Dabei bleiben und geduldig standhalten

Die innere unsichtbare Haltung der Christinnen und Christen hat ihre sichtbare Seite in der Wahrung des Gottesrechts und Ausübung der Liebe

Predigttext: Matthäus 24, 1-14
Kirche / Ort: Auferstehungskirche in Konstanz-Litzelstetten
Datum: 5.12.2010
Kirchenjahr: 2. Sonntag im Advent
Autor/in: Pfarrvikar Dr. Christof Ellsiepen

Predigttext: Matthäus 24, 1-14 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

1Und Jesus ging aus dem Tempel fort und seine Jünger traten zu ihm und zeigten ihm die Gebäude des Tempels. 2 Er aber sprach zu ihnen: Seht ihr nicht das alles? Wahrlich, ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde. 3 Und als er auf dem Ölberg saß, traten seine Jünger zu ihm und sprachen, als sie allein waren: Sage uns, wann wird das geschehen? Und was wird das Zeichen sein für dein Kommen und für das Ende der Welt? 4 Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Seht zu, dass euch nicht jemand verführe.5 Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin der Christus, und sie werden viele verführen. 6 Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; seht zu und erschreckt nicht. Denn das muss so geschehen; aber es ist noch nicht das Ende da. 7 Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere; und es werden Hungersnöte sein und Erdbeben hier und dort. 8 Das alles aber ist der Anfang der Wehen. 9 Dann werden sie euch der Bedrängnis preisgeben und euch töten. Und ihr werdet gehasst werden um meines Namens willen von allen Völkern. 10 Dann werden viele abfallen und werden sich untereinander verraten und werden sich untereinander hassen. 11 Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen. 12 Und weil die Ungerechtigkeit überhand nehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten. 13 Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden. 14 Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen.

Exegetische Beobachtungen zum Predigttext

Der Beginn der Endzeitrede (Mt 24-25) beruht bei Mt auf der Vorlage von Mk und ist großteils wörtlich übernommen. In der Komposition schließt diese Rede an die Scheltrede über die Schriftgelehrten und Pharisäer (23, 1-36), die als pseudofromm entlarvt und als ungerecht getadelt werden (23, 23), sowie an die Klage über Jerusalem (23,37-39) an und steht als Abschlussrede vor der Passionsgeschichte (26f). Innerhalb dieser Rede lassen sich drei Sinneinheiten feststellen: a) Die Phasen im endzeitlichen Geschehen bis zur Ankunft des Menschensohns (24, 1-35), b) Die Mahnung zur Wachsamkeit mit anschaulichen Gleichnissen (24, 36 – 25, 30) sowie c) die Schilderung des Weltgerichts des Menschensohns (25, 31-46). Unsere Perikope enthält die ersten beiden endzeitlichen Phasen vor der großen Bedrängnis (24, 15-28) und dem Kommen des Menschensohns (24, 29-35), nämlich die Weissagung der Tempelzerstörung (24,1-2) und den „Anfang der Wehen“ (24, 3-14). Auffällig ist, dass gegenüber der Markusvorlage bei Mt nicht einzelne Jünger, sondern alle Jünger als Kollektiv mit ihm gehen und die Fragen stellen (V1-3). Das spiegelt sich in Jesu Antwort, in der die angeredeten Jünger – resp. die angesprochene christliche Gemeinde – in den Gegensatz zu den „vielen“ gestellt wird, und zwar hinsichtlich a) der Gefahr durch falsche Christusse (V5, vgl. V24) verführt zu werden, b) der Verfolgung – hier sogar hervorgehoben – durch „alle Völker“ (V9), c) des Abfalls und gegenseitigen Verrats (V10f), d) der abermaligen Verführung durch falsche Propheten sowie schließlich e) der Gesetz- und Lieblosigkeit (V12). Demgegenüber wird denjenigen einzelnen, die dabei bleiben und geduldig standhalten, nicht nur die Rettung vorhergesagt (V13), sondern auch eine universale Wirksamkeit als Verkünder und Zeugen des Evangeliums in der ganzen bewohnten Welt (oikumene, V14). Der soteriologisch entscheidende und wörtlich aus Mk übernommene V13 wird bei Mt durch die Ergänzung des Motiv des Abfalls und des gegenseitigen Verrats und Hasses (V10) sowie durch die Wiederaufnahme des Motivs der Verführung (V11) anders akzentuiert. Steht bei Mk das Standhalten in Verfolgung im Vordergrund, so warnt der mt Jesus besonders eindringlich vor der Verführung durch Pseudo-Christusse und falsche Propheten. Die Standhaftigkeit der Christen wird hauptsächlich als innere verstanden, die freilich ihre sichtbare Seite in der Wahrung des Gottesrechts (Gegenteil: anomia) und Ausübung der Liebe findet (V12, vgl. die karitativ-sozialen Kriterien im Weltgericht Mt 25,34ff).

