschaft, meine eigenen Wünsche zurückstecken muss. Mein Individualismus hat dort Grenzen, wo ein anderer Mensch meine Hilfe braucht. Auch dort, wo meine christliche Ethik in der Öffentlichkeit gefragt ist: In kirchlichen oder gesellschaftlich und politischen Gremien, in denen ich mitarbeite, sei es im Kirchengemeinderat, im Stadt- oder Ortschaftsrat, in einer Vereinigung wie der Handwerkskammer, im Vorstand einer Firma oder in einem Kundengespräch beim Einkauf.

II.

Herausgefordert

„Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber…“ Hier ist christliche Ethik auf den Punkt gebracht. Wenn ich mich selbst verliere, nicht nach meiner Begabung lebe, und meinen eigenen einmaligen Wert, den ich vor Gott habe und auch von Gott zugesprochen bekomme, gering schätze und mit Füßen trete, ist es wichtig zu bedenken: Ich lebe in Beziehungen. Alles was ich tue, hat Auswirkungen. Alles was ich tue, geschieht in einer Wechselbeziehung von Mensch zu Mensch und von Mensch zu Gott. Alles was ich tue, muss ich vor Gott verantworten. Ich lebe in Beziehungen. Selten habe ich sie mir ausgesucht oder so gewünscht, wie sie sind. Ungefragt werde ich in eine Familie hineingeboren, bekomme meine Gene „verpasst“, die mein Aussehen, meine Intelligenz, meine Startbedingungen am Lebensbeginn bestimmen. Habe ich im günstigen Fall liebevolle Eltern, genug Verstand für vernünftige Schulabschlüsse und ein passables, dem gesellschaftlichen Geschmack entsprechendes Aussehen, so öffnen sich mir in Beziehungen wahrscheinlich viele Türen. Im ungünstigen Fall, wenn ich behindert bin, missbraucht werde oder von der Sozialhilfe leben muss, sind Beziehungsstörungen sicher. Klischees? Ob wir wollen oder nicht – hängen von solchen Umständen nicht unsere Prägung und unsere Beziehungsfähigkeit mit ab? Gleichgültig wie meine Startbedingungen oder auch später mein ganzes Schicksal sind, ich werde ja auch in eine Gesellschaft hineingeboren und in eine Zeit mit ihren jeweiligen guten und schlechten Lebensbedingungen.

Es ist so, alles was von mir ausgeht, hat Auswirkungen – von Mensch zu Mensch und von Menschen zu Gott. Der glückliche und der unglückliche Mensch, der tätig werdende und der erduldende Mensch, der tröstende und der leidende Mensch, der gute und der böse Mensch, keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Was der Apostel Paulus damit ausspricht, ist eine große und harte und zugleich eine klare Herausforderung an unser Handeln.

III.

Gleichheit in der Ungleichheit

Es gibt noch eine andere Perspektive. So etwas wie eine Gleichheit in der Ungleichheit. Sie gibt mir deutlich zu verstehen: Es ist unangebracht, wenn wir gegenseitig übereinander richten. Was Recht und Unrecht ist, was wir tun dürfen, wird uns in der Bibel z.B. durch die Zehn Gebote und die Bergpredigt klar gesagt. Das meint Paulus hier nicht. Was er abweist, ist jede Arroganz, sie führt zur Ignoranz, jede Besserwisserei und Überheblichkeit, sie führen zur Intoleranz, jeder Balken im eigenen Auge, er führt uns zur Dummheit. All diese jede gute Beziehung störenden Eigenschaften sind bei arm und reich anzutreffen, bei Schönen und Hässlichen, bei Chefs und Angestellten.

“Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, daß er über Tote und Lebende Herr sei.“ Paulus hebt in diesen drei Versen die Beziehung zu Gott hervor. Wir leben dem Kyrios/dem Herrn, wir sterben ihm, wir gehören ihm an, und Christus ist dafür gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr ist. Bei ihm sind wir gut dran, gut aufgehoben, dieser Herr ist uns gut und unterscheidet sich von den „Herren“, denen es nur um sich selbst, ihren eigenen Vorteil, geht. Keine Sekunde unseres Lebens und unseres Todes ist aus dieser besonderen Beziehung zum Herrn aller Herren herausgenommen. Ein zunächst erschreckender Gedanke, wenn nicht gelten würde: Gott hat eine Beziehung zu uns Menschen. Sie trägt mich in meinen Beziehungen von Mensch zu Mensch. Sie entlastet mich, wenn ich in einer Beziehung zu einem anderen Menschen überfordert bin. Sie ermutigt mich, die Beziehung zu Gott täglich in der Orientierung an Jesus Christus neu zu suchen. Sie hilft mir, mein Leben und die Beziehungen zu gestalten, dies bedeutet, wie Paulus im weiteren Zusammenhang ausführt: Anstoß oder Ärgernis gegenüber meinen Mitmenschen zu vermeiden (V.13) und dem nachzustreben, was „zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander“ (V.19),  zum inneren und äußeren Aufbau einer christlichen Gemeinde, in der jede und jeder einen Platz hat.

Wenn ich weiß, dass es eine Verbindung zwischen Gott und mir gibt, in die uns Jesus Christus jeden Tag von neuem hineinnehmen will, und wenn ich anerkenne, dass es eine Verbindung zwischen Gott und meinem Mitmenschen gibt, leuchtet die die Weisheit auf, die der Apostel Paulus in dem Satz umschreibt: Keiner von uns lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, daß er über Tote und Lebende Herr sei. Dieser Herr ist mitten unter uns, wie wir es im Evangelium, der heutigen Schriftlesung (Lukas 17,20-24), hörten. Im Heiligen Abendmahl feiern wir seine Gegenwart und die innige Verbindung mit ihm. Durch die Heilige Taufe gehören wir ihm an. Bei Ihm, Jesus, dem Christus Gottes, lasst uns bleiben.

Amen.

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