Hoffnungsperspektive
Die Sorgen und Nöte werden durch die Adventsbotschaft nicht einfach verschwinden, aber was sich ändert, ist der Blickwinkel
Predigttext: Jeremia 23,5-8 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
5 Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll bein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird. 6 Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: »Der HERR unsere Gerechtigkeit«. 7 Darum siehe, es wird die Zeit kommen, spricht der HERR, dass man nicht mehr sagen wird: »So wahr der HERR lebt, der die Israeliten aus Ägyptenland geführt hat!«, 8 sondern: »So wahr der HERR lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel herausgeführt und hergebracht hat aus dem Lande des Nordens und aus allen Landen, wohin er sie verstoßen hatte.« Und sie sollen in ihrem Lande wohnen.Exegetisch-homiletische Vorüberlegungen
Jer 23,5-8 steht im Zusammenhang mit den Gerichtworten über die Führenden in Jer 21f. Während Jeremia den derzeitigen Machthabern aus dem Hause Davids den Untergang ansagt, verheißt er für die Zukunft einen neuen davidischen König, der wahrhaft nach dem Willen Gottes regieren wird (vgl. Artur Weiser, Das Buch des Propheten Jeremia, ATD 20/21, Göttingen 41960, S. 196). Der Name „JHWH zidkenu“ (der Herr ist unsere Gerechtigkeit) ist zugleich Programm des neuen Königs (vgl. Weiser, Jeremia, S. 199): Er wird Gerechtigkeit im umfassenden Sinn bringen und dabei ganz auf Gott bezogen sein. Zugleich beinhaltet dieser Name ein Bekenntnis des Volkes zu seinem neuen König (der Herr ist unsere Gerechtigkeit). Der Kasus für diesen Predigttext (1.Advent) stellt uns vor die Frage, welche Bedeutung diese alttestamentliche Verheißung für uns Christinnen und Christen hat. Die Verbindung von Adventsgottesdiensten und messianischen Weissagungen aus dem Alten Testament sind in der Tat „ein Problem für jedes redliche historisch-kritische Gewissen – erst recht, wenn dies auch ‚jüdisch-christlich‘ geschärft ist. Das Schema Verheißung und Erfüllung lässt sich“ auch bei unserem Predigttext „nur in sehr behutsamer Transformation anwenden“ (Markus Engelhardt, Erinnerung prägt Erwartung, in: Predigtstudien III/1, Freiburg im Breisgau 2010, S. 14). Gleichwohl finden sich gerade in dieser messianischen Verheißung Anknüpfungspunkte für eine Lektüre des Textes in christlicher Perspektive: Der verheißene König ist ein neuer David, in dem Gott alles bisher Dagewesene überbieten wird. Zugleich wird hier ein sehr friedlicher König verheißen, dem jede militärische Macht fehlt (vgl. zum Ganzen Engelhardt, S. 14-16). Homiletisch stellt sich die Frage, wie diese Messiasverheißung zur (vermuteten) Adventsfrömmigkeit der Gottesdienstteilnehmerinnen und - teilnehmer passt. Wenn es richtig ist, dass „das Adventsgefühl der meisten unserer Kirchgänger […] in der sich steigernden wohligen Erwartung des kerzenschimmerumleuchteten Krippenkinds“ (Engelhardt, S. 13) verharrt, dann liegt dieser Text dazu quer, geht es hier doch nicht um das erwartete Jesuskind sondern um den kommenden König der Gerechtigkeit. Anknüpfen lässt sich dagegen an eine verbreitete Unsicherheit im Blick auf die Zukunft, die viele Menschen sowohl im privaten, als auch im kirchlichen und gesellschaftlichen Bereich erfasst. Von hier aus kann die Bedeutung der Messiasverheißung für uns heute erschlossen werden. Zugleich kann dabei deutlich werden, dass und inwiefern die Adventszeit eine Bußzeit und eben keine vorgezogene Weihnachtszeit ist.Liebe Gemeinde!
Ungewisse Zukunft
Wie soll das bloß alles weitergehen… So sagt sich vielleicht manch einer, wenn er im Moment auf sein persönliches Leben schaut. Da sieht er vielleicht Probleme in der Familie, Sprachlosigkeit zwischen den Generationen oder handfeste Meinungsverschiedenheiten, für die einfach keine Lösung in Sicht ist. Oder er denkt an den Arbeitsplatz, fragt sich, wie lange die wirtschaftliche Erholung wohl andauern wird und wie sicher der eigene Job wirklich ist. Er merkt, wie die Anforderungen von Jahr zu Jahr steigen und wie er immer mehr das Gefühl hat, getrieben, gehetzt zu sein, unter Dauerdruck zu stehen. Welche Perspektiven bietet das Leben in so einer Situation – beruflich und privat? Wo zeigen sich Wege, die neues Leben erhoffen lassen?