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Mitteilung der Redaktion Heidelberger Predigt-Forum

Leider kann hier noch keine Predigt zum 2.Advent veröffentlicht werden, da der vorgesehene Autor, Dr. Christof Ellsiepen, erkrankte, während er an seinem Manuskript arbeitete.  Empfehlend weisen wir auf seine Vorarbeiten hin. – Haben Sie schon eine Predigt zum Predigttext Matthäus 24,1-14 ausgearbeitet? Dann senden Sie diese an die Redaktion Heidelberger Predigt-Forum: redaktion@predigtforum.de

Anstelle der Predigtausarbeitung von Dr. Christof Ellsiepen hier ein Auszug aus einer Predigt von Dietrich Bonhoeffer über Matthäus 24,(1)6-1-14, die er allerdings nicht zum 2.Advent, sondern als Abend-Predigt am Passionssonntag Reminiscere, dem 21.Februar 1932, und zwar zum Volkstrauertag, in Berlin hielt (in: Dietrich Bonhoeffer, Gesammelte Schriften, Bd. IV, hg. von Eberhard Bethge, München 1961, S.34-44). Da die Predigt in ihrem Hauptteil von adventlichen Gedanken geprägt ist, kann sie vielleicht Anregungen für die eigene Predigtarbeit geben.

„…Aber der Christus, der weiß, daß sein Weg ans Kreuz geht, weiß, daß auch der Weg seiner Jünger nicht herrlich und sicher geradezu in den Himmel hineinführt, sondern auch sie müssen durch die Finsternis, durch das Kreuz. Auch sie müssen kämpfen. Darum ist das erste Zeichen des Naheseins Christi – seiner würdig genug! -, daß seine Feinde groß werden, daß die Macht der Verführung, des Abfalls, der Untreue stark wird, daß seine Gemeinde hart an den Abgrund des Irrewerdens an Gott geführt wird. Das erste wird sein, daß seine Feinde sich hinter Christi Namen verstecken und nun unter dem Schein der Christlichkeit uns von ihm weglocken wollen…

Gottes Weg in der Welt führt ans Kreuz und durchs Kreuz zum Leben. Darum erschreckt nicht, fürchtet euch nicht, seid getreu! Aber was heißt hier treu sein anderes, als Stehen und Fallen mit dem Wort Christi, mit seiner Predigt vom Reich des Friedens, als Wissen, daß Christi Worte trotz allem mächtiger sind als alle Gewalten des Bösen; was heißt hier Treue der Gemeinde Christi anderes, als in dies rasende Toben hinein immer wieder bis zum Ermatten, bis zum Ärgernis, bis zum Martyrium die Worte Christi rufen, daß Friede sein soll, daß Liebe sein soll, daß Seligkeit sein soll und daß er unser Friede ist und daß Gott ein Gott des Friedens ist. Und je mehr sie toben, desto mehr sollen wir rufen; und je mehr wir rufen, desto wilder werden sie toben. Denn wo wirklich das Wort Christi gesagt wird, da spürt die Welt, daß das entweder verderblicher Wahnsinn oder aber verderbliche Wahrheit ist, die ihr ans Leben geht. Wo wirklich Friede gesagt wird, da muß der Krieg doppelt wüten, denn er spürt, es soll ihm der Garaus gemacht werden. Christus will sein Tod sein. Aber um so leidenschaftlicher, um so treuer wird die Kirche Christi zu ihrem Herren stehen und sein Wort vom Frieden predigen, ob es durch Schmähung, Verfolgung hindurchgeht. Sie weiß, auch ihr Herr hat ans Kreuz gemußt. Aber nun versteht sie auch die Verheißung, die Jesus für sie ist. Der Krieg wird nicht das Ende sein. Sondern er muß sein, damit das Ende kommt.

“Es wird gepredigt werden das Evangelium (S.43)vom Reich in der ganzen Welt zu einem Zeugnis über alle Völker und dann wird das Ende kommen.” Hier nun weitet sich unser Blick, wird er hinaufgerissen zu dem Herrn, der alles lenkt, dem auch die Dämonen und Höllischen dienen müssen. Krieg, Krankheit und Hunger, sie müssen kommen, damit das Evangelium vom Reich des Friedens, der Liebe und des Heiles um so schärfer, um so klarer, um so tiefer gesagt und gehört wird. Die bösen Gewalten müssen dem Evangelium dienen, die Mächte der Feindschaft und des Gegentreibens der Völker müssen dienen, daß das Evangelium über alle Völker kommen und von allen vernommen werde, müssen dienen dem Reich, das allen Menschen gehören soll. Krieg dient dem Frieden, Haß dient der Liebe, der Teufel dient Gott, das Kreuz dient dem Leben. Und dann, wenn das offenbar werden wird, dann wird das Ende kommen; dann wird der Herr der Kirche seine Hand segnend und schützend auf sie legen, als seinen treuen Knecht…“

Nachgedacht – Zur Predigt von Dietrich Bonhoeffer über Matthäus 24,1-14 von Heinz Janssen

Wahrscheinlich aus Gründen des Kasus lässt Bonhoeffer den Predigttext erst mit V.6 beginnen „Ihr werdet hören Kriege und Geschrei von Kriegen…“, obwohl er auch die Verse 1-5 in die Predigt einbezieht. Der Prediger setzt mit dem Kasus des Volkstrauertags ein (S.34-38), den er am Schluss der Predigt nocheinmal aufnimmt (S.43f.). In diesen kasuell bestimmten Teilen fragt Bonhoeffer über die Feier- und Gedenkstunde hinaus nach dem Trost angesichts der Millionen Kriegstoten und des damit verbundenen unbeschreiblichen Leides.

„Trost finden … kann man nur in der Erkenntnis Gottes“ (34). Kirche, die im Evangelium gegründet ist, hat nach Bonhoeffer angesichts des Todes, den sich Menschen zufügen, „mehr zu sagen, weil sie mehr sieht“ (37). Der Krieg und seine Opfer stellen die Christen vor die Frage: „wie kann ich Gott, Christus und das Geschehen des Krieges zusammendenken? Soll ich sagen: es war eine Sache Gottes, oder soll ich verzweifeln und sagen: hier war Gottes Macht am Ende? Hier war Christus ferne?“ (38). Bei solchen Fragen sei „zuerst auf das zu sehen, was am Kreuz von Golgatha vorgegangen ist“ (38). Und die Frage stelle sich noch schärfer: „wie kann ich das Kreuz und Gott zusammendenken?“ (38)