Wie soll das bloß alles weitergehen… so sagt sich vielleicht manch einer, wenn er an seine Kirche denkt. Zunächst an die eigene Gemeinde vor Ort: Wie soll das weitergehen – mit weniger Geld und weniger hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, wie es landauf, landab zu erwarten ist – oder sogar schon Realität ist? Wie kann da in Zukunft Gemeindeleben aussehen? Wer wird sich bei uns überhaupt in zehn, zwanzig Jahren noch für das interessieren, was die Kirche zu bieten hat? Hat die Kirche überhaupt eine Zukunft – in unserem Land und bei uns vor Ort? Tun sich irgendwo neue Räume auf für die Kirche und den Glauben? Oder sitzen wir alle miteinander auf einem sinkenden Schiff? Wie soll das bloß alles weitergehen…so sagt sich schließlich vielleicht manch einer, wenn er unsere Gesellschaft sieht. Wie soll das werden, wenn die Kluft zwischen den Entscheidungsträgern auf den verschiedenen Ebenen und den Bürgerinnen und Bürgern scheinbar immer größer wird? Der Konflikt um Stuttgart 21 bewegt die Menschen ja wohl vor allem deshalb so, weil viele das Gefühl haben, in den großen Entscheidungen unseres Landes gar nicht mehr aktiv vorzukommen. Wie könnten da neue Wege aussehen? Gibt es Perspektiven für eine neue gemeinsame Verantwortung für die Zukunft in unserem Land? Oder scheitern alle Versuche dazu an Ignoranz auf der einen und Desinteresse auf der anderen Seite? Wie soll das bloß alles weitergehen… Aufbruchsstimmung, liebe Gemeinde, Aufbruchsstimmung sieht anders aus. Quer durch alle Bereiche unserer Gesellschaft und Kirche hört man eher Klagen und Resignation: Was auch immer die Zukunft bringen wird – viel Gutes kann nicht dabei sein! Wie soll das bloß alles weitergehen…
Merk-würdige Prophetenworte
Wie erstaunlich, wie merk-würdig hören sich auf diesem Hintergrund die Worte von Jeremia an, unser heutiger Predigttext! Ich lese aus Jeremia 23 die Verse 5 bis 8.
(Lesung des Predigttextes)
Wie soll das bloß alles weitergehen…Jeremia sagt auf diese Frage: Es wird einer kommen, der wird im Namen Gottes Gerechtigkeit schaffen. Es wird einer kommen, der kann und wird den Menschen helfen. Jeremia sagt: Ich weiß: Es wird ein gutes Ende nehmen! Jeremia verbreitet Aufbruchsstimmung. Und das in einer Zeit, liebe Gemeinde, die keinesfalls rosig aussah für die Zeitgenossen des Jeremia. Jerusalem war zerstört, in Schutt und Asche gelegt, die Könige umgekommen oder verschleppt, ebenso ein Großteil der Bevölkerung. In dieser Zeit verkündet Jeremia: Es kommt die Zeit, in der die Welt wieder in Ordnung kommt. In der es recht zugeht. Gott selbst wird dafür sorgen. Die Zeit damals war nicht rosig, viel mehr noch als wir heute hatten die Menschen damals Grund, voller Sorgen in die Zukunft zu blicken. Aber Jeremia sagt: Habt Vertrauen! Gott selbst sagt euch zu: Es kommt einer aus dem Haus David, der wird Gerechtigkeit bringen! Als Christinnen und Christen glauben wir, dass Jesus der König ist, der uns Recht und Gerechtigkeit bringt. Wir glauben, dass er damit schon begonnen hat – und dass er wiederkommen wird, um sein Werk zu vollenden. Wenn wir glauben, dass Jesus der verheißene König ist, welche Auswirkungen hat das dann auf unser Leben und auf unsere ganz alltäglichen Sorgen und Nöte? Wie passt das beides zusammen: unsere bange Frage „Wie soll das bloß alles weitergehen?“ und die Verheißung des Jeremia „Es kommt einer aus dem Haus Davids, der wird Gerechtigkeit bringen“? Wie passt das zusammen – unser banger Blick in die Zukunft und die Adventsbotschaft?