Die Antwort findet Bonhoeffer in dem Weg Jesu, der durch das Kreuz zum Leben, zur Auferstehung, führte. Das einzig sichtbare Zeichen Gottes in der Welt ist darum für Bonhoeffer das Kreuz, „und eben dort, wo das Kreuz ist, ist die Auferstehung nah; eben dort, wo alle an Gott irre werden, wo alle an Gottes Macht verzweifeln, da ist Gott ganz, da ist Christus lebendig nah“ (38). Wenn die Jünger Jesus nach den Zeichen des Wiederkommens nach seinem Tode fragen (V.3), so ist dies kein einmaliges Wiederkommen. „Die Endzeit in der Bibel ist die ganze Zeit… zwischen Tod Christi und Weltgericht“ (39). In dieser Zeit gilt es jeden Tag zu kämpfen, weil der Weg der Jünger Jesu wie der Weg Jesu selbst durch die Finsternis führt. „Darum ist das erste Zeichen des Naheseins Christi…, daß seine Feinde groß werden…, daß seine Gemeinde hart an den Abgrund des Irrewerdens an Gott geführt wird. Das erste wird sein, daß seine Feinde sich hinter Christi Namen verstecken und nun unter dem Schein der Christlichkeit uns von ihm weglocken wollen…Die Welt rottet sich zusammen gegen den Geist Christi…Und die große Macht der Empörung heißt: Krieg! Die anderen heißen Pestilenz und teure Zeiten“, sie, die angestiftet sind von dem Tod, dem Erzfeind Christi, wollen Christus, dem Lebendigen, die Herrschaft streitig machen (39). Obwohl Christus den Tod bezwungen hat, melden sich die Todesmächte mit Gewalt und überfallen die Völker.

Bonhoeffer entfaltet jetzt, wie die Gewalt der Todesmächte die Nachfolger Christi in „furchtbare Ratlosigkeit und Angst“ stürzt, sie an Gott und Christus zweifeln lässt, ihnen sogar den Glauben raubt, ihn zerstört (40). Bonhoeffer wendet sich gegen Vorwürfe, Menschen, die in solche Situationen geraten, den rechten Glauben abzusprechen, und charakterisiert solche Vorwürfe als „pharisäisch“ (40f.), „…wer von uns wollte denn sagen, daß er so rechten Glauben habe, daß er ihm durch nichts, gar nichts mehr gefährdet werden könnte?“ (41). Bonhoeffer hebt hervor, dass Christus auch dem gläubigsten Menschen „entrissen“ werden kann, und er erinnert an den Schrei „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, den nach Darstellung des Evangelisten Matthäus auch Jesus am Kreuz ausstieß. Im Hinblick auf die bitteren Kriegserfahrungen so vieler Menschen, die sich zuerst noch als Christen verstanden, ruft Bonhoeffer aus: „Oh, es ist allzu begreiflich, dass Millionen untreu wurden, daß unter so viel Haß die Liebe erkaltete“ (41). Dann fährt er fort: „Es stünde wahrhaftig verzweifelt um uns, wenn nicht das Wort Christi da wäre: ‚Wenn das alles über euch kommt, sehet zu und erschrecket nicht! Das muß zuerst alles geschehen’“ (41). Es ist das „Fürchte dich nicht“, das sich durch die ganze Bibel bis hin zu Jesus hindurchzieht (41f.). Warum dies alles, so viel Schlimmes, geschehen muss?, fragt Bonhoeffer. „Weil Christus selbst durch den Tod hindurch muß, weil da, wo Christus, wo Gott wirklich selbst ist, sich die Finsternis am furchtbarsten auflehnt und ihn selbst ans Kreuz schlägt. Darum müssen auch wir hindurch. Es muß alles geschehen, damit das Ende kommen kann.“ (42)

In immer wieder neuen Varianten entfaltet Bonhoeffer, dass der Blick auf Gottes Weg Durchblick schafft und darum tröstet, aufrichtet, hilft. Leidenschaft und Treue zu ihrem Herrn fordert Bonhoeffer von der Kirche, die Predigt des Wortes Christi vom Frieden, auch und gerade angesichts von „Schmähung“ und „Verfolgung“ (42). Das Weltgeschehen zielt nicht auf Finsternis, Krieg, Krankheit und Hunger, sondern auf die Predigt des Evangeliums vom Reich Gottes in der ganzen Welt unter allen Völkern. Die bösen Mächte werden in den Dienst des Evangeliums genommen, „Krieg dient dem Frieden, Haß dient der Liebe, der Teufel dient Gott, das Kreuz dient dem Leben“(43). Am Ende „wird der Herr der Kirche seine Hand segnend und schützend auf sie legen, als seinen treuen Knecht“ (43).

Heinz Janssen
redaktion@predigtforum.de

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