Die Sorgen und Nöte werden durch die Adventsbotschaft nicht einfach verschwinden. Und unser Land wird sich nicht über Nacht in ein Reich der Gerechtigkeit verwandeln. Aber was sich ändert, das ist der Blickwinkel, aus dem wir auf unser Leben und unser Land schauen. Wer glaubt, dass Jesus der verheißene König der Gerechtigkeit ist, der sieht die Sorgen und Probleme im Licht von Gottes Verheißung. Er sieht das, was jetzt ist, im Wissen darum, dass Gott Anderes versprochen hat. Und das hat zwei Folgen:
Vertrauen
Die eine Folge ist Vertrauen: Trotz allem, was dagegen spricht: Gott wird es am Ende gut machen. Gott hat es versprochen, dass er für Recht und Gerechtigkeit sorgen wird; dass er in Ordnung bringen wird, was im Moment im Chaos liegt. Gott hat seinen Schalom zugesagt, seinen ganz umfassenden Frieden, der mehr ist als die Abwesenheit von Krieg und Unrecht. Wir dürfen ihn beim Wort nehmen und darauf vertrauen, dass er es am Ende gut machen wird. In unserem Leben und für die Welt insgesamt. Wir dürfen Gott an seine Zusagen erinnern und ihm buchstäblich in den Ohren liegen. Gott hält Wort. Diese Zusage gibt uns eine Hoffnungsperspektive: Was wir hier erleben, ist nicht das Letzte; und durch diese Hoffnungsperspektive ändert sich auch unser Leben jetzt. Auch wenn manches Problem noch schwer drückt und manche Frage offen bleibt: Das Licht von dem, was Gott zugesagt hat, scheint schon in die Gegenwart hinein. Dadurch ist es, wie wenn sich der Himmel ein Stück öffnet. Vielleicht entdecken wir ja hier oder da auch schon kleine Vorzeichen dieser neuen Wirklichkeit, wo Gerechtigkeit herrscht. Kleine Vorzeichen dieser neuen Wirklichkeit, wo Beziehungen heil und ganz werden, Menschen in unmittelbarer Gemeinschaft mit Gott leben.
Umkehr
Wer glaubt, dass Jesus der verheißene König der Gerechtigkeit ist, der sieht die Sorgen und Probleme im Licht von Gottes Verheißung. Er sieht das, was jetzt ist, im Wissen darum, dass Gott anderes versprochen hat. Die erste Folge davon ist Vertrauen, die zweite Folge Umkehr: Wenn sich die Blickrichtung ändert, wenn wir unsere Gegenwart im Licht dessen betrachten, was uns zugesagt ist, dann lässt uns das nicht kalt, dann beginnt sich auch unser eigenes Leben und Verhalten zu ändern. Wir kehren um und richten unser Leben neu aus. Dazu soll eigentlich die Adventszeit als Zeit der Ausrichtung auf den kommenden Herrn dienen: Wir richten uns mit unserem ganzen Leben auf den kommenden König und seine Gerechtigkeit aus. Wir erinnern uns daran, dass Gott uns geboten hat, selbst gerecht zu leben.
Deshalb ist die Adventszeit in der christlichen Kirche eigentlich auch eine Bußzeit. Eine Zeit der Stille und der Neuausrichtung. Eine Zeit, um das eigene Leben wieder einmal auf den Prüfstand zu stellen: Auf welchen Wegen bin ich unterwegs. und wohin führen sie mich? Die Adventszeit – eine Zeit der Umkehr. Umkehren heißt dabei: sich neu ausrichten auf Gott und seine Gerechtigkeit und im eigenen Leben zu mehr Gerechtigkeit in der Welt beitragen. Das kann ganz unterschiedlich geschehen, mit ganz konkreten Schritten: z.B. den eigenen Kindern das weitergeben, was man selbst als wichtig und tragend erfahren hat – auch wenn das zu Konflikten mit manchen Trends und Konsumgewohnheiten führt; oder den Kaffee oder Tee im Eine-Welt-Laden kaufen und so mithelfen, dass Menschen in Lateinamerika oder Afrika im Leben eine Chance bekommen; oder überlegen, ob es Menschen in meiner direkten Umgebung gibt, die mich und meine Hilfe brauchen – vielleicht ein aufmunterndes Wort oder Zeit für ein Gespräch oder ganz praktische Hilfe.
Gottes Zusage
Wenn ich bloß wüsste, wie das alles weitergeht… Diese Frage stellen sich in der heutigen Zeit viele Menschen. Die Adventszeit erinnert uns daran, dass es auf der Welt nicht irgendwie weitergeht, sondern dass Gott die Zukunft in seine Hände nimmt. Er wird Gerechtigkeit schaffen. Trotz aller Sorgen und Probleme müssen wir deshalb nicht resignieren. Denn über allem liegt Gottes Zusage: Ich werde für Gerechtigkeit sorgen. An Weihnachten hat Gott den Anfang schon gemacht. Was könnten wir besseres tun in der Adventszeit als uns auf seine Gerechtigkeit auszurichten? Was sonst sollten wir in den nächsten Wochen tun als dies: Bei allem, was wir tun, auf den kommenden König zu blicken und uns von seiner Gerechtigkeit leiten zu lassen? In unseren Worten und unseren Taten. Vielleicht sind wir erstaunt, wie viel wir selbst dazu beitragen können, dass es wirklich Advent wird: In unseren Köpfen und Herzen, in unseren Häusern, in unserer Kirche und in unserem Land.
Amen.
“Wie soll das alles weitergehen?” – Einfühlsam und ausführlich spricht Pfarrer Dr Obenauer aktuelle Sorgen zu Beginn seiner Predigt an. Mit der Jeremia-Verheißung vom gerechten König spricht der Autor danach sehr überzeugend von Heil und Hoffnung. Wir bekommen einen neuen Blickwinkel durch Jesus, können schon kleine Erfolge von seinem Wirken wahrnehmen, und Hoffnung auf die große Vollendung bei Gott wird bestärkt.